L 16 AS 297/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 187/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 297/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Isolierte Anfechtung, Kenntnis der Rechtsfolgen, Rechtsfolgenbelehrung, Sanktionsbescheid
I. Auf die Berufung werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. März 2013 und der Bescheid vom 29. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2013 aufgehoben.

II. Der Beklagte erstattet der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Absenkung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und hilfsweise die Wirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012.

Die mit ihrem Ehemann in Bedarfsgemeinschaft lebende Klägerin bezieht vom Beklagten laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie hat Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung bei der M. S. Gebäudemanagement GmbH. Nachdem mit Bescheid vom 20.11.2012 Leistungen für Dezember 2012 bis Mai 2013 zunächst vorläufig bewilligt worden waren, erfolgte die endgültige Bewilligung der Leistungen für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 13.06.2013.

Durch einen Datenabgleich wurde dem Beklagten bekannt, dass die Klägerin weiteres Einkommen aus einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis bei der K. Grundstückstreuhand GmbH & Co KG (A) hat. Nachdem sie vom Beklagten mit Schreiben vom 15.11.2012 aufgefordert worden war, eine von A ausgefüllte Arbeitsbescheinigung vorzulegen, erteilte A die Auskunft am 27.11.2012. Die Klägerin sei seit Mai 2001 mit einer Arbeitszeit von wöchentlich 2,5 Stunden beschäftigt und erhalte im Jahr 2012 monatlich 115 EUR. Es handele sich um einen Mini-Job mit 30 v.H. pauschalen Abgaben an die Bundesknappschaft. Die Klägerin habe noch eine weitere Putzstelle, komme aber insgesamt nicht über die Mini-Job-Grenze.

Die Klägerin kündigte mit einem an A gerichteten Schreiben vom 30.11.2012 ihren Anstellungsvertrag fristgerecht zum 15.12.2012.

Der Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 07.01.2013 auf die beabsichtigte Feststellung einer Absenkung des Regelsatzes um 30 v.H. hin, weil sie am 30.11.2012 den Anstellungsvertrag mit A zum 15.12.2012 gekündigt habe. Einen wichtigen Grund, der dieses Verhalten rechtfertigen würde, habe sie bisher nicht mitgeteilt. Es werde davon ausgegangen, dass die Fortführung der Tätigkeit unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und Leistungsfähigkeit zumutbar gewesen wäre. Der Hergang der Ereignisse sei zu ermitteln. Es bestehe Gelegenheit zur Äußerung. Die Klägerin wurde aufgefordert mitzuteilen, warum sie bei A gekündigt habe. Sie reagierte mit Schreiben vom 23.01.2013. Es bestünde in der Tat noch Klärungsbedarf. Es lägen noch nicht alle Fakten vor. Wenn diese vorliegen würden, werde sortiert und geprüft und eine Stellungnahme erfolgen. Bis dahin werde um Geduld gebeten. Zuvor hatte der Ehemann der Klägerin in einem Telefongespräch am 18.12.2012 bekundet, dass man ihm damals gesagt habe, dass A die Meldung an das Jobcenter machen werde. Das sei wohl bis heute nicht passiert. Der Lohn sei wohl auf das Konto des Hausmeisters und ein Konto der Freundin der Klägerin gegangen.

Mit Bescheid vom 29.01.2013 stellte der Beklagte die Minderung des der Klägerin gewährten Arbeitslosengelds II im Zeitraum vom 01.03.2013 bis zum 31.05.2013 um 30 v.H. des maßgeblichen Regelbedarfs (345 EUR) in Höhe von monatlich 103,50 EUR fest. Die Entscheidung beruhe auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Danach würden erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten verletzen, wenn sie sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit oder eine mit Beschäftigungszuschuss geförderte Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten zu verhindern. Das gelte nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen würden. Sie, die Klägerin, habe am 30.11.2012 ihren Anstellungsvertrag mit A gekündigt. Hierin sei eine Weigerung, die Arbeit fortzuführen, zu sehen. Einen wichtigen Grund, der dieses Verhalten rechtfertigen würde, habe sie nicht mitgeteilt. In der Eingliederungsvereinbarung sei sie über die eintretenden Rechtsfolgen bei einem solchen Verstoß hingewiesen worden. Die Beschäftigung sei unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit und persönlichen Verhältnisse zumutbar gewesen. Die Argumentation im Schreiben vom 23.01.2013 könne nicht als wichtiger Grund im Sinn des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II anerkannt werden.

