S 44 R 1446/14 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
44
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 44 R 1446/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 10.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2014 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Streitwert wird auf 156,60 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens um die Versicherungspflicht von Beschäftigten der Antragstellerin sowie die Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.

Die Antragstellerin betreibt einen Gaststättenbetrieb und beschäftigte im Zeitraum vom 01.10.2009 bis 31.12.2012 beim Vorliegen von Arbeitsspitzen verschiedene Aushilfen nur für einen Tag. Diese meldete sie als geringfügig Beschäftigte an.

Die Antragsgegnerin führte in der Zeit vom 30.09.2013 bis 07.11.2013 eine beitragsrechtliche Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.10.2009 bis 31.12.2012 durch. Nach der Anhörung der Antragstellerin im Rahmen der Schlussbesprechung am 07.11.2013 forderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10.12.2013 von der Antragsstellerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 626,40 EUR inkl. Säumniszuschläge von 70,00 EUR nach. Zur Begründung führte sie aus, dass einige Aushilfen in den Monaten Dezember 2009, April 2010, Mai 2010, Juni 2011, Mai 2012 und Dezember 2012 für einen Tag als geringfügig Beschäftigte angemeldet worden seien. Das von ihnen erzielte Arbeitsentgelt habe die anteilige Geringfügigkeitsgrenze überschritten, so dass eine Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung bestanden habe. Denn wenn eine Beschäftigung auf weniger als einen Zeitmonat befristet sei, sei von einem anteiligen Monatswert für die maßgebliche Geringfügigkeitsgrenze auszugehen (450,00 EUR Geringfügigkeitsgrenze x Kalendertage des Beschäftigungsverhältnisses / 30 Tage). Die sich ergebende Nachforderung werde als Differenz zwischen den zu Unrecht gezahlten pauschalen Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen und den tatsächlich zu zahlenden Beiträgen zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung einschließlich der Umlagen geltend gemacht. Im Einzelnen seien die nachfolgend benannten Arbeitnehmer betroffen:

E1 Q1 am 25.04.2010 T1 T2 am 17.05.2012 T3 L1 am 25.04.2010 M I1 am 17.05.2012 K1 E1 am 13.05.2010 N1 I2 am 17.05.2012 L2 T4 am 13.05.2010 U1 L3 am 17.05.2012 B L4 am 13.05.2010 L5 N2 am 17.05.2012 X1 F-L6 am 13.05.2010 K2 T5 am 17.05.2012 T6 H1 am 13.05.2010 L7 T7 am 17.05.2012 K3L8 am 02.06.2011 O1 O2 am 17.05.2012 O3 T8 am 02.06.2011 D I3 am 17.05.2012

X2 T9 vom 05.12.2009 bis 06.12.2009 N3 C1 vom 05.12.2009 bis 06.12.2009, vom 03.12.2011 bis 04.12.2011 Q2 C2 am 13.05.2010, 02.06.2011, und 17.05.2012 T10 T11 am 13.05.2010, 02.06.2011, und 17.05.2012 M1 T12 am 13.05.2010, 02.06.2011 E2 N4 am 13.05.2010, 17.05.2012 L9 F am 13.05.2010, 02.06.2011 K3 H2 am 13.05.2010, 02.06.2011 U2 D2 vom 01.08.2010 bis 31.08.2010, am 02.06.2011 und 17.05.2012 M2 N5 vom 01.08.2010 bis 31.08.2010, am 02.06.2011 und 17.05.2012 M3 T13 am 02.06.2011 und 17.05.2012 N6 T14 vom 03.12.2011 bis 04.12.2011 S C3 am 17.05.2012 und 08.12.2012

Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 19.12.2013 Widerspruch. Sie teilte mit, dass die Arbeitnehmer jeweils nur für einen Tag im Jahr beschäftigt worden seien, weshalb es sich nicht um eine regelmäßige Beschäftigung gehandelt habe. Eine Umrechnung auf den Monatswert halte sie daher nicht für möglich. Auch beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides.

Mit Schreiben vom 19.12.2013 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2014 wies sie dann den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte sie ihre Ausführungen aus dem Bescheid vom 10.12.2013.

Die Antragstellerin erhob hiergegen am 24.04.2014 Klage. Das Klageverfahren wird unter dem Aktenzeichen S 44 R 936/14 geführt.

