Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 Kr 86/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide vom 23. Juli 1996 und 27. September 1996, jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1997 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit dem verordneten D.-Therapie-Tandem gemäß Kostenvoranschlag vom 18. Juni 1996 (ohne Fahrradcomputer) zu versorgen.
3. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einem D.-Therapie-Tandem mit Doppellenkung.
Der 1989 geborene Kläger ist bei der Beklagten im Rahmen der Familienversicherung freiwillig versichert. Als Behinderungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) ist bei einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 v.H. eine geistige und körperliche Entwicklungsverzögerung anerkannt. Zusätzlich sind die Merkzeichen "B", "G" und "H" zuerkannt. In der Pflegeversicherung erhält er Pflegegeld nach der Pflegestufe II.
Am 5. Juni 1996 verordnete ihm Dr. med. C., Leitender Arzt in der Abteilung für Neuropädiatrie mit Sozialpädiatrischem Zentrum in den Städtischen Kliniken Kassel ein behindertengerechtes Tandem-Therapie-Fahrrad der Marke D. der Fa. E. bei hirnorganisch bedingter mentaler Retardierung und Bewegungsstörung. Der Vater des Klägers legte diese Verordnung der Beklagten am 19. Juni 1996 vor und bat unter weiterer Vorlage eines entsprechenden Kostenvoranschlages über 5.065,75 DM um Kostenübernahme durch die Beklagte.
Die Beklagte ließ sich hierauf von Dr. med. C. die Gründe der Verordnung nochmals erläutern, wobei sie ihn gleichzeitig darum bat, auch dazu Stellung zu nehmen, warum nicht auch ein behindertengerechtes Dreirad ausreichen würde. Dr. med. C. führte gegenüber der Beklagten insoweit unter dem 1. Juli 1996 aus, daß beim Kläger eine mentale Retardierung im schulischen Bereiche der praktischen Bildbarkeit, eine darüber hinausgehende Sprachentwicklungsstörung mit universeller Dyslalie und auch Dysgrammatismus sowie Verhaltungsstörungen aus dem Formenkreis des chronischen hirnorganischen Psychosyndromes mit Anklängen an autistische Züge vorlägen. Ein behindertengerechtes Dreirad sei nicht leicht zu manovrieren und erlaube unter gar keinen Umständen das gemeinsame Fahren der Familie in der Öffentlichkeit. Der Kläger sei auf dem Hintergrund sowohl der geistigen Behinderung als auch der Verhaltsstörung nicht verkehrssicher. Auf einem Tandem könne er die gegenseitige Abhängigkeit und auch Verantwortlichkeit füreinander von einem Erwachsenen direkt erleben und zu dem gemeinsamen Gelingen beitragen, eine für den Autisten außerordentlich schwer erreichbare Erfahrung, die durch eine eigenwillige maniristische Bewegungs- und Körperkoordinationsstörung zusätzlich erschwert sei. Darüber hinaus könne das so geartete Kind an der Interaktion seiner Familie mit der Umwelt aktiv teilnehmen, ohne in Gefahr zu geraten, z.B. durch den Verkehr auf der Straße.
Mit Bescheid vom 23. Juli 1996 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beklagte führte aus, daß eine Kostenübernahme durch die Beklagte nicht erfolgen könne, da es sich bei dem beantragten D.-Tandem nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele, sondern vielmehr um einen Gebrauchsgegenstand des alltäglichen Lebens. Zu den Hilfen zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung bzw. Gebrauchsgegenständen sei allgemein zu sagen, daß neben den Hilfsmitteln, die unmittelbar bei der Behinderung selbst ansetzten und einen möglichst weitgehenden Funktionsausgleich herbeiführen sollten, oft weitere Hilfen erforderlich seien, um die Eingliederung in das private, gesellschaftliche und berufliche Leben zu fördern. Solche Hilfen richteten sich im Gegensatz zu den Hilfsmitteln auf das Umfeld des Behinderten, auf den privaten Haushalt, auf Arbeit und Beruf und das Leben in der Gemeinschaft. Diese Hilfen setzten also bei den Folgen der Behinderung an. Für derartige Hilfen sei die gesetzliche Krankenversicherung nicht zuständig. Natürlich verkenne die Beklagte nicht, daß ein solches Tandem neben der Verbesserung der Mobilität und Motorik auch einen Nutzen in Bezug auf das Kräftigen der Muskulatur mit sich bringe. Hierfür stünden aus Sicht der Beklagten vorrangig Krankengymnastik und andere physikalische Maßnahmen zur Verfügung.
Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 23. Juli 1996 am 1. August 1996 durch seinen Vater Widerspruch ein.
Zur Begründung des Widerspruchs verwies der Vater des Klägers auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Rollstuhlboy und darauf, daß zu den im Rahmen der Hilfsmittelversorgung von der Beklagten auszugleichenden Grundbedürfnissen auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen sei, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasse. Hierzu gehöre auch die Erschließung eines größeren Aktionskreises. Aufgrund der geistigen Behinderung des Klägers sei diesem eine normale Teilnahme als Radfahrer im Straßenverkehr nicht möglich. Er schaue beim Fahren ständig nach hinten und nehme Gefahren nicht wahr. Kollisionen mit parkenden, unter Umständen auch fahrenden Fahrzeugen wären vorprogrammiert.
Die Beklagte holte anschließend zu ihrer streitigen Verordnung eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, in der die Ärztin im MDK Dr. med. F. unter dem 9. September 1996 nach Aktenlage ausführte, daß die - vom Vater des Klägers - herangezogene Rechtssprechung nicht unbedingt als Vergleich dienen könne, da hier von etwas anderen Voraussetzungen auszugehen sei. Beim Kläger bestehe in erster Linie eine mentale Retardierung mit Verhaltensstörungen, wobei er durchaus in der Lage sei, ausreichend zu gehen und zu laufen, ohne hierfür Hilfsmittel, wie z.B. einen Rollstuhl zu benötigen. Der Kläger könne sich wie andere Kinder zu Fuß einen ausreichenden Aktionsradius erschließen. Eine Einschränkung gegenüber gesunden Kindern bestehe jedoch dahingehend, daß er aufgrund seiner unvorhersehbaren Reaktionsweisen einer ständigen Aufsicht und Betreuung bedürfe. Diese Notwendigkeit werde aber durch die Benutzung eines Tandem-Fahrrades nicht aufgehoben, da auch hier eine ständige Betreuung erforderlich sei, zumal das Fahrrad nur mit einer weiteren Person benutzt werden könne. Ob bei einem gehfähigen Kind neben den Bereichen, die zu Fuß erreicht werden könnten, auch noch der Aktionsradius durch Fahrradfahren zu den Grundbedürfnissen zähle, sei ihrer Ansicht nach nicht zu bejahen. Im vom Vater des Klägers herangezogenen Fall handele es sich um einen Behinderten, der rollstuhlabhängig gewesen sei und seinen Rollstuhl auch nicht allein habe fortbewegen können. Die beim Kläger aufgrund der vorliegenden Koordinationsstörungen erforderlichen motorischen Übungen könnten und würden auch bereits durch Krankengymnastik behandelt. Die Notwendigkeit einer weiteren motorischen Förderung durch Benutzung eines Fahrrades ergebe sich aus den medizinischen Unterlagen nicht zwingend, geistige und verhaltensauffällige Defizite stünden bei ihm im Vordergrund. Darüber hinaus wäre, wie auch Dr. med. C. bereits mitgeteilt habe, die Benutzung eines G.-Dreirades beim Kläger aufgrund des unberechenbaren Verhaltens nicht möglich. Unabhängig von diesen Ausführungen sei festzuhalten, daß der Gebrauch eines Tandem-Fahrrades für den Kläger positive Auswirken haben könne. In Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. med. C. vom 1. Juli 1996 sei davon auszugehen, daß durch das gemeinsame Fahren des Jungen mit einer Betreuungsperson auf dem Tandem positive Verhaltensreaktionen aktiviert würden und die bei Autisten verminderte Interaktion mit der Umwelt gefördert werde. Hierbei handele es sich jedoch überwiegend um sozialpädagogische Aspekte, die auf diese Weise gefördert werden könnten und die soziale Eingliederung und Kontaktfähigkeit verbesserten. In diesem Sinne stelle das D.-Tandem zwar ein sinnvolles Gerät zur Behandlung der beim Kläger vorliegenden Störungen dar, es würden jedoch sozial- und heilpädagogische Aspekte überwiegen, so daß die Anschaffung und Kostenübernahme nicht unbedingt in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung falle und ein Hilfsmittelcharakter in diesem Sinne nicht gegeben sei.
Mit wiederholendem, diesmal mit Rechtsmittelbelehrung versehenem Bescheid vom 27. September 1996 hielt die Beklagte anschließend an ihrer ablehnenden Haltung fest. Die Beklagte führte aus, daß Versicherte nach § 33 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln hätten, die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen seien. Der Anspruch umfasse auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Wie bereits unter dem 23. Juli 1996 ausgeführt, handele es sich bei dem beantragten D.-Tandem nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern vielmehr um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Zu den Hilfen zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung bzw. Gebrauchsgegenständen sei allgemein zu sagen, daß neben den Hilfsmitteln, die unmittelbar bei der Behinderung selbst ansetzten und einen möglichst weitgehenden Funktionsausgleich herbeiführen sollten, oft weitere Hilfen erforderlich seien, um die Eingliederung in das private, gesellschaftliche und berufliche Leben zu fördern. Solche Hilfen richteten sich im Gegensatz zu den Hilfsmitteln auf das Umfeld des Behinderten, auf den privaten Haushalt, auf Arbeit und Beruf und das Leben in der Gemeinschaft. Zu der vom Kläger in Bezug genommenen Rechtsprechung habe der MDK festgestellt, daß es sich bei dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt um eine Situation handele, die vorliegend nicht unbedingt als Vergleich herangezogen werden könne. Insoweit wiederholte die Beklagte die o.a. Ausführungen der Frau Dr. med. F. und wies mit dieser abschließend darauf hin, daß es sich bei dem D.-Tandem zwar um ein sinnvolles Gerät zur Behandlung der vorliegenden Störungen des Klägers handele, aber überwiegend jedoch sozial- und heilpädagogische Aspekte vorlägen, die eine Kostenübernahme durch die Beklagte ausschlössen und ein Hilfsmittelcharakter in diesem Sinne somit nicht gegeben sei.
