S 38 KA 817/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 817/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 137/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 53/16
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 26.08.2013 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, über den Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern gegen den Prüfbescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid des Beklagten vom 26.08.2013. Dieser betrifft die quartalsbezogene Richtgrößenprüfung nach Durchschnittswerten gemäß § 14 Abs. 9 Prüfvereinbarung (Quartal 4/2010).

In dem Widerspruchsbescheid wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Gleichzeitig wurde tenoriert, die Praxis gelte nach § 106 Abs. 5e SGB V als schriftlich beraten.

Der Beklagte führte aus, die Praxis des Beigeladenen zu 7, um dessen Verord-nungsverhalten es ging und der als Allgemeinarzt zugelassen ist, überschreite den Arzneimittelbedarf gegenüber den Allgemeinärzten/praktischen Ärzten um 47,53 %. Im Jahr 2010 sei keine Prüfvereinbarung zu Stande gekommen. Wegen der Zielerreichung gemäß der Arzneimittelvereinbarung seien Bonuspunkte in Höhe von 1,1 % gewährt worden, die neben weiteren Kosten abgezogen wurden. Eine Praxisbesonderheit sei nicht erkennbar. Geprüft worden sei aber, ob der beigeladene Arzt ein erheblich höheres Volumen bei den in der Anlage 10 der Prüfvereinbarung genannten Wirkstoffgruppen habe. Im Ergebnis sei hier ein Mehrbedarf von 8,16 EUR pro Fall anerkannt worden. Dagegen seien kompensatorische Einsparungen nicht anzuerkennen. Im Ergebnis sei eine bereinigte Überschreitung in Höhe von 30,11 % festzustellen. Nach § 106 Abs. 5e SGB V erfolge bei einer Überschreitung zwischen 15 % und 25 % eine schriftliche Beratung. Über 25 % werde ein Regress ausgesprochen. Im streitgegenständlichen Fall werde aber wegen der erstmaligen Überschreitung kein Regress verhängt, sondern vielmehr individuell beraten.

Der Beklagte setzte sich in dem angefochtenen Bescheid außerdem mit den Ein-wänden der Klägerin (Vergleichbarkeit, Verordnungstiefe, Verdünnerfälle, Herausrechnen von Patienten, die in den Hausarztverträgen eingeschrieben waren) auseinander. Entgegen der Auffassung der Klägerin genüge die ausgesprochene schriftliche individuelle Beratung den Anforderungen des § 106 Abs. 5e SGB V. Denn das Gesetz selbst enthalte keine Vorgaben, wie die individuelle Beratung aussehen solle. Im Übrigen habe der Beklagte mit Schreiben vom 17.12.2012 ein Angebot für eine individuelle Beratung abgegeben. Dieses sei jedoch nicht angenommen worden. Auch gebe es keine Zweifel an der Validität der Verordnungswerte.

In der Klagebegründung wurde die Umsetzung des § 106 Abs. 5e S. 1-3 SGB V durch die Prüfgremien beanstandet. So sei im Tenor des Bescheides des Beklag-ten zusätzlich unter Ziffer 2 festgestellt worden, dass die Praxis als beraten gelte. In dem Zusammenhang werde die Zuständigkeit des Beklagten bestritten, eine weitere Rechtsfolge zu setzen. Ebenfalls bestritten werde der Zugang des Beratungsschreibens und auch, dass der beigeladene Arzt das Beratungsangebot ak-tiv abgelehnt habe. Unklar sei auch, ab welchem Zeitpunkt der beigeladene Arzt als beraten gelten solle. Ferner würden die Anforderungen an eine individuelle Beratung vom Beklagten nicht eingehalten. Eine individuelle Beratung unterscheide sich von einer schriftlichen Beratung. Erstere setze vor allem voraus, dass auf die konkrete Situation eingegangen werde.

