S 12 SB 888/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 888/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin stellte am 08.02.2013 beim Beklagten einen Antrag auf Feststellung eines GdB sowie des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G und B. Hierbei gab sie an, ihr sei am 17.01.2013 ein mechanischer Aortenklappenersatz bei trikuspider Aortenklappe mit hochrangiger Stenose eingesetzt worden. Darüber hinaus leide sie unter Hyperlipoproteinämie, einen Zustand nach Bronchopneumonie des rechten Unterlappens im Januar 2012, einem Asthma bronchiale mit Luftnot nach einer Etage Treppensteigen, einer rheumatoiden Arthritis sowie einem Restless-Legs-Syndrom.

Der Beklagte wertete durch seinen ärztlichen Dienst einen Arzt- und Operationsbericht der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums B über den Aortenklappenersatz und den stationären Aufenthalt der Klägerin in der Zeit vom 15.01.2013 bis 25.01.2013 und einen Arztbericht der Klinik für Innere Medizin des St.-Antonius-Hospitals F vom 16.01.2012 betreffend die stationäre Behandlung in der Zeit vom 10.01.2012 bis 14.01.2012 aus. Hierbei kam er zu der Einschätzung die Funktionseinschränkung von Herz und Kreislauf bei Aortenklappenersatz, AP- Symptomatik, Marcumar® und diastolischer Funktionsstörung bedinge einen GdB von 40. Ein Asthma bronchiale, ein Restless-Legs-Syndrom und ein Rheumaleiden seien nicht objektiviert. Der Zustand nach Bronchopneumonie, eine Fußdeformierung und Fettstoffwechselstörung bedingten keinen eigenen GdB.

Mit Bescheid vom 19.03.2013 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 40 fest. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Merkzeichen wurde abgelehnt.

Am 15.04.2013 ging ein Schreiben der Allgemeinmediziner Dr. T/T1 beim Beklagten ein, die darum baten, den festgestellten GdB von 40 zu überdenken, da offensichtlich nicht berücksichtigt worden sei, dass die Klägerin sich einer großen Herzoperation mit Ersatz einer Aortenklappe unterzogen habe. Die Klägerin sei bis zum heutigen Tage noch deutlich in ihrer Leistungsfähigkeit und Beweglichkeit behindert.

Am 17.04.2013 legte die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Widerspruch ein.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legten die Ärzte Dr. T/T1 einen Arztbericht des Kardiologen Dr. S vom 10.06.2013, ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK O vom 14.06.2013 sowie einen Arztbericht des Facharztes für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. U vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2013 wies die Bezirksregierung N den Widerspruch als unbegründet zurück.

Unter dem 25.07.2013 vertrat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Auffassung, vor dem Hintergrund der nunmehr vorliegenden weiteren Arztberichte sowie des sozialmedizinischen Gutachtens des MDK S sei der GdB der Klägerin mit mehr als 40 zu bewerten.

Am 19.08.2013 hat die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch- kardiologischen Gutachtens des Arztes für Innere Medizin, Kardiologie, Sport- und Ernährungsmedizin Doktor I sowie eines psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. C.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu erklärt, die Klägerin und ihre behandelnden Ärzte teilten die Feststellungen in dem Gutachten nicht. Die erhobenen Befunde seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Man bitte um Anberaumung eines Verhandlungstermines. Ein Gutachten nach § 109 SGG werde erstinstanzlich nicht gestellt.

Das Gericht hat daraufhin Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 19.08.2014 bestimmt.

Am 06.08.2014 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zwei Arztberichte des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie der Medizinischen Zentrum der T vom 26.06.2014 und 11.07.2014 sowie einen Arztbericht der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. I/L/E vom 24.01.2014 vorgelegt.