Am 17.07.2014 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

Sie trägt unter Verweis auf die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 06.02.2014, Az.: L 1 KR 31/12, vor, dass die Zugrundelegung einer anteiligen Arbeitsentgeltgrenze bzw. eines anteiligen Monatswertes in der praktischen Anwendung zu systemfremden Ergebnissen führe, die nicht der Intention des Gesetzgebers entsprächen. Es erfolge eine Verbeitragung von Kleinbeträgen, die der Gesetzgeber gerade versicherungsfrei habe stellen wollen. Angesichts des klaren Wortlauts des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – bestünde kein Raum für eine einschränkende Auslegung, wie sie von der Antragsgegnerin vorgenommen worden sei. Auch überwiege das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, da sie mit ihren Mitteln wirtschaften müsse und nicht mit offensichtlich unbegründeten Beitragsnachforderungen überzogen werden dürfe.

Sie beantragt (sinngemäß),

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 10.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2014 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt (schriftsätzlich),

den Antrag abzulehnen.

Sie hält die streitgegenständlichen Bescheide für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 25.03.2014. Im Übrigen halte sie die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts für eine Einzelfallentscheidung, der im Konsens der Rentenversicherungsträger nicht zu folgen sei. Vielmehr sei sie bei der Ausübung ihres Prüfauftrages an die Vorgabe der Geringfügigkeitsrichtlinie gebunden. Danach gelte, dass von einem anteiligen Monatswert (450,00 EUR x Kalendertage des Beschäftigungsverhältnisses / 30 Tage) auszugehen sei, wenn die Beschäftigung auf weniger als einen Zeitmonat befristet sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen, die dem Gericht vorgelegen haben.

Gründe:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §§ 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 86a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Erfolg.

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Aufforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Auch Säumniszuschläge sind öffentliche Abgaben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86a Rn. 13a). Rechtsbehelfe gegen Beitragsbescheide prüfender Rentenversicherungsträger nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV haben weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung des § 7a Abs. 7 S. 1 SGB IV aufschiebende Wirkung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2012, Az.: L 8 R 565/12 B ER). Ein solcher Antrag ist begründet, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass dem privaten Interesse des Antragstellers an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem (durch die Antragsgegnerin vertretenen) Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung der Vorrang zu geben ist. Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn im Einzelfall gewichtige Argumente für eine Umkehr des gesetzgeberisch angenommenen Regelfalls sprechen, d.h. besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise das Interesse des vom Verwaltungsakt Belasteten in den Vordergrund treten lassen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.08.2010, Az.: L 6 AS 999/10 B; Keller a.a.O., § 86b Rn. 12c). Ein wesentliches Kriterium bei der Interessenabwägung ist die nach vorläufiger Prüfung der Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Keller a.a.O., § 86b Rn. 12a, 12f), wobei beachtet werden muss, dass für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ein besonderes Interesse erforderlich ist, das über jenes hinausgeht, das den Verwaltungsakt rechtfertigt (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 30.10.2009, Az.: 1 BvR 2395/09). Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.01.2011, Az.: L 8 R 864/10 B ER). Bestehen dabei erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, d.h. ist der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher als sein Misserfolg, bzw. ist dieser offensichtlich rechtswidrig und hat die Hauptsache somit offensichtlich Erfolg, wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Ist hingegen der angefochtene Bescheid voraussichtlich rechtmäßig, so überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse der Öffentlichkeit bzw. der Behörde und die aufschiebende Wirkung ist nicht anzuordnen. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, das heißt ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so überwiegt das Vollzugsinteresse. Denn das Vollzugsrisiko bei Abgabebescheiden ist von dem Gesetzgeber bewusst auf den Adressaten verlagert worden, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen (Keller a.a.O., § 86a Rn. 27a; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.2013, Az.: L 8 R 114/13 B ER).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien waren nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung für die im streitgegenständlichen Bescheid genannten Aushilfen keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachzufordern, da sie bei der Antragstellerin aufgrund von Zeitgeringfügigkeit versicherungsfrei beschäftigt waren.

Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Bescheids ist § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Versicherungs- und Beitragspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht u. a. bei einem abhängigen und entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis i.S.v. § 7 SGB IV (vgl. (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung –, § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI) – Soziale Pflegeversicherung –, § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) – Arbeitsförderung. Dies gilt nicht, wenn die Beschäftigung geringfügig i.S.d. § 8 SGB IV ist (vgl. § 7 Abs. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 S. 1 SGB XI, § 5 Abs. 2 S. 1 SGB XI, § 27 Abs. 2 S. 1 SGB III). Nach § 8 Abs. 1 SGB IV in der bis zum 31.12.2012 geltenden Fassung liegt eine geringfügige Beschäftigung, die zur Versicherungsfreiheit in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung führt, vor, wenn 1. das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400,00 EUR nicht übersteigt (sog. Entgeltgeringfügigkeit), 2. die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400,00 EUR im Monat übersteigt (sog. Zeitgeringfügigkeit). Im Falle einer entgeltgeringfügigen Beschäftigung sind allerdings vom Arbeitgeber trotz bestehender Versicherungsfreiheit der Beschäftigten in geringem Umfang Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zu entrichten (vgl. § 249b S. 1 SGB V, § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI).

