L 1 KR 32/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 2 KR 1397/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 32/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. &8195;

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, in der Zeit von Februar 2010 bis September 2012 einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag zu erheben.

Der Kläger bezieht Arbeitslosengeld II und ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Diese informierte mit Schreiben vom 1. Februar 2010 ihre Mitglieder – also auch den Kläger – darüber, dass sie ab Februar 2010 einen Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 8 EUR monatlich erheben werde. Mit Bescheid vom 12. Februar 2010 teilte sie dem Kläger mit, dass er den Zusatzbeitrag erstmals für Februar 2010 mit Fälligkeit am 20. März 2010 leisten müsse und dass er das Recht habe, bis zur erstmaligen Fälligkeit des Zusatzbeitrages seine Mitgliedschaft zu kündigen.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Erhebung des Zusatzbeitrages verfassungswidrig sei und durch ihn außerdem seine Belastungsgrenze nach § 62 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) überschritten werde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2010 zurück und verwies auf die gesetzliche Regelung in § 242 SGB V und ihre Satzungsbestimmungen.

Mit seiner dagegen gerichteten Klage hat sich der Kläger auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – Juris) berufen, in dem jedem Hilfebedürftigen ein Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums zugestanden werde.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Februar 2013 abgewiesen und ausgeführt, die in § 242 SGB V geregelten gesetzlichen Vorgaben für die Erhebung eines Zusatzbeitrages seien erfüllt. Der Zusatzbeitrag gefährde auch nicht das Existenzminimum des Klägers, da er von seinem Sonderkündigungsrecht hätte Gebrauch machen können, was er aber unterlassen habe.

Der Kläger hat gegen das ihm am 12. März 2013 zugestellte Urteil am 12. April 2013 Berufung eingelegt und trägt erneut vor, die Erhebung des kassenindividuellen Zusatzbeitrages verletze Verfassungsrecht, da in sein Existenzminimum eingegriffen werde. Das Sonderkündigungsrecht ändere hieran nichts, denn eine Krankenkasse lasse sich nicht so einfach wechseln und Leistungsvergleiche seien kompliziert. Schließlich habe die Beklagte die Höhe der noch offenen Restforderung nicht belegt. Er habe insgesamt bisher 208,81 EUR gezahlt, sodass jede Forderung über 125,61 EUR nur falsch sein könne.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Februar 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2010 aufzuheben;

hilfsweise, die Frage der Verfassungsgemäßheit der Erhebung eines kassenindividuellen Zusatzbeitrages dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt ihre bisherigen Ausführungen. Ergänzend trägt sie vor, die Gesamtbeiträge für den streitigen Zeitraum beliefen sich auf 256 EUR zuzüglich Mahngebühren und Verspätungszuschlägen. Abzüglich des vom Kläger hierauf bereits gezahlten Betrages von 168 EUR, ergebe sich eine Restforderung von 167,19 EUR, die aber am 29. Mai 2014 niedergeschlagen worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, auch wenn der Gesamtbetrag der streitigen Beitragsforderung unter 750 EUR liegt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG), da wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind, sodass die Berufung unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes ohne Zulassung statthaft ist (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Erfasst werden von dieser Regelung auch Leistungen, deren Empfänger der Staat oder ein Versicherungsträger ist, also auch – wie hier – Beiträge (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rn. 22; BSG, Beschluss vom 28.01.1999 – B 12 KR 51/98 B – Juris). Auch im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit der Berufung keine Bedenken (§§ 143, 151 SGG). Insbesondere besteht für den Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis, da auch nach der Niederschlagung der Restforderung die den Kläger belastenden Bescheide wirksam geblieben sind.

Sie ist jedoch nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide, mit denen der Kläger zur Zahlung eines kassenindividuellen Zusatzbeitrages von EUR 8 EUR für die Zeit ab Februar 2010 aufgefordert wurde, sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die Erhebung des Zusatzbeitrages ist der zum 1. Februar 2010 in Kraft getretene § 9 Abs. 2 der Satzung der Beklagten vom 1. Oktober 2008 in der Fassung ihres 7. Nachtrags vom 29. Januar 2010, der vom Bundesversicherungsamt mit Bescheid vom 12. Februar 2010 genehmigt worden ist. Danach erhebt die Beklagte von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag nach § 242 Abs. 1 SGB V. Die Höhe des Zusatzbeitrages beträgt pauschal 8 EUR monatlich, unabhängig von der Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds. Der Zusatzbeitrag ist vom Mitglied an die Beklagte zu zahlen (§ 9 Abs. 1 S. 1 der Satzung) und wird monatlich für den abgelaufenen Zahlungszeitraum zum 20. des Folgemonats fällig (§ 10 Abs. 4 der Satzung). Der von der Beklagten erhobene Zusatzbeitrag entspricht diesen Vorgaben.