Ziel der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 war die "Aufnahme einer SV-Arbeit". Die Klägerin verpflichtete sich unter 2., pro Monat zwei Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und jegliche Veränderung der wirtschaftlichen und privaten Verhältnisse umgehend dem Jobcenter zu melden. Die Eingliederungsvereinbarung enthielt eine darauf bezogene Rechtsfolgenbelehrung:
"Die §§ 31 und 31b SGB II sehen bei Verstößen gegen die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten Leistungsminderungen vor. Das Arbeitslosengeld II kann danach - auch mehrfach nacheinander - gemindert werden oder vollständig entfallen.

Wenn Sie erstmals gegen die mit Ihnen vereinbarten Eingliederungsbemühungen verstoßen (siehe Nr. 2. Bemühungen des Kunden), wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent des für Sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II gemindert."

Die Klägerin hatte diese Eingliederungsvereinbarung (Geltungsdauer bis 17.06.2013) am 18.07.2012 "unter Vorbehalt" unterschrieben. Der Beklagte hat die Eingliederungsvereinbarung in Reaktion auf die Beanstandungen der Klägerin zwischenzeitlich "für hinfällig erklärt" (Schreiben an die Klägerin vom 14.03.2014).

Am 04.02.2013 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.01.2013 ein und brachte vor, dass die Rechtsbelehrung nicht den Erfordernissen des Bundessozialgerichts (Urteil vom 18.02.2010) genüge. Die Leistungskürzung sei bereits aus diesem Grund unzulässig. Entgegen den Anforderungen des Bundessozialgerichts seien hier lediglich allgemeine Rechtsbelehrungen verwendet worden. Es gäbe auch keine Anhaltspunkte für einen Vorsatz. Die Klägerin sei auch noch nicht gehört worden. Sie habe sich bisher noch nicht geäußert. Eine Entscheidung nach § 31 SGB II sei derzeit nicht begründet. Die Eingliederungsvereinbarung sei nichtig, weil die Klägerin sie unter Vorbehalt unterzeichnet habe. Damit liege ein Dissens, ein Einigungsmangel, vor. Im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens wurde vorgebracht, dass die Klägerin wegen Mobbings gekündigt habe. Der Hausmeister und A hätten widersprüchliche Anweisungen gegeben.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2013 zurückgewiesen. Die Klägerin habe mit dem Ausspruch ihrer Eigenkündigung vom 30.11.2012 den Tatbestand der Pflichtverletzung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II erfüllt. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II müsse eine Rechtsfolgenbelehrung stattgefunden haben bzw. positiv festgestellt werden, dass die leistungsberechtigte Person hinreichende Kenntnis über die Rechtsfolgen hatte. Die mit der Klägerin geschlossene Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 habe eine ausführliche Rechtsfolgenbelehrung enthalten. Die Klägerin habe eindeutig erkennen können, welche konkreten Rechtsfolgen eintreten, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Im Übrigen könne vorliegend unterstellt werden, dass die Klägerin auch die erforderliche Kenntnis hinsichtlich der Rechtsfolgen gehabt habe (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB II). Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar. Es sei der Klägerin zumutbar gewesen, das Anstellungsverhältnis mit A fortzuführen. Zumutbarkeitsausschlussgründe gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB II würden nicht vorliegen. Die von der Klägerin zwischenzeitlich vorgebrachten Gründe für die Eigenkündigung könnten das Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grunds nicht erfüllen. Es sei zumutbar gewesen, die dargestellten Unstimmigkeiten mit A auf anderem Weg als durch eine Kündigung zu klären. Eine derartige Aufgabe des Arbeitsplatzes erscheine leichtfertig. Die Bewilligungsentscheidung für den Zeitraum der Sanktion (01.03.2013 bis 31.05.2013) sei nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Höhe von monatlich 103,50 EUR aufzuheben.

Vertreten durch ihren Ehemann hat die Klägerin am 19.02.2013 Klage erhoben und beantragt, den Widerspruchsbescheid vom 15.02.2013 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, ob die Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 als Vertrag zustande kam (Einigungsmangel) und ob der Bescheid vom 29.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2013 wegen der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung rechtswidrig ist.