Die Beschäftigungen der im streitgegenständlichen Bescheid genannten Aushilfen erfüllten im maßgeblichen Zeitraum die Voraussetzungen der Zeitgeringfügigkeit. Sie übten bei der Antragstellerin eine nicht regelmäßige Beschäftigung aus.

Die Geringfügigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV unterscheidet sich von derjenigen nach Nr. 2 der Vorschrift dadurch, dass die Beschäftigung bei Nr. 1 regelmäßig und bei Nr. 2 nur gelegentlich ausgeübt wird (Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 11.05.1993, Az.: 12 RK 23/91 und vom 23.05.1995, Az.: 12 RK 60/93; Schlegel in jurisPK-SGB IV, 2. Auflage 2011, § 8 Rn. 29). Regelmäßig ist dabei eine Beschäftigung, die von vornherein auf ständige Wiederholung gerichtet ist (BSG, Urteil vom 11.05.1993 a.a.O.; Schlegel a.a.O. Rn. 33; Rittweger in BeckOK SGB IV, Stand 01.06.2014, § 8 Rn. 33). Es muss eine hinreichende Vorhersehbarkeit von Dauer und Zeitpunkt der einzelnen Arbeitseinsätze bestehen (Schlegel a.a.O. Rn. 33 und m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Der Einsatz der betroffenen Arbeitnehmer diente dem Ausgleich der Auftragsspitzen. Es gab keine bestimmten wiederkehrenden Termine, die zeitlich genau vorhersehbar waren. Der Einsatz erfolgte vielmehr regelmäßig nur für einen einzigen Tag bzw. maximal an zwei Tagen im Jahr. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Es handelt sich damit um eine zeitgeringfügige Beschäftigung.

Die Versicherungsfreiheit der Beschäftigungen ist auch nicht durch die weiteren – negativen – Tatbestandsmerkmale des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ausgeschlossen. Eine Versicherungsfreiheit kommt danach nicht in Betracht, wenn die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400,00 EUR im Monat übersteigt.

Das Entgelt der Beschäftigungen überstieg bereits jeweils nicht die Entgeltgrenze von 400,00 EUR im Monat.

Dass – absolut gesehen – das Arbeitsentgelt der Aushilfen in den streitgegenständlichen Beschäftigungszeiträumen 400,00 EUR im Monat nicht überstieg, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Streitig ist allein, ob die von der Antragsgegnerin vorgenommene Berechnung des monatlichen Arbeitsentgeltes unter Zugrundelegung einer anteiligen Arbeitsentgeltgrenze bzw. eines anteiligen Monatswertes zulässig ist. Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht der Fall, eine solche Vorgehensweise ist nicht mit den gesetzlichen Vorschriften vereinbar. Die Kammer schließt sich diesbezüglich nach eingehender Prüfung vollumfänglich den überzeugenden Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts im Urteil vom 06.02.2014, Az.: L 1 KR 31/12, an. Dieses hat ausgeführt:

Bereits nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV liegt tatbestandlich eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn "die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400,00 EUR im Monat übersteigt". Eine anteilige Arbeitsentgeltgrenze, ein anteiliger Monatswert oder ein Zeitmonat ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen. Zudem differenziert der Gesetzeswortlaut insoweit systematisch explizit zwischen Kalenderjahr, Monat(en) und Arbeitstagen.

Die Entgeltgrenze für geringfügige Beschäftigungen kann zudem nicht losgelöst von anderen Entgeltgrenzen beurteilt werden. So führt das Bundessozialgericht für den Bereich der so genannten unständigen Beschäftigungen bereits in seiner Entscheidung vom 11. Mai 1993 (12 KR 23/91) aus:

"Nach den oben aufgezeigten gesetzlichen Regeln über die Beitragsbemessung bei unständigen Beschäftigungen ist bei der Prüfung der absoluten Entgeltgrenze das im jeweiligen Monat insgesamt erzielte Entgelt dem jeweiligen monatlichen Grenzbetrag gegenüberzustellen, denn eine Umrechnung auf Tage ist mit den übrigen für diese Art der Beschäftigung geltenden Vorschriften nicht vereinbar. ( ) Dass nach § 445 Abs. 1 RVO (§ 232 Abs. 1 SGB V) die Beitragsbemessung und deren Grenze für unständig Beschäftigte dem Monatsprinzip unterworfen wurden, spricht unter diesen Umständen dafür, auch die Entgeltgrenze in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV bei unständigen Beschäftigten monatsweise zu bestimmen."