Auch gegen den Bescheid vom 27. September 1996 legten die Eltern des Klägers dann erneut Widerspruch ein. Sie verwiesen zunächst auf Parallelfälle, in denen, u.a. auch von der Beklagten, die Kosten für das verordnete Tandem als Hilfsmittel übernommen worden seien, also unabhängig davon, daß das beantragte Tandem noch nicht in den Hilfsmittelkatalog aufgenommen sei. Weiterhin führten sie aus, daß der von der Beklagten angesprochene, zu Fuß erreichbare Aktionsradius ihrer Auffassung nach nicht ausreiche. Wie schon erläutert, sei der Kläger gerade aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht in der Lage, sich mit einem normalen Fahrrad einen größeren Aktionsradius zu erschließen. Mit dem Therapietandem sei das aber sehr wohl der Fall. Letztlich müsse den Grundbedürfnissen insoweit auch dann Rechnung getragen werden, wenn dies nur mit Hilfe anderer Personen erreicht werden könne. Zur weiteren Begründung ihres Widerspruchs verwiesen die Eltern des Klägers dann auf ein Attest des ihren Sohn behandelnden Kinderarztes Dr. med. H. vom 20. Oktober 1996, in dem dieser ausführte, daß der Kläger im Rahmen seiner komplexen Behinderung auch unter einer psychomotorischen Bewegungsstörung und unter einer sensomotorischen-perceptiven Integrationsstörung leide. Zur Behandlung dieser Störungen werde ein umfassendes, sich ergänzendes Therapiekonzept angewendet, wozu u.a. Ergotherapie, Krankengymnastik nach psychomotorischen Grundsätzen, therapeutisches Reiten und Schwimmen gehörten. Ziel dieser Maßnahmen sei eine Förderung der sensornotorischen Integration, der Bewegungskoordination zwischen Armen und Beinen, der Gleichgewichtsreaktionen sowie der physischen und psychischen Ausdauer. Die Benutzung eines Fahrrades bedeute sodann für ein Kind mit einem derartigen Behinderungsspektrum eine, dem inzwischen fortgeschrittenen Alter entsprechende, wesentliche Förderungsmaßnahme, die sich zum einen ergänzend, zum anderen mittelfristig auch ersetzend in das beschriebene Förderkonzept eingliedere. Abschließend beriefen sich die Eltern des Klägers zur Begründung ihres Widerspruchs auch noch auf ein ihre Rechtsauffassung bestätigendes rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Chemnitz und legten weiterhin eine Stellungnahme des J.-Clubs e.V., J-Stadt, zur Hilfsmitteleigenschaft des beantragten D.-Therapie-Tandems vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 1997, zugestellt am 16. Januar 1997, wies die Beklagte den Widerspruch dann durch ihren hierfür zuständigen Widerspruchsausschuß als unbegründet zurück.
Über ihre o.a. Ausführungen hinaus machte die Beklagte geltend, daß bzgl. der Gewährung von Hilfsmitteln die Leistungspflicht der Kasse dort ende, wo die Ausgleichsfunktion bei einem Hilfsmittel hinter den allgemeinen Gebrauchswert der Gegenstände im täglichen Leben zurücktrete. Die Abgrenzung sei folglich darin vorzunehmen, ob der allgemeine Gebrauchszweck oder der therapeutische Wert im Vordergrund stehe. Beim beantragten Gegenstand D.-Tandem stehe der Gebrauchswert als Fahrrad im Vordergrund. Ein solcher Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens aber, der im allgemeinen auch von Gesunden benutzt werde, könne keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung begründen, auch wenn er infolge Krankheit oder Behinderung erforderlich werde. Selbst im Falle einer behindertengerechten Ausstattung des Gebrauchsgegenstandes habe die Rechtsprechung die Leistungspflicht der Krankenkasse somit begrenzt und auf den Bereich der Eigenverantwortung oder in Ermangelung eigener finanzieller Mittel auf den zuständigen Sozialhilfeträger verwiesen. Ungeachtet dessen sei zu beachten, daß als Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V nur solche sächlichen Mittel gelten würden, die geeignet seien, die Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes in medizinischer Hinsicht zu bessern, zu beheben oder zu beseitigen. Mit der Gewährung von Körperersatzstücken, orthopädischen und sonstigen Hilfsmitteln, die von ihrer Art und Ausstattung her eine körperliche Behinderung ausgleichen würden, werde die medizinische Rehabilitation und damit der medizinische Ausgleich der Behinderung bezweckt, auch wenn dieser Ausgleich in vielen Fällen nur unvollkommen sein könne. Einem solchen Funktionsausgleich dienten z.B. Prothesen, Hörgeräte, Krankenfahrstühle, orthopädische Schuhe und ähnliche Mittel. Zielrichtung des Mittels sei allein die medizinische Beseitigung und Milderung des gestörten Körperzustandes. Neben den Hilfsmitteln im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, die unmittelbar bei der Behinderung selbst ansetzten, seien somit oftmals weitere Hilfsmittel erforderlich, um das private, gesellschaftliche und berufliche Leben des Behinderten erträglicher zu machen und insoweit die Behinderung auszugleichen. Solche Hilfen richteten sich aber im Gegensatz zu den Hilfsmitteln auf das Umfeld des Behinderten und lösten eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus. Die Beklagte verwies schließlich wiederholend auf die o.a. Stellungnahme der Frau Dr. med. F. und machte geltend, daß bei der Nutzung des dem Kläger verordneten Tandems sozialpädagogische Aspekte im Vordergrund stünden, die auf diese Weise gefördert und die soziale Eingliederung und Kontaktfähigkeit verbessern könnten. Der Hinweis auf die Leistungsgewährung anderer Krankenkassen vermöge ab schließend den geltend gemachten Anspruch ebenfalls nicht zu begründen. Es sei zu berücksichtigen, daß von einer fehlerhaften Leistungsgewährung im Einzelfall kein Anspruch auf Beibehaltung rechtswidrigen Verwaltungshandeln abzuleiten sei.
Der Kläger hat am 21. Januar 1997 durch seine Eltern Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben, mit der er im wesentlichen unter Wiederholung seines Vorbringens im Antrags- und Vorverfahren an dem von ihm geltend gemachten Anspruch festhält.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 23. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit dem verordneten D.-Therapie-Tandem gemäß Kostenvoranschlag vom 18. Juni 1996 (ohne Fahrradcomputer) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest, wobei sie sich in ihrer Auffassung, daß es sich bei dem hier streitigen Gerät um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, durch ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. August 1992, Az.: L 4 Kr 86/91, bestätigt sieht. Das verordnete D.-Therapie-Tandem stelle nach der Herstellerbeschreibung letztlich ein herkömmliches Doppellenkradfahrrad dar, welches mittels Fuß- und Lendenstützen behindertengerecht angepaßt werden könne. Ein solcher Gegenstand werde durch eine behindertengerechte Zurichtung aber nicht zum Hilfsmittel. Überdies sei das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. April 1996, Az.: L 9 Kr 53/95, zu beachten. Auch wenn dieses Urteil im Zusammenhang mit der Versorgung mit einem Rollstuhlbike ergangen sei, könne der allgemeine Urteilstenor auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden. Hiernach scheitere die Kostenübernahme bereits daran, daß dieses nicht im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgeführt sei. Nach Ziffer 8 der Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien könnten Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkassen nur verordnet werden, sofern sie von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erfaßt seien und im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgeführt seien.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht einen Befundbericht des Dr. med. H. vom 16. März 1997 und einen weiteren Befundbericht des Dr. med. C. vom 17. März 1997 beigezogen. Darüber hinaus hat das Gericht beim MDK in Kassel die dort geführten, den Kläger betreffenden Unterlagen beigezogen, die neben dem Gutachten der Frau Dr. med. F. vom 9. September 1996 ein weiteres Gutachten der Frau Dr. med. K. vom 27. Januar 1997 zur Erforderlichkeit einer Mutter-Kind-Kur enthalten haben. Sämtliche dieser beigezogenen Unterlagen haben den Beteiligten zur Auswertung zur Verfügung gestanden, der Beklagten gleichzeitig auch noch die beim Versorgungsamt in Kassel ebenfalls beigezogene SchwbG-Akte des Klägers. In der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 1997 hat das Gericht den Vater des Klägers sodann zum Sachverhalt nochmals gehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte insgesamt; ebenso wird Bezug genommen auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die aufgeführten, vorgenannten Krankenunterlagen, deren jeweils wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte hat die beantragte und ärztlich befürwortete Versorgung des Klägers mit einem D.-Therapie-Tandem zu Unrecht abgelehnt, da der Kläger aufgrund seiner persönlichen Grundbedürfnisse unter Berücksichtigung seines konkreten, einzelfallbezogenen Krankheitsbildes und den mit diesen verbundenen Auswirkungen nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 SGB V entgegen der Beklagten Anspruch auf Versorgung mit einem solchen Gerät als Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung hat.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Zu letzterem ist zunächst festzustellen, daß ein Anspruchsausschluß nach § 34 Abs. 4 SGB V vorliegend nicht eingreift, da das hier verordnete Gerät von der aufgrund dieser Vorschrift erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfaßt wird.
