Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 43 SB 211/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 9/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid vom 12. Februar 2014 abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Bescheinigung über einen Grad der Behinderung von 80 für das zuständige Finanzamt.
Der 55-jährige Kläger, der auf den P. lebt, jedoch in D. zur Einkommensteuer herangezogen wird, begehrt von der Beklagten die Bescheinigung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 gegenüber dem zuständigen deutschen Finanzamt.
Am 5. März 1994 erlitt der als selbständiger Kaufmann tätige Kläger einen Unfall, als er vom Kutschbock der von ihm gelenkten Kutsche geschleudert wurde, als die Pferde scheuten. Dabei zog er sich einen Bruch des fünften und sechsten Halswirbels sowie eine zweitgradig offene Unterschenkelfraktur links zu, welche mit einem Verriegelungsnagel stabilisiert wurde. Nach zunächst unproblematischem Heilungsverlauf kam es im Unterschenkel zu einem Entzündungsprozess, in dessen Folge im Juni 1994 eine zweimalige operative Sanierung eines osteomyelitischen Herdes erfolgte. Mit Bescheid vom 14. Dezember 1994 stellte das seinerzeit zuständige Versorgungsamt M. fest, dass bei dem Kläger ein Zustand nach Unterschenkelbruch links, eine Knochenentzündung, eine Kraftminderung des rechten Armes infolge Bruch des fünften Halswirbelkörpers sowie Konzentrationsstörungen und Schwindelerscheinungen vorlägen und zuerkannte einen GdB von 80 sowie das Merkzeichen "aG". In der Folgezeit überprüfte das Versorgungsamt M. diese Feststellungen, und zwar im Januar 1998 und im März 2000. Es entschied jeweils, dass es bei den Feststellungen in dem Bescheid vom 14. Dezember 1994 bleibt.
Durch Urteil vom 26. September 2001 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt/Main den privaten Unfallversicherer des Klägers, diesem wegen der erlittenen Unfallfolgen eine monatliche lebenslange Rente von 4500 DM zu zahlen, weil bei dem Kläger durch das Unfallereignis eine Invalidität in Höhe von insgesamt 80 % eingetreten sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass bei dem Kläger eine unfallbedingte dauernde Funktionsbeeinträchtigung hinsichtlich des linken Beines zu 6/7 Beinwert (= 60 %) und hinsichtlich der Halswirbelsäulen-Verletzung zu 20 % vorliege. Daraus ergebe sich eine Gesamtinvalidität von 80 %. Für seine Entscheidung ging das Oberlandesgericht davon aus, dass der Kläger an einer chronischen Osteomyelitis im linken Bein litt. Zwar hätten sich zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den gerichtlichen Sachverständigen keine Anzeichen einer akuten Entzündung gefunden. Die Laboruntersuchung habe im Normbereich liegende Entzündungsparameter ergeben. Auch ein radiologisches Zusatzgutachten habe nicht den positiven Nachweis einer chronischen Osteomyelitis erbracht. Jedoch könne ein chronisch entzündlicher Prozess zumindest nicht ausgeschlossen werden. Dass ein solcher tatsächlich vorliege, habe der Sachverständige unter Berücksichtigung der Gesamtumstände – insbesondere des Beschwerdebildes des Klägers – nachvollziehbar bejaht. Auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 26. September 2001 wird ergänzend Bezug genommen.
Im Jahr 2005 verzog der Kläger auf die P ... Im April 2007 leitete das Versorgungsamt M. eine erneute Nachprüfung ein und entschied – nachdem der Kläger sich trotz Aufforderung im Verfahren nicht geäußert hatte – mit Bescheid vom 9. Juli 2007, das nicht mehr nachgewiesen sei, dass die mit dem Bescheid vom 14. Dezember 1994 getroffenen Feststellungen noch vorliegen. Am 13. Juli 2007 meldete sich der Kläger bei dem Versorgungsamt M. telefonisch und erklärte, dauerhaft auf den P. zu leben und seinen Schwerbehindertenausweis verloren zu haben. Er bestätigte diesen Sachverhalt durch E-Mail vom 13. Juli 2007. Der Bescheid vom 9. Juli 2007 erlangte Bestandskraft.
Am 12. Oktober 2009 stellte der Kläger durch den von ihm bevollmächtigten Steuerberater bei seiner letzten Wohnsitzgemeinde in D. den Antrag, mit Blick auf seine Einkommenssteuerpflicht in D. ihm einen "Schwerbehindertennachweis für das deutsche Finanzamt" zu erteilen. Dem Antrag beigefügt war eine Vollmachtsurkunde des Klägers vom selben Tage, durch welche er den Steuerberater ermächtigte, ihn in "der Angelegenheit beim Auslandsversorgungsamt zur Ausstellung meines Schwerbehinderten-ausweises 80 % für das deutsche Finanzamt zu vertreten", sowie eine Abschrift des Urteils des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main. Der Kläger ließ ferner die Kopie einer Bescheinigung des Borja Familiy Hospital in Bohol/P. vom 12. Januar 2010 vorlegen, in welcher M.D. Melinda Borja angab, dass der Kläger seit Februar 2005 wegen der Angabe von Beschwerden im linken Knie, von eingeschränkter Beweglichkeit, von Appetitlosigkeit, Schwindel und Stimmungsschwankungen in ihrer Behandlung sei. Als Diagnose gab sie "chronische Osteomyelitis" an und verordnete "Behandlung und Rehabilitation" für weitere sechs Monate.
