L 3 U 3990/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 2744/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3990/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 1. August 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt der Kläger. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Der Streitwert wird auf 12.267,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, mit dem die Beklagte gegenüber der Beigeladenen wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 16.10.2002 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. gewährt.

Der 1963 in A./Kosovo geborene Kläger, serbischer Staatsangehöriger, war bis zur arbeitgeberseitigen Kündigung im November 2005 als Vorarbeiter bei der Dienstleistungsgesellschaft Universitätsklinikum Ulm mbH (DUU) beschäftigt und hatte dort die Aufgabe, das Reinigungspersonal einzuteilen, anzuleiten sowie die Stundenbücher zu führen. In dieser Funktion war er auch unmittelbarer Vorgesetzter der Beigeladenen.

Mit Schreiben vom 02.07.2007 teilte das Landratsamt Alb-Donau-Kreis der Beklagten mit, dass die Beigeladene aus Anlass einer am Arbeitsplatz erlittenen Vergewaltigung die Gewährung von Beschädtigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz beantragt habe und bat um Mitteilung, ob von der Beigeladenen ein Antrag auf Anerkennung als Arbeitsunfall gestellt worden sei.

Die Beklagte zog daraufhin die Akte der Staatsanwaltschaft Ulm in der Strafsache des hiesigen Klägers gegen die Beigeladene bei (1 Ls 41 Js 22617/05). Auf die darin enthaltenen polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle der Beigeladenen sowie der anderen, dem Kläger unterstellten Reinigungskräfte I. K., F. R., S. T. und der technischen Betriebsleiterin der DUU M. R., wird Bezug genommen. Bezüglich der sexuellen Belästigungen der Zeuginnen I. K., F. R. und S. T. durch den Kläger wurde das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung bzw. Verstreichens der Strafantragsfrist von drei Monaten eingestellt (Verfügung der Staatsanwaltschaft Ulm vom 29.03.2007).

Das Amtsgericht Ulm - Schöffengericht - vernahm in der Hauptverhandlung am 13.11. und 27.11.2007 u. a. M. R., F. R. und die Beigeladene als Zeuginnen. Mit Urteil vom 27.11.2007 wurde der Kläger wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. In dem vom Kläger sowie von der Staatsanwaltschaft angestrengten Berufungsverfahren vor dem Landgericht Ulm wurden insgesamt 20 Zeugen einschließlich der Beigeladenen vernommen. Das Landgericht Ulm änderte das Urteil des Amtsgerichts Ulm ab und verurteilte den Kläger wegen einer besonders schweren Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Die Revision des Klägers wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27.11.2008 (2 Ss 565/08) mit der Begründung verworfen, die Nachprüfung des Urteils des Landgerichts Ulm vom 04.07.2008 habe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, des hiesigen Klägers, ergeben.

Das Landgericht Ulm führte in seinem Urteil aus, der Angeklagte sei aufgrund der glaubhaften Bekundungen der Beigeladenen überführt. Deren in sich widerspruchsfreien Angaben könne gefolgt werden, da sie zum einen gestützt würden durch die Bekundungen der Zeuginnen F. R. und I. K., die beide vom Kläger immer wieder sexuell belästigt worden seien. Sowohl bei F.R. als auch bei I.K., die während ihrer gerichtlichen Vernehmung ebenso wie die Beigeladene deutlich spürbare Angst gezeigt hätten, seien keine Belastungstendenzen erkennbar gewesen. Zum anderen spreche für die Glaubwürdigkeit der Angaben der Beigeladenen, dass nicht sie die Tat zur Anzeige gebracht habe, sondern die technische Betriebsleiterin der DUU, die Zeugin M. R. Diese habe, nachdem sich I. K. ihr wegen der sexuellen Belästigung durch den Kläger anvertraut habe, mit weiteren Mitarbeiterinnen Kontakt aufgenommen, darunter mit F. R. und S. T. Schließlich habe M. R. die Beigeladene ausfindig gemacht, nachdem diese bei ihrer Wiedereinstellung bei der DUU im August 2004 gebeten habe, nicht mit dem Kläger zusammen arbeiten zu müssen und deshalb im Klinikum am Eselsberg und nicht am Michelsberg (wo nach Angaben der Beigeladenen die Tat stattgefunden hat), eingesetzt worden sei. Zunächst habe die Beigeladene gegenüber M. R. Belästigungen durch den Kläger verneint und erst nach weiteren Nachfragen von der Vergewaltigung berichtet. S. T. habe bei ihrer gerichtlichen Vernehmung bekundet, dass sie bereits zu Beginn ihrer Tätigkeit in der DUU auf dem Michelsberg vom Kläger sexuell bedrängt worden sei. Kolleginnen hätten sie von Anfang an vor dem Kläger gewarnt. Auch die Angaben von S. T. seien glaubhaft, eine Belastungstendenz nicht zuerkennen. Sie hätte den Kläger noch weit stärker belasten und das Erlebte übertreiben können. Dass sie dies nicht getan habe, spreche für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Die Angaben der Entlastungszeuginnen H., R. S., M. und P. W., die ein stets korrektes Verhalten des Klägers bekundet hätten, besagten nichts hinsichtlich des dem Kläger angelasteten Tatvorwurfs und der Übergriffe gegenüber den Zeuginnen I. K., O. T. und F. R. Es sei durchaus vorstellbar, dass sich der Kläger gegenüber zahlreichen Reinigungskräften korrekt verhalten habe.