Abgesehen davon werde die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bereits wesentlich früher angenommen als bei der statistischen Durchschnittsprüfung. Dies stelle einen Verstoß gegen die Entscheidungen des Bundessozialgerichts dar. So gebe es bereits einen Aufgreifmechanismus innerhalb der Streubreite. Hinzu komme die fehlende Vergleichbarkeit, da die Fachgruppe der Hausärzte inhomogen sei und mehrere Faktoren, wie z.B. die Anzahl an Verdünnerfällen Auswirkungen auf die Verordnungskosten hätten. Die Zahlen des Beklagten legten nahe, dass zwar eine Bereinigung der in Hausarztverträgen eingeschrieben Fälle stattgefunden habe, nicht aber eine Bereinigung um die Verordnungskosten. Schließlich sei auch die Validität der Verordnungswerte im Hinblick darauf fraglich, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 26.08.2013 bereits erneut aktualisierte statistische Daten - sowohl des Fallwertes der Prüfgruppe als auch der Überschreitung der Praxis - in den offiziellen Statistiken vorhanden gewesen waren. Gleichwohl habe der Beklagte weiterhin eine Überschreitung im Vergleich zur Prüfgruppe von 47,53 % zu Grunde gelegt. So seien in der Arzneikostenstatistik für das Quartal 4/2010 (Dr. M.; Kassennummer 70438) bei der Versorgungsgruppe R eine Fallzahl von null und trotzdem Arzneikosten in Höhe von 754,17 EUR bei 24 Verordnungen ausgewiesen. Werde dies berücksichtigt, so werde beinahe die Grenzzone von 25 % unterschritten. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 06.05.2009 (Aktenzeichen B 6 KA 17/08 R) führte die Klägerin aus, es sei Pflicht des Beklagten, bei Verdacht von Fehlern bei der Berechnung, die die Richtigkeit der elektronisch ermittelten Ergebnisse zweifelhaft erscheinen ließen, diesen Zweifeln nachzugehen und gegebenenfalls weitere Ermittlungen anzustellen. Fraglich sei ferner, ob der Beklagte von der zu-treffenden Ausgangsüberschreitung ausgegangen sei. Es ergebe sich nämlich ein völlig anderes Bild, wenn eine Statistik der Verordnungskosten pro Verordnungsfall zugrunde gelegt werde. Auffällig sei auch, dass das Quartal 4/2010 ein Ausnahmequartal darstelle, da im Vergleich zu den Vor- und Nachquartalen die Überschreitung der Arzneikosten bei sehr niedriger Fallzahl (346 im Quartal 4/2010) mit 51,1 % am höchsten sei. Vielmehr sei auf die sogenannte Verordnungstiefe abzustellen. Dabei werde überprüft, wie viel ein Patient insgesamt im Quartal koste und welcher Anteil davon auf den Hausarzt entfalle. Letztendlich stellten Regressbescheide auch keine Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V dar (vergleiche LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.02.2013, Az. L 5 KA 222/13 ER-B).

Der Beklagte wies auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.11.2013 (Az L 11 KA 49/13) hin. Die rechtliche Einordnung der individuellen Beratung sei ungeklärt. Eine aktive Ablehnung der Beratung sei nicht relevant, da die Beratung im Prüfbescheid erfolgt sei. Hiergegen sei kein Rechtsmittel eingelegt worden. Der Beklagte habe auch keine zusätzliche Rechtsfolge getroffen. Denn eine Beratung liege mit Zustellung des Prüfbescheides vor. Was die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis betreffe, seien allein die gesetzlichen Vorgaben der Richtgrößenprüfung zu beachten.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.06.2014 räumte der Beklagte ein, es gebe mitunter Unstimmigkeiten bei der Datenlage. Es sei auch für den Beklagten nicht nachvollziehbar, warum in der Statistik bei null Fällen Arzneikosten in Höhe von 754,17 EUR ausgewiesen seien. Hierfür gebe es eine Reihe von Erklärungsmöglichkeiten. Die Grafiken der Klägerin "Allgemeinärzte (800/1): Einfluss der Verordnungstiefe auf die Höhe der Fallkosten der einzelnen Praxis (Quartal 4/2010) - Daten nur bezogen auf Kollektiv-Patienten (Behandlungsweise) - stellten aber eine Neuerung dar, deckten sich nicht mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und auch nicht mit der Prüfvereinbarung. Gleichwohl finde eine individuelle Betrachtung statt, indem der PC-Bedarf und die ATC- Listen überprüft würden. Diese Prüfung sei wesentlich genauer als die alte Durchschnittsprüfung, da etwas 200 Positionen überprüft würden.