Zu diesen Berichten hat der Beklagte durch seinen ärztlichen Dienst am 14.08.2014 Stellung genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2013 zu verurteilen, den Grad der Behinderung der Klägerin ab dem 08.02.2013 mit 50 zu bewerten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft und insbesondere Bezug auf die eingeholten Gutachten sowie die Ausführungen seines ärztlichen Beraters im vorliegenden Verfahren genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Wandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG nicht beschwert, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Der Klägerin steht derzeit kein höherer GdB als 40 zu.

Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht - BSG - Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; Landessozialgericht – LSG – Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).

Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.

Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 –B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).

Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter:

(1.) SJM-23-Aortenklappenersatz 17.01.2013 mit Marcumar®-Therapie (2.) perioperativ kleiner rechtsatrialer Perikarderguss (3.) arterielle Hypertonie (4.) Angst- und depressive Störung gemischt (5.) Funktionsstörung der Wirbelsäule bei Radikulopathie C6 und C7, Bandscheibenvorfall HWK 5/6 und 6/7 rechts, Spondylarthrose der LWS und HWS, Pseudolisthese L4/5 (6.) Funktionsbeeinträchtigung der oberen Extremitäten bei Periarthropathia humeroscapularis (7.) ex Nikotin-Abusus (8.) Asthma bronchiale (9.) Übergewicht (10.) Schweißneigung an den Händen

Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie den Gutachten des Dr. I und des Dr. C fest.

Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen, die von erfahrenen medizinischen Gutachtern unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Beteiligten haben auch keine substantiierten Einwände gegen die medizinischen Feststellungen erhoben. Lediglich die sozialmedizinische Bewertung ist bis zum Schluss umstritten geblieben.

Für das Funktionssystem von Herz und Kreislauf sind bei der Klägerin zum einen die Folgen des im Januar 2013 durchgeführten Aortenklappenersatzes zu berücksichtigen. Im Rahmen der Begutachtung durch Dr. I zeigten sich die Farbdopplerechokardiographiegradienten durchwegs im regelrechten Bereich. Auch die Ventrikelfunktion war stets regelgerecht. Die Aorta ascendens war nicht aufgeweitet, die Vena cava nicht gestaut. Das Ruhe-EKG war unauffällig. Im Rahmen des Belastung-EKG wurde die Messung nach 55 Sekunden bei 100 Watt wegen Erschöpfung der Klägerin bei einer Herzfrequenz von 138/min abgebrochen, was im Ergebnis eine 3-prozentige Minderung der Belastbarkeit widerspiegelt, wobei die Pumpkraft des Herzens vollständig erhalten war. Es zeigten sich insgesamt weder Anzeichen einer Angina Pectoris noch eine belastungsindizierte Ischämiereaktion. Der Ruhe-Blutdruck wurde bei Dr. I mit 122/97 mmHg und bei Dr. C mit 129/97 mmHg ermittelt und war damit in beiden Fällen diastolisch erhöht. Befragt nach ihren Beschwerden gab die Klägerin gegenüber beiden Gutachtern erhebliche Herzbeschwerden nicht an. Gegenüber Dr. I gab sie an, Treppensteigen gehe 2-3 Etagen. Sie gehe regelmäßig zweimal täglich mit dem Hund etwa eine halbe Stunde spazieren.

Insgesamt zeigte sich die kardiale Belastbarkeit der Klägerin nach den Feststellungen des kardiologischen Gutachters weitgehend altersgerecht. Gemäß Teil B Ziffer 9.1.2. ist bei der Klägerin im Hinblick auf den operativen Aortenklappenersatz mit Notwendigkeit der Dauerbehandlung mit Marcumar® ein GdB von mindestens 30 in Ansatz zu bringen. Dieser ist nach Auffassung der Kammer aufgrund der Feststellungen des Gutachters Dr. I auch nicht weiter so erhöhen, ist die Belastbarkeit der Klägerin kardiologischerseits mittlerweile doch wieder weitgehend altersgerecht.