Folgende ärztliche Unterlagen gelangten zu den Akten der Beklagten:

- Entlassbericht der Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums Ulm vom 05.12.2005 über die stationäre Aufnahme vom 22.11. bis 01.12.2005: Die Aufnahme erfolgte über die internistische Notaufnahme nach einer psychischen Dekompensation am Arbeitsplatz. In der Anamnese heißt es, die Beigeladene sei vor ca. 4 Jahren am Arbeitsplatz von einem Kollegen vergewaltigt worden und habe dies niemand, auch nicht ihrem Ehemann, erzählt. Erstmals vor zwei Wochen habe sie ihrer Chefin berichtet, als diese sie mit jenem Kollegen auf einer Station habe einsetzen wollen. Im Aufnahmegespräche habe die Beigeladene von einer seit 2 Wochen progredient verlaufenden depressiven Entwicklung berichtet. Unter der Annahme einer Anpassungsstörung, die auch als Diagnose gestellt wurde, sei mit einer medikamentösen Therapie begonnen worden unter deren Verlauf sich eine schnelle Zustandsverbesserung und Stabilisierung ergeben habe. Zum Zeitpunkt der Entlassung habe sich die Beigeladene zu einer Aussage bei der Polizei durchgerungen.

- Bericht der Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums Ulm vom 15.11.2006: In der Epikrise wird eine seit ca. einem Jahr bestehende leichte bis mittelgradige depressive Episode, bislang nicht suffizient behandelt, beschrieben. Vor dem Hintergrund der Anamnese sei an eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu denken, wobei die im Vordergrund stehenden Schlafstörungen, die innere Unruhe, die Störung der Impulskontrolle als Zeichen der Übererregbarkeit im Rahmen der PTBS zu sehen seien, zudem bestehe eine emotionale Abstumpfung. Weitere Zeichen (Wiedererinnern, Vermeidungsverhalten) sollten im Rahmen der vereinbarten ambulanten Behandlung erfragt werden.

- Ärztlicher Befundbericht der Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums Ulm vom 23.03.2007 zum Rehabilitationsantrag bei der Deutschen Rentenversicherung Bund: Diagnostiziert wird eine mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen, V. a. PTBS.

- Reha-Bericht der Michael-Balint-Klinik vom 05.07.2007 über den stationären Aufenthalt vom 16.05.2007 bis 27.06.2007: Es wird eine PTBS neben einer Agoraphobie und einer mittelgradigen depressiven Episode beschrieben. Es bestünden Flashbacks und Alpträume, die sich unter medikamentöser Therapie gebessert hätten; Übererregbarkeit und Angstzustände seien noch vorhanden. Mit Blick auf die anstehende Gerichtsverhandlung und um eine erneute Dekompensation zu verhindern, werde eine Fortsetzung der Therapie in dieser Einrichtung empfohlen.