Die als Auslandsversorgungamt zuständige Beklagte ließ die eingereichten Unterlagen durch den Arzt für Orthopädie Dr. S. sozialmedizinisch auswerten. Dieser gelangte in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 20. Februar 2010 zu der Einschätzung, dass mit den vorgelegten Unterlagen die Feststellung eines GdB nicht möglich sei, weil dem Urteil keine aktuellen Befunde zu entnehmen seien und dieses auch nur juristische Interpretationen enthalte. Das weiterhin vorgelegte ärztliche Attest führe lediglich Beschwerden an, enthalte aber keine Befunde. Es lasse sich namentlich nicht feststellen, ob und in welchem Ausmaß die bescheinigte chronische Osteomyelitis fortbestehe.
Mit Bescheid vom 3. März 2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Berufung darauf ab, dass mit Blick auf die vorgelegten Unterlagen Feststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht nicht getroffen werden könnten. Hierauf meldete sich der Kläger bei der Beklagten und teilte mündlich mit, dass er die Entscheidung nicht verstehe und darauf bestehe, dass ihm die begehrte Bescheinigung mit einem GdB von 80 auf der Grundlage des hierfür maßgeblichen Urteils des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main erteilt werde. Zur Begründung seines Widerspruchs führte er ferner schriftlich aus, er erfülle schon aufgrund der vielen Begutachtungen von renommierten Professoren und höchstinstanzlichen Gerichtsurteilen über eine zeitlebens bestehende außerordentliche 80 prozentige Gehbehinderung die Voraussetzungen für die entsprechende Feststellung. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 20. April 2010 zurück. Die rechtliche und medizinische Prüfung habe unter Beachtung der Versorgungsmedizinverordnung ergeben, dass die geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wenigstens einen GdB von 20 bedingten. Deshalb könne die entsprechende Feststellung nicht getroffen werden.
Daraufhin hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er verstehe nicht, warum alles so kompliziert gemacht werde. Er lebe doch nicht mehr in D. und benötige nur eine Bescheinigung fürs Finanzamt, wonach seine Behinderung 80 % betrage. Dies sei ihm bereits vom Oberlandesgericht zugesprochen worden. Auch beziehe er eine lebenslange Rente und besitze zwei Mehrfamilienhäuser in D., die er zu versteuern habe. Schließlich sei nicht nur am 14. Dezember 1994 ein GdB von 80 sowie eine außerordentliche Gehbehinderung festgestellt worden. Vielmehr sei er in den darauf folgenden Jahren immer wieder beim Versorgungsamt M. vorstellig geworden und habe jeweils eine neue Zuerkennung seiner Behinderung erhalten. Zuletzt sei sein Schwerbehindertenausweis bis zum Dezember 2005 gültig gewesen. Soweit aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main hervorgehe, dass ihm zeitlebens eine Behinderung von 80 % zur Seite stehe, greife zudem § 69 Abs. 2 SGB Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) ein, wonach Feststellungen nach Abs. 1 nicht zu treffen sind, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist. Schließlich seien die medizinischen Sachverhaltsaufklärungen nicht ausreichend und umfassend, da er sich keinerlei Untersuchung unterzogen habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich hierbei auf die Begründung des angefochtenen Bescheides bezogen. Überdies habe der Kläger nicht die Namen und Anschriften seiner behandelnden Ärzte mitgeteilt oder selbst aktuelle Befundberichte über seinen Gesundheitszustand vorgelegt. Damit sei er seinen gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die Nichtfeststell¬barkeit anspruchsbegründender Tatsachen gehe jedoch zu seinen Lasten.
Der Kläger hat am 6. Juni 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens vor, ihm stehe eine "Pauschalbescheinigung über eine 80 % außerordentliche Gehbehinderung" für das Finanzamt zu. Insoweit berufe er sich auf den Umstand, dass ihm lebenslang eine Rente wegen 80 prozentiger Schwerbehinderung zugesprochen wurde sowie den Umstand, dass er bis einschließlich 2005 einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis erhalten habe.
Das Berufungsgericht hat den Kläger durch Vermittlung der Deutschen Botschaft in M1/P. in der P1 Medical Clinic in M1/P. ärztlich auf dem orthopädisch-chirurgischen Fachgebiet unter Einschluss radiologisch-bildgebender sowie neurologischer Diagnostik untersuchen lassen. In dem am 13. September 2013 bei Gericht eingegangenen Gutachten werden als Befunde ein langsamer, auf einen Gehstock gestützter Gang, ein feines Zittern der Finger rechten Hand, eine Schwäche des rechten Arms und eine am linken Bein längs verlaufende Narbe (Operationsnarbe) sowie ein Blutdruck von 150/90 mmhg angegeben. Weitere krankhafte Befunde seien bei der physischen Untersuchung nicht zu erheben gewesen. Röntgenologisch habe sich eine Retrolisthese C5/C6 sowie eine Verengung der Neuroforamina C5/C6 beidseits sowie C3/4 links gezeigt. Es bestehe der Eindruck einer degenerativen, nicht entzündlichen Erkrankung der Halswirbelsäule. Neurologisch bestehe ein Karpaltunnelsyndrom, eine mäßige chronische motorisch-sensorische Neuropathie an den Nerven der oberen und unteren Körperglieder, eine mäßige chronische Radikulopathie bei L 3, 4, 5 und S 1 sowie bei C 5, 6, 7 und 8. Jedoch habe es weder bildgebend noch laborchemisch einen Anhalt für eine chronische Osteomyelitis gegeben. Auf das Gutachten und seine Übersetzung ins Deutsche wird ergänzend Bezug genommen.