Eine Anwendung anderer Vorschriften, die eine anteilige Berechnung für Sozialversicherungstage vorsehen, wie etwa die BVV oder § 123 SGB VI, kommt entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1. nicht in Betracht. Bei der BVV handelt es sich um eine Rechtsverordnung auf der Grundlage der §§ 28n und § 28p Abs. 9 SGB IV, die lediglich (vorliegend von Relevanz) die Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages bzw. der Beitragsbemessungsgrenzen regelt. Auch § 123 SGB VI stellt eine reine Berechnungsvorschrift dar, die heranzuziehen ist, wenn es um die Berechnung von Geldbeträgen für einen Teilzeitraum geht (Dankelmann in jurisPK-SGB VI, 2. Auflage 2013, § 123 SGB VI Rn. 20f; BSG, Urteil vom 28.10.1996, Az.: 8 RKn 19/95). Dass eine solche Berechnung zu erfolgen hat, regeln diese Normen gerade nicht. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften ist lediglich bei dem Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke möglich, die jedoch nach der Auffassung des Senats der Auslegung nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes folgend nicht vorliegt. Ein Gesetz ist nur dann lückenhaft, wenn es angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist, die Gerichte also nur das vom Gesetzgeber versehentlich unterbliebene Regelungsstück einfügen müssen (vgl. zur Regelungslücke Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 1995, S. 354 f).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Zu Sinn und Zweck der Anordnung von Versicherungsfreiheit wegen geringfügiger Beschäftigung finden sich in den Gesetzesmotiven wenige Hinweise (vgl. Begründung im Gesetzentwurf zum SGB IV, BT-Drucksache 7/4122, S. 31 und Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines SGB IV, BT-Drucksache 7/4122, S. 43 jeweils zu § 8 SGB IV). Als Hauptgrund für die Versicherungsfreiheit geringfügig Beschäftigter wird jedoch das Fehlen eines Schutzbedürfnisses dieser Personen angesehen, da die Einkünfte, weil sie geringfügig sind, in der Regel nicht die Existenzgrundlage darstellen, wie andererseits durch die Sozialversicherung auch ungewöhnlich hohe Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze nicht in die Versicherungspflicht einbezogen werden. Sozialversicherungsschutz in den einzelnen Versicherungszweigen soll bei typisierender Betrachtungsweise nur dem zugutekommen, der, in einem Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt stehend, seinen Lebensbedarf und den seiner unterhaltsbedürftigen Familienangehörigen aus dem Entgelt der Beschäftigung sicherstellen muss. Mit der Ausklammerung geringfügiger Beschäftigungen bietet das Gesetz im Ergebnis einen sachlich eng begrenzten und hinsichtlich der Rechtsfolgen eingegrenzten Bereich freier ökonomischer Entfaltung zum Zweck des Erwerbs von Einkommen, das nicht die Hauptquelle des Lebensunterhaltes ist und bietet auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht erhebliche Vorteile für die Unternehmen (Seewald, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Band I, Stand: März 2013, § 8 Rdnr. 18, § 8 SGB IV Rn. 3; Knospe in: Hauck/Haines, SGB IV, Kommentar, Stand: Mai 2013, § 8 Rn. 1, 7 ff; Schlegel in: jurisPK – SGB IV, 2. Auflage 2011, § 8 SGB IV Rn. 22 ff; Marschner in: Kreikebohm, SGB IV, Kommentar, 2008, § 8 Rn. 1; Lüdtke in: Winkler, SGB IV, Kommentar, 1. Auflage 2007, § 8 Rn. 4 und Rn. 20). Die Begründung geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse stellt nach der Rechtsordnung einen zulässigen Akt der Vertragsgestaltung dar. Hiermit korrespondiert, dass der Gesetzgeber im Rahmen der so genannten zeitgeringfügigen Beschäftigung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV eine Tätigkeit privilegiert, die "im Kalenderjahr" längstens u.a. auf "50 Arbeitstage" begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, bei der also eine Ausübung für Zeiten, die weniger als einen Monat betragen, gerade systemimmanent ist. Dies wird typischerweise bei Saisonarbeitskräften, wie auch im vorliegenden Fall, relevant. Im Gegensatz zu den bereits früh erkannten Gefahren eines Missbrauchs der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse und einer damit einhergehenden Erosion der Bemessungsgrundlagen in der Sozialversicherung, die unter anderem zur Einführung von Pauschalbeiträgen zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung für entgeltgeringfügige Beschäftigungsverhältnisse führte und zur Möglichkeit für entgeltgeringfügige Beschäftigte, in der Rentenversicherung auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten, sollten kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse (zwei Monate oder 50 Arbeitstage im Laufe eines Jahres) wie bisher bei Einhaltung der Entgeltgrenze versicherungsfrei bleiben (vgl. hierzu ausführlich: Gesetzentwurf zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 19. Januar 1999, BT-Drucksache 14/280, S. 11 für das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999, BGBl I 1999, S. 388). Aufgrund der Kurzfristigkeit ist im Verhältnis zu Dauerbeschäftigungen die Einführung bzw. Aufrechterhaltung einer bestehenden Sicherung gerade dort wenig sinnvoll. Insoweit ist das fehlende Gleichgewicht von Beiträgen und Leistungen durch die Kurzfristigkeit evident (Knospe, a.a.O., § 8 Rn. 10). Der Gesetzgeber ist in Kenntnis der unter Umständen nur für begrenzte Tage erfolgenden Beschäftigungen bei einer monatlichen Entgeltgrenze geblieben und hat gerade keinen anteiligen Monatswert statuiert. Durch die Rechtsänderungen mit dem Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (u.a. Einführung des Maßstabes eines Kalenderjahres im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, Wegfall der 15-Stunden-Grenze in § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV; Gleitzonenregelung usw.) sollten zudem im Wesentlichen Tätigkeiten im Niedriglohnbereich und Teilzeitbeschäftigungen gefördert werden (Knospe, a.a.O., § 8 Rn. 11 f; Kazmierczak, Die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zum 1. April 2003, NZS 4/2003, S.186).