Bei der Klägerin sind darüber hinaus die Auswirkungen der bei ihr vorliegenden gemischten Angst und depressiven Störung zu berücksichtigen. Die Klägerin gab gegenüber beiden Gutachtern übereinstimmend an, dass sie häufig nervös sei und unter Schweißneigung und Schlafstörungen leide. Gegenüber Dr. C erklärte sie darüber hinaus, sie habe ständig andere Gedanken im Kopf und reagiere häufig gereizt, wenn ihr Ehemann etwas sage. Gelegentlich werde sie richtiggehend wütend. Auch mache sie sich viele Sorgen, aktuell insbesondere um ihre Tochter. Ihren Tagesablauf schilderte die Klägerin gegenüber dem psychiatrischen Gutachter wie folgt. Sie stehe morgens zwischen 7:00 Uhr und 7:30 Uhr auf. Sie mache sich fertig und frühstücke. Danach gehe sie mit ihrem Hund etwa eine halbe Stunde spazieren. Abends gehe sie erneut mit dem Hund raus. Sie kümmere sich um die Hausarbeit. So würde sie und koche sie, was sie gerne tue. Das Staubsaugen überlassen sie ihrem Mann, da sie dabei sehr viel schwitze und Schmerzen im Rücken rechtsseitig verspüre. Das Putzen würde sie daher auch zusammen mit ihrem Mann erledigen, der mehr Kraft habe als sie. Einkäufe erledige sie zusammen mit ihrem Ehemann im Auto. Sie fahre auch selber Auto, jedoch keine längeren Strecken oder Autobahnen. Abends bereite sie das Abendbrot vor. Man schaue gemeinsam fern. Auch besuche sie abends häufig ihre Eltern, wo sie versuchen mit dem Vater spazieren zu gehen oder mit der Mutter Karten zu spielen. Freundschaften pflege sie seit Jahren nicht mehr. Sie würde gelegentlich mit Freunden telefonieren. Am häufigsten besuche sie ihre Schwester oder ihre Eltern. Innerhalb der Familie unternähmen sie insgesamt sehr viel. Häufig habe sie aber keine Lust, etwas zu unternehmen. Nach konkreten Freizeitbeschäftigung wie Kino, Theater, Konzerte oder ähnlichem befragt, erklärte die Klägerin gegenüber dem Gutachter, dass sie derartige Angebote eigentlich noch nie wahrgenommen habe, sie aber dort hingehen könne, wenn sie es wolle. Sie besuche auch häufiger ihren Sohn, welcher in der Nähe wohne. Dieser habe bereits zwei Kinder. Sie spiele auch sehr gern Karten mit ihrem Ehemann. Wenn sie lese sei sie nach zwei oder drei Seiten sehr müde. Ihre Arztkontakte nehme sie regelmäßig war. Sie habe sich zusammen mit ihrem Mann im relativ hohen Alter entschlossen, ein Haus zu kaufen. Im Hinblick auf die finanziellen Belastungen müsse man sich zurücknehmen. Sie führen jedoch einmal im Jahr für eine Woche nach C, in die Nähe von N, wo man in einem Wohnwagen, der Freunden gehöre, Urlaub mache. Dort könne sie gut abschalten, z.B. bei Spaziergängen im Wald. Die Klägerin schilderte dem Gutachter, dass ihr behandelnder Psychiater Dr. U eine Behandlung mit Opipramol empfohlen habe. Dieses Medikament habe sie aber nicht regelmäßig eingenommen. Sie nehme einmal in der Woche an ambulanten Psychotherapiesitzungen teil.