Die Beklagte hat diese Untersuchungsergebnisse durch ihren ärztlichen Dienst allgemeinmedizinisch auswerten lassen. In seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 21. Januar 2014 vertritt der Arzt Dr. S1 hinsichtlich des Bereichs "Wirbelsäule" die Auffassung, die dort erhobenen Befunde ergäben mit Blick auf die insoweit durch den Kläger angegebenen Beschwerden "seit 20 Jahren Taubheitsgefühl an Armen und Beinen, Schmerzen im Nacken- und Lendenbereich" und der Feststellung der Untersucher, der Patient gehe "langsam an einer Krücke", einen Teil-GdB von 30 für eine Funktionsstörung der Wirbelsäule. Die bei der Untersuchung ebenfalls gefundene Störung der Nervenleitgeschwindigkeit habe eine Schädigung der Nervenwurzeln im HWS- und LWS-Bereich ergeben. Da diese sich von der ebenfalls vorhandenen Schädigung peripherer Nerven nicht abgrenzen lasse, gebe es Überschneidungen, die bei der Bemessung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden müssten. Die bei der Untersuchung auf den P. befundete Gesundheitsstörung an den oberen Extremitäten in Gestalt einer Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Arme bewertet er mit einem Teil-GdB von 20 und legt hierbei das bei der Untersuchung am 17. Oktober 2013 gefundene Carpaltunnelsyndrom, einen feinschlägigen Fingertremor rechts, eine motorische Schwäche des rechten Armes sowie eine beidseitige sensomotorische Neuropathie zugrunde. Auch insoweit gebe es Überschneidungen, die bei der Bemessung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden müssten, da sich die periphere Nervenschädigung von der ebenfalls vorhandenen Schädigung von Nervenwurzeln im HWS-Bereich nicht abgrenzen lasse. Hinsichtlich der unteren Extremitäten wird die Funktionsstörung des linken Beines nach operativ behandeltem Unterschenkelbruch mit Marknagel mit Blick auf die von den Untersuchern getroffene Feststellung "geht langsam mit einer Krücke" und die Angabe gelegentlicher Schwellung des linken Beines mit einem Teil-GdB von 30 bewertet. Es hätten sich hier weder Anhaltspunkte für eine Osteomyelitis noch für sklerotische Veränderungen an den Knochen gefunden. Deshalb werde von einer leichtergradigen Funktionsbehinderung nach operativ versorgter Fraktur ausgegangen. Die Nervenstörung beider Beine bewertet Dr. S1 mit Blick auf die Angabe eines Taubheitsgefühls und das langsame Gehen an einer Krücke, mit Blick auf eine Fußheberschwäche sowie die bei der Untersuchung gefundene sensomotorische Neuropathie mit einem Teil-GdB von ebenfalls 30. Auch in diesem Bereich gebe es Überschneidungen, die bei der Bemessung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden müssten, da sich die periphere Nervenschädigung von der ebenfalls vorhandenen Schädigung von Nervenwurzeln im HWS-Bereich nicht abgrenzen lasse. In der Gesamtschau schätzt Dr. S1 den GdB mit 50 ein. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege nicht vor, lediglich sei eine erhebliche Gehbehinderung wegen der Funktionsstörung des linken Beines nach operativ behandeltem Unterschenkelbruch, wegen einer Nervenstörung beider Beine und einer Funktionsstörung der Wirbelsäule festzustellen.
Auf der Grundlage dieser ärztlichen Einschätzung erklärte sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. Februar 2014 bereit, mit Wirkung ab 9. Juli 2007 einen GdB von 50 und das Merkzeichen "G" festzustellen und dem Kläger die entsprechende Bescheinigung für das Finanzamt zu erteilen. Mit Schreiben vom 19. März 2014 teilte die Beklagte unter Beifügung einer Abschrift der Bescheinigung vom selben Tage mit, dass sie diese an den Kläger abgesandt habe.
Nach Entgegennahme dieser Erklärung beharrt der Kläger darauf, dass ihm ein GdB von 80 zustehe, wie das ursprünglich festgestellt worden sei. Er könne nicht nachvollziehen, dass einem von der Beklagten beauftragten Arzt gefolgt werde, der zu dieser in Abhängigkeit stehe und deshalb nicht neutral sei.
Er beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 3. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2011 und in der Fassung des Bescheides vom 12. Februar 2014 zu verurteilen, ihm gegenüber dem zuständigen deutschen Finanzamt zu bescheinigen, dass er auch über den 8. Juli 2007 hinaus einen Grad der Behinderung von 80 führt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 12. Februar 2014 abzuweisen.