Ebenfalls am 19.02.2013 erhob die Klägerin gegen A Klage zum Arbeitsgericht K. "wegen Sanktionierung gemäß § 31 SGB II" mit dem Antrag festzustellen, dass der Anstellungsvertrag vom 01.05.2001 zwischen beiden Parteien zum 15.12.2012 wegen Mobbings und Belästigung zu Recht von der Klägerin gekündigt wurde. Nach dem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich hatte A "allein aus prozessökonomischen Gründen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" 50 EUR an die Klägerin zu zahlen.

Nach mündlicher Verhandlung am 27.03.2013, in der eine Mitarbeiterin des A als Zeugin vernommen worden ist, hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe zutreffend eine Pflichtverletzung festgestellt. Die Kammer folge nicht der Auffassung der Klägerin, dass sie einen wichtigen Grund gehabt habe. Ein zu einer Eigenkündigung berechtigendes Mobbing habe nicht stattgefunden. Es könne dahinstehen, ob der Hausmeister die Rechte der Klägerin tatsächlich durch Mobbing verletzt habe. Jedenfalls wäre es Sache der Klägerin gewesen, ein derartiges Verhalten eines Kollegen an ihren Arbeitgeber zu kommunizieren und Abhilfe zu verlangen, bevor sie die Stelle selbst kündigt. Auch könne die Einkommensanrechnung nach dem SGB II nicht als wichtiger Grund für die Aufgabe einer Beschäftigung angesehen werden. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die ausgeübte Tätigkeit für die Klägerin unzumutbar im Sinn des § 10 SGB II gewesen sein könnte. Die Klägerin könne sich nicht auf eine unterbliebene Rechtsfolgenbelehrung berufen, da sie die entsprechende ausdrückliche Belehrung durch das Verschweigen des Beschäftigungsverhältnisses selbst vereitelt habe. Bezüglich des Hilfsantrags sei bereits das Feststellungsinteresse fraglich. Jedenfalls sei die Feststellungsklage unbegründet. Anders als in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall liege hier ein öffentlich-rechtlicher Vertrag vor, bei dem die Vertragspartner nicht daran gehindert seien, eine Abweichung von der Regellaufzeit von sechs Monaten zu vereinbaren. Soweit vorgetragen werde, aus der Unterschrift unter Vorbehalt ergebe sich ein offener Dissens im Sinn einer aufschiebenden Bedingung, könne dem die Kammer nicht folgen. Im Übrigen sei es treuwidrig, sich erst nach über der Hälfte der Laufzeit der Eingliederungsvereinbarung auf deren Unwirksamkeit zu berufen. Dem Urteil ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, derzufolge die Berufung zulässig ist. Das Urteil ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 10.05.2013 zugestellt worden.

Dagegen hat die Klägerin am 13.05.2013 Berufung eingelegt, hilfsweise Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung.

Sie beantragt sinngemäß,
- das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. März 2013 aufzuheben,
- den Bescheid vom 29. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2013 aufzuheben,
- hilfsweise festzustellen, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 18. Juli 2012 unwirksam bzw. nichtig ist.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat er auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil des Sozialgerichts Augsburg Bezug genommen. Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens hat er außerdem geltend gemacht, dass der Feststellungsantrag im Hinblick auf das Schreiben vom 14.03.2014 als erledigt angesehen werde. Die Berufung sei unzulässig, weil der Rechtsmittelstreitwert unter dem maßgeblichen Wert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liege. Das klägerische Begehren sei ausschließlich auf die Aufhebung der Minderungsentscheidung des Beklagten gerichtet. Der maßgebliche Wert sei identisch mit dem Wert des Hauptantrags, nämlich 310,50 EUR. Selbst bei Annahme der Möglichkeit der Addition der Streitwerte der jeweiligen Anträge wäre der Rechtsmittelstreitwert nicht erreicht.

