S 4 R 451/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 451/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Angesichts der Kompliziertheit der Regelungen zum Hinzuverdienst bei Erwerbsminderungsrenten kann nicht von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden, wenn ein Versicherter die teilweise Rechtswidrigkeit eines rückwirkenden Rentenbescheides nicht erkennt. Das Anhörungsverfahren muss innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingeleitet werden. Ist dies nicht der Fall, darf eine Aufhebung nicht erfolgen.
Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2012 wird insoweit aufgehoben, als darin der Bescheid vom 27.09.2006 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für November 2005 zurückgenommen und von der Klägerin die Erstattung von 212,05 EUR verlangt wird.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfange zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1959 geborene Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem die Beklagte Rente in Höhe von 212,05 EUR zurückverlangt. Die Klägerin war bei ihrem Ehemann beschäftigt. Mit Bescheid vom 27.09.2006 gewährte die Beklagte ihr rückwirkend ab dem 01.09.2005 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im November 2005 zahlte der Arbeitgeber ihr eine Jahresgratifikation in Höhe von 1.125,00 EUR brutto. Diese Zahlung ist in einer Kontoübersicht vom 18.08.2011, die sich in der Rentenakte der Beklagten befindet, aufgeführt. Aus einer ebenfalls in der Beklagtenakte enthaltenen Kontoübersicht lässt sich ersehen, dass die Einmalzahlung am 18.10.2006 von der Beklagten erfasst wurde. Am 18.08.2011 nahm die Beklagte eine Nachprüfung zur weiteren Rentenberechtigung vor. In der Folge forderte sie die Klägerin auf, einen Nachweis über die für die Zeit vom 01.11.2005 bis 30.11.2005 erhaltene Einmalzahlung zu erbringen. Dem kam die Klägerin mit Schreiben ihres Ehemanns vom 17.11.2011 nach. In einem weiteren Schreiben vom 27.01.2012, auf das Bezug genommen wird, erläuterte dieser die Einmalzahlung.

Am 29.02.2012 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Rückforderung einer Überzahlung vom 01.11.2005 bis 30.11.2005 in Höhe von 212,05 EUR an. In dem Anhörungsschreiben wird ausgeführt, die Beklagte habe festgestellt, dass das Arbeitseinkommen von 1.125,00 EUR für November 2005 die Hinzuverdienstgrenze gemäß § 96 a Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI) überschritten habe, so dass der Klägerin für diesen Monat die Rente wegen voller Erwerbsminderung lediglich in Höhe von drei Vierteln zustehe. Im Anhörungsverfahren hat sich die Klägerin nicht geäußert.