Sie verteidigt die getroffene Entscheidung.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 24. Juni 2014 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) hat keinen Erfolg. Die Entscheidung der Beklagten ist in ihrer aktuellen Fassung, die sie durch die als Änderungsbescheid anzusehende Erklärung vom 12. Februar 2014 erhalten hat und die nach §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, nicht zu beanstanden.
Nach § 69 Abs. 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden "auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung" fest. Für diese Feststellung sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung anzuwenden. Im Schwerbehindertenrecht ist danach die Anlage Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG) zur Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungs¬medizinverordnung (VersMedV)) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, 2412) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 2012 (BGBl. I 2122) zugrunde zu legen. Sie gilt – ebenso wie das zuvor bereits bei den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung bzw. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, hier: Ausgaben 2004, 2005 bzw. 2008 - AHP 2004/2005/2008) der Fall war – im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. Urt. vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 10/06 R – für die AHP sowie Urt. vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B – für die VersMedV) in der jeweils aktuellen Fassung (vgl. BSG, Urt. vom 7. April 2011 – B 9 VJ 1/10 R) als so genanntes antizipiertes Sachverständigengutachten.
Hiervon ausgehend hat die Beklagte rechtsfehlerfrei entschieden, dass dem Kläger ab 9. Juli 2007 ein GdB von 50 zusteht. Auf diese Feststellung hat der Kläger Anspruch, obwohl er entgegen der in § 2 Abs. 2 SGB IX getroffenen Regelung keinen Wohnsitz in D. hat. Denn bei behinderten Menschen mit Auslandswohnsitz ist gleichwohl der GdB festzustellen, wenn davon in D. Vergünstigungen abhängen, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (BSG, Urt. vom 05.07.2007 – B 9a SB 2/07 R). Dies ist in Gestalt der steuerrechtlichen Vergünstigungen für schwerbehinderte Menschen, die der Kläger mit Blick auf die Veranlagung zur Einkommensteuer erstrebt, der Fall.
Einen Anspruch auf Bescheinigung eines höheren GdB als 50 über den 8. Juli 2007 hinaus, wie dies unter Abänderung des Änderungsbescheides vom 12. Februar 2014 begehrt wird, hat der Kläger jedoch nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) nicht.
Ein solcher Anspruch folgt zunächst nicht aus § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, wonach Feststellungen nach Abs. 1 nicht zu treffen sind, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist. Eine solche Feststellung gilt nach § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB IX zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Der Kläger besitzt aber keinen Rentenbescheid und auch keine andere Entscheidung, die das Feststellungsmonopol des Versorgungsamtes einzuschränken geeignet wäre. Eine solche Eignung besitzen nur Rentenbescheide nach dem BVG, dem Opferentschädigungsgesetz, dem Bundes¬entschädigungsgesetz und dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung. Nur sie treffen Entscheidungen zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. zum GdB. Entscheidungen der Zivilgerichte, die – wie hier – eine Aussage zur Eintrittspflicht eines privaten Versicherers treffen, gehören hierzu nicht.
Soweit die von den Ärzten auf den P. getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand des Klägers in Rede stehen, tritt der Kläger diesen nicht entgegen. Auch das Berufungsgericht hat keinen Anlass an diesen Feststellungen zu zweifeln und legt sie deshalb seiner Entscheidung zugrunde. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Beklagte die Behinderung des Klägers in Gemäßheit der in der Versorgungsmedizinverordnung getroffenen Regelungen zutreffend bewertet. Alle festgestellten Teil-GdB entsprechen den Maßgaben der Versorgungs¬medizinverordnung. Auch der Gesamt-GdB wird der Behinderung gerecht, zumal hier die beiden höchsten Teil-GdB-Werte (jeweils 30 für eine Funktionsstörung der Wirbelsäule und eine Funktionsstörung der unteren Extremitäten) gemäß Teil A 3 a) - d) VG in der Zusammenschau mit der Funktionsstörung der oberen Extremitäten, für die ein Teil-GdB von 20 festgestellt wurde, und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen und Überschneidungen einer Erhöhung um insgesamt 20 auf einen GdB von 50 zugeführt wurden. Die der Feststellung des Versorgungsamtes M. noch zugrunde gelegte chronische Osteomyelitis kann nach dem gegenwärtigen Sachstand keine Berücksichtigung mehr finden, weil ein Anhaltspunkt für einen Fortbestand dieses Zustandes nicht gefunden wurde.
Soweit der Kläger vorbringt, es dürfe der Einschätzung des ärztlichen Dienstes der Beklagten schon deshalb nicht gefolgt werden, weil dieser von der Beklagten abhängig sei, kann er hiermit nicht erfolgreich gehört werden. Denn nach § 20 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ermittelt das Versorgungamt den Sachverhalt von Amts wegen. Es hat nach § 20 Abs. 2 SGB X alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Das diese Verpflichtung hier verletzt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Auch der Kläger bringt gegen die ärztliche Einschätzung durch Dr. S1 substantiiert nichts vor. Der Senat legt sie seiner Entscheidung deshalb ohne weitere Ermittlungen zugrunde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer Bescheinigung über einen Grad der Behinderung von 80 für das zuständige Finanzamt.