Der Gutachter Dr. C beschrieb die Klägerin psychopathologischen Befund als deutlich angespannt und aufgeregt. Die Aufmerksamkeit und Konzentration zeigten in der klinischen Überprüfung keine Auffälligkeiten. Es fand sich keine Störung des Neu- und Altgedächtnisses. Die Stimmungslage beschrieb er als leicht gedrückt bei vorherrschenden ängstlich getönten Affekt. Die affektive Resonanzfähigkeit war leicht eingeschränkt, jedoch erhalten. Der Antrieb war leichgradig gemindert, die Psychomotorik leichtgradig angespannt. Der formale Gedankengang war geordnet, im innerlichen Denken waren keine Wahninhalte festzustellen. Wahrnehmungsstörungen waren nicht zu eruieren. Die Ich-Integrität war intakt. Hinweise auf eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung ergaben sich nicht. Die testpsychologische Zusatzuntersuchung ergab, dem klinischen Eindruck entsprechend, Hinweise auf niedergedrückt-ängstliche Verstimmungszustände. Es ergaben sich Hinweise auf das subjektive Wahrnehmen einer gesteigerten Ermüdbarkeit und generellen reduzierten körperlichen Leistungsfähigkeit. Auffällig gewesen sein zudem Konstellationen, welche auf eine soziale Unsicherheit verwiesen. Schließlich hätten sich im Rahmen der testpsychologischen Untersuchungen Hinweise auf Einschränkungen der konzentrativen Belastbarkeit in der Testsituation ergeben.

Insgesamt stellte der Gutachter die Diagnose Angst und depressive Störung gemischt; eine Diagnose, die dann zu stellen ist, wenn sowohl Angst und Depression bestehen, keine der beiden Störung jedoch ein Ausmaß erreicht, dass eine entsprechende einzelnen Diagnose rechtfertigen würde.

Die Klägerin ist in der Lage ohne fremde Unterstützung ihren Alltag zu gestalten und zu bewältigen, wobei in verschiedenen Teilbereichen Einschränkungen bestehen, die sie mit Mithilfe ihres Ehemanns bewältigt. Im Übrigen ist bei der Klägerin nach ihren eigenen Schilderungen von einem weitgehend intakten Familienleben – auch im Hinblick auf ihre Eltern und Kinder – auszugehen. Die Klägerin erlebt sich zwar nervös und weniger belastbar ist aber durchaus in der Lage auch Freundschaften zu pflegen und Freude zu empfinden. Soweit die Klägerin in ihrer Berufsausübung eingeschränkt ist, beruht dies nach den überzeugenden Feststellungen des Gutachters Dr. C nur zum Teil auf ihrer psychischen Konstitution. Das Gutachten des Dr. C zeigt nach Auffassung der Kammer eindeutig, dass eine w e s e n t l i c h e Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bei der Klägerin nicht vorliegt, weswegen mit dem Gutachter gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von 20 in Ansatz zu bringen ist. Hierbei ist nach Auffassung der Kammer auch bereits eine gewisse Schmerzproblematik der Klägerin miterfasst.

Soweit der Prozessbevollmächtigte im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt hat, schon der Eindruck, den die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung mache, zeige deutlich, dass hier ein höherer GdB in Ansatz zu bringen sei, kann sich die Kammer dem nicht anschließen. Zur Begründung seiner These verwies der Prozessbevollmächtigte insbesondere darauf, die Klägerin sei sehr nervös. Gerade aber diese Nervosität war bereits Gegenstand sowohl des Gutachtens des Dr. I als auch des des Dr. C. Zudem ist zu beachten, dass auch die Tatsache, dass die Klägerin gerade an einer mündlichen Verhandlung teilnahm, in der es um die Frage ging, ob ihr die von ihr begehrte Schwerbehinderteneigenschaft zusteht, auch bei Personen, ohne entsprechende nervöse Prädisposition geeignet ist, Anspannung hervorzurufen. Eine besonders auffallende Angegriffenheit der Klägerin, die sich nach außen entsprechend gezeigt hätte, konnte die Kammer nicht feststellen.