- Entlassbericht der Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums Ulm vom 14.08.2007 über den stationären Aufenthalt vom 03.07.2007 bis 14.08.2007: Die Aufnahme erfolgte nach einer depressiven Dekompensation im Vorfeld des anstehenden Gerichtstermins. Es wurde eine mittelgradige depressive Episode, eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung und anamnestisch eine PTBS diagnostiziert.

- Ärztliches Attest des Dr. Vasic, Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums Ulm vom 05.11.2007: Es wird bestätigt, dass sich die Beigeladene aktuell wegen depressiver und posttraumatisch bedingter psychischer Symptomatik in regelmäßiger zweiwöchentlicher ambulanter Behandlung befinde.

- Entlassbericht der Klinik für Psychiatrie des Universitätsklinikums Ulm vom 08.07.2008 über einen stationären Aufenthalt vom 05.06.2008 bis 09.06.2008: Die Aufnahme erfolgte bei einer akuten Belastung nach erneuter Konfrontation mit den traumatischen Ereignissen im Rahmen einer Gerichtsverhandlung.

- Arztbrief der Dr. Wild-Seibold vom 22.09.2008: Zum psychischen Befund wird ausgeführt, es bestehe eine gestörte Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit, eine Hemmung im Antrieb und eine deutliche Reduzierung der emotionalen Schwingungsfähigkeit. Es bestünden hartnäckige Schlafstörungen mit Alpträumen, Flashbacks und immer wieder suizidale Gedanken.

- Reha-Bericht der B.-C.-Klinik, Bad D., vom 30.11.2009 über den stationären Aufenthalt vom 23.09.2009 bis 18.11.2009: Darin wird u. a ausgeführt, seit der (hiesige) Kläger in Haft sei, habe die Beigeladene noch stärkere Ängste, weil dieser Albaner sei und sie befürchte, dass er sich brutal an ihr, ihrer Tochter oder ihren Enkeln rächen werde. Die therapeutische Intervention habe sich zunächst auf die Folgen der PTBS konzentriert. Die Diagnosen lauteten Angst und depressive Störung, gemischt.

Die Beklagte beauftragte Dr. E. mit einer psychiatrischen-neurologischen Begutachtung. Dr. E., der die Beigeladene am 08.12. und 22.12.2009 untersucht und eine ausführliche Fremdanamnese bei der Tochter der Beigeladenen erhoben hatte, kam in seinem Gutachten vom 21.12.2009 zu dem Ergebnis, es liege eine leichte bis mäßige traumatische chronifizierte Belastungsstörung mit Persönlichkeitsveränderung vor. Die Diagnose einer PTBS sei durch eine ausführliche Exploration und über ein strukturiertes Interview festgestellt worden; ferner lägen auch Arztberichte in dieser Richtung vor. Die PTBS sei durch die Vergewaltigung verursacht worden - auch im Sinne einer Retraumatisierung mit weiteren Konfrontationen in Form von Gerichtsterminen, Lokalterminen etc. und Angst vor der Entlassung des Klägers aus der Haft. Die MdE für die PTBS betrage 30 v. H ... Unfallunabhängig bestehe eine leichte rezidivierende depressive Störung, die mit einer MdE von 20 v. H. einzuschätzen sei. In der ergänzenden Stellungnahme vom 11.02.2010 führte der Gutachter aus, in den vorangegangenen Befundberichten seien zusätzlich zu den posttraumatischen Belastungssymptomen rezidivierende depressive Verstimmungen festgestellt worden. Auch bei seiner Untersuchung hätten sich die depressiven Phänomene mit der PTBS durchmischt. Der depressive Anteil der Symptome sei überwiegend unfallunabhängig. Die weiteren Befunde wie Flashbacks seien der PTBS zuzurechnen. Die unfallbedingte MdE betrage 30 v. H.