Der 55-jährige Kläger, der auf den P. lebt, jedoch in D. zur Einkommensteuer herangezogen wird, begehrt von der Beklagten die Bescheinigung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 gegenüber dem zuständigen deutschen Finanzamt.
Am 5. März 1994 erlitt der als selbständiger Kaufmann tätige Kläger einen Unfall, als er vom Kutschbock der von ihm gelenkten Kutsche geschleudert wurde, als die Pferde scheuten. Dabei zog er sich einen Bruch des fünften und sechsten Halswirbels sowie eine zweitgradig offene Unterschenkelfraktur links zu, welche mit einem Verriegelungsnagel stabilisiert wurde. Nach zunächst unproblematischem Heilungsverlauf kam es im Unterschenkel zu einem Entzündungsprozess, in dessen Folge im Juni 1994 eine zweimalige operative Sanierung eines osteomyelitischen Herdes erfolgte. Mit Bescheid vom 14. Dezember 1994 stellte das seinerzeit zuständige Versorgungsamt M. fest, dass bei dem Kläger ein Zustand nach Unterschenkelbruch links, eine Knochenentzündung, eine Kraftminderung des rechten Armes infolge Bruch des fünften Halswirbelkörpers sowie Konzentrationsstörungen und Schwindelerscheinungen vorlägen und zuerkannte einen GdB von 80 sowie das Merkzeichen "aG". In der Folgezeit überprüfte das Versorgungsamt M. diese Feststellungen, und zwar im Januar 1998 und im März 2000. Es entschied jeweils, dass es bei den Feststellungen in dem Bescheid vom 14. Dezember 1994 bleibt.
Durch Urteil vom 26. September 2001 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt/Main den privaten Unfallversicherer des Klägers, diesem wegen der erlittenen Unfallfolgen eine monatliche lebenslange Rente von 4500 DM zu zahlen, weil bei dem Kläger durch das Unfallereignis eine Invalidität in Höhe von insgesamt 80 % eingetreten sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass bei dem Kläger eine unfallbedingte dauernde Funktionsbeeinträchtigung hinsichtlich des linken Beines zu 6/7 Beinwert (= 60 %) und hinsichtlich der Halswirbelsäulen-Verletzung zu 20 % vorliege. Daraus ergebe sich eine Gesamtinvalidität von 80 %. Für seine Entscheidung ging das Oberlandesgericht davon aus, dass der Kläger an einer chronischen Osteomyelitis im linken Bein litt. Zwar hätten sich zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den gerichtlichen Sachverständigen keine Anzeichen einer akuten Entzündung gefunden. Die Laboruntersuchung habe im Normbereich liegende Entzündungsparameter ergeben. Auch ein radiologisches Zusatzgutachten habe nicht den positiven Nachweis einer chronischen Osteomyelitis erbracht. Jedoch könne ein chronisch entzündlicher Prozess zumindest nicht ausgeschlossen werden. Dass ein solcher tatsächlich vorliege, habe der Sachverständige unter Berücksichtigung der Gesamtumstände – insbesondere des Beschwerdebildes des Klägers – nachvollziehbar bejaht. Auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 26. September 2001 wird ergänzend Bezug genommen.
Im Jahr 2005 verzog der Kläger auf die P ... Im April 2007 leitete das Versorgungsamt M. eine erneute Nachprüfung ein und entschied – nachdem der Kläger sich trotz Aufforderung im Verfahren nicht geäußert hatte – mit Bescheid vom 9. Juli 2007, das nicht mehr nachgewiesen sei, dass die mit dem Bescheid vom 14. Dezember 1994 getroffenen Feststellungen noch vorliegen. Am 13. Juli 2007 meldete sich der Kläger bei dem Versorgungsamt M. telefonisch und erklärte, dauerhaft auf den P. zu leben und seinen Schwerbehindertenausweis verloren zu haben. Er bestätigte diesen Sachverhalt durch E-Mail vom 13. Juli 2007. Der Bescheid vom 9. Juli 2007 erlangte Bestandskraft.
Am 12. Oktober 2009 stellte der Kläger durch den von ihm bevollmächtigten Steuerberater bei seiner letzten Wohnsitzgemeinde in D. den Antrag, mit Blick auf seine Einkommenssteuerpflicht in D. ihm einen "Schwerbehindertennachweis für das deutsche Finanzamt" zu erteilen. Dem Antrag beigefügt war eine Vollmachtsurkunde des Klägers vom selben Tage, durch welche er den Steuerberater ermächtigte, ihn in "der Angelegenheit beim Auslandsversorgungsamt zur Ausstellung meines Schwerbehinderten-ausweises 80 % für das deutsche Finanzamt zu vertreten", sowie eine Abschrift des Urteils des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main. Der Kläger ließ ferner die Kopie einer Bescheinigung des Borja Familiy Hospital in Bohol/P. vom 12. Januar 2010 vorlegen, in welcher M.D. Melinda Borja angab, dass der Kläger seit Februar 2005 wegen der Angabe von Beschwerden im linken Knie, von eingeschränkter Beweglichkeit, von Appetitlosigkeit, Schwindel und Stimmungsschwankungen in ihrer Behandlung sei. Als Diagnose gab sie "chronische Osteomyelitis" an und verordnete "Behandlung und Rehabilitation" für weitere sechs Monate.
