Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 666/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2013 verurteilt, den GdB des Klägers ab dem 05.02.2013 mit 90 zu bewerten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu 1/2.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13.12.2010 aufgrund von Funktionsstörungen der Atmungsorgane, insulinpflichtiger Zuckerkrankheit mit Auswirkungen Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße, Schlafapnoesyndrom, Funktionsstörung der Wirbelsäule mit wiederkehrenden Nerven- und Muskelreizerscheinungen, Funktionsstörungen von Herz und Kreislauf sowie Bluthochdruck und einer Erkrankung des Gefäßsystems einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G fest.
Am 05.02.2013 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB. Zur Begründung gab er an, er leide nunmehr auch unter einem Bandscheibenvorfall im Schulter- Halsbereich. Darüber hinaus hätten sich auch die Beeinträchtigungen der Knie- und Fußgelenke verschlimmert.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. F. ein und wertete diesen durch den Facharzt für Chirurgie Dr. L. aus. Dieser kam zu der Einschätzung, Anhaltspunkte für eine Verschlimmerung ließen sich beim Kläger nicht finden.
Mit Bescheid vom 02.04.2013 lehnte der Beklagte die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung beim Kläger ab.
Hiergegen legte der Kläger am 10.04.2013 Widerspruch ein, den er damit begründete, sein Gesamtzustand habe sich insgesamt verschlechtert, was auch sein behandelnder Orthopäde so sehe.
Nach erneuter Stellungnahme des ärztlichen Dienstes wies die Bezirksregierung N. den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2013 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 02.07.2013 Klage erhoben und die Auffassung vertreten, die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bedingten einen GdB von 100.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten Orthopäden Dr. F., des Neurologen Prof. Dr. X., des Lungenheilkundlers Dr. L. und des Internisten und Allgemeinmediziners G. sowie eines fachinternistisch-arbeitsmedizinischen Gutachtens des Dr. Q., welches dieser aufgrund Untersuchung des Klägers am 09.01.2014 gegenüber dem Gericht erstattet hat.
Auf Grundlage dieses Gutachtens hat der Beklagte - auf entsprechende Empfehlung seines ärztlichen Beraters - am 10.02.2014 ein Vergleichsangebot unterbreitet, wonach der GdB des Klägers ab Antragstellung mit 90 bewertet wird. Nachdem der Kläger dieses Angebot nicht angenommen hat, hat das Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 12.08.2014 bestimmt. Am 11.08.2014 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mitgeteilt, er befinde sich aufgrund eines stattgehabten STEMIS in stationärer Behandlung in der Uniklinik der RWTH Aachen. Der Kammervorsitzende hat daraufhin das zuvor angeordnete persönliche Erscheinen des Klägers aufgehoben.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Rahmen des mündlichen Termins beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 04.06.2013 zu verurteilen, den GdB des Klägers ab dem 05.02.2013 mit 100 zu bewerten.
Der Beklagte hat sein Vergleichsangebot wiederholt und im Übrigen beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Gutachten des Dr. Q. sowie die hierauf ergangene Stellungnahme seines ärztlichen Beraters Dr. N.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, als die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind. Dem Kläger steht seit Antragstellung ein GdB von 90 zu. Soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellung eines GdB von 100 begehrt, war die Klage abzuweisen.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG - Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 -B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter
(1.) chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (2.) Diabetes mellitus (3.) Funktionsstörung der Wirbelsäule (4.) Funktionsstörung der unteren Extremitäten (5.) Funktionsstörung der oberen Extremitäten (6.) Funktionsstörung von Herz und Kreislauf (7.) Verdacht auf erhöhten Alkoholkonsum (8.) Fettstoffwechselstörung und Hyperurikämie, Adipositas (9.) Hormonmangelsyndrom
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren vorgelegten und eingeholten Befund- und Arztberichte sowie dem Gutachten des Herrn Dr. Q. fest.
Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Lediglich die sozialmedizinische Bewertung ist bis zuletzt streitig geblieben.
