L 3 AS 640/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AS 4235/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 640/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn während eines Klageverfahrens, das gegen eine vorläufige Leistungsbewilligung gerichtet ist, eine endgültige Leistungsbewilligung ergeht, hat sich das auf die vorläufige Leistungsbewilligung bezogene Gerichtsverfahren gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Gegenstand des Verfahrens ist nunmehr die endgültige Leistungsbewilligung, die gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 139/10 R -).
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 27. März 2014 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Leipzig zurückverwiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts Leipzig vorbehalten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid, mit der ihre Klage gegen eine vorläufige Leistungsbewilligung nach dem Erlass der endgültigen Bewilligung wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen worden ist.

Die ARGE L (im Folgenden: ARGE) bewilligte der Klägerin, die eine selbständige Tätigkeit ausübte, und ihrer minderjährigen Tochter mit Bescheid vom 17. September 2009 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. März 2010 in Höhe von monatlich zusammen 40,18 EUR. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. S 19 AS 3327/09 ER) schlossen die Beteiligten einen Vergleich mit dem Inhalt, dass die ARGE den Antragstellerinnen, das heißt der Klägerin und ihrer Tochter, im streitbefangenen Zeitraum monatlich 700,00 EUR zahlt. Daraufhin wies die ARGE den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2010 zurück. Der Prüfungsumfang im Widerspruchsverfahren bezüglich einer vorläufigen Bewilligung erschöpfe sich regelmäßig in der Prüfung, ob bei der vorläufigen Festsetzung der Leistungen Ermessensfehler geschehen seien. Diese Prüfung habe sich durch den gerichtlichen Vergleich erledigt. Nachdem die abschließenden Unterlagen zum erzielten Einkommen eingereicht worden seien, sei nunmehr eine endgültige Festsetzung vorzunehmen.

Die Klägerin hat hiergegen am 3. November 2010 die diesem Berufungsverfahren vorangegangene Klage erhoben (Az. S 19 AS 4235/10), mit der sie höhere Leistungen begehrt hat.

Das nunmehr zuständige Jobcenter L , der Beklagte, hat mit Bescheid vom 13. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2012 die Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum endgültig festgesetzt. Hiergegen hat die Klägerin am 23. Juli 2012 Klage erhoben (Az. S 19 AS 2449/12).

Das Sozialgericht hat die gegen den Bescheid vom 17. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 gerichtete Klage (Az. S 19 AS 4235/10) mit Gerichtsbescheid vom 27. März 2014 wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen. Zwar sei die isolierte Anfechtungsklage grundsätzlich statthaft. Die vorläufige Leistungsbewilligung habe sich aber durch die endgültige Bewilligung auf andere Weise erledigt. In Bezug auf den ursprünglichen Streitgegenstand, die Entscheidung über die Vorläufigkeit, sei die Klägerin klaglos gestellt. Nachdem der endgültige Festsetzungsbescheid nunmehr Gegenstand des Klageverfahrens Az. S 19 AS 2449/12 sei, habe die ältere Klage nicht mehr umgestellt werden können.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 8. April 2014 zugestellten Gerichtsbescheid am 8. Mai 2014 Berufung eingelegt, jedoch keinen Antrag gestellt und keine Begründung eingereicht.

Die Beteiligten sind zu einer beabsichtigten Zurückverweisung des Rechtsstreits angehört worden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, weil sie hierauf in der Ladung hingewiesen worden sind (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 27. März 2014 und der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Klage vom 3. November 2010 wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

1. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 27. März 2014 die Klage vom 3. November 2010 abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Diese Entscheidung ist fehlerhaft. Denn das Sozialgericht hat übersehen, dass der Bescheid über die endgültige Leistungsfestsetzung gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens, das den Bescheid über die vorläufige Leistungsfestsetzung zum Gegenstand hatte, geworden ist. Damit hat für die Klägerin die Möglichkeit bestanden, mit einer Klageänderung auf die veränderte Prozesssituation zu reagieren.

a) Gegenstand des diesem Berufungsverfahren zugrundeliegenden Klageverfahrens (Az. S 19 AS 4235/10) war das Begehren der Klägerin, höhere Leistungen als die vorläufig bewilligten zu erhalten. Dies ergibt sich aus der Klagebegründung. Darin wurde geltend gemacht, dass höhere Ausgaben der Klägerin aus ihrer selbständigen Tätigkeit bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen seien.