Die beigeladenen Krankenkassen machten darauf aufmerksam, dass die mittlerweile ein bis zweijährigen Verhandlungen über eine neue Prüfvereinbarung bisher zu keinem Ergebnis geführt hätten. Die Klägerin habe bestimmte Kriterien festgelegt, wobei zu hinterfragen sei, ob diese Kriterien richtig seien. Die Krankenkassen jedenfalls stellten Anträge nach der bestehenden Prüfvereinbarung. Auf dieser Grundlage hätten die Prüfgremien zu entscheiden.

Die Vertreter der Klägerin stellten den Antrag aus dem Schriftsatz vom 30.09.2013.

Der Vertreter des Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen. Die Vertreter der beigeladenen AOK und VdEK stellten keine Anträge.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 23.06.2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich im Ergebnis als begründet.

Der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 26.08.2013 ist rechtswidrig.

Durchgeführt wurde eine quartalsbezogene Richtgrößenprüfung (= Ersatzrichtgrößenprüfung), nachdem eine Vereinbarung über Richtgrößen nicht zu Stande kam (§ 106 SGB V i.V.m. § 14 Abs. 9 Satz 1 Prüfungsvereinbarung (=PV) vom 01.07.2010).

Der Beigeladene wurde mit der Vergleichsgruppe der Allgemeinärzte/praktischen Ärzte verglichen. Dabei wurde nach Abzug von Bonuspunkten nach § 14 Abs. 10 PV und Anerkennung eines Mehrbedarfs von 8,16 EUR pro Fall eine bereinigte Überschreitung in Höhe von 30,11 % festgestellt. Bei dieser Überschreitungshöhe sieht § 106 Abs. 5a S. 3 SGB V eine Erstattung des Mehraufwandes vor. Dies gilt nicht bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens von mehr als 25 %. In diesem Fall findet nach § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V eine individuelle Bera-tung statt. Erst bei einer künftigen Überschreitung kann ein Erstattungsbetrag festgesetzt werden (§ 106 Abs. 5e S. 2 SGB V).

Zunächst handelt es sich bei der Prüfung nach § 106 Abs. 2 Ziff. 2 SGB V um eine Art der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Somit spricht nichts dagegen, Grundsätze, die von der Rechtsprechung bei anderen Arten der Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie zum Beispiel der statistischen Durchschnittsprüfung entwickelt wurden, anzuwenden, es sei denn, diese sind mit der besonderen Struktur der Richtgrößenprüfung nicht zu vereinbaren. Bei der statistischen Durchschnittsprüfung, obwohl als Regelprüfmethode angesehen, wurde mitunter von den Beteiligten beklagt, es sei insbesondere bei inhomogenen Arztgruppen schwierig, eine Vergleichbarkeit herzustellen und etwaigen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Gerade bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise kann dieses Problem in besonderem Maße zu Tage treten, zumal der Arzt an der Unwirtschaftlichkeit nicht direkt wie bei der Behandlungsweise partizipiert. Das Abstellen der Klägerin auf die so-genannte Verordnungstiefe soll offensichtlich darauf abzielen, eine bessere Vergleichbarkeit innerhalb der Fachgruppe zu erreichen. Auf den ersten Blick scheint dieser Ansatz grundsätzlich ein geeignetes Kriterium, die Wirtschaftlichkeit des Verordnungsverhaltens zu beurteilen und insbesondere bei inhomogenen Arztgruppen wie bei den Allgemeinärzten/praktischen Ärzten eine größere Homogenität herzustellen. So soll es darauf ankommen, welche Verordnungskosten die Patienten insgesamt verursachen und in welcher Relation der jeweilige Arzt daran beteiligt ist. Im Anschluss daran soll der Arzt nur mit den Ärzten verglichen werden, die in einer Bandbreite in etwa die gleiche Relation aufweisen. Im Prinzip handelt es sich um eine Differenzierung nach Untergruppen. Grundsätzlich erscheint eine bessere Vergleichsbasis auch deshalb notwendig, nachdem die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis vom Gesetzgeber bereits beim Überschreiten der Richtgrößenvolumina von über 25 % zu Erstattungen führt, während bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach statistischen Durchschnittswerten die Grenze zum offensichtlichen Missver-hältnis von der Rechtsprechung erst zwischen 40 und 60 % angenommen wird. Bei der statistischen Durchschnittsprüfung als Regelprüfmethode können daher Unschärfen einer Vergleichbarkeit eher hingenommen werden als bei der Richtgrößenprüfung. Andererseits ist zu besorgen, dass die Praktikabilität in der Anwendung bei dem Versuch einer zu großen Differenzierung leidet. Daher gilt es, Kriterien zu entwickeln und anzuwenden, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Praktikabilität in der Anwendung auf der einen Seite und ausreichender Differenzierung auf der anderen Seite gewährleisten.

Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, den Prüfgremien bestimmte Kriterien bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung vorzugeben. Vielmehr besteht die Aufgabe des Gerichts darin, die Geeignetheit angewandter Kriterien zu überprüfen. Auch sind die Prüfgremien als paritätisch besetzte Gremien nicht verpflichtet, Vorschläge der Klägerin lediglich zu adaptieren; vor allem dann nicht, wenn bislang unter den Partnern der Prüfvereinbarung keine Einigung über eine Aufnahme dieses Kriteriums in der Prüfungsvereinbarung erzielt werden konnte und somit ein Dissens besteht. Zwar sind die Prüfgremien berechtigt und verpflichtet, auch andere Prüfmethoden anzuwenden oder neu zu entwickeln (BSG, Urteil vom 30.11.1994, Az 6 RKa14/93; BSG, Urteil vom 23.02.2005, Az B 6 KA 72/03). Dies stellt jedoch die Ausnahme dar. Es handelt sich im Übrigen hier nicht um eine neue Prüfmethode, sondern darum, bei der Richtgrößenprüfung Kriterien (Kriterium der "Verordnungstiefe") anzuwenden, die eine bessere Vergleichbarkeit gewährleisten sollen. Abgesehen davon ist es nach Auffassung des Gerichts notwendig, Kriterien, die zu den "essentialia" gehören und denen erhöhtes Maß an Sensibilität zukommt, nicht zuletzt im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung im Wege von Vereinbarungen zu regeln. Dies ist gemeinsame Aufgabe und Verpflichtung der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 1 Abs. 1 S. 1 PV überwachen. Stattdessen hat der Beklagte in Anwendung von Anlage 10 zur Prüfungsvereinbarung die Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand von Wirkstofflisten und Überprüfung von etwa 200 Positionen durchgeführt und somit seinerseits eine deutlich verbessere Vergleichbarkeit hergestellt.

Ebenfalls ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte fälschlicherweise von einer zu niedrigen Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis ausgegangen ist. Denn zu beachten ist, dass der Gesetzgeber selbst in § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V und § 106 Abs. 5a SGB V diese auf 25 % festgelegt hat und eine Überschreitung dieser eine Erstattungspflicht auslöst beziehungsweise bei Überschreitung zwischen 15 % und 25 % Beratungen durchgeführt werden. Insofern ist die zur statistischen Durchschnittsprüfung ergangene Rechtsprechung mit der Annahme einer Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei circa 50 % bei Richtgrößenprüfungen, auch bei Ersatzrichtgrößenprüfungen nach § 14 Abs. 9 PV nicht anwendbar.