1. Der Kläger ist bereits seit längerer Zeit in lungenfachärztlicher Behandlung. Von Dr. L. wurde zunächst eine leicht- bis mittelschwere, später eine mittelschwere obstruktive Ventilationsstörung diagnostiziert. Im Mai 2013 hat der Lungenheilkundler Dr. L1 röntgenologisch einen unauffälligen Lungenbefund beschrieben. Daneben wurde auch ein Lungenfunktionsprotokoll erstellt, wobei der behandelnde Arzt seinerzeit von einer nicht optimalen Compliance des Klägers ausgegangen war. Der Kläger beschreibt er müsse bei normaler Gehgeschwindigkeit nach 100 Metern wegen Luftnot stehen bleiben. Auch gegenüber dem Internisten G gab der Kläger Luftnot bei Belastung an, gegenüber Dr. L wechselnden Atemnot mit Husten und Auswurf, was den Kläger nach eigenen Angaben jedoch nicht hindert, täglich 10 bis 15 Zigaretten zu rauchen. Im Rahmen der Untersuchung durch Dr. Q zeigten sich ein abgeschwächtes Atemgeräusch und vereinzelte trockene Rasselgeräusche. Die durchgeführte Lungenfunktionsprüfung bestätigte die Ergebnisse der Funktionsprüfung im Mai 2013. Beim Kläger steht im Vordergrund ein Emphysem mit leichtgradiger Obstruktion aber schon deutlichen Auswirkungen auf den Gasaustausch bereits bei leichterer Belastung. Gemäß Teil B Ziffer 8.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist hierfür ein Bewertungskorridor von 50 bis 70 eröffnet, der – unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde und klinischen Beschwerden des Klägers – nach überzeugender Einschätzung des Gutachters, der sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt – nur soeben erreicht ist. Für das Lungenleiden ist daher weiterhin ein GdB von 50 in Ansatz zu bringen.
Soweit beim Kläger in der Vergangenheit ein GdB für ein Schlafapnoesyndrom in Ansatz gebracht worden ist, lässt sich dies nicht mehr aufrecht erhalten. Die Diagnose des Schlafapnoesyndroms ist bislang nicht durch ein Schlaflabor gesichert. Darüber hinaus findet keine CPAP-Behandlung statt, so dass gemäß Teil B Ziffer 8.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB insoweit nicht in Betracht kommt. Für das Funktionssystem der Atmungsorgane verbleibt es daher bei dem festgestellten GdB von 50.
2. Der GdB für die Zuckerkrankheit ist gemäß Teil B Ziffer 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (2. VersMedVÄndV) vom 14.07.2010 (BGBl. I, 928) mit 40 zu bewerten.
Nach dieser Vorschrift gilt:
"Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40. Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen".
Soweit der Normtext auf den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) Bezug nimmt gilt er gemäß Teil A Ziffer 2 lit. a) für die Bemessung des GdB entsprechend (vgl. auch BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 33 ff.)
Der Kläger spritzt dreimal täglich Insulin unter entsprechender Berücksichtigung der jeweiligen Blutzuckerwerte. Das HbA1c lag nach Angaben des Klägers gegenüber dem Gutachter zuletzt bei 9,5%, die Blutzuckerwerte lägen fast immer unter 200mg%. Im Bereich der Fußsohle verspüre der Kläger ein Kribbeln. Der Gutachter ermittelte im Rahmen der Untersuchung einen Blutzuckerwert von 298 mg%, der HbA1c Wert lag bei 9,3%. Ein Anhalt für eine diabetische Retinopathie lässt sich bislang nicht objektivieren. Weder im Rahmen der Untersuchung noch anhand der übrigen Befunde und ärztlichen Stellungnahmen im Rahmen des Verfahrens lassen sich beim Kläger besondere Einschnitte in der Lebensführung objektivieren. Die Feststellung eines GdB von mindestens 50 allein für die Zuckerkrankheit lässt sich vor diesem Hintergrund - trotz nicht befriedigend eingestellten Wertes (vgl. dazu Müller, Ernährungsmedizinische Praxis, 2007, S. 111) – nicht rechtfertigen. Der hierfür erforderliche – und das Leben ggf. einschränkende – Therapieaufwand wird vom Kläger offensichtlich nicht betrieben (vgl. dazu BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 39). Mit dem Gutachter Dr. Q erachtet die Kammer den vorgeschlagenen GdB von 40 für angemessen.
3. Im Bereich der Halswirbelsäule ermittelte der Gutachter für das Vorneigen/Rückneigen 40°/0°/40°, für das Seiteneigen rechts/links 30°/0°/40° und für das Drehen rechts/links 50°/0°/70°. Für die Brust- und Lendenwirbelsäule ermittelte er eine mögliche Seitneigung von 20°/0°/20°, eine Drehung von 30°/0°/50° und eine Rückwärtsneigung von 0°/20°. Bei der Prüfung des Finger- Boden- Abstands beschrieb er, dass die Finger des Klägers gerade über die Knie gingen. Dem Kläger war ein langes ruhiges Sitzen während der Anamneseerhebung möglich. Er konnte auch gut aufstehen. Das Erheben aus der horizontalen Lage zeigte sich leicht erschwert. Die Zehenspitzen- und Hackenstellung waren beide gut durchführbar. Das Gangbild war unauffällig. Während der Rückwärtsneigung des Kopfes gab der Kläger gegenüber dem Gutachter ein Taubheitsgefühl im Bereich der linken Hand an. Trizeps-, Bizeps-, Patella- und Achillessehnenreflex konnten nicht sicher ausgelöst werden. Es fand sich zudem eine Großzehenheber- und -senkerschwäche links. Insgesamt fanden sich bei der Überprüfung der Beweglichkeit im Zeitpunkt der Begutachtung durch Herrn Dr. Q Bewegungseinschränkungen, die letztlich in Übereinstimmung stehen mit den gesicherten Vorbefunden. Auch wenn die Beweglichkeit letztlich derzeit nur mittelgradig eingeschränkt war, ist mit dem Gutachter Dr. Q – vor dem Hintergrund der bereits bestehenden neurologischen Ausfallerscheinungen - für den Bereich der Wirbelsäule gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 40 in Ansatz zu bringen.