Weiterhin ist hierzu festzustellen, daß das dem Kläger verordnete D.-Therapie-Tandem auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist. Hierunter fallen grundsätzlich nur solche Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet, d.h. üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig genutzt werden (vgl. hier zu BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 5 und 7 sowie BSG in SozR 2200 § 182 b Nr. 6). Als Fahrradersatz fallen hierunter sicherlich auch herkömmliche Tandems. Das dem Kläger verordnete Tandem kann nach dem vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Prospektmaterial grundsätzlich zwar auch von Gesunden genutzt werden, die Kammer hat sich insoweit jedoch davon überzeugt, daß die gegenüber einem "normalen" Tandem bauartigen Besonderheiten, gerade und insbesondere speziell auf behinderte Mitnutzer zugeschnitten sind, die es dem hinten sitzenden Nichtbehinderten - anders als bei einem "normalen" Tandem - erlauben, steuernd und überwachend in die Nutzung des Tandems einzugreifen bzw. die Nutzung gegenüber dem vorn sitzenden behinderten Kind zielgerichtet zu lenken.
Von einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand kann schließlich hier nach Überzeugung der Kammer auch nicht im Hinblick auf den Preis des streitigen Gerätes ausgegangen werden. Für die Kammer ergeben sich dabei auch keinerlei Anhaltspunkte, daß im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung allein aufgrund des Verbreitungsgrades von Tandems der hier streitigen Art in privaten Haushalten davon auszugehen wäre, daß es sich hierbei um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handeln würde. Dies gilt um so mehr, als das Bundessozialgericht bisher lediglich entschieden hat, daß bei einem Verbreitungsgrad innerhalb der privaten Haushalte oder innerhalb der Gesamtbevölkerung von jeweils weniger als 3 v.H. dies noch nicht zu bejahen sei, ohne damit jedoch gleichzeitig entschieden zu haben, daß dies generell die Grenze sei, bei deren Überschreitung von einer üblichen Verwendung eines Gegenstandes durch eine große Anzahl von Menschen zu sprechen sei. Letztlich dürfte bei all dem bereits der Preis des hier streitigen Gerätes für sich sprechen, der den herkömmlicher Tandems nach Kenntnis der Kammer annähernd um das 2- bis 2,5- fache übersteigt. Soweit der Kammer Beispiele bekannt sind, daß bauartig ähnlich konzipierte Tandems auch von Eltern nichtbehinderter Kinder für sich und ihre Kinder genutzt werden, handelt es sich letztlich um Anschaffungen, die über den Gebrauchswert von Gegenständen des täglichen Lebens als "Luxusgut" weit hinausgehen. Insoweit kommt letztlich auch in diesem Zusammenhang bereits unter Zugrundelegung des Preises von Geräten der hier streitigen Art diesen abschließend auch noch keine Eigenschaft als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu.
Ein Ausschluß der Versorgung mit dem hier streitigen Gerät aus der Leistungspflicht der Krankenkassen ergibt sich sodann auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK 16/95).
Ein Hilfsmittel ist schließlich über den o.a. Bedingungszusammenhang hinaus - und hierauf ist im vorliegenden Fall mitentscheidend abzustellen - erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 3, 5 und 7). Dabei ist zu den allgemeinen Grundbedürfnissen auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfaßt. Auch wenn die gesetzlichen Krankenkassen Hilfsmittel, die dazu dienen, lediglich die Folgen und Auswirkungen der Behinderungen in den verschiedenen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem, wirtschaftlichen und privaten Gebiet, zu beseitigen oder zu mildern, insoweit nicht zur Verfügung stellen müssen, gilt dies nur für Hilfsmittel, die ausschließlich oder nahezu ausschließlich für nur eines dieser Gebiete eingesetzt werden. Soweit jedoch Grundbedürfnisse betroffen sind, fällt auch, was die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden verkennt, der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der Krankenversicherung (vgl. zum Rollstuhlboy, BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 7, zum elektronischen Lese Sprechgerät, BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 16, zum Farberkennungsgerät, BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK 38/94, zum Luftreinigungsgerät, BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK 38/94, zum Schreibtelefon, BSG, Urteil vom 25. Oktober 1995, Az.: 3 RK 30/94, zum Telefax - Gerät, BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK-39/94, SG Kassel, Urteil vom 25. September 1995, Az.: S-12/Kr- 579/95, zum Speedy - Bike, SG Kassel, Urteil vom 10. Juli 1996, Az.: S-12/Kr-1388/95, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Die für den MDK nach Aktenlage gefertigte Stellungnahme der Frau Dr. med. F. trägt all dem keinerlei Rechnung. Dies gilt um so mehr, als sie medizinische Fragen mit rechtlich zu beachtenden Gesichtspunkten vermengt und darüber hinaus ihren Ausführungen - wie letztlich auch die Beklagte - einen Hilfsmittelbegriff zugrunde legt, der durch die o.a., von der Beklagten nicht akzeptierte höchstrichterliche Rechtsprechung seit längerem bereits überkommen ist und insoweit die auch in der gesetzlichen Krankenversicherung zu befriedigenden Grundbedürfnisse rein medizinischen Gesichtspunkten unterordnet. Das Zusammenspiel dieser beiden Komponenten bleibt völlig außen vor. Die Beklagte überläßt dem MDK insoweit über die medizinische Beurteilung hinaus eine rechtliche Beurteilung, die dem MDK nicht zukommt, ein Verfahren, daß der Kammer zwischenzeitlich aus einer Vielzahl von Rechtsstreiten mit der Beklagten oder ihrer Pflegekasse hinlänglich bekannt ist. Daß sich die Beklagte auf rechtliche Hinweise des Gerichts auf Entscheidungen zurückzieht, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung - weil von ihr aufgehoben bzw. "veraltet" - zuwiderlaufen (LSG Niedersachsen) oder im Sachverhalt vom hier vorliegenden so weit abweichen, daß sie nicht mehr vergleichbar sind (LSG Berlin), spricht dabei für sich. Auch die Kammer hätte im letztgenannten Fall die Hilfsmitteleigenschaft eines D.-Therapie-Tandems verneint. Für die Kammer ist es insoweit aber in keiner Weise nachvollziehbar, wie man - wie es der Klagesachbearbeiter der Beklagten im Gerichtsverfahren tut - den im Zeitpunkt der Verordnung noch nicht einmal 8-jährigen Kläger mit für die Wohnung faltrollstuhlversorgten erwachsenen Behinderten, die zudem über behindertengerecht ausgestattete Personenkraftwagen und damit eine für den Kläger ungekannte, selbstbestimmte Bewegungsfreiheit verfügen, die dieser selbst nie erfahren wird, vergleichen bzw. einen entsprechenden Vergleich überhaupt erst in Erwägung ziehen kann. Schließlich wird verkannt, daß es hier auch nicht um das Grundbedürfnis "Fahrradfahren" als solches geht.
Daß die nach Aktenlage gefertigte Stellungnahme der Frau Dr. med. F. und damit auch die der Beklagten der Person des Klägers und insoweit dessen individuellen Gegebenheiten, auf die allein abzustellen ist, nicht gerecht wird, folgt schließlich u.a. nach Anhörung des Vaters des Klägers in der mündlichen Verhandlung und zunächst auch unabhängig von den von ihm vorgelegten und vom Gericht beigezogenen weiteren Befundberichten und Krankenunterlagen der behandelnden Ärzte des Klägers aus einem weiteren, für den MDK, diesmal nach ambulanter Untersuchung erstellten Gutachten der Frau Dr. med. K. vom 30. Januar 1997, das im Zusammenhang mit der Beantragung einer Mutter-Kind-Kur gefertigt wurde. In diesem Gutachten wird der Kläger als nicht in der Lage beschrieben, eine Weile in Ruhe zu verharren. Er wird weiterhin als in der Untersuchungssituation äußerst laut und lärmend bezeichnet, wobei er allein in der Lage sei, lallende, für eine außenstehende Person teilweise sehr unverständliche Worte von sich zu geben. Anweisungen könne er nur unzureichend befolgen, wobei er im Untersuchungszimmer lärmend an verschiedenen Gegenständen herum hantiere, unter die Liege klettere und die Türe aufreiße, um das Untersuchungszimmer zu verlassen, so daß ihn seine Mutter mehrfach in das Untersuchungszimmer zurückführen müsse. Bereits aufgrund dieser Schilderung verliert der Verweis der Frau Dr. med. F. darauf, daß der Kläger durchaus in der Lage sei, ohne Hilfsmittel ausreichend zu gehen und zu laufen, nach den o.a. Vorgaben nahezu jegliche Bedeutung für die hier streitige Frage. Daß er sich zu Fuß wie jedes andere Kind einen ausreichenden Radius erschließen könne solle, erscheint in diesem Zusammenhang völlig unverständlich. Insoweit wird wohl allein auf das "Gehen können" selbst abgestellt, was vorliegend kaum als geeignetes Abgrenzungskriterium wird herhalten können, zumal Frau Dr. med. F. letzteres selbst wiederum dahingehend einschränkt, daß der Kläger aufgrund von unvorhergesehenen Reaktionsweisen einer ständigen Aufsicht und Betreuung bedürfe. Insoweit kann sich also auch der Kläger wie im vom BSG zum Rollstuhlbike entschiedenen o.a. Rechtsstreit gerade nicht - und auch im Unterschied zu gleichaltrigen Kindern - allein und ohne ständige, letztlich beschützende Aufsicht fortbewegen. Die glaubhaften, durch die beigezogenen Krankenunterlagen belegten Angaben des Vaters des Klägers in der mündlichen Verhandlung sprechen in diesem Zusammenhang für sich. Danach kann der Kläger, der im übrigen seitens der Beklagten als Hilfsmittel mit einer Video-Überwachungsanlage versorgt ist, nicht allein gelassen werden. Er benötigt ständige Beaufsichtigung, wobei er bedingt nur auf dem eigenen Hausgrundstück seiner Eltern allein gelassen werden kann, seine Eltern aber auch dabei ständig ein Auge auf ihn haben müssen. Wenn Frau Dr. med. F. und ihr folgend die Beklagte all dies außer Betracht bzw. für eine notwendige Hilfsmittelversorgung unerheblich erscheinen lassen und insoweit im Ergebnis allein darauf abstellen, daß der Kläger zumindest motorisch noch in der Lage sei, sich fortzubewegen, verkennen sie den aufgezeigten Hilfsmittelbegriff.