Die Beklagte zog bei der AOK Ulm das Vorerkrankungsverzeichnis bei. Aus der zunächst übersandten Übersicht ergaben sich - abgesehen von den Arbeitsunfähigkeitszeiten ab 2005 wegen psychischer Gesundheitsstörungen - Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 25.06. bis 27.06.2003 wegen einer depressiven Episode. In Ergänzung hierzu bat die Beklagte die AOK um Mitteilung der Krankheitszeiten vor 2003. Die daraufhin vorgelegten Unterlagen ergaben zwischen 8/1989 und 2/1993 Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Erschöpfungssymptomen bzw. Neurosen (11.08.1989 bis 15.08.1989, 16.01.1991 bis 12.02.1991, 17.12.1991 bis 24.12.1991, 16.03.1992 bis 21.03.1992, 30.04.1992 bis 15.05.1992, 02.10.1992 bis 17.10.1992, 20.12.1992 bis 25.12.1992, 28.01.1993 bis 06.02.1993).

Die Beklagte holte bei Dr. F. eine beratungsärztliche Stellungnahme unter Mitberücksichtigung der beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnisse ein. Dr. F. führte unter dem 25.03.2010 aus, es liege unfallunabhängig eine neurotische Störung mit Erschöpfungszuständen im Vollbeweis vor. Die unfallbedingte MdE schätzte er mit 30 v. H. ein und empfahl eine Nachuntersuchung in 2 Jahren.

Mit Bescheid vom 20.04.2010 bewilligte die Beklagte der Beigeladenen wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 16.10.2002 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H. ab 17.10.2002.

Mit Schreiben vom 21.04.2010 wurde der Kläger von der Beklagten zum Verwaltungsverfahren gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hinzugezogen. Der von der Beklagten am 20.04.2010 erlassene Bescheid wurde dem Kläger als Beteiligtem zur Kenntnisnahme übersandt.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2010 zurückwies. Die begehrte Akteneinsicht lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, das Persönlichkeitsrecht der Beigeladenen sei ein höheres schutzwürdiges Interesse einzuräumen, als dem Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör. Die im Bescheid getroffenen Feststellungen seien im Übrigen aufgrund des Gutachtens des Dr. E. nicht zu beanstanden.

Der Kläger hat hiergegen am 05.08.2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und geltend gemacht, die lange psychische Krankengeschichte der Beigeladenen sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Nicht nachvollziehbar sei, dass die Beigeladene immer wieder angegeben habe, vor dem Ereignis vollkommen gesund gewesen zu sein. Die Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien im Wesentlichen deckungsgleich mit den Beeinträchtigungen, unter denen die Beigeladene bereits seit 1989 gelitten habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.08.2011 hat das SG, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Akteneinsicht gewährt hat, die Klage abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, da der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis an der Führung des Verfahrens mit Blick auf die Bindungswirkung der Zivilgerichte im Regressverfahren der Beklagten gegen den Kläger an die Entscheidung im Verwaltungsverfahren gemäß §§ 108, 112 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) habe. Die Klage sei jedoch unbegründet. Das Gericht folge den Ausführungen des Gutachters Dr. E., wonach es sich bei einer Vergewaltigung um ein geeignetes Ereignis zur Auslösung einer PTBS handele und eine solche bei der Beigeladenen aufgrund der durchgeführten Explorationen und dem durchgeführten strukturierten Interview auch nachgewiesen sei. Aus dem Umstand, dass bereits vor der Vergewaltigung psychiatrische Behandlungen erfolgt seien, ergebe sich nichts anderes. Der Gutachter habe ausführlich dargelegt, dass die vorbestehende depressive Symptomatik hinter die posttraumatische Belastungsstörung zurücktrete. Insoweit seien die Vorerkrankungen ausreichend berücksichtigt worden. Die Einschätzung der MdE sei ebenfalls nicht zu beanstanden.

Gegen den am 04.08.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05.09.2011 Berufung beim SG eingelegt.