Die als Auslandsversorgungamt zuständige Beklagte ließ die eingereichten Unterlagen durch den Arzt für Orthopädie Dr. S. sozialmedizinisch auswerten. Dieser gelangte in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 20. Februar 2010 zu der Einschätzung, dass mit den vorgelegten Unterlagen die Feststellung eines GdB nicht möglich sei, weil dem Urteil keine aktuellen Befunde zu entnehmen seien und dieses auch nur juristische Interpretationen enthalte. Das weiterhin vorgelegte ärztliche Attest führe lediglich Beschwerden an, enthalte aber keine Befunde. Es lasse sich namentlich nicht feststellen, ob und in welchem Ausmaß die bescheinigte chronische Osteomyelitis fortbestehe.
Mit Bescheid vom 3. März 2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Berufung darauf ab, dass mit Blick auf die vorgelegten Unterlagen Feststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht nicht getroffen werden könnten. Hierauf meldete sich der Kläger bei der Beklagten und teilte mündlich mit, dass er die Entscheidung nicht verstehe und darauf bestehe, dass ihm die begehrte Bescheinigung mit einem GdB von 80 auf der Grundlage des hierfür maßgeblichen Urteils des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main erteilt werde. Zur Begründung seines Widerspruchs führte er ferner schriftlich aus, er erfülle schon aufgrund der vielen Begutachtungen von renommierten Professoren und höchstinstanzlichen Gerichtsurteilen über eine zeitlebens bestehende außerordentliche 80 prozentige Gehbehinderung die Voraussetzungen für die entsprechende Feststellung. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 20. April 2010 zurück. Die rechtliche und medizinische Prüfung habe unter Beachtung der Versorgungsmedizinverordnung ergeben, dass die geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wenigstens einen GdB von 20 bedingten. Deshalb könne die entsprechende Feststellung nicht getroffen werden.
Daraufhin hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er verstehe nicht, warum alles so kompliziert gemacht werde. Er lebe doch nicht mehr in D. und benötige nur eine Bescheinigung fürs Finanzamt, wonach seine Behinderung 80 % betrage. Dies sei ihm bereits vom Oberlandesgericht zugesprochen worden. Auch beziehe er eine lebenslange Rente und besitze zwei Mehrfamilienhäuser in D., die er zu versteuern habe. Schließlich sei nicht nur am 14. Dezember 1994 ein GdB von 80 sowie eine außerordentliche Gehbehinderung festgestellt worden. Vielmehr sei er in den darauf folgenden Jahren immer wieder beim Versorgungsamt M. vorstellig geworden und habe jeweils eine neue Zuerkennung seiner Behinderung erhalten. Zuletzt sei sein Schwerbehindertenausweis bis zum Dezember 2005 gültig gewesen. Soweit aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main hervorgehe, dass ihm zeitlebens eine Behinderung von 80 % zur Seite stehe, greife zudem § 69 Abs. 2 SGB Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) ein, wonach Feststellungen nach Abs. 1 nicht zu treffen sind, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist. Schließlich seien die medizinischen Sachverhaltsaufklärungen nicht ausreichend und umfassend, da er sich keinerlei Untersuchung unterzogen habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich hierbei auf die Begründung des angefochtenen Bescheides bezogen. Überdies habe der Kläger nicht die Namen und Anschriften seiner behandelnden Ärzte mitgeteilt oder selbst aktuelle Befundberichte über seinen Gesundheitszustand vorgelegt. Damit sei er seinen gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die Nichtfeststell¬barkeit anspruchsbegründender Tatsachen gehe jedoch zu seinen Lasten.
Der Kläger hat am 6. Juni 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens vor, ihm stehe eine "Pauschalbescheinigung über eine 80 % außerordentliche Gehbehinderung" für das Finanzamt zu. Insoweit berufe er sich auf den Umstand, dass ihm lebenslang eine Rente wegen 80 prozentiger Schwerbehinderung zugesprochen wurde sowie den Umstand, dass er bis einschließlich 2005 einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis erhalten habe.
Das Berufungsgericht hat den Kläger durch Vermittlung der Deutschen Botschaft in M1/P. in der P1 Medical Clinic in M1/P. ärztlich auf dem orthopädisch-chirurgischen Fachgebiet unter Einschluss radiologisch-bildgebender sowie neurologischer Diagnostik untersuchen lassen. In dem am 13. September 2013 bei Gericht eingegangenen Gutachten werden als Befunde ein langsamer, auf einen Gehstock gestützter Gang, ein feines Zittern der Finger rechten Hand, eine Schwäche des rechten Arms und eine am linken Bein längs verlaufende Narbe (Operationsnarbe) sowie ein Blutdruck von 150/90 mmhg angegeben. Weitere krankhafte Befunde seien bei der physischen Untersuchung nicht zu erheben gewesen. Röntgenologisch habe sich eine Retrolisthese C5/C6 sowie eine Verengung der Neuroforamina C5/C6 beidseits sowie C3/4 links gezeigt. Es bestehe der Eindruck einer degenerativen, nicht entzündlichen Erkrankung der Halswirbelsäule. Neurologisch bestehe ein Karpaltunnelsyndrom, eine mäßige chronische motorisch-sensorische Neuropathie an den Nerven der oberen und unteren Körperglieder, eine mäßige chronische Radikulopathie bei L 3, 4, 5 und S 1 sowie bei C 5, 6, 7 und 8. Jedoch habe es weder bildgebend noch laborchemisch einen Anhalt für eine chronische Osteomyelitis gegeben. Auf das Gutachten und seine Übersetzung ins Deutsche wird ergänzend Bezug genommen.
