L 3 AL 4087/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AL 2221/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 4087/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten - nach einer Teil-Erledigungserklärung im Berufungsverfahren noch - höheres Arbeitslosengeld (Alg) ab 01.07.2012 auf der Basis eines Bemessungsentgeltes von 45,09 EUR täglich. Die Klägerin war seit 2005 bei dem Unternehmen A. S. e.K. (im Folgenden: Arbeitgeber) in der Filiale H. beschäftigt. Seit 2007 betrug die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit 13,5 Stunden. 1. Im Mai 2011 erhob die Klägerin bei dem Arbeitsgericht P. (ArbG) Klage gegen den Arbeitgeber. Sie stellte dort den Antrag, den Arbeitgeber zu verurteilen, ihr (der Klägerin) Angebot (vom 10.02.2011) auf Erhöhung ihrer vertraglichen Arbeitszeit von 13,5 Wochenstunden auf 23 Wochenstunden ab dem 01.03.2011 anzunehmen (6 Ca 160/11). Die Klage wurde am 11.05.2011 zugestellt. Die Klägerin trug vor, im Jahr 2010 durchschnittlich 23,2 Wochenstunden gearbeitet und demzufolge nach § 5 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel Baden-Württemberg (MV) einen Anspruch auf Erhöhung der Arbeitszeit zu haben. Die Klägerin legte die Zeiterfassungsnachweise von Januar 2010 bis Dezember 2010 vor. Im Gütetermin vom 24.05.2011 ließ der Arbeitgeber mitteilen, er könne die Klägerin in ihrer Filiale nicht für 23 Stunden pro Woche beschäftigen. Im Anschluss trat er der Klage entgegen. Er bestritt, dass die Klägerin Mehrarbeit im behaupteten Umfange geleistet habe. Die vorgelegten Zeiterfassungsnachweise seien zum Teil völlig wahrheitswidrig und manipuliert, sie rechtfertigten eher eine fristlose Kündigung. Etwaige Mehrstunden habe die Klägerin im Übrigen für Betriebsratsarbeit geleistet, was keine Grundlage für eine Arbeitszeiterhöhung sein könne. Der Arbeitgeber legte hierzu die Arbeitszeit- und Pausenpläne des Jahres 2010 vor (Schriftsatz vom 06.06.2011). Hierzu erwiderte die Klägerin, in den Filialen des Arbeitgebers sei es üblich gewesen, die Mehrstunden einer Woche immer für den letzten Arbeitstag der Mitarbeiterin in der fraglichen Woche zu notieren. Zu dem Manipulationsvorwurf gab sie an, nicht sie habe die Zeiterfassungsnachweise geführt (Schriftsatz vom 14.07.2011). Im weiteren Prozess teilte sie noch mit (Schriftsatz vom 07.02.2012), der Arbeitgeber habe nach Einreichung der Klage Mehrarbeitsstunden nicht mehr zugelassen. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem ArbG wurde zweimal verlegt, darunter einmal auf Antrag der Klägerin. In der öffentlichen Sitzung am 02.12.2011 erschien für den Arbeitgeber niemand. Das ArbG wies die Klägerin darauf hin, dass ihr Angebot auf Erhöhung der Arbeitszeit ab März 2011 bislang nicht ausreiche. Die Klägerin änderte ihren Antrag daraufhin ab und begehrte nur noch eine Verurteilung zur Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 23 Stunden ab Juni 2011. Diesem Antrag entsprechend erließ das ArbG Versäumnisurteil. Dieses wurde am 07.12.2011 dem Arbeitgeber zugestellt. Dieser erhob noch am selben Tage Einspruch. Unter dem 13.01.2012 ließ er sich weiterhin umfangreich gegen die Klage und den Vortrag der Klägerin ein. Termin zur Verhandlung über den Einspruch wurde anberaumt auf den 24.02.2012. Am 23.01.2012 war Insolvenzantrag gegen den Arbeitgeber gestellt worden. Mit Beschlüssen vom 23. und vom 30.01.2012 bestellte das Amtsgericht (AG) Ulm einen vorläufigen Insolvenzverwalter und legte dem Arbeitgeber ein allgemeines Verfügungsverbot auf (1 IN 24/12). Dies teilte der Arbeitgeber dem ArbG unter dem 02.02.2012 mit. Daraufhin hob das ArbG den Kammertermin auf, weil das arbeitsgerichtliche Verfahren unterbrochen sei. Die Klägerin stellte ihre Klage unter dem 07.02.2012 auf den vorläufigen Insolvenzverwalter um. In dem neu anberaumten Termin am 06.07.2012 erließ das ArbG, nachdem für den Insolvenzverwalter niemand erschienen war, Zweites Versäumnisurteil. Dieses Urteil, das eine Rechtsmittelbelehrung mit Hinweis auf die (eingeschränkte) Berufung enthielt, wurde dem vorläufigen Insolvenzverwalter am 16.07.2012 zugestellt. Rechtsbehelfe wurden nicht eingelegt. Nach Aktenlage hat die Klägerin bislang weder eine vollstreckbare Ausfertigung noch ein Rechtskraftzeugnis beantragt. 