Im Bereich der Wirbelsäule wurden bei der Klägerin in der Vergangenheit und aktuell eine Radikulopathie C6 und C7, Bandscheibenvorfall HWK 5/6 und 6/7 rechts, Spondylarthrose der LWS und HWS, Pseudolisthese L4/5 diagnostiziert. Maßgeblich für die Frage ob und ggf. hierfür ein GdB in Ansatz zu bringen ist, sind freilich nicht die Diagnosen, sondern die daraus folgenden, objektivierten Auswirkungen. Diese – das steht für die Kammer aufgrund der Feststellungen der behandelnden Orthopäden aus November 2013 und Januar 2014, der beiden gerichtlich bestellten Gutachter und dem Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie des Medizinischen Zentrum T fest – stellen sich als lediglich leicht bis höchstens mittelgradig im Bereich der HWS dar. Im November 2013 war die Beweglichkeit der Halswirbelsäule in der Re- und Inklination endgradig eingeschränkt, die Rotation war links bei 60° und rechts bei 55° schmerzhaft. Zwei Monate später hatte sich die Rotation verbessert und war links und rechts bei 60° endgradig schmerzhaft. Nervendehnungszeichen waren negativ, ebenso der sog. Armlasègue. Der behandelnde Orthopäde schlug eine manualtherapeutische Behandlung vor. Dr. I beschrieb in seinem Gutachten, dass die Wirbelsäule nicht klopfschmerzhaft war. Auch im Gutachten des Dr. C fanden sich keine Hinweise auf besondere Probleme im Bereich der Wirbelsäule.

Im Juni 2014 gab die Klägerin gegenüber dem Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie des Medizinischen Zentrum T freilich an, sie leide seit längerem unter sehr schmerzhaften Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule. Eine im Mai 2014 angefertigte MRT-Untersuchung der Halswirbelsäule ergab rechts medio-lateral einen Bandscheibenextrusion HWK 5/6 mit Einengung des Neuroforamens. Daneben kombinierter rechts medio-lateraler Soft-Hart-Diskoprolaps HWK 6/7 mit in beiden Höhen beginnender Einengung des jeweils rechten Neuroforamens. Schließlich fand sich eine beginnende Altlantodentalarthrose. Es wurde im Juli 2014 eine Periradikuläre Therapie C6 und C7 durchgeführt. Im Rahmen der Untersuchung zeigten sich keinerlei sensomotorische Defizite, nach Durchführung der PRT zeigte sich nach Angaben der Klägerin eine deutliche Beschwerdebesserung. Insgesamt sind damit bei der Klägerin keinesfalls schwerere funktionelle Beeinträchtigungen im Bereich der Halswirbelsäule über den im Schwerbehindertenrecht maßgeblichen Zeitraum objektiviert.

Das Gleiche gilt für den Bereich der Lendenwirbelsäule. Weder bei der Untersuchung durch die beiden Gutachter noch im Rahmen der Untersuchung durch den Orthopäden im November 2013 und Januar 2014 zeigten sich wesentliche funktionelle Einschränkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Der Finger-Boden-Abstand wurde mit unter 0 cm ermittelt, die Rumpfrotation und die Seitenneigung waren frei. Lediglich die Reklination war endgradig schmerzhaft. Auch im Rahmen der Untersuchungen durch das Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie des Medizinischen Zentrum T zeigten sich im Bereich der Lendenwirbelsäule keine besonderen funktionellen Auswirkungen, so dass im vorliegenden Fall der GdB der Wirbelsäule gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 10, allerhöchstens mit 20 zu bewerten ist.

Für das Funktionssystem der oberen Extremitäten war zu berücksichtigen, dass die Klägerin in der Vergangenheit wegen geklagten Schulterschmerzen in fachorthopädischer Behandlung war. Es wurde seinerzeit ein einseitiges Impingementsyndrom der Schulter sowie eine Periarthropathia humeroscapularis diagnostiziert. Wesentliche Bewegungseinschränkungen oder sonstige funktionelle Beeinträchtigungen wurden jedoch nicht beschrieben. Die aktive Abduktion war frei, die Retroversion unauffällig, der Hawkins-Test war positiv, der Neer-Test negativ (vgl. hierzu Grifka/Kuster, Orthopädie und Unfallchirurgie, 2011, S 490 ff.) Es bestand ein Druckschmerz subacromial. Die Adduktion in der Horizontalen war eingeschränkt, die Außenrotation in Abduktion endgradig schmerzhaft, die Innenrotation war frei, der Supraspinatus-Test war negativ, ebenso der Jobetest. Der Nacken- und Lendengriff war frei.