All dies gilt sodann um so mehr, als Frau Dr. med. F. zwar insoweit selbst die möglichen positiven Auswirkungen der Nutzung des verordneten Gerätes für den Kläger aufzeigt, der Kausalzusammenhang, in dem die Verordnung durch Dr. med. C. erfolgt ist, dann aber wieder durch einen Verweis auf überwiegend sozialpädagogische Aspekte, nur unzureichend Beachtung findet, wobei die kompetent neuropädiatrisch und insofern fachärztlich und konkret krankheitsbezogen aufgezeigte, medizinische Notwendigkeit der erfolgten Verordnung kein Korrelat in der Beurteilung der Beklagten bzw. des MDK findet, obwohl sie sich nach Überzeugung der Kammer schlüssig und nahtlos in die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse im Rahmen der Hilfsmittelversorgung einordnen läßt. Dem wird insoweit letztlich allein das spätere, in anderem Zusammenhang für den MDK nach ambulanter Untersuchung des Klägers gefertigte Gutachten der Frau Dr. med. K. gerecht, ohne daß die Beklagte hieraus jedoch am allein zu beurteilenden Einzelfall vorbei - die entsprechenden Konsequenzen gezogen hat. Der isoliert in Bezug genommene Verweis der Beklagten darauf, daß der Kläger gern und rasant Fahrrad fahre, dies die Beklagte aber nicht zur Verordnung mit dem hier verordneten Fahrrad zwingen könne, zeigt letztlich deutlich, daß sie sich mit den von der Kammer beigezogenen Befundberichten und Krankenunterlagen gerade nicht auseinandergesetzt hat. Dies hat den medizinischen Sachverhalt, der zu der hier streitigen Verordnung geführt hat, zwar mit beeinflußt, letztlich aber nur einen tragenden Gesichtspunkt der Verordnung beinhaltet. Indem die Beklagte insoweit allein auf die Ermöglichung des Fahrradfahrens, nicht aber auch den damit verabfolgten therapeutischen Nutzen sowie die hiermit verbundene Befriedigung von Grundbedürfnissen des Klägers durch das verordnete Gerät abstellt, letzteres sogar trotz Hinweises auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, ohne sich damit annäherungsweise auseinander zu setzten, negiert, zeigt sie letztlich, daß sie den Hintergrund dieser Verordnung auf der Grundlage der o.a., von ihr nicht akzeptierten, den Hilfsmittelbegriff erweiternden Rechtsprechung und bezogen auf den konkreten Einzelfall des Klägers nicht erfaßt hat.
Dr. med. C. verweist unter dem 1. Juli 1996 gegenüber der Beklagten sowie unter dem 17. März 1997 in seinem Befundbericht gegenüber dem Gericht in Übereinstimmung mit Frau Dr. med. K. vom MDK sowie Dr. med. H., dem Kinderarzt des Klägers in dessen Attest vom 20. Oktober 1996 sowie seinem Befundbericht vom 16. März 1997 u.a. auf eine ausgeprägte Verhaltenseigenheit hirnorganischer Prägung mit autistischen Zügen. Darüber hinaus auf eine deutliche motorische Ungeschicklichkeit in Zusammen hang mit lockerer Muskelspannung und daraus resultierender Haltungsschwäche sowie stereotyp und maniristische Bewegungsabläufe mit ausgeprägter feinmotorischer Dyspraxie. Zur von der Beklagten statt der beantragten Versorgung in Erwägung gezogenen Versorgung mit einem behindertengerechten Dreirad führt er aus, daß ein solches Dreirad nicht leicht zu manövrieren sei und unter keinen Umständen ein gemeinsames Fahren der Familie in der Öffentlichkeit erlaube. Der Kläger sei auf dem Hintergrund sowohl der geistigen Behinderung als auch der Verhaltensstörung nicht verkehrssicher. Auf einem Tandem könne der Kläger die gegenseitige Abhängigkeit und auch Verantwortlichkeit füreinander von einem Erwachsenen direkt erleben und zum gemeinsamen Gelingen beitragen, eine für den Autisten außerordentlich schwer erreichbare Erfahrung, die durch die o.a. Bewegungs- und Koordinationsstörung zusätzlich erschwert sei. Weiterhin könne der Kläger an der Interaktion seiner Familie mit der Umwelt aktiv teilnehmen, ohne in Gefahr zu geraten, z. B. durch den Verkehr auf der Straße.
Die vorstehenden Ausführungen des Dr. med. C. und auch die des Dr. med. H. vom 20. Oktober 1996 verdeutlichen schlüssig, widerspruchsfrei und für die Kammer für ihre Entscheidungsbildung ausreichend klar und überzeugend, daß die von Dr. med. C. erfolgte Verordnung gerade nicht isoliert dazu dient, dem Kläger allein das Fahrradfahren zu ermöglichen, sondern ihm, auf sein Krankheitsbild bezogen, allgemein einen körperlichen und geistigen, wenn auch nach wie vor eingeschränkten Freiraum verschaffen soll, was wiederum u.a. in Anlehnung an die eigenwilligen maniristischen Bewegungs- und Koordinationsstörungen sowie insbesondere die mit autistischen Zügen verbundenen Verhaltenseigenheiten des Klägers der Tatsache Rechnung trägt, daß dieser in ungleich höherem Maße als insoweit nichtbehinderte Personen der Gefahr menschlicher und gesellschaftlicher Isolierung und Vereinsamung unterliegt, weil seine Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Bewegung und schließlich zur Kommunikation mit anderen Menschen stark eingeschränkt sind. Die schließlich insoweit ebenfalls vorhandene Einschränkung der Erlebnisfähigkeit ist dabei ursächlich auch auf die Behinderung des Klägers zurückzuführen, so daß letztlich im vorliegenden konkreten Einzelfall auch nicht von einer Freizeitgestaltung auf Kosten der Krankenkasse und erst Recht nicht davon die Rede sein kann, daß das verordnete Gerät nicht an der Behinderung ansetzt. Der lapidare Verweis auf die statt dessen bestehende und wahrgenommene Möglichkeit der Inanspruchnahme von Krankengymnastik, verkennt demgemäß völlig den Bedingungszusammenhang, in dem die Verordnung steht.
Wenn Dr. med. C. in einem Bericht an Dr. med. H. vom 11. April 1996 aus führt, daß es sich bei dem dann später verordneten D.-Therapie-Tandem zweifelsfrei um ein Heilhilfsmittel sowohl bezüglich der Körperkoordination als auch der sozialen Eingliederung, nicht nur in der Familie, sondern auch die weitere Öffentlichkeit handele, trägt dies abschließend gerade dem o.a. Hilfsmittelbegriff Rechnung und steht dem nicht entgegen. Da es sich vorliegend in erster Linie um die Erfüllung von Grundbedürfnissen handelt, kommt es insoweit nicht darauf an, ob das Hilfsmittel entsprechend den o.a. Ausführungen unmittelbar am Körper des Behinderten ausgleichend wirkt oder ob der Ausgleich auf andere Weise erzielt wird. Die Hilfsmitteleigenschaft hängt auch nicht davon ab, daß die ausgefallene Funktion als solche ersetzt wird. Es genügt, daß ein Mittel Ersatz- oder Ergänzungsfunktionen wahrnimmt, was bei dem dem Kläger verordneten D.-Therapie-Tandem unter Zugrundelegung der mit der Verordnung verbundenen o.a. Zielsetzung der Fall ist. Insoweit ist es auch nicht erforderlich, daß das Hilfsmittel einen Funktionsausfall vollkommen ausgleicht, sondern es genügt, wenn es schon in Teilbereichen dem Ausgleich körperlicher Funktionen dient (vgl. zum Rollstuhlboy BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 7), wobei weiterhin mit dem Kläger auch unbeachtlich bleibt, daß der Beaufsichtigungs- und Betreuungsaufwand durch eine dritte Person zur Befriedigung der Grundbedürfnisse ebenfalls erhalten bleibt.
Die Versorgung des Klägers mit dem verordneten Gerät entspricht sodann, nachdem der Kläger - wie noch im Kostenvoranschlag enthalten - auf die Ausstattung mit einem Fahrradcomputer zu Lasten der Beklagten verzichtet hat, auch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, dem in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 12 Abs. 1 SGB V auch die Versorgung mit Hilfsmitteln genügen muß, da zur Überzeugung der Kammer ein weniger aufwendiges Hilfsmittel unter Beachtung der Behinderungen des Klägers und insbesondere seiner Lebenssituation nicht zur Verfügung steht. Ausgehend von den schlüssigen Ausführungen des Dr. med. C. sind die mit der Nutzung des dem Kläger verordneten D.-Therapie-Tandems verbundenen Vorteile für den Kläger darüber hinaus auch nicht als unwesentlich einzustufen, wobei die von der Beklagten alternativ angedachte Versorgung des Klägers mit einem behindertengerechten Dreirad, aus den weiteren Ausführungen des Dr. med. C. heraus, der mit der Verordnung verbundenen Zielsetzung nicht gerecht würde, ihr sogar zuwiderliefe, da der Kläger dieses selbst nur eingeschränkt und wiederum auch nur bezogen auf ein beschützendes Umfeld, also erneut in einer ihn isolierenden, sein Krankheitsbild unterstützenden Umgebung nutzen könnte.
Nach alledem waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und der Klage im gegebenen vollen Umfang stattzugeben. Dabei kam eine Verurteilung der Beklagten lediglich unter Berücksichtigung eines Eigenanteils des Klägers selbst nicht in Betracht (vgl. hierzu BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 16), da dem verordneten Tandem für den Kläger - wie ausgeführt - keine eigenständige Funktion als Gebrauchsgegenstand zukommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Der gesonderten Entscheidung über eine Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, nachdem der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000,00 DM übersteigt und die Kammer darüber hinausgehende Berufungsausschließungsgründe, die eine solche Entscheidung erforderlich gemacht hätten, nicht zu erkennen vermochte.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit dem verordneten D.-Therapie-Tandem gemäß Kostenvoranschlag vom 18. Juni 1996 (ohne Fahrradcomputer) zu versorgen.
3. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einem D.-Therapie-Tandem mit Doppellenkung.
Der 1989 geborene Kläger ist bei der Beklagten im Rahmen der Familienversicherung freiwillig versichert. Als Behinderungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) ist bei einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 v.H. eine geistige und körperliche Entwicklungsverzögerung anerkannt. Zusätzlich sind die Merkzeichen "B", "G" und "H" zuerkannt. In der Pflegeversicherung erhält er Pflegegeld nach der Pflegestufe II.
Am 5. Juni 1996 verordnete ihm Dr. med. C., Leitender Arzt in der Abteilung für Neuropädiatrie mit Sozialpädiatrischem Zentrum in den Städtischen Kliniken Kassel ein behindertengerechtes Tandem-Therapie-Fahrrad der Marke D. der Fa. E. bei hirnorganisch bedingter mentaler Retardierung und Bewegungsstörung. Der Vater des Klägers legte diese Verordnung der Beklagten am 19. Juni 1996 vor und bat unter weiterer Vorlage eines entsprechenden Kostenvoranschlages über 5.065,75 DM um Kostenübernahme durch die Beklagte.
Die Beklagte ließ sich hierauf von Dr. med. C. die Gründe der Verordnung nochmals erläutern, wobei sie ihn gleichzeitig darum bat, auch dazu Stellung zu nehmen, warum nicht auch ein behindertengerechtes Dreirad ausreichen würde. Dr. med. C. führte gegenüber der Beklagten insoweit unter dem 1. Juli 1996 aus, daß beim Kläger eine mentale Retardierung im schulischen Bereiche der praktischen Bildbarkeit, eine darüber hinausgehende Sprachentwicklungsstörung mit universeller Dyslalie und auch Dysgrammatismus sowie Verhaltungsstörungen aus dem Formenkreis des chronischen hirnorganischen Psychosyndromes mit Anklängen an autistische Züge vorlägen. Ein behindertengerechtes Dreirad sei nicht leicht zu manovrieren und erlaube unter gar keinen Umständen das gemeinsame Fahren der Familie in der Öffentlichkeit. Der Kläger sei auf dem Hintergrund sowohl der geistigen Behinderung als auch der Verhaltsstörung nicht verkehrssicher. Auf einem Tandem könne er die gegenseitige Abhängigkeit und auch Verantwortlichkeit füreinander von einem Erwachsenen direkt erleben und zu dem gemeinsamen Gelingen beitragen, eine für den Autisten außerordentlich schwer erreichbare Erfahrung, die durch eine eigenwillige maniristische Bewegungs- und Körperkoordinationsstörung zusätzlich erschwert sei. Darüber hinaus könne das so geartete Kind an der Interaktion seiner Familie mit der Umwelt aktiv teilnehmen, ohne in Gefahr zu geraten, z.B. durch den Verkehr auf der Straße.
Mit Bescheid vom 23. Juli 1996 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beklagte führte aus, daß eine Kostenübernahme durch die Beklagte nicht erfolgen könne, da es sich bei dem beantragten D.-Tandem nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele, sondern vielmehr um einen Gebrauchsgegenstand des alltäglichen Lebens. Zu den Hilfen zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung bzw. Gebrauchsgegenständen sei allgemein zu sagen, daß neben den Hilfsmitteln, die unmittelbar bei der Behinderung selbst ansetzten und einen möglichst weitgehenden Funktionsausgleich herbeiführen sollten, oft weitere Hilfen erforderlich seien, um die Eingliederung in das private, gesellschaftliche und berufliche Leben zu fördern. Solche Hilfen richteten sich im Gegensatz zu den Hilfsmitteln auf das Umfeld des Behinderten, auf den privaten Haushalt, auf Arbeit und Beruf und das Leben in der Gemeinschaft. Diese Hilfen setzten also bei den Folgen der Behinderung an. Für derartige Hilfen sei die gesetzliche Krankenversicherung nicht zuständig. Natürlich verkenne die Beklagte nicht, daß ein solches Tandem neben der Verbesserung der Mobilität und Motorik auch einen Nutzen in Bezug auf das Kräftigen der Muskulatur mit sich bringe. Hierfür stünden aus Sicht der Beklagten vorrangig Krankengymnastik und andere physikalische Maßnahmen zur Verfügung.
Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 23. Juli 1996 am 1. August 1996 durch seinen Vater Widerspruch ein.
Zur Begründung des Widerspruchs verwies der Vater des Klägers auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Rollstuhlboy und darauf, daß zu den im Rahmen der Hilfsmittelversorgung von der Beklagten auszugleichenden Grundbedürfnissen auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen sei, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasse. Hierzu gehöre auch die Erschließung eines größeren Aktionskreises. Aufgrund der geistigen Behinderung des Klägers sei diesem eine normale Teilnahme als Radfahrer im Straßenverkehr nicht möglich. Er schaue beim Fahren ständig nach hinten und nehme Gefahren nicht wahr. Kollisionen mit parkenden, unter Umständen auch fahrenden Fahrzeugen wären vorprogrammiert.
Die Beklagte holte anschließend zu ihrer streitigen Verordnung eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, in der die Ärztin im MDK Dr. med. F. unter dem 9. September 1996 nach Aktenlage ausführte, daß die - vom Vater des Klägers - herangezogene Rechtssprechung nicht unbedingt als Vergleich dienen könne, da hier von etwas anderen Voraussetzungen auszugehen sei. Beim Kläger bestehe in erster Linie eine mentale Retardierung mit Verhaltensstörungen, wobei er durchaus in der Lage sei, ausreichend zu gehen und zu laufen, ohne hierfür Hilfsmittel, wie z.B. einen Rollstuhl zu benötigen. Der Kläger könne sich wie andere Kinder zu Fuß einen ausreichenden Aktionsradius erschließen. Eine Einschränkung gegenüber gesunden Kindern bestehe jedoch dahingehend, daß er aufgrund seiner unvorhersehbaren Reaktionsweisen einer ständigen Aufsicht und Betreuung bedürfe. Diese Notwendigkeit werde aber durch die Benutzung eines Tandem-Fahrrades nicht aufgehoben, da auch hier eine ständige Betreuung erforderlich sei, zumal das Fahrrad nur mit einer weiteren Person benutzt werden könne. Ob bei einem gehfähigen Kind neben den Bereichen, die zu Fuß erreicht werden könnten, auch noch der Aktionsradius durch Fahrradfahren zu den Grundbedürfnissen zähle, sei ihrer Ansicht nach nicht zu bejahen. Im vom Vater des Klägers herangezogenen Fall handele es sich um einen Behinderten, der rollstuhlabhängig gewesen sei und seinen Rollstuhl auch nicht allein habe fortbewegen können. Die beim Kläger aufgrund der vorliegenden Koordinationsstörungen erforderlichen motorischen Übungen könnten und würden auch bereits durch Krankengymnastik behandelt. Die Notwendigkeit einer weiteren motorischen Förderung durch Benutzung eines Fahrrades ergebe sich aus den medizinischen Unterlagen nicht zwingend, geistige und verhaltensauffällige Defizite stünden bei ihm im Vordergrund. Darüber hinaus wäre, wie auch Dr. med. C. bereits mitgeteilt habe, die Benutzung eines G.-Dreirades beim Kläger aufgrund des unberechenbaren Verhaltens nicht möglich. Unabhängig von diesen Ausführungen sei festzuhalten, daß der Gebrauch eines Tandem-Fahrrades für den Kläger positive Auswirken haben könne. In Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. med. C. vom 1. Juli 1996 sei davon auszugehen, daß durch das gemeinsame Fahren des Jungen mit einer Betreuungsperson auf dem Tandem positive Verhaltensreaktionen aktiviert würden und die bei Autisten verminderte Interaktion mit der Umwelt gefördert werde. Hierbei handele es sich jedoch überwiegend um sozialpädagogische Aspekte, die auf diese Weise gefördert werden könnten und die soziale Eingliederung und Kontaktfähigkeit verbesserten. In diesem Sinne stelle das D.-Tandem zwar ein sinnvolles Gerät zur Behandlung der beim Kläger vorliegenden Störungen dar, es würden jedoch sozial- und heilpädagogische Aspekte überwiegen, so daß die Anschaffung und Kostenübernahme nicht unbedingt in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung falle und ein Hilfsmittelcharakter in diesem Sinne nicht gegeben sei.
Mit wiederholendem, diesmal mit Rechtsmittelbelehrung versehenem Bescheid vom 27. September 1996 hielt die Beklagte anschließend an ihrer ablehnenden Haltung fest. Die Beklagte führte aus, daß Versicherte nach § 33 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln hätten, die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen seien. Der Anspruch umfasse auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Wie bereits unter dem 23. Juli 1996 ausgeführt, handele es sich bei dem beantragten D.-Tandem nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern vielmehr um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Zu den Hilfen zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung bzw. Gebrauchsgegenständen sei allgemein zu sagen, daß neben den Hilfsmitteln, die unmittelbar bei der Behinderung selbst ansetzten und einen möglichst weitgehenden Funktionsausgleich herbeiführen sollten, oft weitere Hilfen erforderlich seien, um die Eingliederung in das private, gesellschaftliche und berufliche Leben zu fördern. Solche Hilfen richteten sich im Gegensatz zu den Hilfsmitteln auf das Umfeld des Behinderten, auf den privaten Haushalt, auf Arbeit und Beruf und das Leben in der Gemeinschaft. Zu der vom Kläger in Bezug genommenen Rechtsprechung habe der MDK festgestellt, daß es sich bei dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt um eine Situation handele, die vorliegend nicht unbedingt als Vergleich herangezogen werden könne. Insoweit wiederholte die Beklagte die o.a. Ausführungen der Frau Dr. med. F. und wies mit dieser abschließend darauf hin, daß es sich bei dem D.-Tandem zwar um ein sinnvolles Gerät zur Behandlung der vorliegenden Störungen des Klägers handele, aber überwiegend jedoch sozial- und heilpädagogische Aspekte vorlägen, die eine Kostenübernahme durch die Beklagte ausschlössen und ein Hilfsmittelcharakter in diesem Sinne somit nicht gegeben sei.
