L 8 AL 2833/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AL 106/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 2833/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Hat ein Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Konzernsanierungstarifvertrages auflösend bedingt (hier: Insolvenzantrag des Arbeitgebers) im Bemessungszeitraum auf Arbeitsentgelt verzichtet und wurde dieser nach Bedingungseintritt nun fällig gewordene Arbeitsentgeltanspruch alleine wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht erfüllt, ist das Arbeitslosengeld auch unter Berücksichtigung der nicht ausgezahlten Arbeitsentgeltanteile zu bemessen.

2. Eine rechtsmissbräuchliche Vergesellschaftung des Verzichtes auf Arbeitsentgelt kann dem nach tariflichen Regelungen zu einem „Konsolidierungsbeitrag“ herangezogenen Versicherten nicht entgegengehalten werden.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.06.2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil den Bescheid der Beklagten vom 27.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2011 ändert.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte für die Zeit vom 01.07.2011 bis 03.07.2011 ein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld zusteht (kalendertäglich 64,60 EUR statt bewilligter 61,95 EUR).

Der Kläger, geboren 1979 (Lohnsteuerklasse 3, 2 Kinderfreibeträge), war seit 02.09.1996 als Flachdrucker bei der s. GmbH in F. (Arbeitgeberin) versicherungspflichtig beschäftigt. Die s. G. AG (zum Unternehmen vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/S. g.), zu der die s. GmbH gehört, und ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - schlossen zur Abwendung einer existenzbedrohenden Situation mit Wirkung für die Zeit vom 01.07.2009 bis 30.09.2012 einen Konzerntarifvertrag (KTV) mit Wirkung für Teilregelungen bis 31.12.2013 (vgl. § 7 KTV, dazu vgl. Blatt 15/19 der SG-Akte; zum Ergebnisprotokoll vgl. Blatt 23/32 der SG-Akte), der auch die s. GmbH erfasste. Darin war u.a. vereinbart worden: "§ 2 Konsolidierungsbeitrag der Beschäftigten 2.1 Die nachfolgenden Vereinbarungen werden in den tarifgebunden Unternehmen in ergänzenden Firmentarifverträgen konkretisiert und abgeschlossen. 2.2. In den tarifgebunden Unternehmen s., [ ] werden die Konsolidierungsbeiträge der tarifgebundenen Beschäftigten entsprechend § 1 des Ergebnisprotokolls vom 26.06.2009 vorgenommen. 2.3 [ ] 2 4 [ ]

§ 3 Beschäftigungssicherung 3.1 Ab Inkrafttreten dieses Konzerntarifvertrages, d.h. dem 01.07.2009 bis 31.12.2013, ist der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen in den Unternehmen S. GmbH, [ ]ausgeschlossen. Der tarifliche Kündigungsschutz endet zum 31.12.2013, Dies gilt nicht, soweit in den jeweiligen Firmentarifverträgen-Konsolidierung gem, Ziff. 7.2. dieses Konzerntarifvertrages, anderweitige Regelungen getroffen werden. 3.2 Für jeden Arbeitnehmer, der in den Unternehmen [ ] s. g. AG auf Entgelt nach diesem Tarifvertrag verzichtet, gilt ab der rechtswirksamen Vereinbarung über diesen Verzicht ebenfalls das Verbot des Ausspruches betriebsbedingter Kündigungen bis 31.12.2013. [ ] 3.3 Meldet die S. g. AG Insolvenz an, leben die vollen Ansprüche auf die tariflichen Leistungen bzw. Entgeltleistungen in sämtlichen betroffenen Unternehmen wieder auf. Wenn eines der in § 1 Ziffer 1.1 genannten Unternehmen Insolvenz anmeldet, leben die vollen Ansprüche auf Entgeltleistungen für die von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Mitarbeiter dieses Unternehmens wieder auf. Die s. g. AG muss die gekürzten Beträge wieder zurückzahlen. ver.di hat in diesem Fall das Recht auf fristlose Kündigung dieses Tarifvertrages."

In dem zum Konzerntarifvertrag gehörenden Ergebnisprotokoll der Verhandlungen war u.a. folgendes vereinbart worden: "1. Entfall von Einmalzahlungen 1.1 In den tarifgebundenen Unternehmen [ ...] s. GmbH, entfallen in den kommenden Jahren dreimal die tariflichen Sonderzahlungen (TJL und ZUG) zu jeweils 50%. Im ersten Jahr 2009/2010 entfallen einmalig die Sonderzahlungen (TJL und ZUG) zu 53%. Die Auszahlungen für die verbleibenden 47 % bzw. 50 % der Sonderzahlungen werden in den Unternehmen auf Juni und November verteilt. 1.2 [ ...] 1.3 Abweichend von dieser Regelung gilt für die s. GmbH folgende Vereinbarung. Die erste in diese Laufzeit fallende Sonderzahlung (TJL und ZUG) wird zu je 73,5% ausbezahlt. [ ] 4. Beschäftigungssicherung 4.1 Die Beschäftigungssicherung in den tarifgebundenen Unternehmen regelt sich nach den tarifvertraglichen Bestimmungen. Soweit in den Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind, tatsächlich Entgeltverzichte erfolgen, gilt die tarifliche Beschäftigungssicherung analog."