2. Bereits unter dem 26.02.2012 hatte sich die Klägerin bei der - hier beklagten - Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Beklagte) nach der Höhe ihres Alg-Anspruchs für den Fall einer Arbeitslosigkeit erkundigt, wobei sie darauf hingewiesen hatte, seit Jahren regelmäßig Überstunden zu leisten. 3. Der vorläufige Insolvenzverwalter stellte die Klägerin mit Schreiben vom 25.06.2012 ab dem 01.07.2012 unwiderruflich frei. Die Klägerin meldete sich daraufhin am 27.06.2012 mit Wirkung zum 01.07.2012 arbeitslos und beantragte Alg. Sie stellte sich dem Arbeitsmarkt für 20 Stunden wöchentlich zur Verfügung. Nach der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers hatte die Arbeitszeit 13,5 Stunden wöchentlich umfasst, das Arbeitsentgelt von Juni 2011 bis Mai 2012 habe EUR 12.474.46 betragen, der Juni 2012 sei nicht mehr abgerechnet worden. Kurz danach wies die Regionaldirektion der Beklagten darauf hin, dass die Dezemberentgelte der entlassenen Mitarbeiterinnen des Arbeitgebers allesamt geändert werden müssten. Bei der Klägerin erhöhte sich dadurch das Entgelt für Juni 2011 bis Mai 2012 auf EUR 12.555,58. Auf dieser Basis bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid (Änderungsbescheid) vom 16.07.2012 Alg in Höhe von EUR 18,34 für 360 Tage ab dem 01.07.2012. Dem lagen im Einzelnen zu Grunde ein Bemessungsentgelt von 11.535,84 EUR aus den 333 Tagen von Juli 2011 bis Mai 2012 und daraus folgend von EUR 34,64 täglich, die Lohnsteuerklasse 3, daraus folgend ein Leistungsentgelt täglich 27,37 EUR sowie der erhöhte Leistungssatz von 67%). Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 23.07.2012 Widerspruch. Zur Begründung machte sie geltend (Schriftsatz vom 02.08.2012), dass sie gegen den Arbeitgeber noch Lohnansprüche aus der Vergangenheit geltend mache, die jedoch noch der arbeitsgerichtlichen Klärung bedürften. In einem ersten Schritt sei festzustellen, dass der Arbeitgeber in den letzten eineinhalb Jahren vor der Arbeitslosigkeit einen höheren monatlichen Lohn hätte zahlen müssen. Danach müsse geprüft werden, ob aufgrund der Insolvenz, auch ohne Nachzahlung, das Alg auf der Basis der tatsächlich zu vergütenden Monatslöhne zu berechnen sei. Mit Bescheid vom 06.08.2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Bemessungszeitraum umfasse die Entgeltabrechnungszeiträume vom 01.07.2011 bis 31.05.2012, weil der Juni 2012 beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet gewesen sei. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe, gölten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Im Bemessungszeitraum sei in 333 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 11.535,84 EUR erzielt worden. Hieraus ergebe sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt (Bemessungsentgelt) von 34,64 EUR. Es stehe gegenwärtig weder fest, dass aus den vorhandenen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen noch weitere Ansprüche beständen, noch sei bislang gar eine Auszahlung infolge nachträglicher Vertragserfüllung erfolgt. Sollte sich im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens herausstellen, dass die Klägerin noch in nachträglicher Vertragserfüllung Anspruch auf für die Bemessung des Arbeitslosengeldes relevantes höheres Arbeitsentgelt habe und