4. Im Bereich der unteren Extremitäten sind beim Kläger zum einen eine deutliche Coxarthrose beidseits sowie eine beidseitige Arthrose im Bereich der oberen Sprunggelenke, einer Retropatellararthrose sowie ein Gonarthrose röntgenologisch beschrieben. Der Kläger gab gegenüber dem Gutachter, insoweit stimmig, Beschwerden im Bereich der Knie und Sprunggelenks bei längerem Gehen an. Bei der Untersuchung fanden sich keine eindeutigen Muskelminderungen im Bereich der Ober- und Unterschenkel. Im Bereich des Knöchels rechts fand sich eine Verdickung. Die Beweglichkeit der Knie wurde rechts und links mit 130°/0°/0° beschrieben. Die Beugung/Streckung der Hüftgelenke mit 120°/0°/10°, das Abspreizen/Anführen der Hüfte mit 40°/0°/20° und die Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk mit 40°/0°/20°. Die Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenks beschrieb der Gutachter mit 30°/0°/10°, die des linken mit 40°/0°/10°. Die unteren Sprunggelenke waren beidseits mit 30°/0°/20° beweglich. Der Kläger zeigte damit im Bereich der Knie und Hüftgelenke als entsprechend normgerechte Beweglichkeit, im Bereich der Sprunggelenke fanden sich leichtgradigen Bewegungseinschränkungen. Dies führt der Gutachter nicht zuletzt auf ein gutes Ansprechen des Klägers auf die eingenommene Schmerzmedikation zurück. Berücksichtigte man lediglich die nachgewiesene Beweglichkeit des Klägers so wäre der bislang vergebene Grad der Behinderung von 30 zweifelsfrei zu hoch. Unter Berücksichtigung der beim Kläger durchgeführten analgetischen Therapie erscheint sie der Kammer, mit dem Gutachter Dr. Q, aber im Ergebnis gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze so gerade noch vertretbar.
5. Beim Kläger wurde im April 2012 eine Arthrose des Schultereckgelenks (Akromioklavikulargelenk) links angegeben. Bei der Untersuchung der Schultergelenke ermittelte der Gutachter bei der Vorwärts-/Rückwärtsbewegung eine Beweglichkeit von beidseits 150°/0°/30° und für die Bewegung seitwärts/körperwärts von 160°/0°/40°, ohne dass hierbei Beschwerden angegeben worden wären. Gemäß Teil B Ziffer 18.13 der versorgt medizinischen Grundsätze kommt die Feststellung eines Grades der Behinderung hierfür nicht in Betracht.
6. Für das Funktionssystem Herz-Kreislauf ist beim Kläger ein medikamentös behandelter Bluthochdruck zu berücksichtigen. Der Kläger war nach eigenen Angaben einmalig im Jahr 2011 beim Kardiologen. Ein entsprechender Arztbericht des Kardiologen Dr. H aus dieser Zeit lag der Kammer und dem Gutachter Dr. Q vor. Seinerzeit konnte der Kläger bei der Ergometrie bis 140 Watt Leistung bringen, ohne dass es zu besonderen Auffälligkeiten gekommen wäre. Der Abbruch erfolgte den allgemeinen Erschöpfung. Der Kläger nimmt seit Jahren vier blutdrucksenkende Medikamente. Er gab an, den Blutdruck täglich selber zu messen. Vor der Medikation sei der systolische Wert meist um 160 mmHg, der diastolische zwischen 75 und 90 mmHg. Abends läge der Wert bei 120/80 mmHg. Während der Untersuchung durch Dr. Preim war der systolische Wert mit 165 mmHg erhöht, der diastolische lag bei 80 mmHg. Schädigungen an Zielorganen ließen sich bislang nicht objektivieren. Gemäß Teil B Ziffer 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze käme bei dieser Sachlage an sich lediglich ein GdB von 10 in Betracht. Soweit beim Kläger in der Vergangenheit eine arterielle Verschlusskrankheit diskutiert worden ist, hat sich diese Diagnose nicht bestätigt. Die durch Dr. Q durchgeführte dopplersonographische Untersuchung der Fußschlagadern ergab keinen Hinweis auf eine periphere arterielle Durchblutungsstörung. Vor dem Hintergrund der bereits jahrelangen Medikation erscheint der Kammer gleichwohl der vom Gutachter weiter in Vorschlag gebrachte GdB von 20 für das Funktionssystem Herz- und Kreislauf, als so gerade noch vertretbar.