Bei den Untersuchungen durch das Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie des Medizinischen Zentrum T zeigte sich das Akromioklavikulargelenk nicht druckschmerzhaft und beide Schultern waren frei beweglich. Auch war der Horizontaladduktionstest nunmehr unauffällig. Kraftdefizite in den Armen fanden sich nicht. Nach alledem sind bei der Klägerin wesentliche Beeinträchtigungen im Bereich der oberen Extremitäten ebenfalls nicht objektiviert, so dass insoweit gemäß Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze allerhöchstens ein GdB von 10 in Betracht kommt.

Für das Funktionssystem der Atmungsorgane ist bei Klägerin gemäß Teil B Ziffer 8 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein GdB von höchstens 10 in Ansatz zu bringen. Die Klägerin beschreibt eine Belastungdyspnoe, wobei sei gegenüber den Gutachtern erklärte, sie könne zwei bis drei Etagen Treppensteigen. Sie benutzt nach eigenen Angaben zweimal täglich Foster-Spray und Salbutamol bei Bedarf. Bei der Prüfung der Lungenfunktion durch Dr. I ergab sich bei regelgerechter Sauerstoffsättigung als Befund allenfalls eine diskrete Obstruktion. Unter Berücksichtigung dieser Befunde und den Schilderungen der Klägerin kommt ein höherer GdB als 10 derzeit nicht in Betracht. Soweit in zuletzt ein Schlafapnoe-Syndrom angegeben wird, ist dies nach Auffassung der Kammer nicht hinreichend gemäß Teil B Ziffer 8.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze gesichert. Dies gilt insbesondere für die Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung.

Weitere bei der Klägerin vorliegende gesundheitliche Beeinträchtigungen bedingen keinen GdB. Dies gilt insbesondere auch für das bei der Klägerin mit einem Body-Mass-Index 26,0 kg/m2 bestehende leichte Übergewicht (vgl. dazu Biesalski, Ernährungsmedizin, 2004, S. 246 f.) sowie die erhöhte Schweißneigung der Hände.

Vor diesem Hintergrund ist bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.

§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).

Im vorliegenden Fall ist als führender GdB derjenige für das Funktionssystem Herz- und Kreislauf heranzuziehen. Dieser GdB von 30 wird durch die bestehenden psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin auf 40 erhöht. Eine weitere Erhöhung des GdB, insbesondere die Feststellung der Schwerbehinderung, kommt im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn man die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule mit einem GdB von 20 bewerten wollte. Dieser Wert ist nämlich, wie bereits oben dargelegt, wenn überhaupt nur soeben erreicht und führt damit nach den dargelegten Wertungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nahezu regelhaft nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führt (vgl. allgemeine Auffassung: LSG Nordrhein-Westfalen Urteile vom 18.05.2004 - L 6 SB 130/03; 31.03.2009 – L 6 SB 110/08; Beschluss vom 26.04.2010 – L 6 SB 187/09; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 30.04.2012 - L 10 SB 91/11).

Das Gesamtmaß der Behinderungen der Klägerin lässt sich insgesamt nicht mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen Wert von 50 angeben, wie es Teil A Ziffer 3 lit. b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vorschreiben (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 –L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Eine Vergleichbarkeit mit Menschen, die unter Wirbelsäulenleiden mit besonders schweren Auswirkungen, wie z.B. einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, leiden oder mit dem Verlust der Gebrauchsfähigkeit eines Arms liegt nicht vor. Eine vergleichbare Einschränkung der Beweglichkeit und Mobilität und damit der gesellschaftlichen Teilhabe ist bei der Klägerin nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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