Er macht geltend, dass bereits der Versicherungsfall nicht nachgewiesen sei. Er sei im Strafverfahren insbesondere aufgrund der Angaben der Beigeladenen verurteilt worden. Zeugen habe es für den Vorfall nicht gegeben. Das Gericht habe zwar weitere Zeugen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Beigeladenen gehört. Diese Feststellungen und Wertungen des Strafgerichtes seien jedoch für das hiesige Verfahren nicht bindend. Der Vorfall müsse hier nochmals eigens festgestellt werden, zumal wenn dadurch der Kläger letztlich belastet werden solle. Auch habe die Beigeladene ihre psychische Krankheitsvorgeschichte im Strafverfahren und vor den behandelnden Ärzten nicht offen gelegt, weshalb die Glaubwürdigkeit der Beigeladenen fraglich sei. Ein Wiederaufnahmeverfahren im Strafverfahren werde geprüft. Unabhängig hiervon sei eine Gesundheitsstörung, die eine MdE von 30 v.H. begründen könnte, nicht nachgewiesen. Eine PTBS sei nicht festzustellen. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass bei der Beigeladenen bereits vor 2002 psychische Erkrankungen vorgelegen hätten. Ferner könne der Rentenbeginn ab 17.10.2002 nicht nachvollzogen werden, da nach den eigenen Angaben der Beigeladenen die Gesundheitsprobleme erst Ende 2005 aufgetreten seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 01. August 2011 sowie den Bescheid vom 20. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten 1. und 2. Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Statthafte Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG.

Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides vom 20.04.2010 (Widerspruchsbescheid vom 30.07.2010), der auch im Verhältnis zum Kläger als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X zu qualifizieren ist. Zwar ist der Kläger im angefochtenen Bescheid nicht als Adressat genannt. Die Rechtsprechung lässt es jedoch genügen, wenn ein Verwaltungsakt neben dem "eigentlichen Adressaten" in Kopie auch einem von dem Regelungsinhalt zugleich Betroffenen in der Absicht zugeleitet wird, dass auch dieser davon Kenntnis nimmt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 28/07 R, Juris, Rn. 24). Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, da die Beklagte dem Kläger den Bescheid vom 20.04.2010 mit Schreiben vom 21.04.2010 zur Kenntnis mit dem Hinweis zugeleitet hat, er werde hiermit als Beteiligter nach § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB X beigezogen. Hiermit ist der Bescheid auch gegenüber dem Kläger wirksam geworden (§§ 37 Abs. 1 Satz 1, 39 Abs. 1 SGB X).

Die Anfechtungsklage ist auch zulässig. Sie wurde fristgerecht und nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhoben.

Der Kläger ist auch formell beschwert im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Die Klagebefugnis ist gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Kläger durch den Verwaltungsakt in einem ihm möglicherweise zustehenden Recht verletzt wird. Zutreffend weist das SG darauf hin, dass der Kläger durch den Bescheid vom 20.04.2010 möglicherweise in seiner zivilrechtlichen Rechtsstellung gegenüber der Beklagten betroffen wird. Sofern der Bescheid für ihn unanfechtbar würde, könnte er im Zivilrechtsstreit Art und Höhe der Leistungsansprüche der Beigeladenen gegen die Beklagte nicht mehr bestreiten, da das Landgericht Ulm in einem Verfahren wegen Ersatzes materieller Schäden (4 O 23/11) gemäß § § 112, 110, 108 Abs. 1 SGV VII an den Bescheid gebunden wäre. Für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage ist es unerheblich, dass der angefochtene Verwaltungsakt selbst keine Rechte des Klägers regelt, es genügt insofern, dass überhaupt ein solcher vorliegt (BSG, Urteil vom 31.01.2012 - B 2 U 12/11 R, Juris, Rn. 33).

Nicht Gegenstand des Verfahrens ist der nach den Angaben der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.08.2014 gegenüber der Beigeladenen zwischenzeitlich ergangene Herabsetzungsbescheid. Denn dieser Bescheid ist dem Kläger nach dessen Bekundungen jedenfalls bislang nicht zur Kenntnis gebracht worden.

2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten, die Vergewaltigung als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Beigeladenen Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren, ist nicht zu beanstanden.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII.

Ein Arbeitsunfall setzt voraus, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalles der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen längerer andauernder Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits-(erst)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, Juris, Rn. 10). Die den Versicherungsschutz begründende Verrichtung, die Einwirkung und der Erstschaden müssen im Überzeugungsgrad des Vollbeweises feststehen (BSG, Urteil vom 24.07.2012 - B 2 R 9/11 R, Juris, Rn. 28). Für die Feststellung der Kausalität genügt der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R, Juris, Rn. 21).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 09.05.2006 nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit Alleinursache im Rechtssinn.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R, Juris).