In der mündlichen Verhandlung am 22.01.2014 hat sich der für die Klägerin als deren Prozessbevollmächtigter erschienene Ehemann aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gesehen zu verhandeln. Nach Vertagung des Rechtsstreits haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Beklagten und des Arbeitsgerichts K. sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Entsprechend der zutreffenden Belehrung im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Augsburg ist die Berufung ohne Zulassung statthaft. Zwar wäre gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG die Zulassung der Berufung erforderlich gewesen, wenn es nur auf den Hauptantrag der Klägerin ankommen würde. Beim Begehren Aufhebung des Sanktionsbescheids vom 29.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2013 geht es nämlich um 310,50 EUR (Absenkung der Leistungen für drei Monate um jeweils 103,50 EUR), so dass allein damit die Berufungssumme von 750 EUR nicht erreicht wird. Die Berufung ist aber gleichwohl ohne Zulassung statthaft, weil der Hilfsantrag der Klägerin auf Feststellung, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 nicht wirksam zustande gekommen bzw. nichtig ist, hinzuzurechnen ist und dieser Antrag nicht beziffert werden kann, so dass es bei der Grundregel der zulassungsfreien Berufung (§ 143 SGG) verbleibt.

Das Gericht entscheidet über die von der Klägerin erhobenen Ansprüche (§ 123 SGG). Schon mit Erhebung der Klage im Februar 2013 hat die Klägerin zwei Ansprüche verfolgt, nämlich die Aufhebung der mit den streitgegenständlichen Bescheiden verhängten Sanktion sowie hilfsweise die Feststellung der Unwirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012. Über diese beiden Ansprüche hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Urteil entschieden. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin beide Ansprüche weiterverfolgt. Sowohl die Klage- als auch die Berufungsbegründung lassen hieran keinen Zweifel.

Bei der Feststellung der Berufungsfähigkeit sind Haupt- und Hilfsantrag zusammenzurechnen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 144 Rn. 17). Der Anfechtungsantrag auf Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide und der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 sind weder prozessual noch wirtschaftlich auf dasselbe Ziel gerichtet. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin - unter Verkennung der prozessrechtlichen Abhängigkeit eines Hilfsantrags vom Hauptantrag - mit dem Hilfsantrag in erster Linie dem Hauptantrag zum Erfolg verhelfen will, folgt daraus keine wirtschaftliche Identität von Haupt- und Hilfsantrag, die ausnahmsweise einer Addition entgegenstehen würde (vgl. Leitherer a.a.O. Rn. 18).

Das auf die Feststellung der Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 gerichtete Begehren bleibt davon unberührt, dass der Beklagte diese Eingliederungsvereinbarung zwischenzeitlich für "hinfällig erklärt" hat.

Die Voraussetzungen für eine Beschränkung der Berufung gemäß § 144 Abs. 1 SGG lassen sich nicht feststellen, weil der Wert des Feststellungsbegehrens nicht beziffert werden kann. In der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 war als Ziel die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit formuliert. Die Klägerin wurde verpflichtet, pro Monat zwei Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und jegliche Veränderung der wirtschaftlichen und privaten Verhältnisse umgehend dem Jobcenter zu melden. Hierfür lässt sich ein (Beschwerde-) Wert nicht ausweisen. Die vom Beklagten zuletzt vertretene Auffassung, dass das Feststellungsbegehren der Klägerin mit einem Betrag von 310,50 EUR zu bewerten sei, weil es auch bei diesem Antrag ausschließlich um die Aufhebung der Minderungsentscheidung des Beklagten gehe, kann sich der Senat nicht anschließen. Richtig ist zwar, dass der Beklagte zur Begründung der streitgegenständlichen Bescheide auf die in der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 enthaltene Rechtsfolgenbelehrung Bezug nahm und insoweit ein nicht unwesentlicher Zusammenhang zwischen der Sanktion und dieser Eingliederungsvereinbarung besteht. Gleichwohl kann dem auf die Nichtigerklärung der gesamten Eingliederungsvereinbarung gerichteten Feststellungsbegehren eine über die Anfechtung der Sanktionsentscheidung hinausgehende eigenständige Bedeutung nicht abgesprochen werden.