Mit Bescheid vom 03.04.2012 berechnete die Beklagte sodann die Rente neu und nahm den Rentenbescheid vom 27.09.2006 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für November 2005 nach § 45 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) zurück. Gleichzeitig forderte sie unter Bezugnahme auf § 50 SGB X die Rückzahlung von 212,05 EUR. Sie begründete dies damit, das Arbeitseinkommen von 1.125,00 EUR für November 2005 überschreite die Hinzuverdienstgrenze gemäß § 96a SGB VI. In dem Rentenbescheid vom 27.09.2006 sei die Klägerin unter "Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" und durch die Anlage 19 zum Bescheid über ihre individuellen Hinzuverdienstgrenzen mit dem Hinweis informiert worden, dass entsprechende Einkünfte dem Rentenversicherungsträger mitzuteilen seien. Die Klägerin könne sich daher auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides nicht berufen, weil sie aufgrund der von der Beklagten gegebenen Informationen die Rechtswidrigkeit des Bescheides gekannt habe bzw. hätte erkennen müssen. Auch die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X sei nicht abgelaufen.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie geltend machte, die im November 2005 ausgezahlte Gratifikation sei als arbeitsvertraglich festgesetzte Jahreszahlung für das ganze Jahr 2005 anzusehen. Die erfolgte Zahlung könne daher nur anteilig für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 31.12.2005 berücksichtigt werden. Dies ergebe einen Betrag von 375,00 EUR. Damit werde der die Hinzuverdienstgrenze bzw. das zulässige Überschreiten nicht erreicht. Ihre Steuerberaterin habe ihr bestätigt, dass die Meldungen jeweils fristgemäß vorgenommen worden seien. Auch eine Betriebsprüfung der Beklagten, die den Prüfzeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2008 erfasse, habe keine Unkorrektheiten ergeben. Im Übrigen habe sie auch mit Schreiben vom 07.12.2005 die erhaltene Zahlung mitgeteilt. Die Klägerin hat hierzu eine Ablichtung eines Schreibens vom 07.12.2005 vorgelegt. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 13.04.2012 und 29.05.2012 verwiesen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2012 zurück. In dem Widerspruchsbescheid wird ausgeführt, Einmalzahlungen aus einem nach Rentenbeginn noch bestehenden Arbeitsverhältnis seien als Hinzuverdienst auch dann zu berücksichtigen, wenn sie aus Zeiten vor Rentenbeginn resultierten. Die Einmalzahlung sei erst am 09.10.2006 von der Steuerberaterin der Klägerin an die Einzugsstelle abgesetzt worden. Die Klägerin habe aufgrund der Hinweise im Bescheid vom 27.09.2006 Kenntnis von den maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen gehabt. Sie habe auch gewusst, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht oder in verminderter Höhe gezahlt werde, sofern durch Einkommen die für diese Rente maßgebliche Hinzuverdienstgrenze überschritten sei und habe selbstverständlich auch Kenntnis über das an sie im November 2005 gezahlte Arbeitsentgelt gehabt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Abschnitt "Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" auf den Seiten 4 bis 5 des Bescheides vom 27.09.2006 werde insoweit verwiesen. Die Klägerin habe damit auch ohne spezielle Rechtskenntnisse erkennen können, dass unter Berücksichtigung des von ihr erzielten Einkommens im Monat November 2005 die Hinzuverdienstgrenze überschritten werde und in diesem Monat ihr kein voller Rentenanspruch zugestanden habe. Ein "Nichtwissen" sei unter diesen Umständen als große Fahrlässigkeit zu werten. Sie sei zudem ihren aus der Rentenantragstellung resultierenden Mitwirkungspflichten nach dem § 60 ff des 1. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) nicht nachgekommen. Auch die Aufhebungsfristen seien nicht abgelaufen. Für den Beginn der Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei maßgebend der Zeitpunkt der positiven Kenntnis über die Rechtswidrigkeit und Begünstigung des Bescheides und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 2 SGB X. Kenntnis über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 2 SGB X sei im Regelfall erst im Zeitpunkt des Eingangs des Anhörungsergebnisses gegeben. Erst mit Eingang der Rückäußerung des Betroffenen verfüge die Behörde über die notwendigen Informationsgrundlagen um die Aufhebungsentscheidung treffen zu können (Hinweis auf Urteile des Bundessozialgerichts vom 08.02.1996, Az.: 13 RJ 35/94 und 06.03.1997, Az.: 7 R Ar 40/96). Das Anhörungsergebnis habe der Deutschen Rentenversicherung Bund erst mit Widerspruchseinlegung am 16.04.2012 vorgelegen, so dass die Einjahresfrist bei Erteilung des Bescheides vom 03.04.2013 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die Zehnjahresfrist nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X sei ebenfalls eingehalten worden. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 09.11.2012 Klage erhoben.

Zur Begründung verweist sie auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 03.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2012 insoweit aufzuheben, als darin der Rentenbescheid vom 27.09.2006 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für November 2005 zurückgenommen und die Erstattung eines Betrages von 212,05 EUR von der Klägerin gefordert wird.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich dabei auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die Rentenakte der Beklagten ist zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte erhobene Klage ist zulässig.

Sie ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.10.2012 ist rechtswidrig, soweit darin der Bescheid vom 27.09.2006 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für November 2005 zurückgenommen und von der Klägerin die Erstattung von 212,05 EUR verlangt wird.