a) In Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier ein Arbeitsunfall vor. Der Kläger hat die Beigeladene an ihrem Arbeitsplatz während ihrer versicherten Tätigkeit im Oktober 2002 vergewaltigt. Das Gericht hat keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Vergewaltigung stattgefunden hat. Bei dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf die in den Strafakten befindlichen polizeilichen Aussagen der Zeugen sowie auf die Feststellungen des Amtsgerichts Ulm im Urteil vom 27.11.2007 und des Landgerichts Ulm in seinem Urteil vom 04.07.2008, von denen die Beklagte Kopien zu ihren Akten genommen hat.

aa) Entgegen der Ansicht des Klägers war eine nochmalige Vernehmung der im Strafverfahren gehörten Zeugen nicht erforderlich. Das LSG genügt seiner Ermittlungspflicht nach § 103 SGG bereits durch die Verwertung der Strafakten, von denen die Beklagte auszugsweise Kopien gezogen und zu ihren Akten genommen hat, im Wege des Urkundenbeweises. Nur dann, wenn neue, erfolgversprechende Ansatzpunkte zur Feststellung einer Vorsatztat aufgetaucht sind oder der Sachverhalt unter anderen rechtlichen Kriterien als im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu würdigen wäre, kann sich ein Grund dafür ergeben, die Beweisaufnahme ganz oder teilweise zu wiederholen (BSG, Urteil vom 10.11.1993 - 9 RVg 2/93, Juris, Rn. 17). Hier geht es jedoch gerade darum, Feststellungen zu treffen, die den tragenden Feststellungen des Strafverfahrens widersprechen würden, nämlich dass keine Vergewaltigung stattgefunden hat, ohne dass hierfür objektive Anhaltspunkte vorliegen. Das angekündigte Wiederaufnahmeverfahren wurde - wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.08.2014 bestätigt hat - bislang nicht angestrengt. Auch die unterschiedlichen Verfahrensregeln im Straf- und Sozialgerichtsverfahren sind allein kein Grund, die Beweisaufnahme ganz oder teilweise zu wiederholen. Sowohl im Strafverfahren als auch im hiesigen Verfahren muss die Vergewaltigung im Vollbeweis nachgewiesen sein (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VG 4545/13, Juris, Rn. 20).

bb) Die Angaben der Beigeladenen zum Tathergang erachtet der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht Ulm für glaubwürdig. Ihre Schilderungen in der polizeilichen Vernehmung vom 28.11.2005 decken sich mit den Angaben vor dem Amtsgericht und dem Landgericht Ulm. Für die Glaubhaftigkeit der Angaben spricht auch die Tatsache, dass die Beigeladene nicht selbst die Tat zur Anzeige gebracht hat, sondern M. R. Diese wiederum hat dargelegt, dass die Beigeladene auf direkte Nachfrage sexuelle Übergriffe des Klägers zunächst verneint hat und erst von der Tat berichtete, als M. R. in Aussicht gestellt hatte, dass der Kläger wieder unmittelbarer Vorgesetzter der Beigeladenen werden könnte. Dies und die Tatsache, dass die Beigeladene schon ein Jahr vor jenem Gespräch gegenüber ihrem damaligen Vorgesetzten geäußert hatte, auf keinen Fall mit dem Kläger zusammenarbeiten zu wollen, spricht dafür, dass ihre Bekundungen zutreffend sind. Die Glaubhaftigkeit der Beigeladenen wird ferner gestützt durch die Aussagen von K. I., R. F. und T. S., die ebenfalls Opfer von sexuellen Belästigungen durch den Kläger waren.

Es sind auch keine Motive für eine unzutreffende Belastung des Klägers durch die Beigeladene ersichtlich. Dies gilt gleichermaßen für die im strafgerichtlichen Verfahren gehörten Zeuginnen. Soweit W., H., S., M. von einem einwandfreien Verhalten des Klägers ihnen gegenüber berichtet haben, hat dies keine Bedeutung für den hier relevanten Tatvorwurf, worauf bereits das Landgericht Ulm hingewiesen hat.