Auch gegen den Bescheid vom 27. September 1996 legten die Eltern des Klägers dann erneut Widerspruch ein. Sie verwiesen zunächst auf Parallelfälle, in denen, u.a. auch von der Beklagten, die Kosten für das verordnete Tandem als Hilfsmittel übernommen worden seien, also unabhängig davon, daß das beantragte Tandem noch nicht in den Hilfsmittelkatalog aufgenommen sei. Weiterhin führten sie aus, daß der von der Beklagten angesprochene, zu Fuß erreichbare Aktionsradius ihrer Auffassung nach nicht ausreiche. Wie schon erläutert, sei der Kläger gerade aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht in der Lage, sich mit einem normalen Fahrrad einen größeren Aktionsradius zu erschließen. Mit dem Therapietandem sei das aber sehr wohl der Fall. Letztlich müsse den Grundbedürfnissen insoweit auch dann Rechnung getragen werden, wenn dies nur mit Hilfe anderer Personen erreicht werden könne. Zur weiteren Begründung ihres Widerspruchs verwiesen die Eltern des Klägers dann auf ein Attest des ihren Sohn behandelnden Kinderarztes Dr. med. H. vom 20. Oktober 1996, in dem dieser ausführte, daß der Kläger im Rahmen seiner komplexen Behinderung auch unter einer psychomotorischen Bewegungsstörung und unter einer sensomotorischen-perceptiven Integrationsstörung leide. Zur Behandlung dieser Störungen werde ein umfassendes, sich ergänzendes Therapiekonzept angewendet, wozu u.a. Ergotherapie, Krankengymnastik nach psychomotorischen Grundsätzen, therapeutisches Reiten und Schwimmen gehörten. Ziel dieser Maßnahmen sei eine Förderung der sensornotorischen Integration, der Bewegungskoordination zwischen Armen und Beinen, der Gleichgewichtsreaktionen sowie der physischen und psychischen Ausdauer. Die Benutzung eines Fahrrades bedeute sodann für ein Kind mit einem derartigen Behinderungsspektrum eine, dem inzwischen fortgeschrittenen Alter entsprechende, wesentliche Förderungsmaßnahme, die sich zum einen ergänzend, zum anderen mittelfristig auch ersetzend in das beschriebene Förderkonzept eingliedere. Abschließend beriefen sich die Eltern des Klägers zur Begründung ihres Widerspruchs auch noch auf ein ihre Rechtsauffassung bestätigendes rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Chemnitz und legten weiterhin eine Stellungnahme des J.-Clubs e.V., J-Stadt, zur Hilfsmitteleigenschaft des beantragten D.-Therapie-Tandems vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 1997, zugestellt am 16. Januar 1997, wies die Beklagte den Widerspruch dann durch ihren hierfür zuständigen Widerspruchsausschuß als unbegründet zurück.
Über ihre o.a. Ausführungen hinaus machte die Beklagte geltend, daß bzgl. der Gewährung von Hilfsmitteln die Leistungspflicht der Kasse dort ende, wo die Ausgleichsfunktion bei einem Hilfsmittel hinter den allgemeinen Gebrauchswert der Gegenstände im täglichen Leben zurücktrete. Die Abgrenzung sei folglich darin vorzunehmen, ob der allgemeine Gebrauchszweck oder der therapeutische Wert im Vordergrund stehe. Beim beantragten Gegenstand D.-Tandem stehe der Gebrauchswert als Fahrrad im Vordergrund. Ein solcher Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens aber, der im allgemeinen auch von Gesunden benutzt werde, könne keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung begründen, auch wenn er infolge Krankheit oder Behinderung erforderlich werde. Selbst im Falle einer behindertengerechten Ausstattung des Gebrauchsgegenstandes habe die Rechtsprechung die Leistungspflicht der Krankenkasse somit begrenzt und auf den Bereich der Eigenverantwortung oder in Ermangelung eigener finanzieller Mittel auf den zuständigen Sozialhilfeträger verwiesen. Ungeachtet dessen sei zu beachten, daß als Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V nur solche sächlichen Mittel gelten würden, die geeignet seien, die Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes in medizinischer Hinsicht zu bessern, zu beheben oder zu beseitigen. Mit der Gewährung von Körperersatzstücken, orthopädischen und sonstigen Hilfsmitteln, die von ihrer Art und Ausstattung her eine körperliche Behinderung ausgleichen würden, werde die medizinische Rehabilitation und damit der medizinische Ausgleich der Behinderung bezweckt, auch wenn dieser Ausgleich in vielen Fällen nur unvollkommen sein könne. Einem solchen Funktionsausgleich dienten z.B. Prothesen, Hörgeräte, Krankenfahrstühle, orthopädische Schuhe und ähnliche Mittel. Zielrichtung des Mittels sei allein die medizinische Beseitigung und Milderung des gestörten Körperzustandes. Neben den Hilfsmitteln im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, die unmittelbar bei der Behinderung selbst ansetzten, seien somit oftmals weitere Hilfsmittel erforderlich, um das private, gesellschaftliche und berufliche Leben des Behinderten erträglicher zu machen und insoweit die Behinderung auszugleichen. Solche Hilfen richteten sich aber im Gegensatz zu den Hilfsmitteln auf das Umfeld des Behinderten und lösten eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus. Die Beklagte verwies schließlich wiederholend auf die o.a. Stellungnahme der Frau Dr. med. F. und machte geltend, daß bei der Nutzung des dem Kläger verordneten Tandems sozialpädagogische Aspekte im Vordergrund stünden, die auf diese Weise gefördert und die soziale Eingliederung und Kontaktfähigkeit verbessern könnten. Der Hinweis auf die Leistungsgewährung anderer Krankenkassen vermöge ab schließend den geltend gemachten Anspruch ebenfalls nicht zu begründen. Es sei zu berücksichtigen, daß von einer fehlerhaften Leistungsgewährung im Einzelfall kein Anspruch auf Beibehaltung rechtswidrigen Verwaltungshandeln abzuleiten sei.
Der Kläger hat am 21. Januar 1997 durch seine Eltern Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben, mit der er im wesentlichen unter Wiederholung seines Vorbringens im Antrags- und Vorverfahren an dem von ihm geltend gemachten Anspruch festhält.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 23. Juli 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit dem verordneten D.-Therapie-Tandem gemäß Kostenvoranschlag vom 18. Juni 1996 (ohne Fahrradcomputer) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest, wobei sie sich in ihrer Auffassung, daß es sich bei dem hier streitigen Gerät um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, durch ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. August 1992, Az.: L 4 Kr 86/91, bestätigt sieht. Das verordnete D.-Therapie-Tandem stelle nach der Herstellerbeschreibung letztlich ein herkömmliches Doppellenkradfahrrad dar, welches mittels Fuß- und Lendenstützen behindertengerecht angepaßt werden könne. Ein solcher Gegenstand werde durch eine behindertengerechte Zurichtung aber nicht zum Hilfsmittel. Überdies sei das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. April 1996, Az.: L 9 Kr 53/95, zu beachten. Auch wenn dieses Urteil im Zusammenhang mit der Versorgung mit einem Rollstuhlbike ergangen sei, könne der allgemeine Urteilstenor auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden. Hiernach scheitere die Kostenübernahme bereits daran, daß dieses nicht im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgeführt sei. Nach Ziffer 8 der Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien könnten Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkassen nur verordnet werden, sofern sie von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erfaßt seien und im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgeführt seien.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht einen Befundbericht des Dr. med. H. vom 16. März 1997 und einen weiteren Befundbericht des Dr. med. C. vom 17. März 1997 beigezogen. Darüber hinaus hat das Gericht beim MDK in Kassel die dort geführten, den Kläger betreffenden Unterlagen beigezogen, die neben dem Gutachten der Frau Dr. med. F. vom 9. September 1996 ein weiteres Gutachten der Frau Dr. med. K. vom 27. Januar 1997 zur Erforderlichkeit einer Mutter-Kind-Kur enthalten haben. Sämtliche dieser beigezogenen Unterlagen haben den Beteiligten zur Auswertung zur Verfügung gestanden, der Beklagten gleichzeitig auch noch die beim Versorgungsamt in Kassel ebenfalls beigezogene SchwbG-Akte des Klägers. In der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 1997 hat das Gericht den Vater des Klägers sodann zum Sachverhalt nochmals gehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte insgesamt; ebenso wird Bezug genommen auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die aufgeführten, vorgenannten Krankenunterlagen, deren jeweils wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte hat die beantragte und ärztlich befürwortete Versorgung des Klägers mit einem D.-Therapie-Tandem zu Unrecht abgelehnt, da der Kläger aufgrund seiner persönlichen Grundbedürfnisse unter Berücksichtigung seines konkreten, einzelfallbezogenen Krankheitsbildes und den mit diesen verbundenen Auswirkungen nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 SGB V entgegen der Beklagten Anspruch auf Versorgung mit einem solchen Gerät als Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung hat.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Zu letzterem ist zunächst festzustellen, daß ein Anspruchsausschluß nach § 34 Abs. 4 SGB V vorliegend nicht eingreift, da das hier verordnete Gerät von der aufgrund dieser Vorschrift erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfaßt wird.