Zusätzlich schlossen die s. GmbH und ver.di im Oktober 2009, zum 01.07.2009, einen ergänzenden "Firmentarifvertrag Konsolidierung" (FTV, Blatt 86/87 der SG-Akte) und vereinbarten eine Kürzung der tariflichen Jahresleistung 2009, des zusätzlichen Urlaubsgeldes 2010 um 53 %, der tariflichen Jahresleistung 2010 und 2011 sowie des zusätzlichen Urlaubsgeldes 2011 und 2012 um 50 %. In § 3 FTV vereinbarten die Parteien den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 31.12.2013 und das Aufleben der vollen Ansprüche auf die tariflichen Entgeltleistungen bei Insolvenzanmeldung der Arbeitgeberin.

In dem Protokoll über die Tarifverhandlungen bei der s. g. AG vom 02.07.2010 (Blatt 99/100 der SG-Akte) vereinbarten die Tarifparteien in Ergänzung zum KTV (§ 4 KTV), dass die zum 01.04.2010 wirksamen tariflichen Lohn- und Gehaltserhöhungen von 2 % um zwölf Monate verschoben und zum 01.04.2011 wirksam würden. Vorgesehen war außerdem die Absenkung des zusätzlichen Urlaubsgeldes sowie der Jahresleistung für 2010 auf jeweils 20% und für 2011 auf jeweils 30% des tariflichen Anspruchs.

Von November 2009 bis Dezember 2010 zahlte die Arbeitgeberin die Konsolidierungsbeträge wie vereinbart nicht an den Kläger und die übrigen tarifgebundenen Beschäftigten aus. Am 18.01.2011 beantragten die Arbeitgeberin und die s. G. AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Daraufhin schlossen die Arbeitgeberin und ver.di am 18.03.2011 eine Vereinbarung zur Auslegung des KTV (Blatt 43/48 der SG-Akte), die u.a. folgende Erklärungen enthielt: "§ 1 Auslegung des Konzerntarifvertrags [ ...] Aufgrund des in Ziffer 3.3 des Konzerntarifvertrages enthaltenen "Besserungsscheins" werden die Arbeitnehmer so gestellt, als hätte es die absenkenden tariflichen Regelungen nicht gegeben. D.h. es werden 100 % der tariflichen Jahressonderzahlungen und 100 % des zusätzlichen tariflichen Urlaubsgeldes pro rata temporis bis zum 31.03.2011 geschuldet. Auch die vom 01.04.2010 und den 01.04.2011 erfolgte Verschiebung der Tariflohnerhöhung um 2 % ist ab dem 01.04.2010 geschuldet. Für die Zeit ab 01.04.2011, d.h. ab Insolvenzeröffnung, gelten die tarifvertraglichen Absenkungen nach der Auslegung des § 3 Ziffer 3.3 des Konzerntarifvertrages vom 09.10./13.10./14.10.2009 wieder. Das bedeutet, dass ab dem 01.04.2011 die 2%ige Tariflohnerhöhung nicht mehr erfolgt und die tarifliche Jahressonderzahlung und das zusätzliche tarifliche Urlaubsgeld jeweils nur zu 30% geschuldet werden."

Das Amtsgericht Stuttgart eröffnete am 01.04.2011 das Insolvenzverfahren über die Arbeitgeberin und die s. G. AG. Der Insolvenzverwalter Dr. B. kündigte dem Kläger am 27.05.2011 zum 31.08.2011 aus betrieblichen Gründen (Blatt 7 der Beklagtenakte). Der Kläger vereinbarte mit dem Insolvenzverwalter am 31.05.2011 die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2011 (Blatt 70/71 der Beklagtenakte). Der Kläger und der Insolvenzverwalter vereinbarten auch, dass sämtliche gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erledigt seien, mit Ausnahme der Forderungen, die zur Insolvenztabelle angemeldet worden seien.

Am 08.06.2011 meldete sich der Kläger persönlich bei der Beklagten mit Wirkung zum 01.07.2011 arbeitssuchend und arbeitslos (Blatt 1 der Beklagtenakte; zur Arbeitsbescheinigung vgl. Blatt 2/6 der Beklagtenakte). Zugleich teilte er mit, zum 04.07.2011 eine neue Tätigkeit aufzunehmen. In seiner Anhörung zum Eintritt einer Sperrzeit (Blatt 13 der Beklagtenakte) gab er an, nach der Insolvenz des Arbeitgebers einen neuen Arbeitsplatz gefunden zu haben und daher einen Aufhebungsvertrag zum 30.06.2011 unterschrieben zu haben. Er dürfe jedoch anders als mündlich versprochen, nicht schon zum 01.07.2011 anfangen, sondern erst zum 04.07.2011.