Die Beklagte durfte den Bescheid vom 27.09.2006 nicht teilweise aufheben, da die für eine solche Aufhebung erforderlichen Voraussetzungen nach § 45 SGB X nicht vorliegen. Damit liegen auch die Voraussetzungen für die von der Beklagten verlangte Rückzahlung von 212,05 EUR gemäß § 50 Abs. 1 SGB X nicht vor, da diese Vorschrift die wirksame Aufhebung eines Verwaltungsaktes voraussetzt. Zwar ist der Rentenbescheid vom 27.09.2006 teilweise rechtswidrig, weil darin die Einmalzahlung für den November 2005 in Höhe von 1.125,00 EUR nicht berücksichtigt wird. Diese Einmalzahlung hätte gemäß § 96 a SGB VI auf die Rente wegen Erwerbsminderung angerechnet werden müssen. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist es nicht zulässig, die Einmalzahlung nur anteilig für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 31.12.2005 einzubeziehen. Die Einmalzahlung wurde für den Monat November 2005 gemeldet. Wird eine Einmalzahlung in das Versicherungskonto gemeldet, ist sie in dem Monat als Hinzuverdienst zu berücksichtigen, für den sie gemeldet ist. Aufgrund der teilweisen Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 27.09.2006 ist damit zwar grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 45 SGB X eröffnet, allerdings darf ein Verwaltungsakt, der -wie hier- einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat und rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigter Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 des SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Versicherte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann der Begünstigte sich nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Nur in den letztgenannten Fällen und bei Vorliegen von Wideraufnahmegründen analog § 580 ZPO darf der Bescheid für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Außerdem muss die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigten Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Die Klägerin hat die zu Unrecht erbrachte Rente verbraucht. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt ihr aber Vertrauensschutz zu. Ihr kann nämlich keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Die Beklagte hat ihre Auffassung unter anderem darauf gestützt, die Klägerin habe aufgrund der Ausführungen im Abschnitt "Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" auf den Seiten 4 bis 5 des Bescheides vom 27.09.2006 erkennen können, dass unter Berücksichtigung des von ihr erzielten Einkommens im Monat November 2005 die Hinzuverdienstgrenze überschritten werde und in diesem Monat somit kein voller Rentenanspruch bestanden habe. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Es muss hier berücksichtigt werden, dass der Rentenbescheid vom 27.09.2006 datiert und sich schon aufgrund des zeitlichen Abstandes zwischen der Einmalzahlung und den Rentenbescheid es sich nicht gerade aufdrängt, dass nach Erhalt dieses Bescheides eine im November 2005 erfolgte Einmalzahlung hätte mitgeteilt werden müssen. Aus dem immerhin aus 29 Seiten bestehenden Bescheid ergibt sich auch nicht ohne weiteres, wann die für eine Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten wird. Zwar erfolgt auf Anlage 19 des Bescheides eine Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen, die die Zeit ab 27.09.2006 erfasst. Ob auch durch eine Einmalzahlung, die für die Arbeitsleistung in einem ganzen Jahr gedacht ist, die Hinzuverdienstgrenze überschritten werden kann, lässt sich aus den Formulierungen in dem Bescheid aber nicht ohne weiteres erkennen. Die Kammer vertritt deshalb die Auffassung, dass der Klägerin hier allenfalls eine leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, sie aber nicht die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist nämlich nur dann der Fall, wenn ein Begünstigter bereits einfache, ganz naheliegende Überlegung nicht anstellt und daher nicht beachtet, was in gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen (vergleiche auch BSG, Urteile vom 09.02.2006, Az.:B 7 a AL 58/05 mit weiteren Nachweisen). Das Maß der Fahrlässigkeit ist insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten gemäß dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff zu beurteilen (BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 267). Zwar sind Sozialleistungsberechtigte grundsätzlich verpflichtet, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Einem Leistungsempfänger ist jedoch immer nur dann grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X vorzuwerfen, wenn der Fehler ihm bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu in die Augen springt. Hiervon kann bei der Klägerin aufgrund der komplizierten Berechnung der Hinzuverdienstgrenze und auch des zeitlichen Abstandes zwischen Einmalzahlung und Rentenbescheid aber gerade nicht ausgegangen werden. Der Fehler sprang nicht ins Auge, sondern war in dem Bescheid eher versteckt.

Der Klägerin kann auch nicht vorgeworfen werden, sie habe ihre aus der Rentenantragsstellung resultierenden Mitwirkungspflicht nach dem § 60 ff SGB I verletzt. In der Erklärung unter Abschnitt 15 des Rentenantrages hat sich die Klägerin verpflichtet, den Rentenversicherungsträger unverzüglich zu benachrichtigen, wenn nach Stellung dieses Rentenantrages bis zum Rentenbeginn sich eine Änderung der Höhe des Arbeitsentgeltes oder des Arbeitseinkommens/steuerlichen Gewinns ergibt. Hier hat sich aber keine Änderung des laufenden Arbeitsentgeltes oder des Arbeitseinkommens ergeben, sondern die Klägerin hat eine Gratifikation erhalten. In der Nichtmitteilung dieser einmaligen Gratifikation kann das Gericht allenfalls eine einfache Fahrlässigkeit und nicht eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erkennen. Im Übrigen hat die Klägerin auch vorgetragen, sie habe mit Schreiben vom 07.12.2005 der Beklagten die Jahreszahlung für 2005 in Höhe von 1.125,00 EUR mitgeteilt und hierzu die Ablichtung des entsprechenden Schreibens an die Beklagte vorgelegt. Auch wenn dieses Schreiben dann offensichtlich nicht zur Rentenakte der Beklagten gelangt ist, muss doch im Rahmen der Prüfung des Verschuldensmaßstabes berücksichtigt werden, dass die Klägerin subjektiv davon ausgegangen ist, ihrer Mitteilungspflicht genügt zu haben.