Weiterhin ist hierzu festzustellen, daß das dem Kläger verordnete D.-Therapie-Tandem auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist. Hierunter fallen grundsätzlich nur solche Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet, d.h. üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig genutzt werden (vgl. hier zu BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 5 und 7 sowie BSG in SozR 2200 § 182 b Nr. 6). Als Fahrradersatz fallen hierunter sicherlich auch herkömmliche Tandems. Das dem Kläger verordnete Tandem kann nach dem vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Prospektmaterial grundsätzlich zwar auch von Gesunden genutzt werden, die Kammer hat sich insoweit jedoch davon überzeugt, daß die gegenüber einem "normalen" Tandem bauartigen Besonderheiten, gerade und insbesondere speziell auf behinderte Mitnutzer zugeschnitten sind, die es dem hinten sitzenden Nichtbehinderten - anders als bei einem "normalen" Tandem - erlauben, steuernd und überwachend in die Nutzung des Tandems einzugreifen bzw. die Nutzung gegenüber dem vorn sitzenden behinderten Kind zielgerichtet zu lenken.
Von einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand kann schließlich hier nach Überzeugung der Kammer auch nicht im Hinblick auf den Preis des streitigen Gerätes ausgegangen werden. Für die Kammer ergeben sich dabei auch keinerlei Anhaltspunkte, daß im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung allein aufgrund des Verbreitungsgrades von Tandems der hier streitigen Art in privaten Haushalten davon auszugehen wäre, daß es sich hierbei um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handeln würde. Dies gilt um so mehr, als das Bundessozialgericht bisher lediglich entschieden hat, daß bei einem Verbreitungsgrad innerhalb der privaten Haushalte oder innerhalb der Gesamtbevölkerung von jeweils weniger als 3 v.H. dies noch nicht zu bejahen sei, ohne damit jedoch gleichzeitig entschieden zu haben, daß dies generell die Grenze sei, bei deren Überschreitung von einer üblichen Verwendung eines Gegenstandes durch eine große Anzahl von Menschen zu sprechen sei. Letztlich dürfte bei all dem bereits der Preis des hier streitigen Gerätes für sich sprechen, der den herkömmlicher Tandems nach Kenntnis der Kammer annähernd um das 2- bis 2,5- fache übersteigt. Soweit der Kammer Beispiele bekannt sind, daß bauartig ähnlich konzipierte Tandems auch von Eltern nichtbehinderter Kinder für sich und ihre Kinder genutzt werden, handelt es sich letztlich um Anschaffungen, die über den Gebrauchswert von Gegenständen des täglichen Lebens als "Luxusgut" weit hinausgehen. Insoweit kommt letztlich auch in diesem Zusammenhang bereits unter Zugrundelegung des Preises von Geräten der hier streitigen Art diesen abschließend auch noch keine Eigenschaft als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu.
Ein Ausschluß der Versorgung mit dem hier streitigen Gerät aus der Leistungspflicht der Krankenkassen ergibt sich sodann auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK 16/95).
Ein Hilfsmittel ist schließlich über den o.a. Bedingungszusammenhang hinaus - und hierauf ist im vorliegenden Fall mitentscheidend abzustellen - erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 3, 5 und 7). Dabei ist zu den allgemeinen Grundbedürfnissen auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfaßt. Auch wenn die gesetzlichen Krankenkassen Hilfsmittel, die dazu dienen, lediglich die Folgen und Auswirkungen der Behinderungen in den verschiedenen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem, wirtschaftlichen und privaten Gebiet, zu beseitigen oder zu mildern, insoweit nicht zur Verfügung stellen müssen, gilt dies nur für Hilfsmittel, die ausschließlich oder nahezu ausschließlich für nur eines dieser Gebiete eingesetzt werden. Soweit jedoch Grundbedürfnisse betroffen sind, fällt auch, was die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden verkennt, der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der Krankenversicherung (vgl. zum Rollstuhlboy, BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 7, zum elektronischen Lese Sprechgerät, BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 16, zum Farberkennungsgerät, BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK 38/94, zum Luftreinigungsgerät, BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK 38/94, zum Schreibtelefon, BSG, Urteil vom 25. Oktober 1995, Az.: 3 RK 30/94, zum Telefax - Gerät, BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, Az.: 3 RK-39/94, SG Kassel, Urteil vom 25. September 1995, Az.: S-12/Kr- 579/95, zum Speedy - Bike, SG Kassel, Urteil vom 10. Juli 1996, Az.: S-12/Kr-1388/95, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Die für den MDK nach Aktenlage gefertigte Stellungnahme der Frau Dr. med. F. trägt all dem keinerlei Rechnung. Dies gilt um so mehr, als sie medizinische Fragen mit rechtlich zu beachtenden Gesichtspunkten vermengt und darüber hinaus ihren Ausführungen - wie letztlich auch die Beklagte - einen Hilfsmittelbegriff zugrunde legt, der durch die o.a., von der Beklagten nicht akzeptierte höchstrichterliche Rechtsprechung seit längerem bereits überkommen ist und insoweit die auch in der gesetzlichen Krankenversicherung zu befriedigenden Grundbedürfnisse rein medizinischen Gesichtspunkten unterordnet. Das Zusammenspiel dieser beiden Komponenten bleibt völlig außen vor. Die Beklagte überläßt dem MDK insoweit über die medizinische Beurteilung hinaus eine rechtliche Beurteilung, die dem MDK nicht zukommt, ein Verfahren, daß der Kammer zwischenzeitlich aus einer Vielzahl von Rechtsstreiten mit der Beklagten oder ihrer Pflegekasse hinlänglich bekannt ist. Daß sich die Beklagte auf rechtliche Hinweise des Gerichts auf Entscheidungen zurückzieht, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung - weil von ihr aufgehoben bzw. "veraltet" - zuwiderlaufen (LSG Niedersachsen) oder im Sachverhalt vom hier vorliegenden so weit abweichen, daß sie nicht mehr vergleichbar sind (LSG Berlin), spricht dabei für sich. Auch die Kammer hätte im letztgenannten Fall die Hilfsmitteleigenschaft eines D.-Therapie-Tandems verneint. Für die Kammer ist es insoweit aber in keiner Weise nachvollziehbar, wie man - wie es der Klagesachbearbeiter der Beklagten im Gerichtsverfahren tut - den im Zeitpunkt der Verordnung noch nicht einmal 8-jährigen Kläger mit für die Wohnung faltrollstuhlversorgten erwachsenen Behinderten, die zudem über behindertengerecht ausgestattete Personenkraftwagen und damit eine für den Kläger ungekannte, selbstbestimmte Bewegungsfreiheit verfügen, die dieser selbst nie erfahren wird, vergleichen bzw. einen entsprechenden Vergleich überhaupt erst in Erwägung ziehen kann. Schließlich wird verkannt, daß es hier auch nicht um das Grundbedürfnis "Fahrradfahren" als solches geht.
Daß die nach Aktenlage gefertigte Stellungnahme der Frau Dr. med. F. und damit auch die der Beklagten der Person des Klägers und insoweit dessen individuellen Gegebenheiten, auf die allein abzustellen ist, nicht gerecht wird, folgt schließlich u.a. nach Anhörung des Vaters des Klägers in der mündlichen Verhandlung und zunächst auch unabhängig von den von ihm vorgelegten und vom Gericht beigezogenen weiteren Befundberichten und Krankenunterlagen der behandelnden Ärzte des Klägers aus einem weiteren, für den MDK, diesmal nach ambulanter Untersuchung erstellten Gutachten der Frau Dr. med. K. vom 30. Januar 1997, das im Zusammenhang mit der Beantragung einer Mutter-Kind-Kur gefertigt wurde. In diesem Gutachten wird der Kläger als nicht in der Lage beschrieben, eine Weile in Ruhe zu verharren. Er wird weiterhin als in der Untersuchungssituation äußerst laut und lärmend bezeichnet, wobei er allein in der Lage sei, lallende, für eine außenstehende Person teilweise sehr unverständliche Worte von sich zu geben. Anweisungen könne er nur unzureichend befolgen, wobei er im Untersuchungszimmer lärmend an verschiedenen Gegenständen herum hantiere, unter die Liege klettere und die Türe aufreiße, um das Untersuchungszimmer zu verlassen, so daß ihn seine Mutter mehrfach in das Untersuchungszimmer zurückführen müsse. Bereits aufgrund dieser Schilderung verliert der Verweis der Frau Dr. med. F. darauf, daß der Kläger durchaus in der Lage sei, ohne Hilfsmittel ausreichend zu gehen und zu laufen, nach den o.a. Vorgaben nahezu jegliche Bedeutung für die hier streitige Frage. Daß er sich zu Fuß wie jedes andere Kind einen ausreichenden Radius erschließen könne solle, erscheint in diesem Zusammenhang völlig unverständlich. Insoweit wird wohl allein auf das "Gehen können" selbst abgestellt, was vorliegend kaum als geeignetes Abgrenzungskriterium wird herhalten können, zumal Frau Dr. med. F. letzteres selbst wiederum dahingehend einschränkt, daß der Kläger aufgrund von unvorhergesehenen Reaktionsweisen einer ständigen Aufsicht und Betreuung bedürfe. Insoweit kann sich also auch der Kläger wie im vom BSG zum Rollstuhlbike entschiedenen o.a. Rechtsstreit gerade nicht - und auch im Unterschied zu gleichaltrigen Kindern - allein und ohne ständige, letztlich beschützende Aufsicht fortbewegen. Die glaubhaften, durch die beigezogenen Krankenunterlagen belegten Angaben des Vaters des Klägers in der mündlichen Verhandlung sprechen in diesem Zusammenhang für sich. Danach kann der Kläger, der im übrigen seitens der Beklagten als Hilfsmittel mit einer Video-Überwachungsanlage versorgt ist, nicht allein gelassen werden. Er benötigt ständige Beaufsichtigung, wobei er bedingt nur auf dem eigenen Hausgrundstück seiner Eltern allein gelassen werden kann, seine Eltern aber auch dabei ständig ein Auge auf ihn haben müssen. Wenn Frau Dr. med. F. und ihr folgend die Beklagte all dies außer Betracht bzw. für eine notwendige Hilfsmittelversorgung unerheblich erscheinen lassen und insoweit im Ergebnis allein darauf abstellen, daß der Kläger zumindest motorisch noch in der Lage sei, sich fortzubewegen, verkennen sie den aufgezeigten Hilfsmittelbegriff.