Die Zugrundelegung einer anteiligen Arbeitsentgeltgrenze bzw. eines anteiligen Monatswerts führt zudem in der praktischen Anwendung zu systemfremden Ergebnissen, die nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen. Es erfolgt eine Verbeitragung von Kleinbeträgen, die der Gesetzgeber gerade versicherungsfrei stellen wollte.

Die Kammer weist diesbezüglich exemplarisch darauf hin, dass dies bei dem Beschäftigten E1 Q der lediglich am 25.04.2010 bei der Antragstellerin in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und hierfür ein Entgelt von 80,00 EUR erhalten hat, dazu führen würde, dass für ihn aus 80,00 EUR Entgelt volle Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssten. Unter Zugrundelegung eines anteiligen Monatswerts liegt eine Überschreitung der anteiligen monatlichen Entgeltgrenze von 13,33 EUR für einen Tag (400,00 EUR x 1 Kalendertag des Beschäftigungsverhältnisses / 30 Kalendertage) vor (vgl. hierzu auch Sozialgericht (SG) Gießen, Urteil vom 18.10.2011, Az.: S 15 KR 136/10).

Angesichts des insoweit klaren Wortlauts des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV besteht nach der Auffassung der Kammer kein Raum für eine einschränkende Auslegung. Die Grenze der Auslegung ist dann erreicht, wenn diese sich zum Wortlaut der Norm und dem Willen des Gesetzgebers in Widerspruch setzt (Hessisches LSG a.a.O. und m.w.N.).

Die insoweit von der Beklagten zu Grunde gelegten Geringfügigkeitsrichtlinien bilden für die Gerichte keine verbindlichen Regelungen (Hessisches LSG a.a.O.; Bayerisches LSG, Urteil vom 22.10.2008, Az.: L 13 KR 16/08; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.04.2008, Az.: L 5 R 2125/07). Insbesondere stellen sie keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für eine Einschränkung des Gesetzeswortlautes des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV dar (Hessisches LSG a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist auf 156,60 EUR festzusetzen, da sich die angefochtenen Nachforderungen inkl. Säumniszuschläge auf 626,40 EUR belaufen und im Hinblick auf die Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes ein Viertel des Hauptsachestreitwerts in Ansatz zu bringen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.08.2012, Az.: L 8 R 392/12 B ER, und Beschluss vom 03.07.2012, Az.: L 8 R 878/11 B ER). Säumniszuschläge gehören dabei nicht zu den Nebenforderungen i.S.d. § 43 Abs. 1 GKG, die bei der Streitwertfestsetzungen nicht zu berücksichtigen sind (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.08.2009, Az.: L 8 B 11/09 R, und Beschluss vom 03.09.2009, Az.: L 8 B 12/09 R).

Das Gericht hat es wegen des Eilcharakters des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens unterlassen, die betroffenen Arbeitnehmer sowie die Sozialversicherungsträger beizuladen.
Rechtskraft
Aus
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