Die Tatsache, dass der Kläger derzeit aufgrund eines STEMI (ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt) der Hinterwand in stationärer Behandlung in der Klinik für Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin der Uniklinik der RWTH Aachen befindet, ändert an diesen Feststellungen nichts. Gemäß Teil A Ziffer 2 lit f) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze kommt die Feststellung eines GdB nur dann in Betracht, wenn die Gesundheitsstörung voraussichtlich mindestens sechs Monate andauert. Bei dem beim Kläger diagnostizierten Infarkt handelt es sich zunächst um ein akutes Geschehen (vgl. dazu Fritze/Mehrhoff, Die ärztliche Begutachtung, 8. Aufl. 2012, S. 342; Erdmann, Klinische Kardiologie, 7. Aufl. 2009, S. 43 ff.) Ob und in welchem Umfang hier Beeinträchtigungen des Klägers verbleiben steht derzeit noch nicht fest (vgl. zu den Folgen eines Myokardinfarktes, Hermann/Steiner/Diener, Vaskuläre Neurologie, 2010, S. 51 ff.; Hoberg, in: Rauch/Middeke/Bönner/Karoff/Held, Kardiologische Rehabilitation, 2007, S. 166). Eine Berücksichtigung kommt damit zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Sollten sich länger andauernde Beeinträchtigungen objektivieren, steht es dem Kläger frei, dann einen entsprechenden Änderungsantrag beim Beklagten zu stellen.
7. Im Rahmen der Laboruntersuchung fanden sich beim Kläger – wie auch schon in der Vergangenheit – eine für erhöhten Alkoholkonsum typische Konstellation der erhöhten Werte der Leberenzyme (AST 84, ALT 63) mit einem erhöhten mittlerem Erythrozytenvolumen (101). Vor dem Hintergrund, dass sich weder beim Gutachter, noch in den Vorbefunden, Anhaltspunkte für Auffälligkeiten im Sinne eines erhöhten Alkoholkonsums gefunden haben, kommt die Feststellung eines GdB unter Berücksichtigung von Ziffer 3.8 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (1. VersMedVÄndV) vom 01.03.2010 (BGBl. I, S. 249) nicht in Betracht.
8. Die beim Kläger ebenfalls durch die Laboruntersuchung festgestellte Fettstoffwechselstörung sowie der erhöhte Harnsäurespiegel bedingen gemäß Teil B Ziffer 15.2 und 15.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bislang ebenfalls keinen GdB, da Folgekrankheiten nicht objektiviert sind. Die beim Kläger mit einem Body-Mass-Index von 35 bestehende Adipositas bedingt gemäß Teil B Ziffer 15 ebenfalls keinen GdB. Soweit das Übergewicht sich auf andere Funktionssysteme auswirkt, wurden diese Auswirkungen dort mitberücksichtigt.
9. Die beim Kläger festgestellten erniedrigten Testosteronspiegel bedingt einen GdB von höchstens 10. Beeinträchtigungen hieraus, die einen höheren GdB rechtfertigen würden, sind nicht objektiviert.
Weitere bei dem Kläger vorliegende gesundheitliche Beeinträchtigungen bedingen keinen GdB.
Vor diesem Hintergrund ist bei dem Kläger für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein weiterhin ein Gesamt-GdB von 90 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall ist auszugehen von den Beeinträchtigungen der Lunge mit einem GdB von 50.
Dieser ist durch die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten, die zusammen ebenfalls einen GdB von 50 bilden zu erhöhen. Hinsichtlich der orthopädischen Beeinträchtigungen und der hierfür durch den Gutachter in Vorschlag gebrachten GdB verweist die Kammer im Übrigen ausdrücklich auf den Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. F, der für die unteren Extremitäten und die Wirbelsäule zusammen ebenfalls einen GdB von 50 in Vorschlag gebracht hatte. Insofern versteht die Kammer im Ergebnis auch nicht, aus welchem Grund der Kläger unter Berufung auf seinen behandelnden Orthopäden die Annahme des vom Beklagten unterbreiteten Vergleichsangebots abgelehnt hat.
Diese beiden Erkrankungen, die sich teilweise in ihren Auswirkungen verstärken, bilden einen GdB von 70, welcher durch die Zuckerkrankheit und durch die Beeinträchtigungen von Herz- und Kreislauf weiter zu erhöhen ist, wenngleich letztere vor dem Hintergrund, dass es sich lediglich um einen GdB von 20 handelt, nur unwesentlichen Anteil an dieser Erhöhung hat. Mit dem Gutachter erachtet auch die Kammer beim Kläger einen GdB von 90 derzeit als zutreffend, wenngleich dieser nach Auffassung der Kammer nur soeben erreicht wird. Die Feststellung des vom Kläger begehrten GdB von 100 kommt derzeit nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Bei dem am 00.00.0000 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13.12.2010 aufgrund von Funktionsstörungen der Atmungsorgane, insulinpflichtiger Zuckerkrankheit mit Auswirkungen Funktionsstörungen der unteren Gliedmaße, Schlafapnoesyndrom, Funktionsstörung der Wirbelsäule mit wiederkehrenden Nerven- und Muskelreizerscheinungen, Funktionsstörungen von Herz und Kreislauf sowie Bluthochdruck und einer Erkrankung des Gefäßsystems einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G fest.