Die Berufung ist begründet, da der Hauptantrag Erfolg hat. Die Klage auf Aufhebung des Bescheids vom 29.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2013 ist zulässig und begründet. Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedarf es bei einem Erfolg des Hauptantrags nicht.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 29.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2013, mit dem der Beklagte den Auszahlungsanspruch aus den vorher bewilligten Leistungen nach dem SGB II für die Monate März bis Mai 2013 minderte. Anders als nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der bis 31.03.2011 geltenden Regelung des § 31 SGB II (a.F.), wonach ein Sanktionsbescheid ein nicht abtrennbarer Streitgegenstand ist (dazu etwa BSG, Urteil vom 15.12.2010, B 14 AS 92/09 R, Rn. 13), geht der Senat für die hier anzuwendenden Regelungen gemäß §§ 31 bis 31b SGB II in der seit 01.04.2011 geltenden Fassung davon aus, dass der streitgegenständliche Sanktionsbescheid vom 29.01.2013 isoliert anfechtbar ist (ebenso Bayer. LSG, Urteil vom 30.01.2014, L 7 AS 84/13, mit ausführlicher Begründung). Er stützt sich dabei in erster Linie auf den Wortlaut des § 31b SGB II, der auf die Minderung des Auszahlungsanspruchs, einen im Vergleich zum alten Recht (vgl. § 31 Abs. 6 SGB II a.F.) neuen Begriff, abstellt.

Die durch Bescheid vom 29.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2013 verfügte Minderung des Auszahlungsanspruchs wird aufgehoben, weil sie rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Sanktion liegen nicht vor. Zwar ist das Sozialgericht Augsburg zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Klägerin wegen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit A den Vorwurf einer auch subjektiv vorwerfbaren Pflichtverletzung gefallen lassen muss. Sie hat sich geweigert, eine zumutbare Arbeit fortzuführen und damit den Tatbestand gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II verwirklicht, ohne sich auf einen wichtigen Grund gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II berufen zu können, wie vom Sozialgericht Augsburg zutreffend dargelegt worden ist. Dennoch ist der Sanktionsbescheid rechtswidrig. Pflichtverletzungen können gemäß § 31 Abs. 1 SGB II nur sanktioniert werden, wenn Leistungsberechtigte ihre Pflichten trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis verletzen. Weder ist hier eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Rechtsfolgenbelehrung erfolgt noch kann der Klägerin Kenntnis von den Rechtsfolgen nachgewiesen werden.

Eine Rechtsfolgenbelehrung, die geeignet gewesen wäre, vor der hier verwirklichten Pflichtverletzung zu warnen, hat es nicht gegeben. Damit ist die Anforderung, dass die Belehrung des Leistungsberechtigten über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig sein muss (h.M., vgl. etwa BSG, Urteil vom 15.12.2010, B 14 AS 92/09 R, Rn. 24), nicht erfüllt. Die Sanktion ist verhängt worden, weil die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis mit A gekündigt, d.h. eine zumutbare Arbeit nicht fortgeführt hat. Eine auf eine derartige Pflichtverletzung zugeschnittene Rechtsfolgenbelehrung ist nicht erfolgt. Sämtliche in § 31 Abs.1 Satz 1 SGB II aufgeführten Sanktionstatbestände setzen eine Rechtsfolgenbelehrung voraus. Auch in den Fällen, in denen eine konkrete Rechtsfolgenbelehrung nicht erfolgen konnte, weil ein bestimmtes Beschäftigungsverhältnis verschwiegen wurde, kann nicht auf die gesetzliche Voraussetzung Rechtsfolgenbelehrung oder Kenntnis der Rechtsfolgen verzichtet werden. Im Hinblick auf die gravierenden Folgen der §§ 31 ff. SGB II im Bereich der existenzsichernden Leistungen ist es für den Senat unvertretbar darauf abzustellen, das sich die Klägerin nicht auf das Unterbleiben der Rechtsfolgenbelehrung berufen kann, wenn sie diese selbst vereitelt hat.