Die maßgeblichen Satzungsbestimmungen stehen auch mit höherrangigem Gesetzesrecht in Einklang und beruhen auf § 242 Abs. 1 S. 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26. März 2007 (BGBl. I 2007, 378). Hiernach hat die Krankenkasse, soweit ihr Finanzbedarf nicht durch Zuweisungen aus dem Fonds gedeckt ist, in ihrer Satzung zu bestimmen, dass von den Mitgliedern ein Zusatzbeitrag erhoben wird. Nach S. 2 dieser Vorschrift ist der Zusatzbeitrag auf 1 vom Hundert der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds begrenzt. Abweichend davon erhebt die Krankenkasse den Zusatzbeitrag ohne Prüfung der Höhe der Einnahmen des Mitglieds, wenn der monatliche Zusatzbeitrag den Betrag von 8 Euro nicht übersteigt (§ 242 Abs. 1 S. 3 SGB V). Im Gegenzug hat das Mitglied nach § 175 Abs. 4 S. 5 SGB V bis zur erstmaligen Fälligkeit des Zusatzbeitrages ein Sonderkündigungsrecht, über das die Krankenkasse ihre Mitglieder zu informieren hat (§ 175 Abs. 4 S. 6 SGB V). Die genannten Voraussetzungen für die Erhebung eines Zusatzbeitrages sind erfüllt, was auch der Kläger nicht bestreitet. Sein Sonderkündigungsrecht hat er nicht ausgeübt.

Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass § 62 SGB V ausschließlich die Belastungsgrenze bei Zuzahlungen für die Inanspruchnahme von Leistungen regelt und auf Beiträge nicht anwendbar ist.

Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Erhebung des Zusatzbeitrages bestehen ebenfalls nicht. Insbesondere ist das durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) begründete Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, a.a.O.) nicht gefährdet. Sollte das Existenzminimum des Klägers durch den Zusatzbeitrag tatsächlich eingeschränkt gewesen sein, hätte er dies durch Ausübung seines Sonderkündigungsrechts abwenden können. Warum ihm dies nicht zumutbar gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich und auch nicht nachvollziehbar vorgetragen worden. Der pauschale Hinweis, dass Leistungsvergleiche der Krankenkassen kompliziert seien, reicht insoweit nicht. Im Übrigen sah § 26 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in seiner vom 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung vor, dass die Bundesagentur den Zusatzbeitrag für Bezieher von Arbeitslosengeld II übernehmen kann, wenn für diese der Wechsel der Krankenkasse eine besondere Härte bedeuten würde. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG scheidet daher aus.

Der Zusatzbeitrag war auch für die Zeit ab 1. Januar 2011 vom Kläger selbst zu tragen. Zwar wird seitdem grundsätzlich der Zusatzbeitrag für Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Mitteln der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds aufgebracht (§§ 242 Abs. 4 S. 1, 251 Abs. 6 S. 2, 271 Abs. 2 SGB V in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung). Ist der Zusatzbeitrag nach § 242 Abs. 1 S. 1 SGB V höher als der durchschnittliche Zusatzbeitrag nach § 242a SGB V, kann die Krankenkasse jedoch in ihrer Satzung regeln, dass die Differenz von den Mitgliedern, die Arbeitslosengeld II beziehen, zu zahlen ist (§ 242 Abs. 4 S. 2 SGB V). Eine hiernach erhobene Differenz zwischen dem kassenindividuellen Zusatzbeitrag und dem Zusatzbeitrag nach § 242a SGB V ist von den Arbeitslosengeld II-Beziehern selbst zu tragen (§ 251 Abs. 6 S. 3 SGB V in der ab 1. Januar geltenden Fassung). Auch mit diesen Regelungen korrespondiert ein Sonderkündigungsrecht der betroffenen Mitglieder (§ 175 Abs. 4a SGB V).

Die Beklagte hat von der durch § 242 Abs. 4 S. 2 SGB V eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und in § 9 Abs. 2 ihrer ab 1. Januar 2011 geltenden Satzung bestimmt, dass von Mitgliedern, die Arbeitslosengeld II beziehen, der Differenzbetrag zwischen dem kassenindividuellen Zusatzbeitrag und dem durchschnittlichen Zusatzbeitrag zu zahlen ist. Da der durchschnittliche Zusatzbeitrag (§ 242a SGVB V) für die Jahre 2011 und 2012 auf 0 EUR festgesetzt wurde, betrug der vom Kläger zu tragende Differenzbetrag weiterhin 8 EUR.

Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch gegen diese Regelungen nicht. Der Gesetzgeber wollte damit auch Beziehern von Arbeitslosengeld II weiterhin einen finanziellen Anreiz bieten, in eine kostengünstige Krankenkasse zu wechseln (BT-Drs. 17/3696 S. 69) und damit letztlich den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen stärken. Da die betroffenen Mitglieder durch das Sonderkündigungsrecht hinreichend geschützt sind, sind auch insoweit etwaige Eingriffe in das Existenzminimum vermeidbar.

Soweit der Kläger die Höhe der noch offenen Restforderung angreift, kann dies dahinstehen, da die Beklagte diese niedergeschlagen hat und der Kläger insoweit nicht mehr beschwert ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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