Am 05.02.2013 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB. Zur Begründung gab er an, er leide nunmehr auch unter einem Bandscheibenvorfall im Schulter- Halsbereich. Darüber hinaus hätten sich auch die Beeinträchtigungen der Knie- und Fußgelenke verschlimmert.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. F. ein und wertete diesen durch den Facharzt für Chirurgie Dr. L. aus. Dieser kam zu der Einschätzung, Anhaltspunkte für eine Verschlimmerung ließen sich beim Kläger nicht finden.
Mit Bescheid vom 02.04.2013 lehnte der Beklagte die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung beim Kläger ab.
Hiergegen legte der Kläger am 10.04.2013 Widerspruch ein, den er damit begründete, sein Gesamtzustand habe sich insgesamt verschlechtert, was auch sein behandelnder Orthopäde so sehe.
Nach erneuter Stellungnahme des ärztlichen Dienstes wies die Bezirksregierung N. den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2013 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 02.07.2013 Klage erhoben und die Auffassung vertreten, die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bedingten einen GdB von 100.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten Orthopäden Dr. F., des Neurologen Prof. Dr. X., des Lungenheilkundlers Dr. L. und des Internisten und Allgemeinmediziners G. sowie eines fachinternistisch-arbeitsmedizinischen Gutachtens des Dr. Q., welches dieser aufgrund Untersuchung des Klägers am 09.01.2014 gegenüber dem Gericht erstattet hat.
Auf Grundlage dieses Gutachtens hat der Beklagte - auf entsprechende Empfehlung seines ärztlichen Beraters - am 10.02.2014 ein Vergleichsangebot unterbreitet, wonach der GdB des Klägers ab Antragstellung mit 90 bewertet wird. Nachdem der Kläger dieses Angebot nicht angenommen hat, hat das Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 12.08.2014 bestimmt. Am 11.08.2014 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mitgeteilt, er befinde sich aufgrund eines stattgehabten STEMIS in stationärer Behandlung in der Uniklinik der RWTH Aachen. Der Kammervorsitzende hat daraufhin das zuvor angeordnete persönliche Erscheinen des Klägers aufgehoben.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im Rahmen des mündlichen Termins beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 04.06.2013 zu verurteilen, den GdB des Klägers ab dem 05.02.2013 mit 100 zu bewerten.
Der Beklagte hat sein Vergleichsangebot wiederholt und im Übrigen beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Gutachten des Dr. Q. sowie die hierauf ergangene Stellungnahme seines ärztlichen Beraters Dr. N.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, als die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind. Dem Kläger steht seit Antragstellung ein GdB von 90 zu. Soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellung eines GdB von 100 begehrt, war die Klage abzuweisen.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG - Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 -B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter
(1.) chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (2.) Diabetes mellitus (3.) Funktionsstörung der Wirbelsäule (4.) Funktionsstörung der unteren Extremitäten (5.) Funktionsstörung der oberen Extremitäten (6.) Funktionsstörung von Herz und Kreislauf (7.) Verdacht auf erhöhten Alkoholkonsum (8.) Fettstoffwechselstörung und Hyperurikämie, Adipositas (9.) Hormonmangelsyndrom
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren vorgelegten und eingeholten Befund- und Arztberichte sowie dem Gutachten des Herrn Dr. Q. fest.
Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einem erfahrenen medizinischen Gutachter unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Lediglich die sozialmedizinische Bewertung ist bis zuletzt streitig geblieben.