sollte dieses Arbeitsentgelt nachträglich ausgezahlt werden, würde die Beklagte dies im Rahmen eines Änderungsbescheids (Teilaufhebungsbescheids) berücksichtigen. Am 09.08.2012 hat die Klägerin in dieser Sache Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben. 4. Parallel hierzu entstand zwischen den Parteien Streit wegen einer Ortsabwesenheit der Klägerin vom 30.07. bis zum 20.08.2012. Hieraus folgten letztlich vier Bescheide vom 04.09.2012, mit denen die Beklagte die Alg-Bewilligung für die Zeit ab dem 30.07.2012 aufhob, ab dem 20.08.2012 wieder Alg (in unveränderter Höhe für noch 331 Tage) bewilligte, die Erstattung des vom 30.07. bis 06.08.2012 erhaltenen Alg in Höhe von EUR 128,38 festsetzte und letztlich die Klägerin zur Ersetzung der für diese Zeit geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von zusammen EUR 33,85 aufforderte. Diese vier Bescheide focht die Klägerin mit Widersprüchen an, über die noch nicht entschieden ist. 5. In dem laufenden Klageverfahren vor dem SG hat die Klägerin vorgetragen, der Arbeitgeber sei zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilt, ihre Arbeitszeit rückwirkend ab Juni 2011 zu erhöhen. Der tatsächlich erzielte, geringere Verdienst sei daher nach § 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen Annahmeverzugs aufzustocken. Leider sei einer solchen Lohnverzugsklage die Insolvenz des Arbeitgebers dazwischengekommen, sodass die Verzugslohnansprüche für Juni 2011 bis Juni (Mai) 2012 nur noch zur Tabelle hätten angemeldet werden können. Wegen Masseunzulänglichkeit werde es keine Zahlungen mehr geben. Die Beklagte sei aber verpflichtet, (auch) das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht erzielt worden sei. Bei 23 Wochenstunden und 100,05 Stunden im Monat ergebe sich ein tägliches Bemessungsentgelt von EUR 45,02, wobei zu Gunsten der Beklagten Einmalzahlungen nicht berücksichtigt seien. Zur Stützung ihres Begehrens hat die Klägerin Auszüge des MV übersandt. Hierzu hat sie ergänzend vorgetragen, nach der tarifvertraglichen Regelung sei zwar unklar, ob die Vertragsänderung konstitutive oder nur deklaratorische Wirkung entfalte. Diese Unklarheit sei aber nicht erheblich: Bei einer deklaratorischen Wirkung entständen sofort Verzugslohnansprüche, bei einer konstitutiven Vertragsänderung beständen wegen der verzögerten Vertragsannahme des Arbeitgebers Schadensersatzansprüche, die aber ihrerseits als entgangener Lohn ebenfalls der Sozialversicherungspflicht unterlägen, sofort fällig seien und damit von der Beklagten berücksichtigt werden müssten. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, Versäumnisurteilen komme grundsätzlich keine Tatbestandswirkung für das sozialrechtliche Verfahren zu, weil sie nur auf dem jeweiligen Parteivorbringen und einer Schlüssigkeitsprüfung beruhten. Außerdem besage das Urteil nichts über den Lohnanspruch der Klägerin. Eventuelle Lohnansprüche hätten gesondert geltend gemacht werden müssen. Bei der Annahme des Angebots der Klägerin auf Erhöhung ihrer vertraglichen Arbeitszeit handele es sich um eine nachträgliche Vertragsänderung. Es liege insoweit mangels Auszahlung gerade keine nachträgliche Vertragserfüllung vor. Arbeitsentgelte aufgrund nachträglicher Vertragsänderungen könnten bei der Bemessung des Alg aber generell nicht berücksichtigt werden. In diesem Rahmen sei auch die Zahlungsunfähigkeit nicht alleine Ursache für den nicht erfolgten Zufluss gewesen. 6. Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 23.07.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, neben dem ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 16.07.