L 4 KR 1776/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 1076/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1776/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 15. März 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf eine Mammareduktionsplastik (im Folgenden MRP).

Die am 1989 geborene Klägerin ist als Bürokraft versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Januar 2011 beantragte sie bei der Beklagten unter Vorlage von Arztbriefen mit Blick auf die Behandlung einer Patellaluxation, eines Arztbriefes des Orthopäden Dr. R. vom 8. Januar 2010 (Diagnose: Fehlhaltung durch Mammahyperplasie, fixierter Rundhohlrücken bei muskulärer Insuffizienz, leichte Thorakolumbalskoliose; empfohlene Therapie: Muskelaufbau, diesbezüglich Verordnung von Physiotherapie; Abwarten mit einer MRP), einer biomechanischen Funktionsanalyse der Wirbelsäule, Körperanalyse und Normwerten aus dem Jahr 2010, eines Arztbriefes der Ärztin für Diagnostische Radiologie Dr. Schlägel über eine am 24. September 2010 durchgeführte Mammographie (Beurteilung: mammographisch unauffälliger Befund), eines ärztlichen Attestes des Dr. R. vom 28. September 2010, wonach bei der Klägerin sicherlich eine MRP empfohlen sei, da sich sonst das orthopädische Krankheitsbild verschlechtere, eines Arztbriefes des Dr. S.-T., Chefarzt des Krankenhauses F., Frauenklinik, vom 21. Dezember 2010 (Diagnose: symptomatische Makromastie beidseits mit Mastoptose II. Grades und konsekutives chronisches Halswirbelsäulen-/Brustwirbelsäulen-Syndrom; Indikation für eine Mammareduktion) und eines Attestes der Frauenärztin St. ohne Datum, wonach bei ihr eine Mammahyperplasie und Rückenschmerzen bestehen und einer Reduktionsplastik von ärztlicher Seite zuzustimmen sei, die Kostenübernahme für die Durchführung einer MRP.

Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sozialmedizinisch begutachten. Gutachter Dr. F. berichtete in seinem Gutachten vom 31. Januar 2011 aufgrund einer am 25. Januar 2011 durchgeführten Untersuchung der Klägerin vom Vorliegen einer Mammahypertrophie bei Übergewicht mit einem BMI von 29,2 kg/m2 (Größe 163 cm, Gewicht 77,3 kg). Bei der Klägerin habe ein Brustgewicht von ca. 1100 g je Seite festgestellt werden können. Das Brustgewicht liege weit unter dem relevanten Gewicht von 1500 g. Durch eine allgemeine Gewichtsreduktion könne wahrscheinlich eine deutliche Reduktion der Brustlast erzielt werden, auch eine Reduktion der Belastung des gesamten Haltungs- und Bewegungsapparats. Es lägen bislang keine wissenschaftlich gesicherten methodisch einwandfreien Untersuchungen vor, die zweifelsfrei einen Zusammenhang zwischen Brustlast und muskuloskelettalen Beschwerden belegten. Eine symptombezogene fachorthopädische Behandlung sollte durchgeführt werden, soweit erhebliche Beschwerden auftreten würden. Heilmittelanwendungen sollten erneut und gegebenenfalls intensiver genutzt werden. Sportliche Aktivitäten sollten bei Verwendung eines gut stützenden BHs möglich sein. Pathophysiologisch stehe die adipöse Makromastie mit der Vermehrung der Gesamtkörperfettmenge in Zusammenhang. Untersuchungen hätten gezeigt, dass Frauen bei Zunahme des Körpergewichts um ein kg auch einen Fettzuwachs pro Brust von 20 g erführen. Umgekehrt lasse sich beobachten (Strömbeck und Künau), dass bei Adipositas durch eine allgemeine Gewichtsreduktion von 10 kg auf natürliche Weise eine Reduktion der Brustlast von durchschnittlich 200 g pro Organ erzielt werden könne. Die Klägerin habe über rezidivierende Rötungen im Submammärbereich berichtet, die durch Eigenbehandlung mit verschiedenen Wundsalben rückläufig gewesen seien. Eine ärztliche Behandlung sei nicht erforderlich gewesen. Schwere therapieresistente Ekzeme seien bisher nicht aufgetreten. Zusammenfassend könne die medizinische Indikation zur Durchführung des beantragten operativen Eingriffs zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht festgestellt werden.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie legte ein ärztliches Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Ste. vom 7. Februar 2011 vor, wonach diesem die Ablehnung der Kostenübernahme für die MRP völlig unverständlich ist. Mehrere Fachärzte hätten eine Makromastie mit Mastoptose bestätigt. Alle Kollegen seien sich einig, dass die Beschwerden der Klägerin nur durch eine Mammareduktion langfristig behandelt werden könnten. Die Klägerin beteilige sich intensiv an Gewichtsreduktionsprogrammen in Fitnessstudios, außerdem werde seit langem regelmäßig physikalische Therapie verordnet (Hervorhebung im Original).

Unter Beifügung einer Übersicht der an die Klägerin seit 2007 erbrachten Leistungen wandte sich die Beklagte erneut an den MDK. Für diesen führte S. E. in der Sozialmedizinischen Fallberatung vom 2. März 2011 aus, dass der Beklagten aus sozialmedizinischer Sicht eine Kostenübernahme für eine MRP nicht empfohlen werden könne. Eine Gigantomastie liege bei der Klägerin nicht vor. Es sei davon auszugehen, dass durch eine allgemeine Gewichtsreduktion konsekutiv eine deutliche Reduktion des Brustgewichts erreicht werden könne, was dementsprechend auch eine Reduktion der Belastung des Halte- und Bewegungsapparats zur Folge hätte. Wissenschaftlich gesicherte Untersuchungen, die zweifelsfrei einen Zusammenhang zwischen Brustlast und muskuloskelettalen Beschwerden belegten, lägen - wie im Vorgutachten ausgeführt - nicht vor. Eine medizinische Indikation zur operativen Behandlung der Mammahypertrophie bestehe nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011 wies die bei der Beklagten gebildete Widerspruchsstelle den Widerspruch zurück. Zur Begründung berief sie sich auf die Gutachten des MDK. Dass bei Beschwerden ärztliche/fachärztliche Behandlungen oder Heilmittelanwendungen erforderlich sein könnten, sei unstrittig. Diese Therapien könnten bei akutem Bedarf durchgeführt werden.

Am 21. April 2011 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Zur Begründung trug sie vor, dass sie regelmäßig Physiotherapie und Wärmemassagen erhalte und auch an diversen Gewichtsreduzierungsprogrammen teilnehme. Sie leide nur noch an einem leichten Übergewicht. Alle Maßnahmen hätten jedoch zu keiner Besserung der Wirbelsäulenbeschwerden geführt. Bei ihr seien somit die Voraussetzungen gegeben, unter denen gemäß § 24 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine MRP zu bewilligen sei. In der Zusammenschau von Körpergröße, Gewicht und Größe der Brüste liege bei ihr ein regelwidriger Zustand vor. Dieser regelwidrige Körperzustand führe zu Beschwerden der Wirbelsäule, die das Potential zur Verschlimmerung hätten. Weitere orthopädische alternative Maßnahmen seien nicht geeignet, um ihre Beschwerden oder die Gefahr der Verschlimmerung zu mindern.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte zu dem von dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Bo. erstatteten Gutachten vom 15. Oktober 2011 (hierzu im Folgenden) die Sozialmedizinische Fallberatung des Dr. F., MDK vom 3. Januar 2012 vor, der sich dahingehend äußerte, dass die medizinische Indikation zur Durchführung der MRP nach wie vor nicht festgestellt werde, sofern die vom Bundessozialgericht (BSG) in dem Urteil vom 19. Februar (richtig: Oktober) 2004 (B 1 KR 9/04 R, in juris) herausgearbeiteten Maßstäbe angelegt würden. Die von der Klägerin angegebenen Rückenschmerzen seien ambulant behandelbar und unabhängig von der Brustgröße eine der häufigsten vertragsärztlichen Diagnosen.

Das SG hörte Dr. R. als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte unter dem 17. August 2011 mit, dass bei der Klägerin ein fixierter Rundhohlrücken bei leichter Thorakolumbalskoliose, eine chronische Cervicozephalgie und ein Status nach operierter Patellaluxation rechts vorliege. In der Vergangenheit sei bei der Klägerin ein regelmäßiger Muskelaufbau unter physiotherapeutischer Anleitung, Eigenübungen und die orale Einnahme von nichtsteroidalen Antiphlogistika durchgeführt worden. Es sei davon auszugehen, dass die orthopädische Beschwerdesymptomatik mit einer MRP sicher beseitigt bzw. reduziert werden könne, da die Klägerin an einer chronischen Rundrückenstellung leide. Auch die ganze Schulter-/Arm- und Nackenmuskulatur sei überlastet, dadurch träten regelmäßige Kopfschmerzen auf, die durch die ausgeprägte Mammahyperplasie verstärkt würden. Durch eine MRP bestehe die Chance der Beschwerdefreiheit. Die orthopädischen Behandlungsmöglichkeiten seien nach seiner Ansicht erschöpft. Er fügte u.a. den Bericht des Dr. Le., Klinik für Orthopädie und Rheuma-Orthopädie, S.-B. Klinikum V.-S., vom 28. April 2011 (Diagnose: Hohlrundrücken mit diskreter Torsionsskoliose, Mammahyperplasie mit thorakalen Beschwerden; Therapie: aufgrund der statischen Situation sei aufgrund der Mammahyperplasie hier durchaus eine MRP sinnvoll. Unabhängig von diesen Beschwerden sollte weiter die Rumpf- und Rückenmuskulatur auftrainiert und die Statik verbessert werden) bei.

Im Anschluss beauftragte das SG Dr. Bo. mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 15. Oktober 2011 auf der Grundlage einer Untersuchung am Vortag ein chronisches ortsständiges cervicales und thorakales Wirbelsäulensyndrom ohne Funktionseinschränkung der Hals- und Brustwirbelsäule und ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen der Arme, eine Wirbelsäulenfehlstatik (Rundrücken, grenzwertiges Hohlkreuz, minimale thorakolumbale Skoliose), unter intensivem Muskeltraining rückläufige, aktuell weitgehend kompensierte muskuläre Dysbalance im Wirbelsäulenbereich, einen Zustand nach lateral release und medialer Retinaculumplastik am rechten Kniegelenk bei habitueller atraumatischer Patellaluxation und eine mäßige Spreizfuß-Deformität beidseits ohne Funktionsbehinderung der Füße. Außerhalb des orthopädischen Fachgebiets bestünden eine symptomatische Makromastie beidseits mit Mastoptose (Ptosis mammae) beidseits Grad II (gemäß gynäkologischem Befundbericht), eine geringfügige, unter Gewichtsreduktion rückläufige Adipositas, ein Zustand nach Tonsillektomie und eine Schilddrüsenhormonsubstitution. Der BMI der Klägerin belaufe sich auf 26,3 kg/m2 (Größe 163 cm, Gewicht 70 kg). Submammäre Ekzeme oder sonstige Hautveränderungen im Bereich der Brüste bestünden nicht. Eine erhebliche Entstellung der Klägerin durch die Brüste liege nicht vor. Die Beantwortung der Frage, inwieweit die geklagten Beschwerden im cervicalen und thorakalen Wirbelsäulenbereich in kausalem Zusammenhang mit der Brustlast stünden bzw. diese sich durch eine MRP voraussichtlich auch beseitigen lasse, habe sich auf eine integrative Gesamtschau sämtlicher zu beachtender medizinischer Aspekte zu stützen. Grundsätzlich dürfe davon ausgegangen werden, dass mechanische (physikalische) Lasten den Körper in einer Weise strapazierten, die natürlich von der Konstitution, der Statik und dem Muskelkorsett abhängig seien. Wenn das Heben und Tragen von Lasten Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule (hier vornehmlich der Lendenwirbelsäule) auslösen könne, was niemand ernsthaft bestreite, und auch zu qualitativen Leistungseinschränkungen im Rechtsbereich der gesetzlichen Rentenversicherung führen könne, sei unschwer abzuleiten, dass eine weiter kranial (oben) einwirkende Last (hier im Sinne der großen Brüste) ebenfalls eine gewisse Wirkung auf den Halte- und Bewegungsapparat auszuüben vermöge. Es seien ihm, dem Sachverständigen, zwar keine validen randomisierten Doppelblindstudien bekannt, die den Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Brustlast einerseits und muskuloskelettalen Beschwerden andererseits sicher objektivieren würden. Bei aller Konzentration auf die evidence based medicine sei jedoch anzumerken, dass in der Medizin tagtäglich zahlreiche diagnostische wie auch therapeutische Maßnahmen zum Einsatz kämen, die einen Wirksamkeitsnachweis anhand randomisierter, groß angelegter Studien bislang schuldig geblieben seien. Es sei eine exakte Analyse dahingehend vorzunehmen, inwieweit das Beschwerdebild neben der vorgetragenen Brustlast durch anderweitige Kausalfaktoren bedingt sein könne bzw. erklärbar sei. Das Argument einer Adipositas sei bei der Klägerin nicht geeignet, das Beschwerdebild zu erklären. Es sei allenfalls noch von einem geringfügigen Übergewicht auszugehen. Die Brustgröße habe sich durch die Gewichtsreduktion jedoch nicht reduziert. Eine muskuläre Insuffizienz als Ursache des Beschwerdebilds liege bei der Klägerin auch nicht mehr vor. Diese funktionelle Verbesserung habe zwar zu einer Verbesserung der muskulären Situation geführt, das Beschwerdebild der Klägerin jedoch nicht beeinflusst. Auch eine Beschwerdeauslösung durch die Skoliose sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, da nur eine minimalste thoralumbale Skoliose vorliege. Die thorakale Kyphose und die lumbale Lordose müssten nicht nur den cervicalen und thorakalen, sondern vorrangig auch den lumbalen Wirbelsäulenabschnitt betreffen. Der lumbale Wirbelsäulenbereich sei von den Beschwerden der Klägerin jedoch kaum betroffen. Im Übrigen habe sich die Haltung der Klägerin unter regelmäßigem Muskeltraining verbessert. Dass sich das Beschwerdebild dennoch nicht geändert habe, deute darauf hin, dass mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit der Rundrücken ebenfalls nicht führend verantwortlich für das Beschwerdebild der Klägerin sei. Entzündliche rheumatische Erkrankungen oder sonstige Veränderungen der Wirbelsäule seien bei der Klägerin auszuschließen. Nachdem damit sämtliche in Betracht zu ziehenden potentiellen konkurrierenden Kausalfaktoren einer Beschwerdeauslösung am Achsorgan mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könnten, bleibe letztlich die begründete Annahme, dass die Beschwerden im cervicalen und thorakalen Wirbelsäulenbereich mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Brustlast bedingt seien, wenngleich man das naturgemäß nicht objektivieren könne. Er, der Sachverständige, gehe davon aus, dass die Beschwerden der Klägerin mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit durch die Brustlast bedingt seien, sodass ein Eingriff im Sinne der MRP mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Beschwerdereduktion führen würde. Diese Sichtweise decke sich mit der gutachtlichen Literatur zu dieser Thematik. Im Übrigen wäre die MRP wirtschaftlich. Langfristige intensive krankengymnastisch-physiotherapeutische Behandlung wäre auf Dauer kostenintensiv. Eine MRP wäre geeignet, das Beschwerdebild der Klägerin zu beheben oder zumindest zu lindern, zumal anderweitige potentielle Kausalfaktoren nicht mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit für das Beschwerdebild verantwortlich zu machen seien und insoweit diesbezügliche therapeutische Ansätze auch längerfristig (erwartungsgemäß) erfolglos blieben. Weitere geeignete konventionelle Methoden zur Behandlung der Beschwerden der Klägerin seien aus seiner Sicht nicht mehr gegeben. In ergänzenden Stellungnahmen vom 6. und 13. Februar 2012 hielt Dr. Bo. im Wissen um fehlende eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse bei Orientierung an den individuellen Gegebenheiten bei der Klägerin an Inhalt und Ergebnis seiner gutachtlichen Bewertung fest. Die Angaben des MDK zu einem linearen Zusammenhang der adipösen Makromastie mit der Gesamtkörperfettmenge seien nicht anhand großer valider randomisierter Doppelblindstudien gedeckt. Da die Klägerin mittlerweile unter die Grenze der Adipositas mit ihrem Gewicht gesunken sei, könne man nicht mehr von einer adipösen Makromastie sprechen. Darauf, ob bei der Klägerin schwerwiegende orthopädische Befunde vorlägen, komme es nicht an. Entscheidend sei nur, ob Beschwerden bzw. Befunde auf die Brustlast zurückzuführen seien und durch eine MRP mit Wahrscheinlichkeit zu beseitigen bzw. zu lindern seien.

Durch Urteil vom 15. März 2012 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2011 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin eine MRP zu gewähren. Zur Begründung legte es dar, bei der Klägerin liege zwar kein krankhafter Zustand der Brustdrüsenkörper vor, sie habe jedoch deshalb einen Anspruch auf eine MRP, weil das (Über-)Gewicht ihrer Brüste sich verschlimmernd auf ihre Rückenbeschwerden auswirke. Dass die MRP zur Verminderung der Beschwerden von Seiten des Wirbelsäulensyndroms erforderlich sei, stehe für es, das SG, aufgrund des nachvollziehbar und überzeugend begründeten Gutachtens von Dr. Bo. fest. Danach seien die Beschwerden der Klägerin am Achsorgan mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Makromastie mit Mastoptose beider Brüste zurückzuführen. Der Sachverständige habe in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass Wirbelsäulenbeschwerden, insbesondere bei chronischer Ausprägung unterschiedlichste Ursachen haben könnten, wobei sich die Ursachen meist wechselseitig beeinflussten. Das Ausmaß der Fehlstatik im Sinne einer Skoliose sei bei der Klägerin jedoch minimal, die thorakale Kyphose und die lumbale Lordose böten ebenso wenig eine Erklärung für die Wirbelsäulenbeschwerden wie die muskuläre Insuffizienz, die inzwischen nahezu vollständig habe behoben werden können. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen oder sonstige Veränderungen der Wirbelsäule, welche beschwerdeursächlich sein könnten, habe der Sachverständige ausschließen können. Auch die durchgeführten krankengymnastisch-physikalischen Maßnahmen seien ohne Einfluss auf das Beschwerdebild geblieben. Insgesamt dränge sich nach diesen Besonderheiten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Brustgröße und Wirbelsäulenbeschwerden und damit ein dementsprechender hochgradiger Erfolg der begehrten Operation auf. Zu seiner, des SG, Überzeugung seien Behandlungsalternativen von der Klägerin erfolglos durchgeführt worden. Wegen der hier vorliegenden Besonderheiten, die einen ursächlichen Zusammenhang besonders nahelegten, sei ein wissenschaftlicher Nachweis hier ausnahmsweise nicht erforderlich.

Gegen das ihr am 29. März 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. April 2012 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das SG verkenne, dass bei der Klägerin keine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorliege. Es handele sich um ein kosmetisches Problem. Nicht außer Acht bleiben dürfe auch, dass eine Operation an einem gesunden Organ immer nur ultima ratio sein könne. Dies sehe auch das SG so, ziehe dann aber die falschen Schlüsse. Das Gutachten des Dr. Bo. vermöge nicht zu überzeugen. Dr. Bo. komme zu dem Ergebnis, dass die thorakale Kyphose zurückgegangen und sich die Haltung der Klägerin verbessert habe. Auch aus dem MDK-Gutachten ergebe sich, dass keine schwerwiegenden orthopädischen Befunde vorlägen. Auch schwerwiegende chronische Ekzeme bestünden nicht. Obwohl Dr. Bo. zu dem Ergebnis komme, dass es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse auf Basis aussagekräftiger gesicherter wissenschaftlicher Studien hinsichtlich eines Kausalzusammenhangs zwischen Brustgröße und Brustgewicht einerseits und Beschwerdesymptomatik im Achsorgan andererseits gebe, dränge sich seiner Auffassung nach, die Kausalität in diesem Fall auf. Das SG folge dieser Auffassung und halte, ohne eine nähere Begründung anzugeben, einen wissenschaftlichen Nachweis in diesem Fall nicht für notwendig. Das SG habe sich auch nicht ausreichend mit den Risiken einer Operation auseinandergesetzt. Des Weiteren seien die Behandlungsmöglichkeiten bei der Klägerin nicht erschöpft. Ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahmen seien bis heute weder verordnet noch durchgeführt worden. Das Gutachten des Orthopäden Dr. H. bestätige ihre Auffassung (hierzu im Folgenden).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 15. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das SG habe sich zu Recht auf das von Dr. Bo. erstattete Gutachten und die vorliegenden Bescheinigungen sämtlicher behandelnder Ärzte gestützt. Danach sei bei ihr eine Ursächlichkeit zwischen Brustgröße und Wirbelsäulenbeschwerden gegeben. Die Beklagte habe dies nicht zu widerlegen vermocht. Der Hinweis der Beklagten, dass allgemeinwissenschaftliche Nachweise nicht vorhanden seien, sei nicht ausreichend. Maßgeblich sei in diesem Zusammenhang auch, dass andere Ursachen für die Wirbelsäulenbeschwerden auszuschließen seien. Konservative Behandlungsmethoden stünden nicht mehr zur Verfügung. Das Gutachten des Dr. H. bleibe in seiner Aussage sehr indifferent. Die Klägerin hat einen Arztbrief des Dr. R. vom 10. Juli 2012 (weiterhin bestehe die Indikation zu einer MRP, da trotz gezieltem Muskelaufbau und Gewichtsabnahme keine wesentliche Verbesserung der Symptome entstanden sei; die Klägerin nehme jetzt zudem noch nicht steroidale Antiphlogistika ein) beigefügt und Antrag und Bescheid über genehmigten Rehabilitationssport sowie Unterlagen über eine weitere Patellaluxation vorgelegt.

Auf Veranlassung des Senats hat Dr. H. das Gutachten vom 25. März 2013 unter Beifügung einer Literaturliste erstattet. Das Brustgewicht der Klägerin liege größenordnungsgemäß bei rechts von ca. 1.250 g und links von ca. 1.200 g Auffällige Hautveränderungen seien nicht zu finden. Das Körpergewicht betrage nach den Angaben der Klägerin bei einer Größe von 164 cm 76 kg. Eine auffällige Einstellung der Klägerin durch ihre Brüste sei nicht zu erkennen. Bei der Klägerin lägen chronische Schmerzen in der oberen Hälfte der Wirbelsäule ohne neurologische Begleiterscheinungen bei nicht eindeutig krankhaft vergrößerter Brust und zahlreichen offenbar symptomatischen Blockierungen der Brustwirbelsäule sowie einer Blockierung des dritten Halswirbels links ohne Nachweis über leistungsbedingte degenerative Strukturschäden in der Wirbelsäule vor. Chronische Beschwerden in der oberen Hälfte der Wirbelsäule bestünden bei der Klägerin seit dem 16. Lebensjahr. Seitdem werde sie durch ambulante Krankengymnastik behandelt. Seit 2009 werde diese Gymnastik noch durch regelmäßige Besuche in einem Fitnessstudio und Gruppengymnastik ergänzt. Zwei ambulante chirotherapeutische Behandlungen hätten nach den Angaben der Klägerin kurzfristig zu einer Beschwerdelinderung geführt. Die Beschwerden ließen sich auf dem Boden zahlreicher Blockierungen in der Brustwirbelsäule und einer Blockierung des dritten Halswirbels links erklären. Konkurrierende Ursachen in Form einer massiven autonomen Muskelverspannungen oder von massiven degenerativen Strukturschäden habe er ausschließen können. Begünstigend für die umfangreichen Blockierungen finde sich eine generelle Bänderschwäche mit Überbeweglichkeit zahlreicher Gelenke. Die Brust der Klägerin sei nicht als krankhaft vergrößert einzustufen. Dr. S.-T. empfehle eine Reduktion der Brust auf beiden Seiten um jeweils etwa 600 g. Daraus ergebe sich eine Gesamtentlastung des Rumpfes um 1.200 g. Allein aus biomechanischer Sicht falle es schwer zu glauben, dass eine Entlastung der Wirbelsäule um 1.200 g irgendwelche bedeutsamen Einflüsse auf die Belastung der Wirbelsäule und der umgebenden Muskulatur haben könnte. Dabei müsse nicht nur das Gesamtgewicht berücksichtigt werden, sondern auch die Tatsache, dass dieses Gewicht sehr nahe am Körper getragen werde, also keine langen Hebelarme, die die Belastung für die Wirbelsäule verstärken könnten, erschwerend hinzu kämen. Zweifel an einem Zusammenhang zwischen den vorgetragenen Rückenschmerzen und dem Gewicht der Brust der Klägerin ergäben sich auch deshalb, weil die Rückenschmerzen offenbar schon im 16. Lebensjahr begonnen hätten. Selbst wenn unterstellt werde, dass die Brust der Klägerin ihre jetzige Größe schon mit 14 oder 15 Jahren erreicht habe, so falle es schwer, sich vorzustellen, dass eine solche Belastung innerhalb von ein oder zwei Jahren zu chronischen Rückenschmerzen geführt haben könnte. Mechanische Belastungen der Wirbelsäule würden in der Regel über viele Jahre toleriert, bevor sie sich schmerzhaft bemerkbar machten. Als konkurrierende Ursache der Blockierungen sei auch die monotone Körperhaltung am Arbeitsplatz zu diskutieren. Er halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin durch eine biomechanische Überlastung durch eine übergroße Brust ausgelöst würden. Daraus könne nicht voreilig die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine MRP keinen positiven Einfluss auf die Rückenschmerzen der Klägerin haben könnte. Wissenschaftlich hochwertige randomisierte kontrollierte Studien, die den Zusammenhang zwischen Größe und Schwere der Brust bei dem Auftraten von Wirbelsäulenbeschwerden belegten, gebe es seines Wissens jedoch nicht. Ihm seien auch keine über "ärztliche Erfahrungen" hinausgehende Besonderheiten bekannt, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Brustgröße und Wirbelsäulenbeschwerden aufdrängen würden. Die aktuellen Beschwerden der Klägerin ließen sich vermutlich durch manuell-medizinische Lösung der von ihm beschriebenen Blockierungen im Brust- und Halswirbelsäulenbereich deutlich verringern. Aufgrund der generellen Bänderschwäche bzw. Hypermobilität der Wirbelsäule würde er allerdings nicht mit einem langfristig positiven Therapieergebnis rechnen. Er würde als Therapie wie bisher Physiotherapie kombiniert mit einer gerätegestützten medizinischen Trainingstherapie fortsetzen. In besonderen Schmerzsituationen könne im Einzelfall auch sanft chirotherapeutisch eine Blockierung gelöst werden. Sinnvoll wäre auch eine berufliche Entlastung. Die Klägerin habe zwar im Großen und Ganzen ihre therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Er gehe aber prinzipiell nicht davon aus, dass die chronischen Beschwerden zur Ausheilung gebracht werden könnten.

Dr. Sa., Facharzt für Chirurgie und Neurochirurgie, Chefarzt der H.-R.-Klinik B., hat das Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattet. Er hat in seinem Gutachten vom 21. Februar 2014 ausgeführt, es bestünden bei der 161 cm großen und 84,4 kg schweren Klägerin chronisch-rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden in Form eines Halswirbelsäulensyndroms mit teilweisen Cephalgien ohne sensomotorische Defizite im Bereich der oberen Extremitäten, Dorsalgien, speziell im oberen Brustwirbelsäulenbereich bei röntgenologisch nachweisbarem Rundrücken; eine Makromastie beidseits (Brustgewicht links 1590 ml, rechts 1510 ml) und Zustände nach Patellaluxation rechts mit Chondropathia patellae rechts und nach Retinaculum-Raffung im Bereich der rechten Patellar. Evidenzbasierte Untersuchungen, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Wirbelsäulenbeschwerden und Makromastie belegten, gebe es nicht. Es stehe aber in allen Publikationen bei dem Passus "Beschwerden, die durch Makromastie verursacht werden können" der Rückenschmerz, der Rundrücken, das Halswirbelsäulensyndrom, die Schulternackenbeschwerden etc. Man sollte bei einer MRP niemals pauschal entscheiden, sondern stets den Einzelfall subtil betrachten. Bei der Klägerin seien alle konservativen Möglichkeiten ausgeschöpft worden, ohne dass es zu einer wesentlichen Befundänderung gekommen sei. Die Aussage des MDK, dass es durch eine Gewichtsreduktion zu einer Reduktion des Brustgewichts komme, entspreche nicht den Tatsachen. Er würde es durchaus für möglich halten, dass sich bei einer MRP die Beschwerdesymptomatik der Klägerin vermindert. Er habe die Erfahrung gemacht, dass viele Wirbelsäulenpatientinnen, die unter einer ähnlichen Symptomatik gelitten hätten, durch eine MRP deutlich in ihrem Beschwerdebild gebessert worden seien. Die Fehlbelastung und Disproportion der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule werde durch die Makromastie unterstützt. Bei einem Ausgleich der Dysbalance trete eine deutliche Beschwerdelinderung ein. Er hat eine Tabelle von Prof. Dr. Deutinger, Krankenanstalt Rudolfstiftung, Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie, zur Möglichkeit des Auftretens eines Wirbelsäulenschadens bezüglich der Brustgröße beigefügt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig und begründet. Der ablehnende Bescheid vom 3. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2011 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer MRP als Sachleistung. Die Auffassung des SG im Urteil vom 15. März 2012 ist nicht zu bestätigen.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Behandlung ist § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Nr. 5 der Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung (notwendige) Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 SGB V. Krankheit im Sinne der Vorschrift ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung - oder Arbeitsunfähigkeit - zur Folge hat. Regelwidrig ist ein Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (ständige Rechtsprechung seit BSG, Urteil vom 28. April 1967 - 3 RK 12/65 -, in juris). Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteile vom 9. Juni 1998 - B 1 KR 18/96 R -, vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 11/04 R - und vom 6. März 2012 - B 1 KR 17/11 R -, alle in juris).

Anhaltspunkte für das Fehlen der Funktionsfähigkeit der Brüste der Klägerin ergeben sich im konkreten Fall nicht. Im Übrigen dient die MRP ohnehin nicht dazu, Funktionsmängel zu beheben.

Die bei der Klägerin vorhandene Hypertrophie der Mammae stellt als solche aber nach den zuvor aufgezeigten Maßstäben keine Krankheit dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats lässt sich ein Normgewicht der Brust nicht bestimmen. Es besteht vielmehr ein großer Schwankungsbereich, der in Bezug auf Brustgröße und Brustgewicht abhängig ist von Körperlänge und Körpergewicht. Daher verbietet es sich, von einer Krankheit zu sprechen, wenn die Brust ein gewisses Gewicht aufweist oder eine Gewichtsreduktion in einer bestimmten Größenordnung vorgenommen werden kann. Ein sehr kleiner Brustumfang entspricht ebenso wie ein sehr großer Brustumfang dem Leitbild einer gesunden Frau (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 18. Oktober 2002 - L 4 KR 4692/01 -, vom 23. Januar 2004 - L 4 KR 1609/02 -, beide in juris; vom 11. Mai 2007 - L 4 KR 5584/06 -, vom 18. Januar 2008 - L 4 KR 5962/06 -, vom 2. Dezember 2011 - L 4 KR 3514/10 -, jeweils nicht veröffentlicht). Unerheblich ist aus Sicht des Senats in diesem Zusammenhang daher auch, ob die Grenze von 1500 g pro Brust überschritten worden ist bzw. durch Gewichtsreduktion wieder unterschritten werden könnte oder nicht.

Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit bewirkt und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (vgl. dazu BSG zur Frage der Notwendigkeit einer Brustvergrößerungsoperation, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R -, in juris). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf die Betroffenen führt (vgl. mit diesem Maßstab BSG, Urteile vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R - und vom 6. März 2012 - B 1 KR 17/11 R -, beide in juris). Eine Entstellung besteht nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht (S. 2 des Schriftsatzes vom 5. September 2013). Auch eine Disproportionalität der Brüste im Vergleich zur Körpergröße der Klägerin wird in den ärztlichen Unterlagen nicht beschrieben.

Die Notwendigkeit des von der Klägerin begehrten operativen Eingriffs ergibt sich auch nicht aus ihrem Vorbringen, ihre Wirbelsäulenbeschwerden würden durch die begehrte Maßnahme merklich gelindert. Eine Krankenbehandlung durch ärztliche Behandlung muss unmittelbar an der Krankheit selbst ansetzen. Liegt eine Krankheit vor, wird Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit verlangt, die anhand der genannten Behandlungsziele zu beurteilen ist. Behandlungsbedürftigkeit liegt vor, wenn die Behandlungsziele ohne die beabsichtigte ärztliche Behandlung wahrscheinlich nicht und auch nicht mit Aussicht auf Erfolg zu erreichen sind. Die Prüfung der Wahrscheinlichkeit ist als Prognose unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen, wobei auch ein wissenschaftlich begründeter Nachweis der Wirksamkeit der begehrten Behandlung hinsichtlich des Behandlungsziels verlangt wird. Wissenschaftliche Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Größe der Brüste und dem Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden belegen würden, liegen demgegenüber nicht vor, wie auch alle gehörten Sachverständigen bestätigt haben. Allein ein bestimmtes Brustgewicht rechtfertigt den Anspruch nicht, weil Wirbelsäulenbeschwerden unterschiedlichste Ursachen haben können, wobei sich die Ursachen meist wechselseitig beeinflussen (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 18. Oktober 2002 - L 4 KR 2692/01 - und vom 23. Januar 2004 - L 4 KR 1609/02 -, a.a.O.; vom 11. Mai 2007 - L 4 KR 5584/06 -, vom 18. Januar 2008 - L 4 KR 5962/06 -, vom 2. Dezember 2011 - L 4 KR 3514/10 -, nicht veröffentlicht sowie Beschlüsse vom 24. Februar 2005 - L 4 KR 3936/03 -, in juris und vom 19. Januar 2007 - L 4 KR 3005/03 -, nicht veröffentlicht; vgl. auch Bayerisches LSG, Urteile vom 10. April 2003 - L 4 KR 226/01 - und vom 19. Januar 2006 - L 4 KR 235/05 -, beide in juris). Den betreffenden Versicherten günstigere Entscheidungen sind nur ergangen, wenn über diesen Erkenntnisstand hinausgehende Besonderheiten im Einzelfall festgestellt werden konnten, bei denen sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Brustgröße und Wirbelsäulenbeschwerden und damit ein hochgradiger Erfolg der Operation aufdrängte (z.B. Sächsisches LSG, Urteil vom 24. September 2003 - L 1 KR 84/01 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Juni 2004 - L 5 KR 129/03 - und LSG Hamburg, Urteil vom 2. Mai 2012 - L 1 KR 38/10 -, alle in juris).

Das aber ist hier nicht der Fall. Von einem solchen hochgradigen Erfolg einer MRP kann nach Auffassung des Senats nicht ausgegangen werden. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die von der Klägerin gewünschte Operation dazu geeignet ist, das von ihr beklagte Beschwerdebild im Bereich der Wirbelsäule zu verbessern. Es kann dahingestellt bleiben, ob die derzeit bei der Klägerin erhobenen orthopädischen Befunde gravierender Art und die Behandlungsmaßnahmen erschöpft sind, denn mit Blick auf die MRP fehlt es am notwendigen Zusammenhang zwischen der Brustgröße der Klägerin und den bei ihr vorliegenden Wirbelsäulenbeschwerden. Ein hochgradiger Erfolg der MRP drängt sich nicht auf.

Zwar hat Dr. Bo. in seinem Gutachten vom 15. Oktober 2011 ausgeführt, dass die Beschwerden der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die Brustlast bedingt seien. Er vermochte dies jedoch nicht kausal zu belegen und konnte hierfür auch keine eindeutigen wissenschaftliche Erkenntnisse anführen, da es solche - wie er selbst auch ausführt - nicht gibt. Er kam zu diesem Ergebnis, in dem er andere Diagnosen ausschloss. Er legte dar, das Argument einer Adipositas sei nicht geeignet, das Beschwerdebild zu erklären, da nur von einem geringfügigen Übergewicht auszugehen sei. Eine muskuläre Insuffizienz als Ursache des Beschwerdebilds schloss er ebenso wie eine Beschwerdeauslösung durch die Skoliose aus, da nach durchgeführter Physiotherapie keine muskuläre Insuffizienz mehr bestehe und nur eine minimalste thorakolumbale Skoliose vorliege und sich diese auch vorrangig auf den lumbalen Wirbelsäulenabschnitt auswirken müsste, in dem die Klägerin jedoch kaum über Beschwerden klage. Auch den Rundrücken der Klägerin machte er mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit nicht führend verantwortlich für ihr Beschwerdebild und eine entzündliche rheumatische Erkrankungen oder sonstige Veränderungen der Wirbelsäule, die das Beschwerdebild erklären könnten, fand er bei der Klägerin nicht. Aus der Tatsache, dass diese in Betracht zu ziehenden potentiellen konkurrierenden Kausalfaktoren einer Beschwerdeauslösung am Achsorgan mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könnten, entnimmt er, dass die Beschwerden der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die Brustlast bedingt seien. Auch Dr. Sa. bestätigt in seinem auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG erstatteten Gutachten vom 21. Februar 2014, dass es evidenzbasierte Untersuchungen, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Wirbelsäulenbeschwerden und Makromastie belegten, nicht gebe. Er hält es lediglich für möglich, dass bei einer MRP die Beschwerdesymptomatik der Klägerin vermindert wird. Einen Nachweis für die Tatsache, dass sich ein hochgradiger Erfolg der MRP aufdränge, vermag auch er nicht zu führen. Auch auf die den Anspruch der Klägerin befürwortenden Ausführungen von Dr. R., Dr. S.-T. und Dr. Ste., wonach auf Grund der Beschwerden eine Indikation für eine MRP vorliege, lässt sich dies nicht stützen. Weder mit den Gutachten von Dr. Bo. und Dr. Sa. noch mit den Arztbriefen und Attesten der die Klägerin behandelnden Ärzte lässt sich ein signifikanter Einzelfall, der gegen die fehlenden allgemeinen medizinischen Erkenntnisse einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Brustgröße und Beschwerden und damit auch die hochgradige Erwartung einer wesentlichen Besserung durch die begehrte Maßnahme erkennen ließe, begründen.

Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des von Dr. H. in seinem Gutachten vom 25. März 2013 insoweit ausgeführten Arguments, dass sich Zweifel an einem Zusammenhang zwischen den vorgetragenen Rückenschmerzen und dem Gewicht der Brust der Klägerin deshalb ergäben, weil die Rückenschmerzen der Klägerin schon im 16. Lebensjahr begonnen hätten und, selbst wenn unterstellt werde, dass die Brust der Klägerin ihre jetzige Größe schon mit 14 oder 15 Jahren erreicht hätte, es schwer falle, sich vorzustellen, dass eine solche Belastung innerhalb von ein oder zwei Jahren zu chronischen Rückenschmerzen geführt haben könnte, nachdem mechanische Belastungen der Wirbelsäule in der Regel über viele Jahre toleriert werden, bevor sie sich schmerzhaft bemerkbar machen. Gegen einen Zusammenhang spricht Dr. H. folgend auch die Tatsache, dass das Gewicht der Brüste sehr nah am Körper getragen wird, also keine langen Hebelarme, die die Belastung für die Wirbelsäule verstärken, vorliegen. Darüber hinaus empfiehlt Dr. S.-T. auch nur eine Reduktion der Brust auf beiden Seiten um jeweils etwa 600 g, was einer Gesamtentlastung des Rumpfes um 1.200 g entspricht. Eine Entlastung der Wirbelsäule um 1.200 g kann - auch insoweit schließt sich der Senat Dr. H. an - jedoch kaum bedeutsame Einflüsse auf die Belastung der Wirbelsäule und der umgebenden Muskulatur haben, insbesondere bei einem Körpergewicht von 84,4 kg, das die Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. Sa. hatte. Im Übrigen arbeitet Dr. H. als Ursache der Beschwerden der Klägerin für den Senat nachvollziehbar deren zahlreiche Blockierungen in der Brustwirbelsäule und im Bereich des dritten Halswirbels links heraus, die durch die generelle Bänderschwäche der Klägerin mit Überbeweglichkeit zahlreicher Gelenke, die sich in mehrfacher Patellaluxation gezeigt hat, begünstigt werde.

Auch die Hautbeschwerden der Klägerin rechtfertigen keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung, nachdem die Klägerin insoweit nur unter rezidivierenden Rötungen im Submammärbereich leidet, die nach ihren Angaben in der Vergangenheit mit Eigenbehandlung mit verschiedenen Wundsalben rückläufig waren und keine ärztliche Behandlung erforderlich machten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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