All dies gilt sodann um so mehr, als Frau Dr. med. F. zwar insoweit selbst die möglichen positiven Auswirkungen der Nutzung des verordneten Gerätes für den Kläger aufzeigt, der Kausalzusammenhang, in dem die Verordnung durch Dr. med. C. erfolgt ist, dann aber wieder durch einen Verweis auf überwiegend sozialpädagogische Aspekte, nur unzureichend Beachtung findet, wobei die kompetent neuropädiatrisch und insofern fachärztlich und konkret krankheitsbezogen aufgezeigte, medizinische Notwendigkeit der erfolgten Verordnung kein Korrelat in der Beurteilung der Beklagten bzw. des MDK findet, obwohl sie sich nach Überzeugung der Kammer schlüssig und nahtlos in die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse im Rahmen der Hilfsmittelversorgung einordnen läßt. Dem wird insoweit letztlich allein das spätere, in anderem Zusammenhang für den MDK nach ambulanter Untersuchung des Klägers gefertigte Gutachten der Frau Dr. med. K. gerecht, ohne daß die Beklagte hieraus jedoch am allein zu beurteilenden Einzelfall vorbei - die entsprechenden Konsequenzen gezogen hat. Der isoliert in Bezug genommene Verweis der Beklagten darauf, daß der Kläger gern und rasant Fahrrad fahre, dies die Beklagte aber nicht zur Verordnung mit dem hier verordneten Fahrrad zwingen könne, zeigt letztlich deutlich, daß sie sich mit den von der Kammer beigezogenen Befundberichten und Krankenunterlagen gerade nicht auseinandergesetzt hat. Dies hat den medizinischen Sachverhalt, der zu der hier streitigen Verordnung geführt hat, zwar mit beeinflußt, letztlich aber nur einen tragenden Gesichtspunkt der Verordnung beinhaltet. Indem die Beklagte insoweit allein auf die Ermöglichung des Fahrradfahrens, nicht aber auch den damit verabfolgten therapeutischen Nutzen sowie die hiermit verbundene Befriedigung von Grundbedürfnissen des Klägers durch das verordnete Gerät abstellt, letzteres sogar trotz Hinweises auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, ohne sich damit annäherungsweise auseinander zu setzten, negiert, zeigt sie letztlich, daß sie den Hintergrund dieser Verordnung auf der Grundlage der o.a., von ihr nicht akzeptierten, den Hilfsmittelbegriff erweiternden Rechtsprechung und bezogen auf den konkreten Einzelfall des Klägers nicht erfaßt hat.
Dr. med. C. verweist unter dem 1. Juli 1996 gegenüber der Beklagten sowie unter dem 17. März 1997 in seinem Befundbericht gegenüber dem Gericht in Übereinstimmung mit Frau Dr. med. K. vom MDK sowie Dr. med. H., dem Kinderarzt des Klägers in dessen Attest vom 20. Oktober 1996 sowie seinem Befundbericht vom 16. März 1997 u.a. auf eine ausgeprägte Verhaltenseigenheit hirnorganischer Prägung mit autistischen Zügen. Darüber hinaus auf eine deutliche motorische Ungeschicklichkeit in Zusammen hang mit lockerer Muskelspannung und daraus resultierender Haltungsschwäche sowie stereotyp und maniristische Bewegungsabläufe mit ausgeprägter feinmotorischer Dyspraxie. Zur von der Beklagten statt der beantragten Versorgung in Erwägung gezogenen Versorgung mit einem behindertengerechten Dreirad führt er aus, daß ein solches Dreirad nicht leicht zu manövrieren sei und unter keinen Umständen ein gemeinsames Fahren der Familie in der Öffentlichkeit erlaube. Der Kläger sei auf dem Hintergrund sowohl der geistigen Behinderung als auch der Verhaltensstörung nicht verkehrssicher. Auf einem Tandem könne der Kläger die gegenseitige Abhängigkeit und auch Verantwortlichkeit füreinander von einem Erwachsenen direkt erleben und zum gemeinsamen Gelingen beitragen, eine für den Autisten außerordentlich schwer erreichbare Erfahrung, die durch die o.a. Bewegungs- und Koordinationsstörung zusätzlich erschwert sei. Weiterhin könne der Kläger an der Interaktion seiner Familie mit der Umwelt aktiv teilnehmen, ohne in Gefahr zu geraten, z. B. durch den Verkehr auf der Straße.
Die vorstehenden Ausführungen des Dr. med. C. und auch die des Dr. med. H. vom 20. Oktober 1996 verdeutlichen schlüssig, widerspruchsfrei und für die Kammer für ihre Entscheidungsbildung ausreichend klar und überzeugend, daß die von Dr. med. C. erfolgte Verordnung gerade nicht isoliert dazu dient, dem Kläger allein das Fahrradfahren zu ermöglichen, sondern ihm, auf sein Krankheitsbild bezogen, allgemein einen körperlichen und geistigen, wenn auch nach wie vor eingeschränkten Freiraum verschaffen soll, was wiederum u.a. in Anlehnung an die eigenwilligen maniristischen Bewegungs- und Koordinationsstörungen sowie insbesondere die mit autistischen Zügen verbundenen Verhaltenseigenheiten des Klägers der Tatsache Rechnung trägt, daß dieser in ungleich höherem Maße als insoweit nichtbehinderte Personen der Gefahr menschlicher und gesellschaftlicher Isolierung und Vereinsamung unterliegt, weil seine Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Bewegung und schließlich zur Kommunikation mit anderen Menschen stark eingeschränkt sind. Die schließlich insoweit ebenfalls vorhandene Einschränkung der Erlebnisfähigkeit ist dabei ursächlich auch auf die Behinderung des Klägers zurückzuführen, so daß letztlich im vorliegenden konkreten Einzelfall auch nicht von einer Freizeitgestaltung auf Kosten der Krankenkasse und erst Recht nicht davon die Rede sein kann, daß das verordnete Gerät nicht an der Behinderung ansetzt. Der lapidare Verweis auf die statt dessen bestehende und wahrgenommene Möglichkeit der Inanspruchnahme von Krankengymnastik, verkennt demgemäß völlig den Bedingungszusammenhang, in dem die Verordnung steht.
Wenn Dr. med. C. in einem Bericht an Dr. med. H. vom 11. April 1996 aus führt, daß es sich bei dem dann später verordneten D.-Therapie-Tandem zweifelsfrei um ein Heilhilfsmittel sowohl bezüglich der Körperkoordination als auch der sozialen Eingliederung, nicht nur in der Familie, sondern auch die weitere Öffentlichkeit handele, trägt dies abschließend gerade dem o.a. Hilfsmittelbegriff Rechnung und steht dem nicht entgegen. Da es sich vorliegend in erster Linie um die Erfüllung von Grundbedürfnissen handelt, kommt es insoweit nicht darauf an, ob das Hilfsmittel entsprechend den o.a. Ausführungen unmittelbar am Körper des Behinderten ausgleichend wirkt oder ob der Ausgleich auf andere Weise erzielt wird. Die Hilfsmitteleigenschaft hängt auch nicht davon ab, daß die ausgefallene Funktion als solche ersetzt wird. Es genügt, daß ein Mittel Ersatz- oder Ergänzungsfunktionen wahrnimmt, was bei dem dem Kläger verordneten D.-Therapie-Tandem unter Zugrundelegung der mit der Verordnung verbundenen o.a. Zielsetzung der Fall ist. Insoweit ist es auch nicht erforderlich, daß das Hilfsmittel einen Funktionsausfall vollkommen ausgleicht, sondern es genügt, wenn es schon in Teilbereichen dem Ausgleich körperlicher Funktionen dient (vgl. zum Rollstuhlboy BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 7), wobei weiterhin mit dem Kläger auch unbeachtlich bleibt, daß der Beaufsichtigungs- und Betreuungsaufwand durch eine dritte Person zur Befriedigung der Grundbedürfnisse ebenfalls erhalten bleibt.
Die Versorgung des Klägers mit dem verordneten Gerät entspricht sodann, nachdem der Kläger - wie noch im Kostenvoranschlag enthalten - auf die Ausstattung mit einem Fahrradcomputer zu Lasten der Beklagten verzichtet hat, auch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, dem in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 12 Abs. 1 SGB V auch die Versorgung mit Hilfsmitteln genügen muß, da zur Überzeugung der Kammer ein weniger aufwendiges Hilfsmittel unter Beachtung der Behinderungen des Klägers und insbesondere seiner Lebenssituation nicht zur Verfügung steht. Ausgehend von den schlüssigen Ausführungen des Dr. med. C. sind die mit der Nutzung des dem Kläger verordneten D.-Therapie-Tandems verbundenen Vorteile für den Kläger darüber hinaus auch nicht als unwesentlich einzustufen, wobei die von der Beklagten alternativ angedachte Versorgung des Klägers mit einem behindertengerechten Dreirad, aus den weiteren Ausführungen des Dr. med. C. heraus, der mit der Verordnung verbundenen Zielsetzung nicht gerecht würde, ihr sogar zuwiderliefe, da der Kläger dieses selbst nur eingeschränkt und wiederum auch nur bezogen auf ein beschützendes Umfeld, also erneut in einer ihn isolierenden, sein Krankheitsbild unterstützenden Umgebung nutzen könnte.
Nach alledem waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und der Klage im gegebenen vollen Umfang stattzugeben. Dabei kam eine Verurteilung der Beklagten lediglich unter Berücksichtigung eines Eigenanteils des Klägers selbst nicht in Betracht (vgl. hierzu BSG in SozR 3-2500 § 33 Nr. 16), da dem verordneten Tandem für den Kläger - wie ausgeführt - keine eigenständige Funktion als Gebrauchsgegenstand zukommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Der gesonderten Entscheidung über eine Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, nachdem der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000,00 DM übersteigt und die Kammer darüber hinausgehende Berufungsausschließungsgründe, die eine solche Entscheidung erforderlich gemacht hätten, nicht zu erkennen vermochte.
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