Mit Bescheid vom 27.10.2011 (Blatt 26/27 der Beklagtenakte) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.12.2011 (Blatt 30/32 der Beklagtenakte) bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01. bis 03.07.2011 unter Berücksichtigung der in der Arbeitsbescheinigung angegebenen Entgelte für Juli 2010 bis Juni 2011. Sie legte dabei ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 140,65 EUR zugrunde, so dass sich ein täglicher Leistungssatz in Höhe von 61,95 EUR (Lohnsteuerklasse 3, Prozentsatz von 67%) ergab.

Am 05.01.2012 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Er habe wegen der Vereinbarungen im Tarifvertrag einen Anspruch auf höheres Arbeitsentgelt gehabt. Bei der Berechnung des Bemessungsentgelts seien auch die Arbeitsentgelte zugrunde zu legen, auf die er beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe und die nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Zu berücksichtigen seien daher auch solche Entgeltbestandteile, die aufgrund der Verzichtsleistungen im Sanierungstarifvertrag nicht ausbezahlt worden seien. Diese Verzichtsleistung sei in der Entgeltbescheinigung des Insolvenzverwalters nicht berücksichtigt. Auch der Verzicht von 2010 auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und die Tariflohnerhöhung müsse bei der Berechnung seines Arbeitslosengeldes berücksichtigt werden.

Das SG hat nach Durchführung eines Erörterungstermins am 16.01.2013 (zur Niederschrift vgl. Blatt 58 der SG-Akte) den Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt Dr. B., schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat in seiner Auskunft vom 26.03.2013 (Blatt 80/128 der SG-Akte) ausgeführt, aus § 3 Ziff. 3.3 KTV ergebe sich, dass die vollen Ansprüche auf tarifliche Leistungen wieder aufleben sollten, wenn die s. g. AG Insolvenz anmelde. Die bis 31.12.2010 geleisteten Verzichtsbeträge seien ausnahmslos zur Insolvenztabelle angemeldet worden. Vom 01.01.2011 bis zum 31.03.2011 seien sowohl die tarifliche Entgelterhöhung ausgezahlt worden, als auch die auf den Abrechnungsmonat entfallenden anteiligen Beträge für tarifliche Jahresleistung und zusätzliches Urlaubsgeld. Ab 01.04.2011 sei die 2%ige Tariflohnerhöhung vollständig entfallen. Urlaubsentgelt und tarifliche Jahresleistung seien gekürzt und anteilig gezahlt worden. In der Arbeitsbescheinigung habe er nur die ausgezahlten Entgeltbestandteile bescheinigt und nicht die zur Insolvenztabelle angemeldeten Verzichtsbeträge.

Die Beklagte hat ausgeführt (Blatt 134/135 der SG-Akte), da die Insolvenz des Arbeitgebers nicht alleinige Ursache des unterbliebenen Zuflusses der Tariferhöhung sowie von Teilen der Einmalzahlungen gewesen sei, sondern der vorherige Verzicht als Konsolidierungsbeitrag im KTV vorausgegangen sei, komme § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht zur Anwendung.

Das SG hat mit Urteil vom 05.06.2013 die Beklagte unter Abänderung "des Bescheides vom 22.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2011" verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.07. bis 03.07.2011 unter Berücksichtigung eines um 2.843,82 EUR erhöhten Entgelts im Bemessungszeitraum Juli 2010 bis Juni 2011 zu gewähren. Zugleich hat das SG die Berufung zugelassen. Der Kläger habe laut Arbeitsbescheinigung im Bemessungszeitraum ein Arbeitsentgelt i.H.v. insgesamt 51.335,83 EUR erzielt, welches von der Beklagten berücksichtigt worden sei. Zusätzlich seien die zu der Insolvenztabelle angemeldeten Arbeitsentgelte (tarifliche Lohnerhöhung von 2 % sowie Einmalzahlungen i.H.v. insgesamt 2.843,82 EUR) für den Bemessungszeiträum erhöhend als Bemessungsentgelt zu berücksichtigen. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe, gälten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Der Kläger habe bei seinem Ausscheiden Anspruch auf diese Entgeltbestandteile gehabt. Einer Berücksichtigung stehe nicht der mit dem Insolvenzverwalter geschlossene Aufhebungsvertrag entgegen, da in der Abgeltungsklausel die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen ausdrücklich ausgenommen seien. Die tarifliche Lohnerhöhung von 2 % sowie die Einmalzahlungen habe der Kläger nur teilweise tatsächlich erhalten. Auch die Verzichtsvereinbarungen im KTV samt Protokollen und Ergänzungen sowie im FTV könnten einer Berücksichtigung der zur Insolvenztabelle angemeldeten Arbeitsentgelte nicht entgegenstehen. Zwar seien diese Arbeitsentgelte in den Monaten Juli 2010 bis Dezember 2010 aufgrund der Verzichtsvereinbarungen nicht zugeflossen, allerdings habe es sich dabei nicht um einen einseitigen Verzicht zum Nachteil der Arbeitnehmer gehandelt. Vielmehr sei der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen bis zum 31.12.2013 als "Gegenleistung" ausgeschlossen und ein Aufleben der Ansprüche bei Insolvenzanmeldung vereinbart gewesen. Der Verzicht habe daher unter einer auflösenden Bedingung gestanden. Mit Eintritt der auflösenden Bedingungen des § 3 Abs. 3 Satz 1 KTV und des § 3 FTV seien die Ansprüche des Klägers gegenüber den betroffenen Unternehmen wieder aufgelebt. Der Zufluss dieser Arbeitsentgelte sei nach Auskunft des Insolvenzverwalters ab diesem Zeitpunkt allein wegen der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin unterblieben und die Ansprüche seien folgerichtig zur Insolvenztabelle angemeldet worden.