Anhaltspunkte, die gegen die Glaubhaftigkeit der Beigeladenen sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Ein Glaubwürdigkeitsgutachten - wie vom Kläger angeregt - hält der Senat, wie zuvor auch das Amtsgericht und das Landgericht, angesichts der dargelegten Beweislage nicht für erforderlich.

b) Zur Überzeugung des Senats ist es im Vollbeweis auch nachgewiesen, dass bei der Beigeladenen eine psychischen Störung im Sinne einer PTBS besteht, deren wesentliche Ursache in der Vergewaltigung durch den Kläger zu sehen ist.

aa) Die vier Hauptdiagnosekriterien für eine PTBS -F 43.1 nach der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" ICD-10 sind erfüllt. Nach ICD-10 entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (A-Kriterium). Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten (B-Kriterium). Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten (C-Kriterium). Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanz-Steigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf (D-Kriterium).

Die von den behandelnden Psychiatern des Universitätsklinikums Ulm, den Psychiatern in der Michael-Balint-Klinik und von dem Gutachter Dr. E. beschriebenen Befunde erfüllen die vorgenannten vier Kriterien.

Eine Vergewaltigung stellt nach ICD-10 ein adäquates Erlebnis für die Entstehung einer PTBS dar. Auch im unfallmedizinischen Schrifttum wird insoweit von einem geeigneten Trauma gesprochen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 144 m.w.N.). Auch das B-Kriterium ist erfüllt. Bei der Beigeladenen treten Nachhallerinnerungen auf; täglich denkt sie noch an das Ereignis und die Bilder steigen in ihr hoch, ohne dass sie dies unterdrücken könnte. Sie leidet ferner zweimal wöchentlich an Alpträumen, aus denen sie mit Panik, Angst und erheblicher Unruhe aufwacht. Das C-Kriterium ist ebenfalls zu bejahen. Die Beigeladene fühlt sich innerlich leer und ausgebrannt; weder an ihrem Haushalt noch an ihrem Beruf hat sie Interesse, muss sich zu allem zwingen und kann sich nicht mehr freuen. Ferner liegt das D-Kriterium vor. Die Beigeladene kann kaum noch schlafen - nicht einschlafen und nicht durchschlafen; sie leidet an innerer Unruhe, einer Störung der Impulskontrolle, die sich auch durch ein Kratzen im Bereich des Nackens linksseitig zur Spannungsreduktion äußert. Ferner wurde ärztlicherseits eine emotionale Abstumpfung sowie Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen festgestellt. Auch die Vorgabe in der ICD-10, dass die relevanten Symptome spätestens 6 Monate nach dem Trauma auftreten müssen, ist erfüllt. Zwar liegen ärztliche Äußerungen erst ab Ende 2005 vor, worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat. Aufgrund der in den Berichten enthaltenen Anamnese hat der Senat jedoch keinen Zweifel daran, dass sich die PTBS zeitnah zum Trauma entwickelt hat. So hat die Beigeladene gegenüber Dr. E. (Bl. 8 des Gutachtens) geäußert, dass sie die Vergewaltigung total aus dem Gleichgewicht gebracht habe. Etwa 2 Monate sei sie beruflich nicht belastungsfähig gewesen, sei in ihre Heimat gefahren und habe sich dort ärztlich behandeln lassen. Diese Angabe hat die Beigeladene auch in ihrer polizeilichen Vernehmung am 28.11.2005 gemacht. In gleicher Weise hat sie sich gegenüber den Ärzten in der Michael-Balint-Klinik geäußert. Auch die Angaben der Tochter der Beigeladenen in der von Dr. E. erhobenen Fremdanamnese bestätigen, dass sich die PTBS unmittelbar nach dem Trauma eingestellt hat. Danach war die Beigeladene ca. ein halbes Jahr kaum ansprechbar gewesen, hat sich zurückgezogen, war ängstlich, deprimiert und unruhig.

