L 1 R 107/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 46 R 90229/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 107/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. Januar 2013 – S 46 R 90229/10 – wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte vom Kläger rückständige Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) und zur Sozialen Pflegeversicherung nachfordern kann.

Der am ... 1949 geborene Kläger erhält von der Beklagten eine große Witwerrente nach seiner am 04. Juli 1994 verstorbenen Ehefrau a W. Nachdem seine Krankenkasse, die DAK, ihm mit Schreiben vom 31. Mai 2006 zunächst mitgeteilt hatte, dass für ihn wegen fehlender Vorversicherungszeiten keine Pflichtversicherung in der KVdR bestehe, teilte die DAK der Beklagten mit Schreiben vom 27. August 2009 mit, dass der Kläger ab dem 01. April 2007 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) wieder Pflichtmitglied in der KVdR sei.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2009 berechnete die Beklagte die große Witwerrente des Klägers ab dem 01. April 2007 neu. Die Gründe für die Neuberechnung seien Änderungen im Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis. Für die Zeit vom 01. April 2007 bis zum 30. November 2009 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 1.500,48 Euro (Krankenversicherung: 1.224,05 Euro; Pflegeversicherung: 276,43 Euro). Es sei vorgesehen, die Überzahlung von der zu zahlenden Rente einzubehalten. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 30. November 2009 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 zurückwies.

Daraufhin hat der Kläger am 27. September 2010 Klage beim Sozialgericht Stendal erhoben, das anschließend in das Sozialgericht Magdeburg (SG) aufgegangen ist. Der angefochtene Bescheid hebe einen Bescheid auf, der rechtmäßig ergangen sei. Die Beklagte sei über sämtliche Details informiert gewesen. Für ihr eigenes Fehlverhalten habe sie selbst einzustehen. Er habe alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2013 abgewiesen. Die Rückforderung beruhe auf § 255 Abs. 2 SGB V und sei nicht zu beanstanden. Die engen Voraussetzungen der §§ 45, 48 und 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB 10) seien hier nicht zu beachten.

Gegen den am 31. Januar 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. Februar 2013 Berufung beim SG eingelegt, das das Rechtsmittel an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt weitergeleitet hat. Den Ausführungen des SG vermöge er nicht zu folgen. In § 255 SGB V gehe es um die Einbehaltung rückständiger Beiträge und nicht wie in seinem Falle um deren erstmalige Festsetzung.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. Januar 2013 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2010 insoweit aufzuheben, als darin eine Überzahlung in Höhe von 1.500,48 Euro festgestellt worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. Januar 2013 zurückzuweisen.

Sie hält ihren Bescheid und die Entscheidung des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist unbegründet. In seinem Falle ist für den Zeitraum vom 01. April 2007 bis zum 30. November 2009 wegen nicht einbehaltener Beiträge zur KVdR und zur Pflegeversicherung eine Überzahlung in Höhe von 1.500,48 Euro eingetreten. Der dies feststellende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das SG hat seine Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

Nach dem Schreiben der Krankenkasse des Klägers vom 27. August 2009 war dieser seit dem 01. April 2007 nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bzw. § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) wieder Pflichtmitglied in der DAK als Trägerin der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung. Dies führte dazu, dass die Beklagte die für den Kläger geschuldeten Beiträge von seiner Rente einzubehalten und an die DAK abzuführen hatte (§ 255 Abs. 1 Satz 1 SGB V, § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI).

Die Beitragsnachforderung der Beklagten gegen den Kläger für den Zeitraum vom 01. April 2007 bis zum 30. November 2009 besteht dem Grunde nach zu Recht und ist auch nicht verjährt. Auch die Höhe der Beitragsnachforderung hat diese richtig ermittelt.

1.

Rechtsgrundlagen dafür sind § 255 Abs. 2 Satz 1 Erster Halbsatz SGB V und § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI. Danach sind für den Fall, dass bei der Zahlung einer Rente die Einbehaltung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung unterblieben ist, die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten. Dies hat die Beklagte rechtsfehlerfrei umgesetzt. Auf die Frage, ob die Beklagte hinsichtlich der nachträglichen Erhebung der Beiträge ein Verschulden trifft, kommt es nicht an (Landessozialgericht B.-B., Urteil vom 07. September 2011 – L 16 R 121/11 – zitiert nach juris, Rdnr. 18 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere finden auch die §§ 44 ff. SGB X in diesen Fällen keine Anwendung (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 16. November 2010 – L 2 R 161/10 – zitiert nach juris, Rdnr. 56). Auf den vom Kläger geltend gemachten Unterschied zwischen einer erstmaligen Festsetzung und der Einbehaltung rückständiger Beiträge kommt es im Rahmen der genannten Vorschriften nicht an.

Die Berechnung der Beitragshöhe der geschuldeten Beiträge entspricht den gesetzlichen Grundlagen. Der Kläger hat insoweit auch keine Beanstandungen geltend gemacht.

2.

Die Beitragsnachforderung der Beklagten für den Zeitraum vom 01. April 2007 bis zum 30. November 2009 ist auch nicht verjährt. Für die Beitragsansprüche nach § 255 Abs. 1 SGB V (und auch nach § 60 Abs. 1 SGB XI) gilt die vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 15. Juni 2000 – B 12 RJ 6/99 R – zitiert nach juris, Rdnr. 19 f.). Danach verjähren Beitragsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die aus der großen Witwerrente des Klägers für die Zeit vom 01. April 2007 bis zum 30. November 2009 zu zahlenden Beiträge waren deshalb bei Erlass des angefochtenen Bescheides vom 28. Oktober 2009 noch nicht verjährt.

3.

Die Forderung der Beklagten ist ebenfalls nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) auch im Sozialversicherungsrecht (vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 1958 – 2 RU 285/56 –, BSGE 7, 199, 200; BSG, Urteil vom 29. Juni 1972 – 2 RU 62/70BSGE 34, 211, 213; BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 – 5 RJ 52/94 – juris, Rdnr. 18) und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für zurückliegende Zeiten anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 1978 – 12 RK 6/76 –, BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr. 11 S. 15; BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 – B 12 KR 1/04 R – juris, Rdnr. 43). Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 242 Rdnr. 87) voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Januar 1972 – 2 BvR 255/67BVerfGE 32, 305; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 07. Februar 1974 – III C 115.71BVerwGE 44, 339, 343; BSG, Urteil vom 29. Juni 1972 – 2 RU 62/70, a.a.O., BSG, Urteil vom 05. Dezember 1972 – 10 RV 441/71 – BSGE 91, 95 m.w.N.). Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 1978 – 12 RK 6/76 –, a.a.O.; BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 – 5 RJ 52/94 –, a.a.O.). Ein "bloßes Nichtstun" als Verwirkungsverhalten reicht regelmäßig nicht aus; ein konkretes Verhalten des Gläubigers muss hinzukommen, welches bei dem Schuldner die berechtigte Erwartung erweckt hat, dass eine Forderung nicht besteht oder nicht geltend gemacht wird (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 1978 – 12 RK 6/76, a.a.O. S. 17; BSG, Urteil vom 23. Mai 1989 – 12RK 23/88 – juris Rdnr. 26).

Ein solches Verwirkungsverhalten der Beklagten, das bei dem Kläger das berechtigte Vertrauen begründen durfte, die Beklagte werde die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht erheben, liegt nicht vor. Die Beklagte hatte es aufgrund der fehlenden Meldung der DAK unterlassen, die Beiträge zu erheben. Dieses Unterlassen der Beklagten erfüllt nach den aufgezeigten Maßstäben weder die Anforderungen eines Vertrauen begründenden Verwirkungsverhaltens noch durfte der Kläger das "bloße Nichtstun" der Beklagten als bewusst und planmäßig erachten und deshalb darauf vertrauen, dass die Beiträge nicht erhoben werden. Sofort nach Kenntnis von der Versicherungspflicht in der KVdR hat die Beklagte die rückständigen Beiträge geltend gemacht. Auf ein Fehlverhalten der DAK kommt es im Rahmen der Verwirkung nicht an, da diese nicht Berechtigte des Anspruchs war.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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