L 6 KR 1114/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 986/08
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 1114/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Mai 2011 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für selbst beschafftes Ver-bandmaterial im Zeitraum vom 13. März 2007 bis 21. März 2011 in Höhe von insgesamt 934,40 EUR.

Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 19. März 2007 an die Beklagte wegen nicht aus-reichender ärztlicher Verordnung von Mullbinden-Peha Crepp 8 cm. Sie sei am 13. März 2007 zur Behandlung bei ihrem Hausarzt Dipl.-Med. F. gewesen. Dieser habe ihr zehn Stück elastische Mullbinden verordnet und ihr mitgeteilt, er könne in diesem Quartal keine weiteren Mullbinden verordnen. Da ihr Hausarzt jetzt im Urlaub sei, reiche ihr die Verordnung vom 13. März 2007 bis 26./27. März 2007 nicht aus. Zurzeit benötige sie für beide Beine Verbandmaterial. Sie selbst könne die Kosten nicht übernehmen, weil sie Leistungen nach dem SGB II erziele. Mit Schriftsatz vom 31. März 2007 wandte sie sich erneut an die Beklagte. Ihre Hautärztinnen Dres. J. und M. hätten ihr im Jahr 2006 mitgeteilt, sie könnten ihr kein Verbandmaterial verordnen. Sie habe sich dann wieder an ihren Hausarzt gewandt, der ihr das benötigte Verbandmaterial sowie Kompressen, Salbe und Puder weiter verordnet habe. Am 29. März 2007 habe er ihr erklärt, dass es ihm die Verordnung von Verbandmaterial nicht mehr möglich sei, weil er sein Budget im Jahr 2005 überschritten habe. Sie überreicht ein Schreiben des Prüfungsausschusses der Ärzte und Krankenkassen Thüringen vom 23. März 2007 an Dipl.-Med. F. bezüglich einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen für das Jahr 2005. Telefonisch erklärte Dipl.-Med. F. gegenüber der Beklagten, er habe die Klägerin an den Hautarzt überwiesen und sehe es daher nicht ein, Verbandmittel zu verordnen. Die Klägerin erklärte, sie gehe nicht mehr zu der Hautärztin, weil sie dort nur Privatverordnungen erhalte. Am 3. April 2007 erklärte Dr. M. telefonisch, die Klägerin habe sich zuletzt am 27. Oktober 2006 vorgestellt und verschiedene Termine nicht wahrgenommen, so dass auch keine Verordnungen erfolgen konnten.

Mit Schreiben vom 3. April 2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, grundsätzlich entscheide der Arzt über Art und Umfang der medizinischen Behandlung, also auch über die Verordnung von Arznei- bzw. Verbandmitteln. Der Anspruch auf Verbandmittel sei in § 31 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelt. Sie möge sich an den behandelnden Arzt bzw. Hautarzt wenden, um die weitere Therapie zu besprechen.

Hiergegen erhob die Klägerin im November 2007 Widerspruch, mit der Begründung, dem Schreiben vom 3. April 2007 sei zu entnehmen, dass ihrem Kostenübernahmeantrag nach § 13 SGB V nicht stattgegeben werde. Sie habe Anspruch auf Versorgung mit den erforderlichen Verbandmitteln. Die behandelnden Ärzte verhielten sich vertragswidrig, hierfür habe die Beklagte einzustehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unstatthaft zurück. Mit Schreiben vom 3. April 2007 sei lediglich eine Beratung und Auskunft, keine Entscheidung bezüglich der Verbandmittel erteilt worden. Sie sei nach § 29 Abs. 1 Satz 2 des Bundesmantelvertrag-Ärzte überhaupt nicht befugt, über die Kostenübernahme für ein Arzneimittel/Verbandmittel mittels Verwaltungsakt zu entscheiden, da der entsprechende Kassenarzt als Vertreter der Krankenkassen mit dem Ausstellen des Rezepts mit Wirkung für bzw. gegen die jeweilige Krankenkasse eine Willenserklärung abgebe.