1. Der Kläger ist bereits seit längerer Zeit in lungenfachärztlicher Behandlung. Von Dr. L. wurde zunächst eine leicht- bis mittelschwere, später eine mittelschwere obstruktive Ventilationsstörung diagnostiziert. Im Mai 2013 hat der Lungenheilkundler Dr. L1 röntgenologisch einen unauffälligen Lungenbefund beschrieben. Daneben wurde auch ein Lungenfunktionsprotokoll erstellt, wobei der behandelnde Arzt seinerzeit von einer nicht optimalen Compliance des Klägers ausgegangen war. Der Kläger beschreibt er müsse bei normaler Gehgeschwindigkeit nach 100 Metern wegen Luftnot stehen bleiben. Auch gegenüber dem Internisten G gab der Kläger Luftnot bei Belastung an, gegenüber Dr. L wechselnden Atemnot mit Husten und Auswurf, was den Kläger nach eigenen Angaben jedoch nicht hindert, täglich 10 bis 15 Zigaretten zu rauchen. Im Rahmen der Untersuchung durch Dr. Q zeigten sich ein abgeschwächtes Atemgeräusch und vereinzelte trockene Rasselgeräusche. Die durchgeführte Lungenfunktionsprüfung bestätigte die Ergebnisse der Funktionsprüfung im Mai 2013. Beim Kläger steht im Vordergrund ein Emphysem mit leichtgradiger Obstruktion aber schon deutlichen Auswirkungen auf den Gasaustausch bereits bei leichterer Belastung. Gemäß Teil B Ziffer 8.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist hierfür ein Bewertungskorridor von 50 bis 70 eröffnet, der – unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde und klinischen Beschwerden des Klägers – nach überzeugender Einschätzung des Gutachters, der sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt – nur soeben erreicht ist. Für das Lungenleiden ist daher weiterhin ein GdB von 50 in Ansatz zu bringen.
Soweit beim Kläger in der Vergangenheit ein GdB für ein Schlafapnoesyndrom in Ansatz gebracht worden ist, lässt sich dies nicht mehr aufrecht erhalten. Die Diagnose des Schlafapnoesyndroms ist bislang nicht durch ein Schlaflabor gesichert. Darüber hinaus findet keine CPAP-Behandlung statt, so dass gemäß Teil B Ziffer 8.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB insoweit nicht in Betracht kommt. Für das Funktionssystem der Atmungsorgane verbleibt es daher bei dem festgestellten GdB von 50.
2. Der GdB für die Zuckerkrankheit ist gemäß Teil B Ziffer 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (2. VersMedVÄndV) vom 14.07.2010 (BGBl. I, 928) mit 40 zu bewerten.
Nach dieser Vorschrift gilt:
"Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40. Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen".
Soweit der Normtext auf den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) Bezug nimmt gilt er gemäß Teil A Ziffer 2 lit. a) für die Bemessung des GdB entsprechend (vgl. auch BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 33 ff.)
Der Kläger spritzt dreimal täglich Insulin unter entsprechender Berücksichtigung der jeweiligen Blutzuckerwerte. Das HbA1c lag nach Angaben des Klägers gegenüber dem Gutachter zuletzt bei 9,5%, die Blutzuckerwerte lägen fast immer unter 200mg%. Im Bereich der Fußsohle verspüre der Kläger ein Kribbeln. Der Gutachter ermittelte im Rahmen der Untersuchung einen Blutzuckerwert von 298 mg%, der HbA1c Wert lag bei 9,3%. Ein Anhalt für eine diabetische Retinopathie lässt sich bislang nicht objektivieren. Weder im Rahmen der Untersuchung noch anhand der übrigen Befunde und ärztlichen Stellungnahmen im Rahmen des Verfahrens lassen sich beim Kläger besondere Einschnitte in der Lebensführung objektivieren. Die Feststellung eines GdB von mindestens 50 allein für die Zuckerkrankheit lässt sich vor diesem Hintergrund - trotz nicht befriedigend eingestellten Wertes (vgl. dazu Müller, Ernährungsmedizinische Praxis, 2007, S. 111) – nicht rechtfertigen. Der hierfür erforderliche – und das Leben ggf. einschränkende – Therapieaufwand wird vom Kläger offensichtlich nicht betrieben (vgl. dazu BSG Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R = juris Rn. 39). Mit dem Gutachter Dr. Q erachtet die Kammer den vorgeschlagenen GdB von 40 für angemessen.
3. Im Bereich der Halswirbelsäule ermittelte der Gutachter für das Vorneigen/Rückneigen 40°/0°/40°, für das Seiteneigen rechts/links 30°/0°/40° und für das Drehen rechts/links 50°/0°/70°. Für die Brust- und Lendenwirbelsäule ermittelte er eine mögliche Seitneigung von 20°/0°/20°, eine Drehung von 30°/0°/50° und eine Rückwärtsneigung von 0°/20°. Bei der Prüfung des Finger- Boden- Abstands beschrieb er, dass die Finger des Klägers gerade über die Knie gingen. Dem Kläger war ein langes ruhiges Sitzen während der Anamneseerhebung möglich. Er konnte auch gut aufstehen. Das Erheben aus der horizontalen Lage zeigte sich leicht erschwert. Die Zehenspitzen- und Hackenstellung waren beide gut durchführbar. Das Gangbild war unauffällig. Während der Rückwärtsneigung des Kopfes gab der Kläger gegenüber dem Gutachter ein Taubheitsgefühl im Bereich der linken Hand an. Trizeps-, Bizeps-, Patella- und Achillessehnenreflex konnten nicht sicher ausgelöst werden. Es fand sich zudem eine Großzehenheber- und -senkerschwäche links. Insgesamt fanden sich bei der Überprüfung der Beweglichkeit im Zeitpunkt der Begutachtung durch Herrn Dr. Q Bewegungseinschränkungen, die letztlich in Übereinstimmung stehen mit den gesicherten Vorbefunden. Auch wenn die Beweglichkeit letztlich derzeit nur mittelgradig eingeschränkt war, ist mit dem Gutachter Dr. Q – vor dem Hintergrund der bereits bestehenden neurologischen Ausfallerscheinungen - für den Bereich der Wirbelsäule gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 40 in Ansatz zu bringen.