Nicht tragfähig ist die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass die Klägerin nach der Rechtsfolgenbelehrung in der Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 habe erkennen können, welche konkreten Rechtsfolgen eintreten, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Die Konkretheit der Rechtsfolgenbelehrung muss sich nämlich nicht nur auf die Rechtsfolgen beziehen, sondern gerade auch auf die Pflichtverletzung, die zur Sanktion führen kann. Die Rechtsfolgenbelehrung in der Eingliederungsvereinbarung bezog sich nur auf die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten und ist für Pflichten, die in der Eingliederungsvereinbarung nicht aufgeführt sind, ohne rechtliche Relevanz. Die Rechtsfolgenbelehrung dieser Eingliederungsvereinbarung ist für die hier verhängte Sanktion auch dann nicht ausreichend, wenn man sie so verstehen würde, dass sie sich auf das ausdrücklich benannte Gebot erstreckt, jegliche Veränderung der wirtschaftlichen und privaten Verhältnisse umgehend dem Jobcenter zu melden. Denn nicht die unterlassene Meldung ist hier sanktioniert worden, sondern die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Bei diesen Gegebenheiten erübrigen sich Ausführungen zur Frage, ob die Eingliederungsvereinbarung vom 18.07.2012 überhaupt wirksam zustande gekommen ist.

Allgemeine Hinweise in den Bewilligungsbescheiden, etwa im Bescheid vom 20.11.2012 unter "ergänzende Erläuterungen" dahingehend, dass Hilfebedürftigen grundsätzlich jede Erwerbstätigkeit zumutbar ist, sind ebenso wenig geeignet, die Warnfunktion einer gemäß § 31 Abs. 1 SGB II erforderlichen konkreten Rechtsfolgenbelehrung zu erfüllen wie Hinweise zu den Pflichten und den Folgen von Pflichtverletzungen in den Merkblättern zum SGB II, die Leistungsberechtigte regelmäßig im Antragsverfahren erhalten.

Nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit 01.04.2011 geltenden Fassung reicht die Kenntnis des Leistungsberechtigten über die Rechtsfolgen aus. Eine entsprechende Kenntnis ist zur Überzeugung des Senats nicht bewiesen. Es fehlen konkrete Anhaltspunkte für eine entsprechende positive Kenntnis der Klägerin. Die Beweislast für den Nachweis der Kenntnis trägt der Beklagte.

Das die gegenteilige Auffassung vertretende Sozialgericht kann sich nicht auf entsprechende Tatsachen stützen. Zwar mag es sein, dass die Klägerin aufgrund des langjährigen Leistungsbezugs und der Hinweise in den jeweiligen Bewilligungsbescheiden ihre Pflicht kannte, eine ausgeübte Beschäftigung nicht aufzugeben. Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass sie wusste, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit A sanktionsbewehrt gemäß § 31 SGB II ist. Der Senat hält es für möglich, dass der Klägerin nach Bekanntwerden des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses mit A rechtliche Konsequenzen in Form eines auf die vergangenen Jahre bezogenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheids bewusst waren, aber nicht unbedingt die Möglichkeit einer Sanktion bei Kündigung dieses Arbeitsverhältnisses.

Als Rechtsgrundlage für die Sanktion vom 29.01.2013 kommen auch nicht § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II oder § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Betracht. Danach ist eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auch anzunehmen, wenn sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen (Nr. 1) oder wenn sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen (Nr. 2). § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II greift nicht, weil nur eine unmittelbar zur Vermögensverminderung führende Handlung ausreichen würde (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 20/09 R, Rn. 23). Bei der hier vorliegenden Kündigung eines (geringfügigen) Beschäftigungsverhältnisses liegt eine nur indirekte Handlung vor. Der Tatbestand gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe) ist ebenfalls nicht gegeben, weil das abverlangte Verhalten bereits in § 31 Abs. 1 SGB II geregelt ist und eine Beziehung der Klägerin zum Rechtskreis des SGB III nicht vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 20/09 R, Rn. 18, 25 f.).

Der Beklagte wird wegen der Aufhebung des Bescheids vom 29.01.2013 den die Leistungen der Bedarfsgemeinschaft endgültig festsetzenden Bescheid vom 13.06.2013 auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X anzupassen haben. Die den streitgegenständlichen Zeitraum betreffenden Leistungsbewilligungsbescheide des Beklagten sind bei der hier vorliegenden isolierten Anfechtung des Bescheids vom 29.01.2013 nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.

Weiter wird der Beklagte zu prüfen haben, ob ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II besteht, weil die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit A ohne wichtigen Grund gekündigt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Frage des Streitgegenstands bei Sanktionen liegt nicht vor, weil diese Rechtsprechung zu dem bis 31.03.2011 geltenden und hier nicht anwendbaren Recht ergangen ist.
Rechtskraft
Aus
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