Gegen das ihr am 25.06.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.07.2013 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Nach § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. gälten Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Das BSG (05.12.2006 - B 11 a AL 43/05 R) habe zur Vorgängerregelung § 134 Abs. 1 Satz 2 SGB III entschieden, es reiche nicht aus, wenn Zahlungen zunächst aus anderen Gründen unterblieben seien und erst im weiteren Verlauf die Zahlungsunfähigkeit hinzugetreten sei. Für eine Berücksichtigung dieser Entgeltteile bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes sei erforderlich, dass das Arbeitsentgelt ausschließlich aufgrund Zahlungsunfähigkeit nicht zugeflossen sei. Die Zahlungsunfähigkeit müsse die alleinige Ursache für den fehlenden Zufluss sein. Dieser Rechtsprechung habe sich auch der 7a Senat des BSG angeschlossen (14.12.2006 - B 7a AL 54/05 R). Dass vorliegend der Zufluss der dem Kläger ab Januar 2011 wieder zugestandenen Arbeitsentgelte allein wegen der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin unterblieben sei, sei nicht entscheidend, da eine Einbeziehung von Lohnverzicht in das Bemessungsentgelt allein von einer Nichtzahlung wegen Zahlungsunfähigkeit abhängig zu machen sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.06.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Beklagte verkenne, dass der im KTV vereinbarte Gehaltsverzicht nicht endgültig gewesen sei, sondern unter der auflösenden Bedingung für den Fall der Insolvenzanmeldung gestanden habe. Wie in dem vom BSG entschiedenen Fall sei auch vorliegend der im KTV vereinbarte Gehaltsverzicht, da er unter der auflösenden Bedingung für den Fall der Insolvenzanmeldung gestanden habe, lediglich als Stundungsvereinbarung zu verstehen. Im vorliegenden Fall stehe fest, dass zum Zeitpunkt des Wiederauflebens seiner Ansprüche bzw. der Fälligkeit diese wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht bezahlt werden konnten.

Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten in einem nichtöffentlichen Termin am 19.12.2013 erörtert (zur Niederschrift vgl. Blatt 20/22 der Senatsakte). Hier hat der Kläger erklärt, aus der Insolvenztabelle keine Zahlung erhalten zu haben. Von Januar bis Ende März 2011 habe er Insolvenzgeld bekommen, das vom Arbeitgeber vorfinanziert worden sei und wofür er eine Abtretungserklärung unterschrieben habe. Später sei ihm nichts mehr zugeflossen. Für den Zeitraum vom 01.04. bis zum 30.06.2011 habe er vom Insolvenzverwalter das ausbezahlt bekommen, was auch nach den tariflichen Regelungen zugestanden habe.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 28.01.2014 (Blatt 25/27 der Senatsakten) Unterlagen aus dem Insolvenzgeldverfahren vorgelegt. Grundlage für die Berechnung des Insolvenzgeldes seien die vom Insolvenzverwalter vorgelegten Lohnabrechnungen für die Monate Januar 2011 bis März 2011 gewesen. Bestandteile des bescheinigten Arbeitsentgelts seien u.a. sowohl die tarifliche Entgelterhöhung als auch die anteiligen Beträge für die tarifliche Jahresleistung und das zusätzliche Urlaubsgeld gewesen. Die Bemessung des Arbeitslosengeldes sei unabhängig davon vorzunehmen. Der Insolvenzverwalter habe in der Arbeitsbescheinigung zutreffend (nur) die ausgezahlten Entgeltbestandteile bescheinigt und die Verzichtsbeträge zur Tabelle angemeldet.

Der Kläger hat die Abtretungserklärung (Blatt 29/30 der Senatsakte) vorgelegt.

Die Beklagte hat daraufhin mit Schreiben vom 07.02.2014 (Blatt 31/32 der Senatsakte) ausgeführt, sie halte die Entscheidung des BSG vom 05.12.2006 (B 11a AL 43/05 R) für "wegweisender" als die Entscheidung des BSG vom 29.01.2008 (B 7/7a AL 40/06 R), zumal der 7. Senat des BSG nicht mehr zuständig sei und sich in seinem Urteil mit der anderslautenden Entscheidung des 11a-Senats nicht auseinandergesetzt habe. An dem vom 11a-Senat formulierten Ausschließlichkeitszusammenhang fehle es vorliegend. Die streitigen tariflichen Sonderzahlungen hätten dem Kläger nach dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit den tariflichen Regelungen zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen zugestanden. Dass diese Sonderzahlungen nicht wie im Tarifvertrag geregelt im Bemessungszeitraum zur Auszahlung gekommen seien, habe seine Ursache nicht in der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, sondern in dem zum 01.07.2009 geschlossenen KTV sowie im FTV, in denen ein Gehaltsverzicht, wenn auch bedingt, erklärt worden sei. Die Nichtauszahlung dieser Arbeitsentgeltbestandteile habe bis zur (erneuten) Fälligkeit am 18.01.2011 ggf. 01.04.2011 somit nicht den Grund gehabt, dass der Arbeitgeber zahlungsunfähig gewesen sei. Dass der Kläger dann vom Zeitpunkt der erneuten Fälligkeit der tariflichen Sonderzahlungen bis zu seinem Ausscheiden wieder Anspruch auf diese Arbeitsentgeltbestandteile gehabt habe, die er dann wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr erhalten habe, reiche nach der Rechtsprechung des BSG vom 05.012.2006 nicht aus, um den gebotenen Ausschließlichkeitszusammenhang herstellen zu können.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 34/35 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt hatten und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich erscheint.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG wegen der Zulassung der Berufung durch das SG statthaft und zulässig, aber nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.12.2011 ist - wie das SG zutreffend festgestellt hat - rechtswidrig, der Kläger wird in seinen Rechten verletzt. Ihm steht ein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.07. bis 03.07.2011 zu. Das angefochtene Urteil des SG ist mit der tenorierten Klarstellung nicht zu beanstanden. Der Senat nimmt zur Begründung seiner eigenen Entscheidung auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung vom 05.06.2013 Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend sei lediglich auf Folgendes hingewiesen:

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld i.S.d. §§ 118 Abs. 1 ff SGB III - in der bis zum 31.03.2012 geltenden und vorliegend anzuwendenden Fassung (a.F.) - sind erfüllt. Streitig ist lediglich die Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes, hier konkret die Höhe des dem Leistungsentgelt zugrundeliegenden Bemessungsentgelts im Bemessungszeitraum (§ 129 SGB III a.F.). Dieses Bemessungsentgelt ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum (vorliegend 01.07.2010 bis 30.06.2011, vgl. § 130 SGB III a.F., da der Monat Juni 2011 beim Ausscheiden des Klägers bereits vollständig abgerechnet war) erzielt hat; Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind (§ 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F.).

Bereits auf Grundlage der Arbeitsbescheinigung des Insolvenzverwalters vom 14.10.2011 (Blatt 3/6 der Beklagtenakte) ergibt sich ein im Bemessungszeitraum erzieltes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt i.H.v. insgesamt 51.335,83 EUR (vgl. auch Blatt 19 der Beklagtenakte). Dieses Arbeitsentgelt i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. ist um weitere 2.843,82 EUR zu erhöhen; dieser Betrag ergibt sich aus den vom Insolvenzverwalter dem SG für den Zeitraum Juli 2010 bis Dezember 2010 mitgeteilten Verzichtsbeträgen (Blatt 82 der SG-Akte), die dieser in seiner Arbeitsbescheinigung nach Rücksprache mit der Beklagten nicht berücksichtigt hatte. In der Zeit ab dem 01.01.2011 hat der Kläger durch Insolvenzgeld bzw. die Zahlungen des Insolvenzverwalters die vollständigen geschuldeten Beträge - Verzichtsbeträge ergaben sich in dieser Zeit nicht mehr - erhalten; diese Beträge wurden in der Arbeitsbescheinigung auch zutreffend erfasst, sodass sich aus dieser Zeit kein das Bemessungsentgelt erhöhendes Arbeitsentgelt mehr ergibt.

Das im Zeitraum 01.07.2010 bis 31.12.2010 verzichtete Entgelt ist jedoch vorliegend bei der Berechnung des Bemessungsentgelts erhöhend zu berücksichtigen, denn der Anspruch hierauf ist als (einmaliger) Nachzahlungsanspruch am 18.01.2011 (wieder-)entstanden, fällig geworden und wurde vom Arbeitgeber bzw. dem Insolvenzverwalter wegen der Zahlungsunfähigkeit nicht erfüllt. Bei diesen Verzichtsbeträgen handelt es sich zum Einen um tarifliche Entgelterhöhungen als auch um Anteile des geschuldeten Urlaubsgeldes sowie der tariflichen jährlichen Jahresleistung.

Ursprünglich hätte der tarifgebundene Arbeitgeber die Zahlung sämtlicher dieser tariflichen Entgeltanteile geschuldet. Erst auf Grundlage des KTV sowie des FTV war es zu einem zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarten Verzicht auf zukünftige Lohnerhöhungen sowie Teilen des zukünftigen Urlaubsgeldes und der zukünftigen Jahresleistung gekommen. Mit dem Verzicht auf die zukünftigen Ansprüche sind diese insoweit vollständig entfallen (§ 397 Abs. 1 BGB). Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, war dieser Verzicht jedoch nicht endgültig; im Fall der Insolvenz sollte der Verzicht wieder entfallen, die Ansprüche sollten "wieder aufleben" (vgl. FTV § 3). Damit war vereinbart worden, dass im Fall der Insolvenzanmeldung die bisher verzichteten Ansprüche erneut entstehen sollten. Insoweit war ein auflösend bedingter (§ 158 Abs. 2 BGB) Verzicht vereinbart worden (zu einer auflösend bedingten Stundung vgl. BSG Urteil vom 29.01.2008 - B 7/7a AL 40/06 R mit Anmerkung Söhngen in juris-PraxisReport 22/2008 Anm. 1). Mit dem Eintritt der Bedingung - hier der Insolvenzantragstellung - endigt gemäß § 158 Abs. 2 BGB die Wirkung des Rechtsgeschäfts - hier: des Verzichts. Mit diesem Zeitpunkt tritt der frühere Rechtszustand wieder ein (§ 158 Abs. 2 BGB), was vorliegend bedeutet, dass die durch den Verzicht untergegangenen Ansprüche wieder existent werden, und zwar vorliegend für den entsprechenden Entgeltabrechnungszeitraum, aber mit Fälligkeit rückwirkend ab dem Eintritt der Bedingung, hier: der Insolvenzanmeldung.

Nach dieser vom Senat vorgenommenen Auslegung der Regelungen des KTV und des FTV, die im Einklang mit den jeweiligen Vereinbarungen, Erklärungen und Protokollnotizen steht, war der Anspruch auf Auszahlung der Verzichtsbeträge erst mit Insolvenzanmeldung, mithin erst am 18.01.2011 (Insolvenzantragstellung) entstanden. Damit hatte der Kläger am 18.01.2011 einen Anspruch auf beitragspflichtiges Arbeitsentgelt für den im Bemessungszeitraum liegenden Abrechnungszeitraum vom 01.07. bis 31.12.2010 erworben. Dieser Anspruch stand dem Kläger zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis als fällig geworden, aber noch unerfüllt, zu (im Ergebnis ebenso Eppelein, juris-PK SGB III, § 151 RdNr. 15; anders dagegen zu endgültig verzichteten Ansprüchen vgl. Eppelein a.a.O. RdNr. 13).

Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. kann ein solcher unerfüllter Anspruch auf Arbeitsentgelt jedoch nur bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes berücksichtigt werden, wenn die Auszahlung "nur" wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers unterblieben war (dazu vgl. BSG 05.12.2006 – B 11a AL 43/05 RSozR 4-4300 § 134 Nr. 1 = juris RdNr. 22, siehe aber auch BSG 14.12.2006 - B 7a AL 54/05 R - juris RdNr. 15; BSG 08.02.2007 - B 7a AL 28/06 R - juris RdNr. 17). Für den Zusammenhang zwischen Nichtzahlung und Zahlungsunfähigkeit reicht eine Ursächlichkeit nach der im Sozialrecht herrschenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung nicht aus (dazu vgl. BSG 05.12.2006 – B 11a AL 43/05 RSozR 4-4300 § 134 Nr. 1 = juris RdNr. 22, siehe aber auch BSG 14.12.2006 - B 7a AL 54/05 R - juris RdNr. 15; BSG 08.02.2007 - B 7a AL 28/06 R - juris RdNr. 17). Dementsprechend genügt es auch nicht, dass die Zahlung zunächst aus anderen Gründen (z.B. Unkenntnis oder Zahlungsunwilligkeit) unterblieben und erst im weiteren Verlauf die Zahlungsunfähigkeit hinzugetreten ist (dazu vgl. BSG 05.12.2006 – B 11a AL 43/05 RSozR 4-4300 § 134 Nr. 1 = juris RdNr. 22, siehe aber auch BSG 14.12.2006 - B 7a AL 54/05 R - juris RdNr. 15; BSG 08.02.2007 - B 7a AL 28/06 R - juris RdNr. 17). Eine alleinige Kausalität ist deshalb zu verneinen, wenn die Zahlung zunächst aus anderen Gründen unterblieben, später aber Zahlungsunfähigkeit hinzugetreten ist.

Letzteres ist vorliegend nicht der Fall, denn der (Nachzahlungs-)Anspruch ist - wie bereits ausgeführt - erst im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit entstanden und konnte daher nicht schon wegen früherer Umstände nicht ausgezahlt werden. Dass auf den ursprünglichen Anspruch verzichtet worden war, dieser mithin untergegangen war, steht dem nicht entgegen. Denn wesentliches Zeichen des auflösend bedingten Verzichts ist gerade das Wiederaufleben der Ansprüche im Zeitpunkt des Eintritts der auflösenden Bedingung, jedenfalls war der KTV und der FTV so auszulegen.

Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. liegt vor, wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 131 RdNr. 40, Stand VII/09). Das ist nicht nur in vom Gesetz genannten Insolvenzfällen (§ 183 Abs. 1 SGB III a.F.) der Fall, sondern immer schon dann, wenn der Arbeitgeber i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, was in der Regel anzunehmen ist, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (in diesem Sinne auch Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 131 RdNr. 59, Stand Mai 2008). Dies hat der Arbeitgeber durch die Insolvenzantragstellung am 18.01.2011 zum Ausdruck gebracht. Andere Gründe, wie z.B. Zahlungsunwilligkeit, Unkenntnis, Streitigkeiten über das Bestehen oder die Höhe der Ansprüche usw. liegen nicht vor. Dies ergibt sich für den Senat aus der eindeutigen Auskunft des Insolvenzverwalters gegenüber dem SG.