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 06.08.2012 sei auch einer der Bescheide vom 04.09.2012 nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden, nämlich der Bescheid über die Aufhebung der Alg-Bewilligung ab dem 30.07.2012. In der Sache habe die Klage jedoch keinen Erfolg. Zur Höhe des Alg führte das SG aus, ein Fall des § 151 Abs. 1 S. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) liege nicht vor. Nach dieser Vorschrift gölten neben den tatsächlich erhaltenen Entgelten Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin einen Anspruch auf einen höheren Beschäftigungsumfang und möglicherweise in der Folge auf eine höheres Arbeitsentgelt, sei es auch in Form von Schadensersatz, gehabt habe. Denn selbst wenn ein solcher Entgeltanspruch bestanden habe, sei der Klägerin dieses Entgelt weder später zugeflossen noch allein wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen. Hierbei müsse die Zahlungsunfähigkeit alleinige Ursache des fehlenden Zuflusses sein. Eine alleinige Kausalität sei dann zu verneinen, wenn die Zahlung auch aus anderen Gründen oder zunächst aus anderen Gründen unterblieben, später aber Zahlungsunfähigkeit hinzugetreten sei. Es solle verhindert werden, dass sich die Parteien eines Arbeitsvertrages nachträglich rückwirkend auf ein höheres Arbeitsentgelt verständigten, ohne dass der Arbeitgeber den höheren Betrag auch an den Arbeitnehmer auszahlen müsse. Ferner solle verhindert werden, dass umfangreiche Ermittlungen zu arbeitsrechtlichen Fragen notwendig würden, die die Beklagte nicht leisten könne. Dies gelte insbesondere dann, wenn - wie hier - zwar ein arbeitsgerichtliches Urteil vorliege, das aber nur ein Versäumnisurteil sei und daher keine Bindungswirkung für das sozialgerichtliche Verfahren entfalte. Im konkreten Falle seien - neben der späteren Zahlungsunfähigkeit - auch die Meinungsverschiedenheiten der Klägerin und dem Arbeitgeber über den Beschäftigungsumfang Grund für die Nichtzahlung gewesen. Dies zeige sich schon daran, dass die arbeitsgerichtliche Klage wegen der Erhöhung des wöchentlichen Arbeitsumfangs schon vor Eintritt der Insolvenz anhängig gewesen sei. Wegen der Aufhebung der Bewilligung ab dem 30.07.2012 wegen Ortsabwesenheit wird auf die Ausführungen des SG Bezug genommen. 7. Gegen dieses Urteil, ihren Prozessbevollmächtigten am 26.08.2013 zugestellt, hat die Klägerin am 19.09.2013 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt ergänzend vor: Das Versäumnisurteil sei rechtskräftig geworden. Mit ihm sei der Arbeitsvertrag nicht nur für die Zukunft, sondern rückwirkend auf den 01.06.2011 geändert worden. Es habe damit auch ein höherer Vergütungsanspruch der Klägerin im Bemessungszeitraum bestanden. Ob dieser auf Annahmeverzug basiere oder eine betragsmäßig identische Schadensersatzforderung darstelle, sei unerheblich. Dass eine Zahlungsklage nicht tituliert gewesen sei, spiele keine Rolle, da der Arbeitgeber zur Zahlung verpflichtet gewesen sei. Lediglich die zufällige Insolvenz habe es der Klägerin unmöglich gemacht, ihren Anspruch durch eine Zahlungsklage zu realisieren. Es gebe keine Hinweise dafür, dass der Arbeitgeber seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen wäre. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.07.2014 hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Aufhebungsbescheid vom 04.09.2012 aller Voraussicht nach nicht nach § 96 Abs. 1 SGG in das laufende Verfahren einbezogen worden sei, aber noch ein Widerspruch schwebe. Die Klägerin hat ihre Klage daraufhin insoweit zurückgenommen. Die Klägerin beantragt demnach noch, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Juli 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06. August 2012 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab dem 01. Juli 2012 auf der Basis eines täglichen Bemessungsentgelts von EUR 45,09 zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält daran fest, dass nachträgliche rückwirkende Änderungen des Entgeltanspruchs bei der Bemessung des Alg nicht zu berücksichtigen seien. Ferner sei die Zahlung nicht allein wegen der Insolvenz unterblieben.