Die Beklagte hat diese Untersuchungsergebnisse durch ihren ärztlichen Dienst allgemeinmedizinisch auswerten lassen. In seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 21. Januar 2014 vertritt der Arzt Dr. S1 hinsichtlich des Bereichs "Wirbelsäule" die Auffassung, die dort erhobenen Befunde ergäben mit Blick auf die insoweit durch den Kläger angegebenen Beschwerden "seit 20 Jahren Taubheitsgefühl an Armen und Beinen, Schmerzen im Nacken- und Lendenbereich" und der Feststellung der Untersucher, der Patient gehe "langsam an einer Krücke", einen Teil-GdB von 30 für eine Funktionsstörung der Wirbelsäule. Die bei der Untersuchung ebenfalls gefundene Störung der Nervenleitgeschwindigkeit habe eine Schädigung der Nervenwurzeln im HWS- und LWS-Bereich ergeben. Da diese sich von der ebenfalls vorhandenen Schädigung peripherer Nerven nicht abgrenzen lasse, gebe es Überschneidungen, die bei der Bemessung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden müssten. Die bei der Untersuchung auf den P. befundete Gesundheitsstörung an den oberen Extremitäten in Gestalt einer Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Arme bewertet er mit einem Teil-GdB von 20 und legt hierbei das bei der Untersuchung am 17. Oktober 2013 gefundene Carpaltunnelsyndrom, einen feinschlägigen Fingertremor rechts, eine motorische Schwäche des rechten Armes sowie eine beidseitige sensomotorische Neuropathie zugrunde. Auch insoweit gebe es Überschneidungen, die bei der Bemessung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden müssten, da sich die periphere Nervenschädigung von der ebenfalls vorhandenen Schädigung von Nervenwurzeln im HWS-Bereich nicht abgrenzen lasse. Hinsichtlich der unteren Extremitäten wird die Funktionsstörung des linken Beines nach operativ behandeltem Unterschenkelbruch mit Marknagel mit Blick auf die von den Untersuchern getroffene Feststellung "geht langsam mit einer Krücke" und die Angabe gelegentlicher Schwellung des linken Beines mit einem Teil-GdB von 30 bewertet. Es hätten sich hier weder Anhaltspunkte für eine Osteomyelitis noch für sklerotische Veränderungen an den Knochen gefunden. Deshalb werde von einer leichtergradigen Funktionsbehinderung nach operativ versorgter Fraktur ausgegangen. Die Nervenstörung beider Beine bewertet Dr. S1 mit Blick auf die Angabe eines Taubheitsgefühls und das langsame Gehen an einer Krücke, mit Blick auf eine Fußheberschwäche sowie die bei der Untersuchung gefundene sensomotorische Neuropathie mit einem Teil-GdB von ebenfalls 30. Auch in diesem Bereich gebe es Überschneidungen, die bei der Bemessung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden müssten, da sich die periphere Nervenschädigung von der ebenfalls vorhandenen Schädigung von Nervenwurzeln im HWS-Bereich nicht abgrenzen lasse. In der Gesamtschau schätzt Dr. S1 den GdB mit 50 ein. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege nicht vor, lediglich sei eine erhebliche Gehbehinderung wegen der Funktionsstörung des linken Beines nach operativ behandeltem Unterschenkelbruch, wegen einer Nervenstörung beider Beine und einer Funktionsstörung der Wirbelsäule festzustellen.
Auf der Grundlage dieser ärztlichen Einschätzung erklärte sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. Februar 2014 bereit, mit Wirkung ab 9. Juli 2007 einen GdB von 50 und das Merkzeichen "G" festzustellen und dem Kläger die entsprechende Bescheinigung für das Finanzamt zu erteilen. Mit Schreiben vom 19. März 2014 teilte die Beklagte unter Beifügung einer Abschrift der Bescheinigung vom selben Tage mit, dass sie diese an den Kläger abgesandt habe.
Nach Entgegennahme dieser Erklärung beharrt der Kläger darauf, dass ihm ein GdB von 80 zustehe, wie das ursprünglich festgestellt worden sei. Er könne nicht nachvollziehen, dass einem von der Beklagten beauftragten Arzt gefolgt werde, der zu dieser in Abhängigkeit stehe und deshalb nicht neutral sei.
Er beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 3. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2011 und in der Fassung des Bescheides vom 12. Februar 2014 zu verurteilen, ihm gegenüber dem zuständigen deutschen Finanzamt zu bescheinigen, dass er auch über den 8. Juli 2007 hinaus einen Grad der Behinderung von 80 führt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 12. Februar 2014 abzuweisen.