Der Senat ist auch davon überzeugt, dass die PTBS bei der Beigeladenen fortbestand. So hat die Beigeladene gegenüber Dr. E. berichtet, dass es ihr nach der Tat - bis auf ein Mal für wenige Wochen - nie gut gegangen sei. Auch ihre Angaben im Rahmen der Impact-Off-Event-Skala-revised (Bl. 11 des Gutachtens) zeigen, dass die PTBS sich chronisch entwickelte. Danach ist es der Beigeladenen nie gelungen, das Ereignis aus der Erinnerung zu streichen; genauso hat sie oft (erfolglos) versucht, nicht mehr daran zu denken. Ferner ist in der Anamnese des Reha-Berichts der Michael-Balint-Klinik festgehalten, dass sich ihr Leben nach der Vergewaltigung schlagartig verändert habe. Sie sei ein völlig anderer Mensch geworden, habe Angst- und Panikzustände bekommen, sei nur noch nervös gewesen. Die Bilder und Erinnerungen hätten sie immer wieder heimgesucht. Auch nach der Entlassung des Klägers bei der DUU im November 2005 habe sich nichts geändert. Auch die zeigt, dass die PTBS weiter bestand. Grund hierfür ist sicherlich gewesen - worauf im Bericht der Michael-Balint-Klinik hingewiesen wurde -, dass die Beigeladene die ganzen Jahre über die Vergewaltigung für sich behalten hat und mit ihrer Scham und den Ängsten alleine geblieben ist.

bb) Neben der PTBS liegt bei der Beigeladenen ferner eine rezidivierende, leichte (gelegentliche mittelgradige) depressive Verstimmung vor, die anlagebedingt ist. Dafür sprechen die Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Erschöpfungszuständen und Neurose in den Jahren 1989 bis 1993. Auch die Berichte des Universitätsklinikums Ulm beschreiben zusätzlich rezidivierende depressive Verstimmungen. Dr. E. hält insoweit zwar einen Zusammenhang mit dem Trauma für denkbar und wissenschaftlich für möglich, verneint jedoch letztlich die gebotene Wahrscheinlichkeit. Die Vergewaltigung war jedoch, wie Dr. E. überzeugend ausgeführt hat, für die PTBS die eindeutig ausschlaggebende rechtlich wesentliche Ursache, auch im Sinne einer Retraumatisierung mit weiteren Konfrontationen durch Gerichtstermine, Angst vor Entlassung des Täters aus der Haft usw. Die leichte überlagerte depressive Symptomatik, die nach Einschätzung von Dr. E. etwa 30 % der Gesamtproblematik abdeckt, steht gutachterlich nach seiner Einschätzung im Hintergrund.

cc) Zur Überzeugung des Senats ist die MdE mit 30 v. H. zutreffend bewertet. Die in der medizinischen Literatur entwickelten Richtwerte sehen eine MdE bis 20 v. H. für ein unvollständig ausgeprägtes Störungsbild (Teil- oder Restsymptomatik) vor. Eine MdE bis 30 v. H. wird für ein üblicherweise zu beobachtendes Störungsbild, geprägt durch starke emotional und durch Ängste bestimmte Verhaltensweisen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und gleichzeitig größerer sozial-kommunikativer Beeinträchtigungen für angemessen erachtet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 157 unter Hinweis auf Foerster u. a., MedSach. 103/2007, S. 52 ff.). Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben hat Dr. E. die PTBS mit 30 v. H. eingeschätzt. Dem folgt der Senat.

3. Gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind dem Kläger die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufzuerlegen, da sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist, und weder er noch die Beklagte zu den nach § 183 SGG kostenprivilegierten Personen gehören. Eine Erstattung von außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen war nicht anzuordnen, weil diese nicht aktiv am Verfahren beteiligt war (§ 162 Abs. 3 VwGO).

4. Die Festsetzung des Streitwertes, die von Amts wegen auch auf die unterbliebenen erstinstanzliche Festsetzung zu erstrecken ist, beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 63 Abs. 2 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist in erster Linie nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Werden Ansprüche auf wiederkehrende Leitungen dem Grunde oder der Höhe nach geltend gemacht oder - wie hier - abgewehrt, ist der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend (§ 42 Abs. GKG). Damit ist der Streitwert - ausgehend von dem im Bescheid vom 20.04.2010 niedergelegten Abrechnungszeitraum vom 01.07.2003 bis 30.06. 2006 - auf 12.267,- EUR (4.089,- EUR * 3 Jahre) festzusetzen. Der Kläger sowie die Beklagte wurden hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung angehört.

Die Streitwertfestsetzung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, sie ist endgültig (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

5. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved