S 17 SB 1359/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
17
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 1359/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Die Zahlung eines Kostenvorschusses ohne Bezeichnung eines Arztes stellt keinen wirksamen Antrag i. S. d. § 109 SGG dar.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höherbewertung des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Bei dem am XX.XX.XXXX geborenen Kläger hatte das Landratsamt K. (LRA) zuletzt einen GdB von 30 ab dem 07.10.2009 unter Berücksichtigung einer koronaren Herz-krankheit, eines koronaren Bypasses, Bluthochdruck und einer Lungenfunktionsein-schränkung als Funktionsbeeinträchtigungen anerkannt (Bescheid vom 14.05.2010).

Am 04.07.2012 beantragte der Kläger beim LRA den GdB neu festzustellen.

Mit Bescheid vom 04.09.2012 lehnte das LRA die Feststellung eines höheren GdB als 30 unter Berücksichtigung folgender Funktionsbeeinträchtigungen ab:

Koronare Herzkrankheit, koronarer Bypass, Bluthochdruck Einzel-GdB 20 Lungenfunktionseinschränkung Einzel-GdB 20

Den hiergegen vom Kläger am 11.09.2012 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12.03.2013 als unbegründet zurück. Als weitere Funktionsbeeinträchtigung wurde berücksichtigt:

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandschei-benschaden Einzel-GdB 10

Aus diesem Grund hat der Kläger am 12.04.2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit welcher er sein Begehren weiter verfolgt. Ergänzend zu seinem Vorbringen im Widerspruchsverfahren trägt er vor, die Höhe des GdB sei aufgrund seiner Vielzahl an Erkrankungen nicht ausreichend.

Der Kläger beantragt wörtlich,

1. den Bescheid des LRA / Amt für Versorgung und Rehabilitation vom 04.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums S. / Landesversorgungsamts vom 12.03.2013 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, beim Kläger einen höheren GdB als 30 festzusetzen. Hilfsweise wird beantragt, beim Kläger einen GdB von 50 festzusetzen. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 4. Es wird die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers festgestellt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurden im Wesentlichen die in der angefochtenen Entscheidung genannten Gründe wiederholt und vertieft.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der sachverständigen Zeugen Dr. R. (Aussage vom 22.07.2013), F.-K. (Aussage vom 08.08.2013), Dr. G.-Y. (Aussage vom 24.07.2013) und Dr. K. (Aussage vom 01.10.2013). Die sachverständigen Zeugen haben die versorgungsärztliche Einschätzung bestätigt. Ergänzend hat Dr. R. eine linksseitige Zwerchfellparalyse diagnostiziert und mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet.

Nach richterlichem Hinweis auf die Möglichkeit des § 109 SGG zahlte der Kläger den vom Gericht festgesetzten Kostenvorschuss in Höhe von 1.500,00 EUR. Trotz wie-derholter Aufforderung zur Benennung eines Gutachters wurde kein Gutachter na-mentlich vom Kläger benannt.

Das Gericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der Pro-zessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Gericht konnte vorliegend nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Ver-handlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 3 SGG zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat auf seinen Antrag vom 04.07.2012 keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von höher als 30. Der Be-scheid vom 04.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.03.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

1. Ein Anspruch auf Neufeststellung des GdB besteht nur, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X] i. V. m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Im Schwerbehindertenrecht liegt eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Behinderten durch das Hinzutreten neuer oder den Wegfall bestehender Funktionsstörungen oder durch eine Änderung der anerkannten Funktionsstörungen verschlechtert oder verbessert. Ob dies der Fall ist, ist durch einen Vergleich der für die letzte, bindend gewordene Feststellung maßgebenden Befunde und Krankheitsäußerungen mit den jetzt vorliegenden Befunden zu ermitteln. Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse, wenn sich hierdurch der Gesamt-GdB um wenigstens 10 senkt oder erhöht. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung und Bewertung des GdB ist § 69 Abs. 1 SGB IX, wonach die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB feststellen.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Hierfür gelten nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) entsprechend. Eine Feststellung ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Der Begriff des GdB bezieht sich auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Verursachung, wobei die üblichen seelischen Begleiterscheinungen und Schmerzen mitberücksichtigt sind.

Für die Feststellung des GdB sind dabei in einem ersten Schritt die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus ergebenden Teil-habebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in der Anlage zu § 2 der VersMedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - der Gesamt-GdB zu bilden (BSG, U.v. 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - juris, Rn. 23).

2. Nach diesen Maßstäben ergibt sich kein höherer Gesamt-GdB als 30.

Die medizinischen Ermittlungen haben das Klagebegehren nicht gestützt. Es sind keine Funktionsbeeinträchtigungen ersichtlich, die einen höheren GdB rechtfertigen.

a) Der Internist R. bestätigt die versorgungsärztliche Beurteilung und bewertet die koronare Herzkrankheit (KHK) im Zustand nach einer Bypass OP ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20. Die leichte obstruktiv/restriktive Ventilationsstörung, also die Lungenfunktionseinschränkung, bewertet er - wie auch der versorgungsärztliche Dienst - mit einem weiteren Einzel-GdB von 20. Die zusätzlich diagnostizierte linksseitige Zwerchfellparalyse, die der Internist mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet, wirkt sich - wie der Beklagte zutreffend feststellt - auf die Höhe des Gesamt-GdB nicht aus.

b) Diese Beurteilung entspricht auch dem von der Hausärztin F.-K. vorgelegten kardio-logischen Befundbericht der Kardiologie im Friedrichspalais vom 19.06.2013, mit dem eine gute kardiopulmonale Belastbarkeit bestätigt wird. Die systolische linksventrikuläre Funktion wird als gut bezeichnet. Ein Hinweis auf eine Belastungskoronarischämie ergab sich bei negativer Ergometrie im Rahmen der Untersuchung des Klägers nicht.

c) Der Einzel-GdB in psychiatrischer Hinsicht beträgt höchstens 10, da der Kläger ein-malig, zuletzt am 31.01.2011 bei Dr. G.-Y. in Behandlung war und derzeit keine Not-wendigkeit einer Behandlung besteht.

d) Der Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. K. teilt auf seinem Fachgebiet ausdrücklich die bisherige versorgungsärztliche Einschätzung. Eine andere Beurteilung ist auch für das Gericht nicht angezeigt.

e) Den Gesamt-GdB bewertet auch das erkennende Gericht, ausgehend von Einzel-GdB-Werten von 20 (Koronare Herzkrankheit, Koronarer Bypass, Bluthochdruck), 20 (Lungenfunktionsbeeinträchtigung), 10 (degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden) und 10 (Zwerchfellparalyse linksseitig), mit 30.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass einzelne Teil-GdB-Werte zur Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden dürfen und auch andere Rechenmethoden hierfür nicht geeignet sind. Vielmehr ist für die Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funkti-onsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzu-fügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von hier nicht vorlie-genden Ausnahmefällen abgesehen führen leichte Gesundheitsstörungen mit einem Einzel-GdB von lediglich 10 nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (vgl. Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV).

3. Die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG war nicht erforderlich.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Antrag muss dabei auf Anhörung eines bestimmten Arztes lauten, der mit Name und Anschrift bezeichnet werden soll. Es genügt, wenn die Angaben ausreichen, um den Arzt bestimmbar zu machen, etwa durch Angabe einer Funktionsbezeichnung. Es ist allerdings Sache des Antragstellers den Gutachter zu bestimmen. Der Antragsteller darf folglich die Auswahl des Gutachters nicht dem Gericht überlassen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., 2012 § 109 SGG, Rn. 4 m.w.N.). Bis zur Bestimmbarkeit des Arztes handelt es sich lediglich um eine Ankündigung eines Antrags (Hintz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK SGG, Stand: 01.06.2014, § 109, Rn. 2).

Der Kläger hat trotz gerichtlicher Aufforderung (Schreiben vom 17.12.13 und 25.02.2014) weder einen bestimmten Arzt noch einen bestimmbaren Arzt benannt. Mit Schreiben vom 22.05.2014 hat der Kläger lediglich "um Beauftragung eines ent-sprechenden Gutachters" gebeten und auf das Schreiben vom 19.02.2014 verwiesen, mit welchem die Zahlung des geforderten Gutachtervorschusses angezeigt worden ist. Nach dem oben dargestellten Maßstab lag damit jedoch kein wirksamer Antrag vor. Die Zahlung eines Kostenvorschusses ohne Bezeichnung eines Arztes stellt keinen wirksamen Antrag i.S.d. § 109 SGG dar.

4. Aus den genannten Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und es musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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