Diesbezüglich war die Auslegung des Klagebegehrens durch das Sozialgericht im Sinne einer isolierten Anfechtungsklage nicht korrekt. Denn es ging der Klägerin nicht um eine Anfechtung der Entscheidung über die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung mit der Begründung, die ARGE habe rechtswidrig gehandelt, weil sie zu Unrecht vorläufige Leistungen anstatt endgültige bewilligt habe. Für ein solches Anfechtungsbegehren wäre eine isolierte Anfechtungsklage mit dem Ziel, die Vorläufigkeitserklärung, die vorliegend ihre Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II (in der hier maßgebenden, vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung, vgl. Artikel 1 Nr. 5 des Gesetzes vom 14. August 2005 [BGBl. I S. 2407]) i. V. m. § 328 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) fand, zu beseitigen, grundsätzlich statthaft (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 RBSGE 108, 86 ff. = SozR 4-1500 § 54 Nr. 21 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 20; Düe, in: Brand, SGB III [6. Aufl., 2012], § 328 Rdnr. 33, m. w. N.). Wenn eine solche Klage Erfolg hat, erlangt der Kläger aber nur eine endgültige Leistungsbewilligung. Höhere Leistungen als die bewilligten können hingegen mit der isolierten Anfechtungsklage nicht erstritten werden.

Erst Recht war der vom Klägerbevollmächtigten formulierte Klageantrag, mit dem die Aufhebung des Bescheid vom 17. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 30. September 2010 beantragt wurde, nicht geeignet, das Klageziel zu erreichen. Denn mit diesem Antrag wäre der Bewilligungsbescheid vom 17. September 2009 als solcher beseitigt worden. Damit wäre die Grundlage für jegliche Leistungserbringung an die Klägerin, auch einer vorläufigen, beseitigt worden.

Die Klage vom 3. November 2010 war deshalb dahingehend auszulegen, dass höhere vorläufige Leistungen begehrt wurden. Eine solche Klage ist grundsätzlich statthaft (vgl. BSG, Urteil vom 6.April 2011, a. a. O., jeweils Rdnr. 26; Sächs. LSG, Beschluss vom 22. April 2013 – L 3 AS 1310/12 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 17; vgl. auch Düe, a. a. O., Rdnr. 37). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin vor dem Hintergrund der Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 30. September 2010 nicht höhere vorläufige Leistungen, sondern eine endgültige Entscheidung gemäß § 328 Abs. 2 SGB III anstrebte, ergeben sich aus dem Klagevorbringen nicht.

b) Wenn – wie vorliegend – während eines Klageverfahrens, das gegen eine vorläufige Leistungsbewilligung gerichtet ist, eine endgültige Leistungsbewilligung ergeht, hat sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes das auf die vorläufige Leistungsbewilligung bezogene Gerichtsverfahren gemäß § 39 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) erledigt. Gegenstand des Verfahrens ist nunmehr die endgültige Leistungsbewilligung, die gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 139/10 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 38 = JURIS-Dokument Rdnr. 13, m. w. N.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Juli 2013 – L 5 AS 711/13 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 24, w. w. N.).

Für die Klage vom 3. November 2010 (Az. S 19 AS 4235/10) bedeutet dies, dass zum einen mit dem Erlass des Bescheides vom 13. Marz 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2012 der Bescheid vom 17. September 2009 über die vorläufige Leistungsbewilligung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 seine Erledigung gefunden hat. Zum anderen ist der Bescheid vom 13. Marz 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2012 mit der endgültigen Leistungsbewilligung kraft Gesetzes, nämlich gemäß § 96 SGG, Gegenstand des Klageverfahrens Az. S 19 AS 4235/10 geworden. Dies wiederum hat zur Folge, dass die am 23. Juli 2012 gegen die endgültige Leistungsbewilligung erhobene Klage Az. S 19 AS 2449/12 wegen doppelter oder anderweitiger Rechtshängigkeit (vgl. § 202 SGG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes [GVG]) unzulässig ist.

Da einerseits der Bescheid vom 13. Marz 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2012 gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens Az. S 19 AS 4235/10 geworden ist und andererseits die Klage Az. S 19 AS 2449/12 unzulässig ist, kann die Klägerin entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichtes noch die Klage Az. S 19 AS 4235/10 gemäß § 99 SGG auf den Bescheid über die endgültige Leistungsbewilligung umstellen und gegebenenfalls höhere endgültige Leistungen fordern.

2. Der Senat verweist die Sache in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens (vgl. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG) an das Sozialgericht zurück. Er berücksichtigte hierbei, dass die Zurückverweisung, auch zur Vermeidung einer langen Verfahrensdauer, die Ausnahme sein soll (Keller, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 159 Rdnr. 5a). Vorliegend wurde allerdings dem Gesichtspunkt der Vorrang eingeräumt, dass die Möglichkeiten der Klägerin, im Rahmen der beschriebenen prozessrechtlichen Situation die geltend gemachten Ansprüche bereits im erstinstanzlichen Verfahren effektiv verfolgen zu können, gewahrt werden sollen. Zudem brachte auch der Beklagte mit seinem Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG zum Ausdruck, dass ihm an einem verfahrensrechtlich ordentlichen Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens gelegen ist.

III. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts vorbehalten (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 15. Dezember 2011 – L 3 AS 619/10 – JURIS-Dokument Rdnr. 25; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 193 Rdnr 2a).

IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Dr. Scheer Atanassov Krewer
Rechtskraft
Aus
Saved