Schließlich scheitert die von der Beklagten vorgenommene teilweise Aufhebung des Bescheides vom 27.09.2006 auch an § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.

Die Beklagte hat die darin normierte Jahresfrist nicht eingehalten. Maßgebend für den Beginn der Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigten Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigt. Anders als die Beklagte meint, ist für diesen Zeitpunkt die objektive Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen, aber nicht die subjektive Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsaktes maßgebend. Wie sich aus dem Versicherungsverlauf auf Blatt 371 ff der Rentenakte der Beklagten ergibt, ist die Meldung über das der Klägerin im November 2005 gezahlte Entgelt der Beklagten am 18.10.2006 zugegangen. Damit hatte die Beklagte objektiv Kenntnis von der Einmalzahlung. Die Beklagte wäre damit in der Lage gewesen, die teilweise Aufhebung des Rentenbescheides vom 27.09.2006 und die damit einhergehende Rückforderung der überzahlten Rente innerhalb der Jahresfrist einzuleiten. Sie hat dies erst durch das Anhörungsschreiben vom 29.02.2012 und damit außerhalb der Jahresfrist getan. Das Gericht folgt hier ausdrücklich nicht der unter der Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in dem Widerspruchsbescheid vorgenommenen Argumentation der Beklagten, wonach die Jahresfrist erst mit Eingang der Rückäußerung des Betroffenen im Rahmen eines Anhörungsverfahrens zu laufen beginne. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X bezweckt die hinreichende Gewährleistung von Rechtssicherheit auch bezogen auf rechtswidrig begünstigte Verwaltungsakte trotz genereller Möglichkeit zur Abänderung dieser Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Behörde gehalten ist, die "weiteren" Voraussetzungen für eine Rücknahmeentscheidung zeitnah zu ermitteln, soweit sie Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Ausgangsentscheidung hat. Die Behörde ist daher gehalten, sobald sie die Tatsachen kennt, die objektiv die Rechtswidrigkeit des Ursprungsverwaltungsaktes begründen, zeitnah und zügig die weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme des entsprechenden Verwaltungsaktes, insbesondere das Bestehen oder Nichtbestehen von Vertrauensschutz und die für eine Ermessensentscheidung notwendigen Tatsachen, zu ermitteln. Unterlässt es die Behörde länger als ein Jahr, die subjektiven Voraussetzungen für eine Rücknahmeerstattung nach § 45 SGB X zu ermitteln bzw. mit diesen Ermittlungen zumindest zu beginnen und ein Anhörungsverfahren durchzuführen, obwohl sie die Tatsachen, die die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsaktes begründen, kennt, so ist eine spätere Aufhebung des ursprünglichen Verwaltungsaktes durch § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gehindert. Das grundsätzliche Abstellen auf das Anhörungsverfahren darf nämlich nicht dazu führen, dass die Behörde durch verzögerte Anhörung den Beginn des Jahresfrist hinausschieben kann (vergleiche hierzu auch Schleswig Holsteinische Landessozialgericht, Urteil vom 19.11.2013, Az.: L 7 R 3/11). Durch die Meldung der Einmalzahlung am 18.10.2006 waren der Beklagten alle objektiven Tatsachen bekannt, die Voraussetzung für eine teilweise Aufhebung des Bescheides vom 27.09.2006 waren. Zwischen der Kenntniserlangung der Tatsachen, die zur Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung geführt haben am 18.10.2006 und der Einleitung des Anhörungsverfahrens durch das Schreiben vom 29.02.2012 lagen deutlich über fünf Jahre, so dass die Jahresfrist bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits abgelaufen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Rechtsmittelbelehrung ergibt sich aus den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Das Gericht hat keine Gründe erkennen können, die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved