L 9 U 2895/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 2974/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2895/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 5. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Auskehrung eines Teils seiner Verletztenrente an den Insolvenzverwalter.

Der 1940 geborene Kläger wurde am 30.07.1996 im Rahmen seiner kaufmännischen Tätigkeit auf dem Gelände eines Golfplatzes von einem Geschäftspartner, der deswegen mit Strafurteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts B. vom 25.04.1997 rechtskräftig wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, niedergeschossen und erlitt hierbei schwere Verletzungen. Als Opfer einer Gewalttat wurden dem Kläger auf dessen Antrag vom Freistaat Sachsen (Amt für Familie und Soziales C. - Versorgungsamt -) mit Bescheid vom 27.11.1998 Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) unter Anerkennung von Schädigungsfolgen bewilligt (Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) [jetzt Grad der Schädigungsfolgen (GdS)] um 100 v. H. und Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe V ab Juli 1996, Pflegezulage nach Stufe I, halbe Ausgleichsrente und Kinderzuschlag ab März 1997 sowie Ehegattenzuschlag ab Juli 1997). Anpassungen des Versorgungsanspruches erfolgten mit den Bescheiden vom 22.02.1999 und 15.12.1999.

Mit Bescheid vom 03.04.2001 stellte die Beklagte wegen des - anerkannten - Versicherungsfalles vom 30.07.1996 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 100 v.H. ab 27.01.1998 bis auf weiteres fest. Mit Bescheid vom 15.11.2001 erhöhte die Beklagte den bislang zugrunde gelegten Jahresarbeitsverdienst rückwirkend für das gewährte Verletztengeld und die ab 27.01.1998 gewährte Verletztenrente. Die Versorgungsverwaltung stellte mit Bescheid vom 26.11.2001, nachdem sie zuvor mit den Bescheiden vom 17.04.2001 und 08.05.2001 Änderungen in der Höhe der anzurechnenden Verletztenrente berücksichtigt hatte, das Ruhen der Versorgungsbezüge ab dem 01.02.1998 in voller Höhe fest und errechnete einen gegenüber der Beklagten bestehenden Erstattungsanspruch.

Mit Beschluss vom 23.03.2009 eröffnete das Amtsgericht R. - Insolvenzgericht - das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers. Dem Kläger wurde die Verfügung über sein Vermögen, das ihm zur Zeit der Verfahrenseröffnung zusteht und das er während des Verfahrens erlangt, verboten. Zum Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt G., K., bestellt, auf den - so der Beschluss - das Verwaltungs- und Verfügungsrecht übergehe. Personen, die Verpflichtungen gegenüber dem Kläger haben, wurden aufgefordert, nicht mehr an diesen, sondern an den Insolvenzverwalter zu leisten.

Mit Beschluss vom 21.06.2011 ordnete das Amtsgericht R. - Insolvenzgericht - die Zusammenrechnung der Einkünfte des Klägers aus den Forderungen gegen die Beklagte und die Deutsche Rentenversicherung Bund an und stellte einen pfändbaren Betrag von 792,05 EUR fest, der an den Insolvenzverwalter abzuführen sei. Der Insolvenzverwalter übermittelte den Beschluss der Beklagten mit Schreiben vom 27.06.2011. Seit Mai 2011 wird der genannte Betrag von der Beklagten an den Insolvenzverwalter ausgekehrt, was sie dem Kläger mit Schreiben vom 04.07.2011 mitteilte. Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben vom 06.07.2011 "Widerspruch" ein und teilte in diesem Zusammenhang mit, gegen den Beschluss des Amtsgerichts R. vom 21.06.2011 sei bereits Beschwerde eingelegt worden. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 12.07.2011, dass das Mitteilungsschreiben vom 04.07.2011 keinen Verwaltungsakt darstelle. Die Anordnung des Insolvenzgerichts unterfalle nicht der Überprüfungskompetenz des Unfallversicherungsträgers. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts R. blieb ohne Erfolg (Beschluss des Landgerichts R. vom 13.02.2012).

Der Kläger hat am 24.10.2011 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben (S 11 U 2974/11) und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (S 11 U 2975/11 ER). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist mit Beschluss vom 07.11.2011 abgelehnt worden, ohne dass der Kläger hiergegen Beschwerde erhoben hätte.

Zur Begründung der "Feststellungsklage nach § 54 SGG" hat der Kläger ausgeführt, die von der Beklagten geleistete Verletztenrente sei in Höhe der Leistungen nach dem OEG pfändungsfrei. Aus seiner Privatinsolvenz ergebe sich, dass er durch das Gewaltverbrechen unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten sei. Die Auskehrung des Pfändungsbetrages an den Insolvenzverwalter sei unzulässig, zukünftig und rückwirkend sei die Unfallrente an ihn in voller Höhe auszubezahlen. Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2012 hat der Kläger den Klageantrag geändert und beantragt:

1.) unter sozialrechtlichen Kriterien festzustellen, dass nachfolgende OEG-Leistungen, auf die er als das Opfer einer Gewalttat einen gesetzlichen Zahlungsanspruch hat, bei der Berechnung des Pfändungsfreibetrages seiner Unfallrente privilegierte (einkommensneutrale) staatliche Leistungen sind: volle Grundrente nach § 31 BVG, Schwerstbeschädigtenzulage Stufe VI — mind. Stufe V (bisher anerkannt), Pflegegeld der BG, volle Ausgleichsrente nach § 33 BVG, Ehegattenzuschlag; 2.) die Beklagte zu verurteilen, unter Berücksichtigung dieser einkommensneutralen OEG-Leistungen unverzüglich den Pfändungsfreibetrag neu zu berechnen und die Unfallrente neu zu bescheiden; 3.) die Beklagte zu verurteilen, ihm den bisherigen rechtswidrigen Einbehalt zuzüglich gesetzlichem Zins innerhalb von acht Wochen nachzuzahlen; 4.) festzustellen, dass er als schwerstgeschädigtes Gewaltopfer immer zusätzlich zur gesetzlichen Unfallrente einen gesetzlichen Anspruch auf die ihm vom Gesetz her zustehenden OEG-Leistungen hat, weil diese aufgrund des gesetzlichen Auftrags nicht in der Unfallrente der Berufsgenossenschaften enthalten sind.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, der Kläger sei weder aktivlegitimiert noch bestehe ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse. Aufgrund der Anordnung des Insolvenzgerichts sei allein der bestellte Insolvenzverwalter zur Geltendmachung von Rechten aus dem Vermögen des Insolvenzbeschlusses befugt. Zudem liege dem streitigen "Rechtsverhältnis" eine Regelung des Insolvenzgerichts auf der Grundlage der Insolvenzordnung (InsO) zugrunde, also eine Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger und dem anordnenden Insolvenzgericht, nicht aber ein Sachverhalt, der sich aus der Anwendung einer Regelung auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts durch die Beklagte ergebe.

Mit Gerichtsbescheid vom 05.06.2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach § 51 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sachlich zuständig zu sein. Bei dem Begehren des Klägers handele sich um eine Angelegenheit der gesetzlichen Unfallversicherung, nicht um eine der Zivilgerichtsbarkeit zuzurechnende Streitigkeit nach der InsO. Allein die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hindere die sozialgerichtliche Entscheidung über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche nicht (vgl. Beispiele bei Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 51 Rn. 39 Stichwort "Insolvenz"). Die vom Kläger erhobenen Klagen, nämlich die Feststellungsklage und Leistungsklage, seien auch nicht mit dem statthaften Rechtsbehelf im insolvenzrechtlichen Verfahren gegen Entscheidungen nach § 36 Abs. 4 InsO i.V.m. §§ 850b, 850c, 850e Zivilprozessordnung (ZPO) identisch, also der sofortigen Beschwerde nach §§ 6 InsO, 567 ZPO. Der Kläger wende sich (unmittelbar) nicht gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts über Feststellung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens, sondern begehre, dass die Beklagte ungeachtet der Entscheidungen im Insolvenzverfahren weiterhin die vollständigen Leistungen an ihn auskehre. Der Fall unterscheide sich auch von demjenigen, dass sich der Versicherte gegen die Einziehung von dem Sozialrecht unterliegenden Forderungen durch den Insolvenzverwalter wende. Die Klage sei damit hinsichtlich der im Klageantrag zu 3.) formulierten Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zulässig. Daneben bestehe wegen des auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatzes der Subsidiarität für die mit dem Klageantrag zu 1.) erhobene Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) kein Raum. Insoweit sei die Klage unzulässig. Die Klageanträge zu 2.) (Antrag auf erneute Bescheidung der Unfallrente) und 4.) (Feststellung, dass der Anspruch auf OEG-Leistungen neben demjenigen auf Unfallrente stehe) gingen über das ursprüngliche Begehren hinaus, so dass eine Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG vorliege. Diese sei unzulässig, da die Beklagte nicht eingewilligt habe und die Klageänderung auch nicht sachdienlich sei. Die Klage wäre nämlich insoweit nicht zulässig gewesen. Hinsichtlich des Klageantrags zu 2.) fehle es schon an einem entsprechenden Verwaltungsverfahren bei der Beklagten, ohne welches das Gericht nicht entscheiden könne. Die Feststellungsklage nach dem Klageantrag zu 3.) wäre subsidiär gegenüber einer an die Beklagte oder den Träger der Leistungen nach dem OEG gerichteten Leistungsklage. Soweit die Klage zulässig sei, sei sie nicht begründet. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehe das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Gerichtsvollzieher (gemeint: Insolvenzverwalter) über und Drittschuldner dürften nicht mehr an den Insolvenzschuldner leisten (§§ 80 bis 82 InsO). Die Insolvenzmasse umfasse das gesamte Vermögen, das dem Insolvenzschuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehöre (§ 35 Abs. 1 InsO). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterlägen, gehörten nicht zur Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO), wobei das Insolvenzgericht darüber entscheide, ob ein Gegenstand hierzu gehöre (§ 36 Abs. 4 Satz 1 InsO). Da der Kläger Sozialleistungen von zwei Trägern beziehe, die jeweils selbst ihrer Höhe nach nicht der Zwangsvollstreckung unterlägen, bedürfe es der Zusammenrechnung, damit ein der Zwangsvollstreckung unterworfener und damit der Insolvenzmasse zugehöriger Anspruch entstehe. Dem diene der Beschluss des Amtsgerichts R. vom 21.06.2011. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 21.06.2011 sei zurückgewiesen worden. Der Beschluss vom 21.06.2011 stehe damit einer Verurteilung der Beklagten, diese Anteile an den Kläger auszubezahlen, entgegen. Auf die vom Kläger in verschiedenen Verfahren aufgeworfene Frage des Verhältnisses der Leistungen der Beklagte und denen nach dem OEG sowie in den Folgerungen für die Pfändbarkeit komme es nicht an.

Gegen den ihm am 08.06.2012 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 07.07.2012 Berufung eingelegt.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrages hält der Kläger an seiner bislang vertretenen Auffassung fest.

Der Kläger beantragt zuletzt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 05. Juni 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den bisherigen rechtswidrigen Einbehalt zuzüglich gesetzlichem Zins innerhalb von acht Wochen nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides. Der Rechtsansicht des Klägers stehe die Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichtes R. entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung und aus eigener Überzeugung den Ausführungen des SG zur Zulässigkeit und Begründetheit der Klage in vollem Umfang an und sieht daher, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, von einer weiteren Darstellung der Entscheidung weitgehend ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Mit Blick auf den Vortrag im Berufungsverfahren ist lediglich nochmals darauf hinzuweisen, dass nach bei noch andauerndem Insolvenzverfahren allein das Insolvenzgericht darüber zu entscheiden hat, ob ein Gegenstand zur Insolvenzmasse gehört (§§ 2 Abs. 1, 36 Abs. 4 S. 1 InsO). Eine solche Entscheidung liegt mit dem Beschluss vom 21.06.2011 des Amtsgerichts R. als Insolvenzgericht nach - rechtskräftiger - Zurückweisung der Beschwerde durch das Landgericht R. (Beschluss vom 13.02.2012) vor. Damit steht fest, dass die Verletztenrente grundsätzlich der Pfändung unterliegt und ein pfändbarer Betrag in Höhe von 792,05 EUR an den Insolvenzverwalter abzuführen war und ist. An diese rechtskräftige Entscheidung ist die Beklagte - Schuldnerin des Anspruches auf Zahlung der Verletztenrente - gebunden. Eine hiervon abweichende Entscheidung in dem vorliegenden Verfahren kommt schon mangels Zuständigkeit der Sozialgerichte hierfür nicht in Betracht. Es kann daher dahinstehen, ob und aus welchen Gründen die im Beschluss des Landgerichts R. angedeutete Rechtsbeschwerde nicht erhoben wurde oder erhoben werden konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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