4. Im Bereich der unteren Extremitäten sind beim Kläger zum einen eine deutliche Coxarthrose beidseits sowie eine beidseitige Arthrose im Bereich der oberen Sprunggelenke, einer Retropatellararthrose sowie ein Gonarthrose röntgenologisch beschrieben. Der Kläger gab gegenüber dem Gutachter, insoweit stimmig, Beschwerden im Bereich der Knie und Sprunggelenks bei längerem Gehen an. Bei der Untersuchung fanden sich keine eindeutigen Muskelminderungen im Bereich der Ober- und Unterschenkel. Im Bereich des Knöchels rechts fand sich eine Verdickung. Die Beweglichkeit der Knie wurde rechts und links mit 130°/0°/0° beschrieben. Die Beugung/Streckung der Hüftgelenke mit 120°/0°/10°, das Abspreizen/Anführen der Hüfte mit 40°/0°/20° und die Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk mit 40°/0°/20°. Die Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenks beschrieb der Gutachter mit 30°/0°/10°, die des linken mit 40°/0°/10°. Die unteren Sprunggelenke waren beidseits mit 30°/0°/20° beweglich. Der Kläger zeigte damit im Bereich der Knie und Hüftgelenke als entsprechend normgerechte Beweglichkeit, im Bereich der Sprunggelenke fanden sich leichtgradigen Bewegungseinschränkungen. Dies führt der Gutachter nicht zuletzt auf ein gutes Ansprechen des Klägers auf die eingenommene Schmerzmedikation zurück. Berücksichtigte man lediglich die nachgewiesene Beweglichkeit des Klägers so wäre der bislang vergebene Grad der Behinderung von 30 zweifelsfrei zu hoch. Unter Berücksichtigung der beim Kläger durchgeführten analgetischen Therapie erscheint sie der Kammer, mit dem Gutachter Dr. Q, aber im Ergebnis gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze so gerade noch vertretbar.
5. Beim Kläger wurde im April 2012 eine Arthrose des Schultereckgelenks (Akromioklavikulargelenk) links angegeben. Bei der Untersuchung der Schultergelenke ermittelte der Gutachter bei der Vorwärts-/Rückwärtsbewegung eine Beweglichkeit von beidseits 150°/0°/30° und für die Bewegung seitwärts/körperwärts von 160°/0°/40°, ohne dass hierbei Beschwerden angegeben worden wären. Gemäß Teil B Ziffer 18.13 der versorgt medizinischen Grundsätze kommt die Feststellung eines Grades der Behinderung hierfür nicht in Betracht.
6. Für das Funktionssystem Herz-Kreislauf ist beim Kläger ein medikamentös behandelter Bluthochdruck zu berücksichtigen. Der Kläger war nach eigenen Angaben einmalig im Jahr 2011 beim Kardiologen. Ein entsprechender Arztbericht des Kardiologen Dr. H aus dieser Zeit lag der Kammer und dem Gutachter Dr. Q vor. Seinerzeit konnte der Kläger bei der Ergometrie bis 140 Watt Leistung bringen, ohne dass es zu besonderen Auffälligkeiten gekommen wäre. Der Abbruch erfolgte den allgemeinen Erschöpfung. Der Kläger nimmt seit Jahren vier blutdrucksenkende Medikamente. Er gab an, den Blutdruck täglich selber zu messen. Vor der Medikation sei der systolische Wert meist um 160 mmHg, der diastolische zwischen 75 und 90 mmHg. Abends läge der Wert bei 120/80 mmHg. Während der Untersuchung durch Dr. Preim war der systolische Wert mit 165 mmHg erhöht, der diastolische lag bei 80 mmHg. Schädigungen an Zielorganen ließen sich bislang nicht objektivieren. Gemäß Teil B Ziffer 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze käme bei dieser Sachlage an sich lediglich ein GdB von 10 in Betracht. Soweit beim Kläger in der Vergangenheit eine arterielle Verschlusskrankheit diskutiert worden ist, hat sich diese Diagnose nicht bestätigt. Die durch Dr. Q durchgeführte dopplersonographische Untersuchung der Fußschlagadern ergab keinen Hinweis auf eine periphere arterielle Durchblutungsstörung. Vor dem Hintergrund der bereits jahrelangen Medikation erscheint der Kammer gleichwohl der vom Gutachter weiter in Vorschlag gebrachte GdB von 20 für das Funktionssystem Herz- und Kreislauf, als so gerade noch vertretbar.