Zu diesem Zeitpunkt - hier: Stellung des Insolvenzantrages am 18.01.2011 - hat der Arbeitgeber aber eine Auszahlung wegen der Insolvenzantragstellung und damit wegen der Zahlungsunfähigkeit nicht mehr vorgenommen. Später - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.04.2014 - durfte auch der Insolvenzverwalter wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers eine Auszahlung der bereits vor Insolvenzeröffnung fällig gewordenen Forderungen nicht mehr vornehmen; diese Forderungen mussten zur Insolvenztabelle angemeldet werden (§§ 174 ff InsO). Damit war zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Entgelte lediglich die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers Grund der Nichtzahlung.

Dass die Ansprüche erst mit dem Eintritt der den Verzicht auflösenden Bedingung, mithin der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, entstanden sind, steht dem - anders als die Beklagte vorträgt - nicht entgegen. Denn der Verzicht war lediglich bis zu seinem Wegfall und dem Entstehen des Nachzahlungsanspruchs Ursache für die Nichtauszahlung. Im Zeitpunkt der Entstehung des Nachzahlungsanspruchs war es jedoch gerade alleine die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, die die Auszahlung verhinderte. Auch wenn damit die Folgen eines Gehaltsverzichts vergesellschaftet werden, was die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung (und dem Vorbringen im Erörterungstermin) anklingen lässt, so ist dies nicht rechtsmissbräuchlich. Insbesondere hat der Gesetzgeber mit den Regelungen des § 421t SGB III a.F. (insbesondere Abs. 7) - auch wenn dessen Voraussetzungen hier nicht vorliegen - zu erkennen gegeben, dass er solche Beschäftigungssicherungsvereinbarungen nicht als missbräuchlich erachtet (dazu vgl. Hoehl in Eicher/Schlegel, SGB III, § 421t RdNr. 23 ff, Stand November 2009). Es kann aber auch nicht aus § 421t SGB III geschlossen werden, dass andere Modelle zur Beschäftigungssicherung arbeitsförderungsrechtlich ohne Bedeutung wären.

Arbeitsentgeltansprüche, die in Folge des Wegfalls einer auflösenden Bedingung entstanden waren, waren bereits früher schon Gegenstand des Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 29.01.2008 – B 7/7a AL 40/06 R – SozR 4-4300 § 130 Nr. 3 = SozR 4-4300 § 131 Nr. 4 = juris RdNR. 11 ff). Dort hatte das BSG - im Fall einer vereinbarten Nichtauszahlung einer tariflichen Sonderzahlung im Oktober 2004 und einem befristeten Einbehalt des monatlichen Bruttogehalts i.H.v. 4 % und vereinbarter "Rückzahlung" im Falle einer betriebsbedingten Kündigung - ausgeführt, die einbehaltenen Arbeitsentgeltanteile seien auch unter Zugrundelegung der Wirksamkeit dieser Vereinbarung vor Ende des Arbeitsverhältnisses auf Grund der betriebsbedingten Kündigung der Arbeitgeberin wieder fällig geworden. Es ergebe sich bei Auslegung der dortigen Betriebsvereinbarung, dass sowohl die tarifliche Sonderzahlung als auch die Gehaltsansprüche nur gestundet gewesen seien, und zwar auflösend bedingt durch eine betriebliche Kündigung (§ 158 Abs. 2 BGB). Selbst wenn die Vereinbarung über den Einbehalt des Arbeitsentgelts wirksam sei, hätte die betriebsbedingte Kündigung nunmehr zur Folge, dass die zunächst einbehaltenen Anteile des laufenden Arbeitsentgelts für die Beitragspflicht so zu behandeln wären, als sei die Stundung nicht vereinbart worden (BSG a.a.O.) Wäre die Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin alleiniger Grund für die Nichtauszahlung, müsse das Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung des beitragspflichtigen höheren Arbeitsentgelts gezahlt werden (BSG a.a.O.); dagegen rechtfertige die Nichtzahlung des Arbeitsentgelts trotz eines bestehenden Anspruchs allerdings nach der Systematik des Gesetzes nicht die Annahme eines Härtefalls i.S.d. § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F. (BSG a.a.O. RdNr. 12).