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin in dem nach der Teil-Erledigung verbliebenen Umfang ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 143 SGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes höher als EUR 750,00 liegt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber im Ergebnis nicht begründet. Das SG hat die Klage wegen der Höhe des Alg zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat den Alg-Anspruch der Klägerin ab dem 01.07.2012 richtig berechnet. a) Die rechtlichen Voraussetzungen über die Bestimmung des Bemessungsentgelts nach § 151 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der hier schon anwendbaren Fassung vom 01.04.2012 hat das SG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargestellt. Der Senat verweist, um Wiederholungen zu vermeiden, auf jene Ausführungen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Gleiche gilt für die Berechnung des Alg auf der Basis des tatsächlich geflossenen Lohns. Die Klägerin hat nicht angezweifelt, dass die Beklagte in diesem Rahmen das Bemessungsentgelt von EUR 11.535,84 zutreffend errechnet hat. Insbesondere war es zulässig, als Bemessungszeitraum nur die elf Monate von Juli 2011 bis Mai 2012 zu Grunde zu legen. Der Juni 2012 war nicht mehr zu berücksichtigen, da dieser Monat nicht mehr abgerechnet worden war, bevor die Klägerin arbeitslos wurde (§ 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen umfasste aber gleichwohl nur das Jahr vor der Arbeitslosigkeit (§ 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Insbesondere war er nicht nach § 150 Abs. 3 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre zu verlängern, weil die Klägerin auch in dem elfmonatigen Bemessungszeitraum in diesem Rahmen mehr als 150 Tage mit beitragspflichtigem Entgelt gearbeitet hatte, nämlich 333 Tage. Die Zeiträume vor Juli 2011, in denen die Klägerin noch Überstunden geleistet hatte, waren daher im Ergebnis nicht mehr zu berücksichtigen. b) Dem so ermittelten Bemessungsentgelt waren keine weiteren Entgelte nach § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III hinzuzurechnen. Nach dieser Sonderregelung gilt auch ein Arbeitsentgelt als - im Bemessungszeitraum - erzielt, auf das der Versicherte "beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis" "Anspruch hatte" und dass entweder "zugeflossen ist" oder "nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen" ist. aa) Weitergehend als das SG ist der Senat bereits der Ansicht, dass die Klägerin bei Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis - dies war der Tag vor Beginn der unwiderruflichen Freistellung, also der 30.06.2012 - keinen Anspruch auf ein Arbeitsentgelt hatte, das höher war als das abgerechnete. Insofern kommt es auf die Frage, ob später Arbeitsentgelt zugeflossen ist oder nur wegen des Insolvenzverfahrens nicht mehr zugeflossen ist, nicht an: Dies folgt bereits aus einer wortlautorientierten Auslegung des § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III unter Berücksichtigung der zivilrechtlichen Vorschriften: Die Frage, ob zu einem bestimmten Tag bereits ein Anspruch auf höheren Arbeitslohn bestand, kann wegen der zivilrechtlichen Möglichkeit rückwirkender Vertragsgestaltung ex ante anders zu beurteilen sein als ex post. Sofern ein Vertragspartner nicht durch Willenserklärung einer Vertragsänderung zustimmt - das hat der Arbeitgeber der Klägerin nie getan - und durch eine Zustimmungsklage dazu verurteilt werden muss, bestimmt § 894 Zivilprozessordnung (ZPO), dass die Willenserklärung - erst - als abgegeben gilt, sobald das Urteil Rechtskraft erlangt. Sie wirkt dann zwar materiellrechtlich zurück, ändert also den Vertrag rückwirkend. Aber dies ist nur eine Fiktion, die im Sozialrecht unberücksichtigt bleibt. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 25.01.1996 (7 RAr 10/94, Juris Rn. 18) entschieden. Es hat dort ausgeführt, dass eine - später sogar tatsächlich erbrachte - "Nachzahlung jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen (ist), wenn der Anspruch darauf nach der Entstehung des Stammrechts und des ersten daraus erwachsenden Leistungsanspruchs begründet worden ist". Es geht also um die "Begründung" des Anspruchs und nicht um seine etwaige zivilrechtliche Rückwirkung. Im Falle der Klägerin nun bestand bei ihrem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis am 30.06.2012 - noch - kein Anspruch auf höheren Lohn. Was - möglicherweise - bestand, war ein Anspruch aus dem MV auf Abänderung des Vertrags, auf Erhöhung von Stundenzahl und Lohnanspruch. Aber ein Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung zur Erhöhung eines Lohnanspruchs ist etwas anderes als der Anspruch auf den Lohn selbst. § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III spricht eindeutig von einem Anspruch auf Arbeitsentgelt. Zwar hatte das ArbG den Arbeitgeber zu jenem Zeitpunkt bereits zur Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung auf Änderung des Arbeitsvertrags verurteilt, und zwar durch das VU vom 02.12.2011. Aber jenes Urteil war noch nicht rechtskräftig, weil der Arbeitgeber fristgemäß Einspruch eingelegt hatte. Rechtskraft ist frühestens am 16.08.2012 eingetreten: Erst am 06.07.2012 hatte das ArbG über den Einspruch des Arbeitgebers entschieden und das VU aufrecht erhalten. Dieses 2. VU wurde dem nunmehr beklagten Insolvenzverwalter am 16.07.2012 zugestellt. Die einmonatige Berufungsfrist nach § 517 Satz 1 ZPO (vgl. zur Berufung gegen ein 2. VU § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO) lief demnach am 16.08.2012 ab. Erst an diesem Tag ist die Verurteilung formell rechtskräftig geworden und die Wirkungen des § 894 ZPO traten ein. Die Klägerin war jedoch - wie ausgeführt - bereits ab dem 01.07.2012 aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden und ihr Stammrecht auf Alg war entsprechend ab jenem Tage entstanden. Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des BSG (a.a.O., Rn. 17) und der Landessozialgerichte (vgl. nur LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 17.08.1995, L 2 Ar 18/95, Juris). Dort wird jeweils zwischen nachträglicher Vertragserfüllung und nachträglicher Vertragsänderung unterschieden (so auch Brand, SGB III, 6. Aufl. 2012, § 151 Rn. 12). Zu berücksichtigen ist Arbeitsentgelt demnach nur dann, wenn es bereits im Bemessungszeitraum beansprucht werden konnte, aber erst später - z. B. aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Urteils oder Vergleichs - gezahlt worden ist (oder nach der Neufassung der Norm nur auf Grund einer Zahlungsunfähigkeit nicht mehr zugeflossen ist). Hier muss also im Bemessungszeitraum bereits der Lohnanspruch bestanden haben. Wenn es sich dagegen um rückwirkende Vertragsänderungen (z. B. rückwirkend tariflich vereinbarte Lohnerhöhungen) handelt, die erst nach Eintritt des Leistungsfalls vereinbart worden sind, kommt eine nachträgliche Berücksichtigung nicht in Frage. Dies sind Fälle, in denen auch der (höhere) Lohnanspruch noch nicht besteht, sondern z.B. erst erzwungen werden muss, etwa durch eine Zustimmungsklage wie hier. Eine nachträgliche Vertragsänderung liegt demnach schon dann vor, wenn die bereits geleistete Arbeit eines Versicherten nachträglich, aber mit Rückwirkung, höher vergütet wird. Diese letzte Erwägung weist darauf hin, dass die