Der Beklagte geht im streitgegenständlichen Fall von einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens von mehr als 25 % aus, setzt aber im Hinblick auf die erstmalige Überschreitung keine Erstattung fest. Vielmehr sah er die Voraussetzungen für eine individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5 e S. 1, 106 Abs. 5a S. 1 SGB V in Verbindung mit § 106 Abs. 1a SGB V für gegeben. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, was unter Beratung im Sinne von § 106 Abs. 5e SGB V zu verstehen ist. Der Gesetzgeber hat bei der Richtgrößenprüfung den Grundsatz "Beratung vor Regress" zum 1.1.2012 verbindlich eingeführt. Die Formulierung in § 106 Abs. 5e SGB V und die Verweisung über § 106 Abs. 5a SGB V auf § 106 Abs. 1a SGB V könnten die Annahme jedenfalls nahe legen, dass sich eine schriftliche Beratung als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Sinne von § 106 Abs. 5 SGB V von einer individuellen Beratung im Sinne von § 106 Abs. 5 e SGB V unterscheidet. Andererseits besitzen alle Beratungen eine Warnfunktion und bezwecken insofern eine Steuerung des Verordnungsverhaltens, als künftig eine wirtschaftliche Behandlungsweise/Verordnungsweise stattfindet und Regresse vermieden werden können. Darüber hinaus muss auch eine Beratung im Sinne von § 106 Abs. 5 S. 2 SGB V, um sie als gezielte Beratung zu begreifen, individueller Art sein. Dass Begründungen von Regressbescheiden regelmäßig den An-forderungen des § 106 Abs. 5e S. 1 nicht gerecht werden, wie das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Beschluss vom 19.02.2013, Az. L 5 KA 222/13 ER-B) ausführt, dürfte der Fall sein, spielt im streitgegenständlichen Verfahren jedoch keine Rolle. Vielmehr steht die konkrete Ausgestaltung der Richtgrößenprüfung im Ermessen der Prüfgremien. Die Beratung kann auch nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides bestehen (BSG, Urteil vom 05.06.2013, Az B 6 KA 40/12). Insgesamt sind daher an die "individuelle Beratung" keine überspitzten Anforderungen zu stellen. Dem genügen der angefochtene Widerspruchsbescheid, auch der Ausgangsbescheid, indem konkret aufgezeigt wird, weshalb beim beigeladenen Arzt von einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise auszugehen ist. Ferner wurde dem beigeladenen Arzt nach Angaben der Beklagten mit Schreiben vom 17.12.2012 eine individuelle Beratung ergänzend angeboten. Davon wurde offensichtlich kein Gebrauch gemacht.

Soweit die Klägerin den Zugang des Beratungsschreibens und eine aktive Ablehnung des Beratungsangebots bestreitet, ist dies nach Auffassung des Gerichts unbeachtlich. Zunächst ist bereits fraglich, ob diese zivilrechtlichen Grundsätze des § 138 Abs. 4 ZPO Anwendung finden. Darauf kommt es aber nicht an. Denn es besteht für die Klägerin eine Erkundigungs- und Informationspflicht. Sie hat nicht dargetan, aufgrund welcher Umstände sie den Zugang des Beratungsschreibens und eine aktive Ablehnung des Beratungsangebots bezweifelt.

Rechtlich nicht zu beanstanden ist außerdem, dass der Beklagte unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides festgestellt hat, die Praxis gelte nach § 106 Abs. 5e SGB V als schriftlich beraten. Denn es handelt sich lediglich um eine deklaratorische Feststellung.

Letztendlich ist aber der angefochtene Widerspruchsbescheid deshalb als rechts-widrig anzusehen, weil die Feststellung der Überschreitungswerte auf Daten be-ruht, die nicht ausreichend belastbar erscheinen. So wurden in der Arzneikostenstatistik für das Quartal 4/2010 (Dr. M.; Kassennummer XXXXXX) bei der Versorgungsgruppe R eine Fallzahl von null und trotzdem Arzneikosten in Höhe von 754,17 EUR bei 24 Verordnungen ausgewiesen. Auch in der mündlichen Verhandlung am 23.06.2014 konnten diese Ungereimtheiten nicht aufgeklärt werden. Darüber können sich die Prüfgremien nicht einfach hinwegsetzen. Vielmehr ist dem nachzugehen und sind weitere Ermittlungen anzustellen (BSG, Urteil vom 06.05.2009, B 6 KA 17/08 R). Die Zweifel an der Richtigkeit der elektronisch ermittelten Ergebnisse werden noch dadurch verstärkt, dass das Quartal 4/2010 im Vergleich zu den Vor- und Nachquartalen allein aufgrund seiner niedrigen Fallzahl (346) bei gleichzeitiger ins Auge springender höherer Überschreitung bei den Arzneikosten äußerst auffällig ist. In Gesamtschau ist daher der Anschein der Richtigkeit der elektronisch ermittelten Ergebnisse erschüttert.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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