Mit Urteil vom 23. Mai 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ungeachtet der Frage, ob es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 3. April 2007 um einen Verwaltungsakt handele, habe die Klägerin gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln. Der Rechtsanspruch hierauf setze als weitere eigenständige Anspruchsvoraussetzung das Vorliegen einer vertragsärztlichen Verordnung nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V voraus. Die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln obliege der alleinigen Verantwortung des behandelnden Arztes.

Im Berufungsverfahren wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren. Die Beklagte habe dafür zu sorgen, dass sich die Ärzte vertragsgemäß verhalten, oder selbst die Leistung zu erbringen. Es liege ein Systemversagen vor. Ihr seien vom 1. Januar 2007 bis 21. März 2011 Kosten in Höhe von insgesamt 934,40 EUR entstanden. Ärztliche Verordnungen seien nicht erfolgt, um die Richtgrößen für entsprechende Verschreibungen nicht zu überschreiten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2008 zu verurteilen, ihr die entstandenen Kosten für die Selbstbeschaffung von Verbandmaterial in Höhe von 934,40 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung weist sie darauf hin, dass die Klägerin keine ärztlichen Verordnungen und Nachweise zur medizinischen Notwendigkeit eines entsprechenden Verbandmittelbedarfs vorgelegt habe.

Der Senat hat einen Befundbericht des Dipl.-Med. F. vom 22. Februar 2012 mit entsprechen-den Anlagen und eine ergänzende Auskunft vom 16. Juli 2012 eingeholt. Dipl.-Med. F. teilte mit, die Versorgung mit Askina Mullkompressen und Urgocell Nonadhesive sei wirtschaftlich ausreichend und das gebührende Maß nicht übersteigend gewesen. Ein über die Verordnung hinausgehender Bedarf sei nicht geltend gemacht und deshalb auch kein Privatrezept ausgestellt worden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet, denn die Klage der Klägerin ist nicht begründet.

Die Beklagte hat den Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben vom 3. April 2007 zu Recht mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2008 als unstatthaft zurückgewiesen.

Bei dem Schreiben vom 3. April 2007 handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt nach § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X).

Ein Verwaltungsakt ist nach § 31 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtet ist (Satz 1).

Die (hoheitliche) Maßnahme muss zur Regelung eines Einzelfalles erfolgen. Eine Regelung liegt vor, wenn die Behörde eine potenziell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h. durch die Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt hat oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt hat. Eine Regelung setzt voraus, dass die Behörde auch den Willen hat, verbindlich festzulegen, was für den Einzelnen rechtens sein soll. Dies kenn-zeichnet den Verwaltungsakt als verwaltungsrechtliche Willenserklärung. Ist zweifelhaft, ob ein Regelungswille, der auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist, vorliegt, sind Verwaltungsakte unter entsprechender Anwendung der Grundsätze über die Auslegung von Willenserklärungen auszulegen.

Maßgebend ist dann in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze nach §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung, d.h. wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste. Abzustellen ist auf den Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammen-hänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann. Hier ist auch die äußere Form der Maßnahme mit zu berücksichtigen, z.B. Bezeichnung eines Schreibens als "Bescheid" oder Einfügen einer Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. Engelmann in von Wulffen SGB X Kommentar 8. Auflage 2014 § 31 Rn. 23ff).

Die behördliche Aufklärung, Auskunft oder Beratung nach §§ 13, 14, 15 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) sind wie andere Wissenserklärungen auch, keine Regelungen. Der Bürger wird über Sach- und Rechtsfragen informiert. Die Erklärungen der Behörde sind nicht auf das Bewirken eine Rechtsfolge gerichtet, sondern stellen schlicht-hoheitliches Handeln dar. Die Auskunft erschöpft sich in der Mitteilung des Wissens und unterscheidet sich vom Verwaltungsakt durch den fehlenden Regelungswillen (vgl. Engelmann a.a.O, § 31 Rn. 57).

Das Schreiben der Beklagten vom 3. April 2007 ist weder seiner äußeren Form nach, noch vom Inhalt her ein Verwaltungsakt, weil es an einer Regelung fehlt.

Die Klägerin hat sich mit Schreiben vom 19. und 31. März 2007 an die Beklagte gewandt, weil ihr die behandelnden Ärzte ihrer Auffassung nach nicht in ausreichendem Umfang Verbandmaterial auf Vertragsarztrezept verordneten. Die Beklagte hat entsprechend dem Anliegen der Klägerin telefonisch mit den genannten Ärzten Kontakt aufgenommen. Mit Schreiben vom 3. April 2007 hat sie der Klägerin mitgeteilt, dass sie als Krankenkasse keine Arzneimittelverordnung genehmigen dürfe, weil dies durch den Bundesmantelvertrag-Ärzte (im Folgenden: BMV-Ä) -an den sie gebunden sei-, ausgeschlossen sei. Des Weiteren hat sie die Klägerin über das Ergebnis der Telefongespräche mit den behandelnden Ärzten informiert und die Klägerin gebeten, sich zur Besprechung der weiteren Therapie an ihren behandelnden Arzt bzw. Hautarzt zu wenden. Die Ablehnung einer Kostenübernahme lässt sich dem Schreiben vom 3. April 2007 daher nicht entnehmen, vielmehr nur die Information, dass die Beklagte für eine Genehmigung einer Arzneimittelverordnung nicht zuständig ist und sie hierüber gerade keine Entscheidung treffen kann. Das Schreiben vom 3. April 2007 ist auch nicht als Bescheid bezeichnet und enthält keine Rechtsmittelbelehrung. Dem entsprechend hat die Beklagte den Widerspruch als unstatthaft zurückgewiesen, so dass das Schreiben vom 3. April 2007 auch nicht durch den Widerspruchsbescheid die Gestalt eines Verwaltungsaktes erhält.

Die Auskunft der Beklagten war auch zutreffend. Die Beklagte erbringt wirtschaftliche und zweckmäßige Leistungen in der Regel als Sach- und Dienstleistungen über vertraglich gebundene Leistungserbringer. Dies ergibt sich aus den Regelungen des SGB V.

Nach § 2 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung des Versicherten zugerechnet werden (Absatz 1). Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern (Absatz 2 Satz 1 und Satz 3). Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Ob eine Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist, entscheidet bei - wie hier - Verbandmitteln und ähnlichem zunächst der Leistungserbringer, hier der Vertragsarzt. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V umfasst die vertragsärztliche Versorgung u.a. die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Nach § 31 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen. Im BMV-Ä ist als allgemeiner Inhalt der Gesamtverträge die vertragsärztliche Versorgung geregelt. Sein Geltungsbereich erstreckt sich auf den Geltungsbereich des SGB V (§ 1 BMV-Ä). Nach § 29 Abs. 1 BMV-Ä liegt die Verordnung von Arzneimitteln - wie auch in § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V geregelt - in der Verantwortung des Vertragsarztes. Die Genehmigung von Arzneimittelverordnungen durch die Krankenkasse ist unzulässig. Diese Vorschrift erstreckt sich auch auf die Verordnung von Verbandmittel, wie sich aus § 29 Abs. 9 BMV-Ä ergibt.

Geregelt ist dort auch, wie zu verfahren ist, wenn ein in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherter die Verordnung von Arzneimitteln (oder Verbandmittel), die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen oder für die Behandlung - notwendigerweise aus der Sicht des Arztes - nicht notwendig sind, verlangt. Dann ist nach § 29 Abs. 11 BMV-Ä ein Privatrezept auszustellen. Geht der Versicherte davon aus, dass die Leistung entgegen der Auffassung des Arztes notwendig ist, kann er die auf Privatrezept verordnete Leistung bei der Beklagten als Sachleistung beantragen und sich diese, sollte die Beklagte die Gewährung der Sachleistung ablehnen, selbst beschaffen und gegebenenfalls Kostenerstattung nach § 13 SGB V beantragen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14. Dezember 2006 - Az.: B 1 KR 8/06 R, nach juris) oder im Rahmen der freien Arztwahl einen anderen Arzt z.B. einen Facharzt aufsuchen.

Für die von der Klägerin begehrte Kostenerstattung für selbst beschaffte nicht ärztlich verordnete Verbandmittel aufgrund ihrer Ansicht nach vertragswidrigen Verhaltens der behandeln-den Ärzte, für das die Beklagte im Wege der Kostenerstattung einzustehen habe, ist dagegen eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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