Insoweit besteht - wie die Rechtsprechung des 7a-Senats vom 4.12.2006 (B 7a AL 54/05 R - juris RdNr. 15) und 08.02.2007 (B 7a AL 28/06 R - juris RdNr. 17) zeigt - auch nicht die von der Beklagten vermeintlich festgestellte Divergenz zwischen der Rechtsprechung des 11a-Senats des BSG und dessen 7/7a.-Senat. Beide gehen übereinstimmend davon aus, dass alleiniger Grund einer Nichtzahlung die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sein müsse, soll der Anspruch nach § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. Berücksichtigung beim Bemessungsentgelt finden. Auch die Rechtsprechung des 11a-Senats (a.a.O.) will nur nachträgliche Änderungen der Bemessungsgrundlagen verhindern. Dies wird aus der Berufung auf die Gesetzesmaterialien deutlich (BSG 05.12.2006 - B 11a AL 43/05 R - SozR 4-4300 § 134 Nr. 1 = juris RdNr. 25), als dort von einer nachträglich rückwirkenden Verständigung auf höheres Arbeitsentgelt die Rede ist, um ein höheres Arbeitslosengeld zu erreichen, ohne dass der Arbeitgeber den höheren Betrag auch auszahlen müsse (BT-Drucks 13/4941 Seite 179). Das ist vorliegend aber gerade nicht der Fall. Es liegt gerade keine rückwirkende bzw. nachträgliche Vertragsänderung vor. Vielmehr hatte man vorliegend im Voraus durch Vereinbarung das Arbeitsentgelt während des Laufs des Arbeitsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft und zum Zweck der Beschäftigungssicherung auflösend bedingt durch den Insolvenzantrag reduziert. Insoweit war der Arbeitgeber jedenfalls mit der Insolvenzmasse noch verpflichtet, die Ansprüche zu bedienen, im Übrigen waren auch für die Massenverwaltung der Beklagten keine schwierigen arbeitsrechtlichen Fragen zu klären, sodass Arbeitslosengeld schnell und zutreffend berechnet werden konnte. Beide Aspekte waren aber auch für die Rechtsprechung des 11a-Senats maßgeblich. Umstände, weshalb nach der Rechtsprechung des 11a-Senats des BSG ein im Fall der Zahlungsunfähigkeit entstehender und wegen dieser nicht ausgezahlter Anspruch nicht von § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III erfasst sein soll, hat auch die Beklagte nicht vorgetragen.

§ 32 SGB I greift vorliegend nicht, da die Vereinbarung (KTV und FTV) nicht zum Nachteil des Klägers von Vorschriften des SGB abweichen. Auch kann in der Tarifeinigung als solcher kein missbräuchliches Verhalten des Klägers erkannt werden, da er an deren Zustandekommen gerade nicht beteiligt war. Auch ist der bedingte, zeitlich befristete Verzicht auf Arbeitsentgelt zur Vermeidung einer Insolvenz und zum befristeten Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen nicht missbräuchlich. Insoweit kann ein missbräuchliches Verhalten zu Lasten der Versichertengemeinschaft nicht erkannt werden. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Scheitern der Konsolidierung bereits absehbar gewesen war und die Vereinbarungen schon im Hinblick auf eine sichere Insolvenz der Arbeitgeberin getroffen worden wären. Hinzu kommt, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, dass der Entgeltverzicht nur zeitlich begrenzt unter einer auflösenden Bedingung gestanden hat und die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht in jedem Fall bei Insolvenz und Kündigung wieder aufgelebt wären. Der KTV endete am 30.09.2012 und der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen endete am 31.12.2013. Eine spätere Insolvenzanmeldung oder betriebsbedingte Kündigung hätte damit nicht zur Fälligkeit der Entgeltansprüche geführt. Im Übrigen ist nicht ausgeschlossen, dass die zur Insolvenztabelle angemeldeten Entgeltforderungen zumindest zum Teil im Rahmen des Insolvenzverfahrens befriedigt werden.

Das SG hat bei seiner Rechtsanwendung, der der Senat folgt, nicht unbeachtet gelassen, dass für die zur Insolvenztabelle angemeldeten, wiederaufgelebten Arbeitsentgeltansprüche keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet worden sind. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber jedoch mit § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. bewusst eine Regelung zugunsten des Arbeitslosen getroffen.

Damit hat das SG unter rechtlichen Gesichtspunkten zutreffend entschieden, die Berufung war daher zurückzuweisen. Dabei musste das Urteil des SG jedoch klarstellend dahingehend modifiziert werden, als dieses im vorliegenden Verfahren nicht ergangene Bescheide abgeändert hat. Der vom SG im Tenor zitierte Bescheid vom 22.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.10.2011 stammt aus dem in der SG-Akte enthaltenen Urteil des SG Reutlingen vom 10.12.2012 (S 12 AL 3444/11, Blatt 57b/57f), das das SG wohl versehentlich in seinen für die mündliche Verhandlung vorformulierten Antrag und dann in seinen Urteilstenor übernommen hat. Insoweit führt der ausweislich der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung gestellte Klageantrag mit fehlerhafter Bezeichnung des angefochtenen Bescheids nicht zur Unzulässigkeit der Klage, denn die Beteiligten waren sich darüber einig, dass der Bescheid vom 27.10.2011/Widerspruchsbescheid vom 28.12.2011 gemeint ist (falsa demonstratio non nocet). Klarstellend war daher der vorliegend maßgebliche Bescheid im Tenor zu benennen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, denn die Auslegungsfrage zu § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. stellt sich auch zu § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III n.F. Die vorliegende Fallkonstellation ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Dazuhin sind nach Vorbringen der Beklagten noch weitere gleichgelagerte Fälle aus der Insolvenz des Konzerns, davon ca. 200 bei der Arbeitsagentur K.-R. anhängig.
Rechtskraft
Aus
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