gefundene Auslegung des § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht: Der Alg-Anspruch des Arbeitnehmers knüpft an die geleistete Arbeit an. Der Versicherte soll nicht schlechter gestellt werden, weil diese Arbeit erst nachträglich - aber eben noch vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis - höher bewertet und vergütet wird als in den jeweils zeitnahen Abrechnungszeiträumen. Wenn es aber um nachträglich begründete Lohnansprüche geht, für die überhaupt keine Arbeitsleistung erbracht worden ist, wäre eine Berücksichtigung zu Gunsten des Arbeitnehmers ungerechtfertigt, jedenfalls dann, wenn diese Ansprüche erst nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses begründet werden, selbst wenn es sich nicht um Schadensersatz-, sondern um Lohnansprüche aus Annahmeverzug (§ 615 BGB) oder dgl. geht. Das Beschäftigungsverhältnis, auf das § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III abstellt, ist durch die tatsächliche Arbeitsleistung geprägt. Raum für Fiktionen besteht hier anders als im zivilrechtlichen Arbeitsverhältnis nicht. So war es auch bei der Klägerin: die zusätzlichen Stunden, die nach der Vertragsänderung, die sie erstritten hat, ggfs. zu vergüten waren, hatte sie tatsächlich gar nicht geleistet. Dies gilt zumindest für den hier relevanten Bemessungszeitraum ab dem 01.06.2011. Die Klägerin hatte nämlich im arbeitsgerichtlichen Prozess unwidersprochen vorgetragen, der Arbeitgeber habe nach Einreichung der Klage keine Mehrarbeitsstunden mehr zugelassen. Sie hatte die Klage bereits im Mai 2011 erhoben. Dass dies nicht freiwillig geschah, die Klägerin also im Prinzip weiterhin zu Mehrarbeit bereit gewesen wäre, ändert an der Tatsache nichts, dass das Beschäftigungsverhältnis weiterhin nur 13,5 Stunden pro Woche umfasste. Es fällt nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten, wenn ein Arbeitgeber entgegen früherer Praxis keine Mehrarbeit mehr anordnet. bb) Unabhängig von der Frage, ob ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestand, scheidet eine Berücksichtigung nach § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch deshalb aus, weil der Klägerin nachträglich kein Lohn zugeflossen ist und die Insolvenz des Arbeitgebers auch nicht der ausschließliche Grund dafür war. Die zweite Variante dieser Norm ist eng auszulegen, um missbräuchliche Vereinbarungen zwischen Versichertem und Arbeitgeber zu Lasten der Arbeitsverwaltung auszuschließen (vgl. im Einzelnen Brand, a.a.O., Rn. 13; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19.05.2005, L 2 AL 2/02, Juris Rn. 27). Der alleinige Grund für die Nichtzahlung ist die Zahlungsunfähigkeit aber nur dann, wenn bei rückschauender Betrachtung ohne die Insolvenz der Lohnanspruch kurzfristig zu realisieren gewesen wäre. Dazu ist vonnöten, dass er entweder unstreitig war oder aber zumindest tituliert, sodass mit einer Befriedigung im Vollstreckungswege zu rechnen war. Diese Voraussetzungen fehlten hier. Der Arbeitgeber hatte sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit umfangreichem Vortrag und Vorwürfen gegenüber der Klägerin gegen den Zustimmungsanspruch gewehrt. Es wäre daher ein vollstreckbarer Zahlungstitel nötig gewesen, den die Klägerin aber vor der Insolvenz nicht mehr erlangt hat und nach dem Zeitablauf wegen § 894 ZPO auch nicht mehr erlangen konnte. Es kann angenommen werden, dass der Arbeitgeber auch im Zahlungsprozess streitig aufgetreten wäre. c) Gegen die Berechnung des Zahlbetrags des Alg aus dem zutreffend ermittelten Bemessungsentgelt sind Einwände nicht erhoben worden und auch nicht ersichtlich. 2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG. 3. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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