Sie verteidigt die getroffene Entscheidung.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 24. Juni 2014 aufgeführten Akten und Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) hat keinen Erfolg. Die Entscheidung der Beklagten ist in ihrer aktuellen Fassung, die sie durch die als Änderungsbescheid anzusehende Erklärung vom 12. Februar 2014 erhalten hat und die nach §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, nicht zu beanstanden.
Nach § 69 Abs. 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden "auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung" fest. Für diese Feststellung sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung anzuwenden. Im Schwerbehindertenrecht ist danach die Anlage Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG) zur Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungs¬medizinverordnung (VersMedV)) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, 2412) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 2012 (BGBl. I 2122) zugrunde zu legen. Sie gilt – ebenso wie das zuvor bereits bei den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung bzw. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, hier: Ausgaben 2004, 2005 bzw. 2008 - AHP 2004/2005/2008) der Fall war – im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. Urt. vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 10/06 R – für die AHP sowie Urt. vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B – für die VersMedV) in der jeweils aktuellen Fassung (vgl. BSG, Urt. vom 7. April 2011 – B 9 VJ 1/10 R) als so genanntes antizipiertes Sachverständigengutachten.
Hiervon ausgehend hat die Beklagte rechtsfehlerfrei entschieden, dass dem Kläger ab 9. Juli 2007 ein GdB von 50 zusteht. Auf diese Feststellung hat der Kläger Anspruch, obwohl er entgegen der in § 2 Abs. 2 SGB IX getroffenen Regelung keinen Wohnsitz in D. hat. Denn bei behinderten Menschen mit Auslandswohnsitz ist gleichwohl der GdB festzustellen, wenn davon in D. Vergünstigungen abhängen, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (BSG, Urt. vom 05.07.2007 – B 9a SB 2/07 R). Dies ist in Gestalt der steuerrechtlichen Vergünstigungen für schwerbehinderte Menschen, die der Kläger mit Blick auf die Veranlagung zur Einkommensteuer erstrebt, der Fall.
Einen Anspruch auf Bescheinigung eines höheren GdB als 50 über den 8. Juli 2007 hinaus, wie dies unter Abänderung des Änderungsbescheides vom 12. Februar 2014 begehrt wird, hat der Kläger jedoch nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) nicht.
Ein solcher Anspruch folgt zunächst nicht aus § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, wonach Feststellungen nach Abs. 1 nicht zu treffen sind, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist. Eine solche Feststellung gilt nach § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB IX zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Der Kläger besitzt aber keinen Rentenbescheid und auch keine andere Entscheidung, die das Feststellungsmonopol des Versorgungsamtes einzuschränken geeignet wäre. Eine solche Eignung besitzen nur Rentenbescheide nach dem BVG, dem Opferentschädigungsgesetz, dem Bundes¬entschädigungsgesetz und dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung. Nur sie treffen Entscheidungen zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. zum GdB. Entscheidungen der Zivilgerichte, die – wie hier – eine Aussage zur Eintrittspflicht eines privaten Versicherers treffen, gehören hierzu nicht.
Soweit die von den Ärzten auf den P. getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand des Klägers in Rede stehen, tritt der Kläger diesen nicht entgegen. Auch das Berufungsgericht hat keinen Anlass an diesen Feststellungen zu zweifeln und legt sie deshalb seiner Entscheidung zugrunde. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Beklagte die Behinderung des Klägers in Gemäßheit der in der Versorgungsmedizinverordnung getroffenen Regelungen zutreffend bewertet. Alle festgestellten Teil-GdB entsprechen den Maßgaben der Versorgungs¬medizinverordnung. Auch der Gesamt-GdB wird der Behinderung gerecht, zumal hier die beiden höchsten Teil-GdB-Werte (jeweils 30 für eine Funktionsstörung der Wirbelsäule und eine Funktionsstörung der unteren Extremitäten) gemäß Teil A 3 a) - d) VG in der Zusammenschau mit der Funktionsstörung der oberen Extremitäten, für die ein Teil-GdB von 20 festgestellt wurde, und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen und Überschneidungen einer Erhöhung um insgesamt 20 auf einen GdB von 50 zugeführt wurden. Die der Feststellung des Versorgungsamtes M. noch zugrunde gelegte chronische Osteomyelitis kann nach dem gegenwärtigen Sachstand keine Berücksichtigung mehr finden, weil ein Anhaltspunkt für einen Fortbestand dieses Zustandes nicht gefunden wurde.
Soweit der Kläger vorbringt, es dürfe der Einschätzung des ärztlichen Dienstes der Beklagten schon deshalb nicht gefolgt werden, weil dieser von der Beklagten abhängig sei, kann er hiermit nicht erfolgreich gehört werden. Denn nach § 20 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ermittelt das Versorgungamt den Sachverhalt von Amts wegen. Es hat nach § 20 Abs. 2 SGB X alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Das diese Verpflichtung hier verletzt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Auch der Kläger bringt gegen die ärztliche Einschätzung durch Dr. S1 substantiiert nichts vor. Der Senat legt sie seiner Entscheidung deshalb ohne weitere Ermittlungen zugrunde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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