Die Tatsache, dass der Kläger derzeit aufgrund eines STEMI (ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt) der Hinterwand in stationärer Behandlung in der Klinik für Kardiologie, Pneumologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin der Uniklinik der RWTH Aachen befindet, ändert an diesen Feststellungen nichts. Gemäß Teil A Ziffer 2 lit f) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze kommt die Feststellung eines GdB nur dann in Betracht, wenn die Gesundheitsstörung voraussichtlich mindestens sechs Monate andauert. Bei dem beim Kläger diagnostizierten Infarkt handelt es sich zunächst um ein akutes Geschehen (vgl. dazu Fritze/Mehrhoff, Die ärztliche Begutachtung, 8. Aufl. 2012, S. 342; Erdmann, Klinische Kardiologie, 7. Aufl. 2009, S. 43 ff.) Ob und in welchem Umfang hier Beeinträchtigungen des Klägers verbleiben steht derzeit noch nicht fest (vgl. zu den Folgen eines Myokardinfarktes, Hermann/Steiner/Diener, Vaskuläre Neurologie, 2010, S. 51 ff.; Hoberg, in: Rauch/Middeke/Bönner/Karoff/Held, Kardiologische Rehabilitation, 2007, S. 166). Eine Berücksichtigung kommt damit zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Sollten sich länger andauernde Beeinträchtigungen objektivieren, steht es dem Kläger frei, dann einen entsprechenden Änderungsantrag beim Beklagten zu stellen.
7. Im Rahmen der Laboruntersuchung fanden sich beim Kläger – wie auch schon in der Vergangenheit – eine für erhöhten Alkoholkonsum typische Konstellation der erhöhten Werte der Leberenzyme (AST 84, ALT 63) mit einem erhöhten mittlerem Erythrozytenvolumen (101). Vor dem Hintergrund, dass sich weder beim Gutachter, noch in den Vorbefunden, Anhaltspunkte für Auffälligkeiten im Sinne eines erhöhten Alkoholkonsums gefunden haben, kommt die Feststellung eines GdB unter Berücksichtigung von Ziffer 3.8 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (1. VersMedVÄndV) vom 01.03.2010 (BGBl. I, S. 249) nicht in Betracht.
8. Die beim Kläger ebenfalls durch die Laboruntersuchung festgestellte Fettstoffwechselstörung sowie der erhöhte Harnsäurespiegel bedingen gemäß Teil B Ziffer 15.2 und 15.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bislang ebenfalls keinen GdB, da Folgekrankheiten nicht objektiviert sind. Die beim Kläger mit einem Body-Mass-Index von 35 bestehende Adipositas bedingt gemäß Teil B Ziffer 15 ebenfalls keinen GdB. Soweit das Übergewicht sich auf andere Funktionssysteme auswirkt, wurden diese Auswirkungen dort mitberücksichtigt.
9. Die beim Kläger festgestellten erniedrigten Testosteronspiegel bedingt einen GdB von höchstens 10. Beeinträchtigungen hieraus, die einen höheren GdB rechtfertigen würden, sind nicht objektiviert.
Weitere bei dem Kläger vorliegende gesundheitliche Beeinträchtigungen bedingen keinen GdB.
Vor diesem Hintergrund ist bei dem Kläger für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein weiterhin ein Gesamt-GdB von 90 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall ist auszugehen von den Beeinträchtigungen der Lunge mit einem GdB von 50.
Dieser ist durch die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten, die zusammen ebenfalls einen GdB von 50 bilden zu erhöhen. Hinsichtlich der orthopädischen Beeinträchtigungen und der hierfür durch den Gutachter in Vorschlag gebrachten GdB verweist die Kammer im Übrigen ausdrücklich auf den Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. F, der für die unteren Extremitäten und die Wirbelsäule zusammen ebenfalls einen GdB von 50 in Vorschlag gebracht hatte. Insofern versteht die Kammer im Ergebnis auch nicht, aus welchem Grund der Kläger unter Berufung auf seinen behandelnden Orthopäden die Annahme des vom Beklagten unterbreiteten Vergleichsangebots abgelehnt hat.
Diese beiden Erkrankungen, die sich teilweise in ihren Auswirkungen verstärken, bilden einen GdB von 70, welcher durch die Zuckerkrankheit und durch die Beeinträchtigungen von Herz- und Kreislauf weiter zu erhöhen ist, wenngleich letztere vor dem Hintergrund, dass es sich lediglich um einen GdB von 20 handelt, nur unwesentlichen Anteil an dieser Erhöhung hat. Mit dem Gutachter erachtet auch die Kammer beim Kläger einen GdB von 90 derzeit als zutreffend, wenngleich dieser nach Auffassung der Kammer nur soeben erreicht wird. Die Feststellung des vom Kläger begehrten GdB von 100 kommt derzeit nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten.
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