L 6 KR 35/14 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 KR 35/14 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2014 wird abgelehnt

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert beträgt 5.000,- EUR.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vor dem Gericht vom 4. Juni 2014 gegen die als Aufsichtsmaßnahme ergangene Anordnung der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2014 zur Änderung der Satzung der Antragstellerin.

Die Antragstellerin beschloss am 11. Oktober 2012 mit 33. Satzungsnachtrag die Regelung des § 8c Abs. 1, 1. Spiegelstrich, Abs. 2 ihrer Satzung, der lautet:

"(1) Die ... erstattet über die in § 24d SGB V geregelten Schwangerschafts- und Mutterschaftsleistungen hinaus die Kosten für folgende von Ärzten durchgeführte oder direkt von der Versicherten initiierte Leistungen:

Unterbringung des begleitenden Elternteils im Elternzimmer

-.

(2) Erstattet werden jeweils 80 Prozent des Rechnungsbetrages, jedoch nicht mehr als 100 Euro je Schwangerschaft. "

Die Antragsgegnerin genehmigte die Satzungsänderung, soweit sie die Vorschrift betrifft, ohne Änderung und schloss sich der Rechtsauffassung der Antragstellerin an, die Vorschrift sei durch eine Ermächtigung in § 11 Abs. 6 SGB V gedeckt. Die Satzungsregelung trat am 1. Januar 2013 in Kraft.

Mit Schreiben vom 22. April 2013 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Änderung ihrer Rechtsauffassung mit, wonach die Satzungsregelung nicht mehr als genehmigungsfähig angesehen werde, weil eine Ausweitung stationärer Leistungen nicht unter § 11 Abs. 6 SGB V gefasst sei und andere Rechtsgrundlagen nicht ersichtlich seien. Die Antragstellerin möge die Regelung streichen und über ihre Veranlassungen berichten.

Mit Schreiben vom 12. August 2013 wandte sich die Antragstellerin an das Bundesministerium für Gesundheit und wies auf eine Wettbewerbsverzerrung durch eine uneinheitliche Aufsichtspraxis hin. Sie bat um ein abgestimmtes Vorgehen. Dazu stellte das Ministerium eine Abstimmung der Auffassungen auf einer Aussichtsbehördentagung im November 2013 in Aussicht, zu der es aber dort nach Angabe der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin nicht kam.

Mit Schreiben vom 12. August 2013 und 6. November 2013 reichte die Antragstellerin nach Darstellung der Antragsgegnerin Änderungsentwürfe zur Streichung der beanstandeten Regelung ein; das entsprechende Vorgehen sei auch Gegenstand einer Besprechung am 30. September 2013 gewesen.

Am 17. Dezember 2013 beschloss der Verwaltungsrat der Antragstellerin in § 8 Abs. 1c der Satzung hinter "Leistungen" zu ergänzen: " ,wenn die Leistungen mit dem Ziel erbracht werden, einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung des Kindes entgegen zu wirken und ein konkreter individueller Untersuchungsanlass besteht". Auch diese Änderung beruhte auf einem Hinweis der Antragsgegnerin, insoweit vom 30. September 2013.

In ihrem Genehmigungsantrag vom 20. Dezember 2013 wies die Antragstellerin auch darauf hin, dass der Verwaltungsrat sich mit der Anregung zur Streichung der Zuschüsse zur Unterbringung des begleitenden Elternteils im Elternzimmer befasst habe. Er habe die gewünschte Streichung aber nicht vorgenommen, weil die Rechtslage nicht eindeutig sei und Aufsichtsbehörden der Länder auch andere Bewertungen vornähmen.

Die Antragsgegnerin genehmigte den Nachtrag am 11. Februar 2014 und wies auf weiteren Änderungsbedarf bezüglich anderer Regelungen hin.

Mit Bescheid vom 5. Mai 2014 gab die Antragsgegnerin der Antragstellerin auf, den Inhalt zum ersten Spiegelstrich des § 8c Abs. 1 ihrer Satzung zu streichen. Sie führte aus, trotz verschiedener Hinweise an und Gesprächen mit Vertretern der Antragstellerin, zuletzt per E-Mail vom 4. Februar 2014, habe die Antragstellerin die geforderte Änderung abgelehnt. Die fragliche Bestimmung entspreche nicht der Rechtslage. § 11 Abs. 6 SGB V zähle die Leistungsbereiche ausdrücklich und abschließend auf, für die dem Satzungsgeber ein Gestaltungsspielraum eingeräumt werde, wie sich auch aus den Gesetzgebungsmotiven ergebe. Die Ausweitung stationärer Leistungen sei dort nicht geregelt. Die gleiche Regelung sei von anderen Krankenkassen auch verlangt und dort auch schon umgesetzt worden. Nicht entscheidungserheblich sei, ob § 195 Abs. 2 SGB V durch das Wort "kann" die Antragsgegnerin zur Betätigung von Ermessen verpflichte. Jedenfalls bevorzuge die Satzung der Antragstellerin diese gegenüber anderen Kassen im Bundesbereich ungerechtfertigt. In diesem Fall habe die Antragsgegnerin keine Wahl mehr zwischen mehreren rechtmäßigen Entscheidungen, sondern sei zu einem Einschreiten gezwungen. Sie habe weiterhin berücksichtigt, dass bei der Antragstellerin eine Verweigerungshaltung vorliege, weil sie auf einer rechtlich nicht begründeten Position verharre. Sie verschaffe sich entgegen dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Solidaritätsprinzip einen Wettbewerbsvorteil. Als Organ der Staatsverwaltung habe sie die gemeinsame öffentliche Aufgabe der gesundheitlichen Daseinsvorsorge im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Systems gegenüber ihrer Marktposition in den Vordergrund zu stellen. Soweit die Antragstellerin auf die Aufsichtspraxis in Ländern verweise, habe sie keinen Anspruch auf Gleichbehandlung noch trete eine Wettbewerbsverzerrung ein. Eine auf Grund föderaler Zuständigkeiten nicht auszuschließende Abweichung der Rechtsauffassungen gebe keinen Hinweis zur Rechtmäßigkeit der jeweiligen Entscheidungen. Insoweit sei auf § 90 Abs. 4 S. 1 SGB IV zu verweisen. Sie setze zur Durchführung der Satzungsänderung eine Frist bis zum 30. Juni 2014, da unter Berücksichtigung des Zeitablaufs weiteres Zuwarten nicht zumutbar sei. Werde die Frist nicht eingehalten, beabsichtige sie die Änderung selbst vorzunehmen.

Die Antragstellerin hat gegen den Bescheid am 4. Juni 2014 Klage erhoben und mit Antrag vom 11. Juni 2014 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Dazu trägt sie vor, sie halte an ihrem Rechtsstandpunkt in der Sache in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung anderer Aufsichtsbehörden fest. Es sei auch darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin gerade erst die entsprechende Satzungsregelung erneut genehmigt habe. Eine Umsetzung der Anordnung führe zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber Kassen mit entsprechenden genehmigten Inhalten. Sie stehe in direktem Wettbewerb mit mehreren bestimmten Kassen, die entsprechende Leistungen mit Genehmigung anböten. Aus dem Schreiben des Ministeriums folge gerade, dass dieses einen weiten Gestaltungspielraum bei der Erweiterung des Leistungsangebotes für gegeben halte. Die Antragsgegnerin werde die Vollziehung nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung aussetzen, wie sich aus jüngerer Korrespondenz ergebe. Die vorzunehmende Gesamtabwägung müsse zu Gunsten der Antragstellerin ausfallen.

In der Sache sei die Satzungsregelung als Grundlage von zusätzlichen Vorsorgeleistungen für Schwangere rechtmäßig. So habe der Gesetzgeber mit Gesetz vom 23. Oktober 2012 § 24d SGB V in das Gesetz eingefügt, wonach die Schwangere während der Schwangerschaft und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung ( ...) einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge hat. Insoweit handele es sich bei den Zusatzleistungen um zweckgerechte Ergänzungen, die von § 11 Abs. 6 SGB V umfasst seien. Generell verfolge diese Vorschrift den Zweck, wettbewerbliche Handlungsmöglichkeiten der Krankenkassen auf der Leistungsseite zu stärken.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom 4. Juni 2014 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2014 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie stellt dar, die mit Schreiben vom 11. Februar 2014 genehmigte Änderung habe nicht die hier umstrittene Regelung betroffen. Der – auch unerhebliche – Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens treffe nicht zu. Das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiege schon deshalb nicht das öffentliche Vollzugsinteresse, weil ihre Änderungsanordnung offensichtlich rechtmäßig sei. Die getroffene Regelung liege außerhalb der in § 11 Abs. 6 SGB V abschließend geregelten Leistungsbereiche, in denen Zusatzleistungen zulässig seien. Der Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes stünden nach § 194 Abs. 2 SGB V der Regelung entgegen. Zu den Leistungsbereichen, die in § 11 Abs. 6 SGB V in Bezug genommen würden, gehörten die Leistungen von Hebammen bei Schwangerschaft und Mutterschaft nach § 24d SGB V, nicht aber auch ärztliche Leistungen in diesem Zusammenhang. Eine fehlerhafte Praxis anderer Aufsichtsbehörden sei für sie ggf. unbeachtlich; eine Gleichbehandlung im Unrecht lasse sich damit nicht begründen. Wettbewerbsverzerrungen seien im Übrigen vor allem zu Lasten der zahlreichen bundesunmittelbaren Träger zu befürchten, die ihrer Rechtsauffassung gefolgt seien.

Angesichts des regelmäßigen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung durch § 195 Abs. 2 S. 3 SGB V seien im Übrigen auch keine hinreichenden, schützenswerten Interessen der Antragstellerin an deren Anordnung im Einzelfall zu erkennen.

II.

Der gem. § 86b Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Antrag hat keinen Erfolg.

Es gibt keinen Grund, von der Regel des § 195 Abs. 2 S. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V, insoweit i. d. F. d. G. v. 15.12.2008, BGBl. I S. 2426) abzurücken, weil der Senat keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides der Antragsgegnerin vom 5. Mai 2014 hat.

Die Antragsgegnerin hat durch § 195 Abs. 2 S. 1 SGB V die Ermächtigung, die ihrer Aufsicht unterliegenden Krankenkassen durch Anordnung zu einer Änderung der Satzung anzuhalten, wenn sich nach der Genehmigung einer Satzung ergibt, dass sie nicht hätte genehmigt werden dürfen. Die Prüfung knüpft damit an die Rechtskontrolle durch den Genehmigungsvorbehalt an (vgl. BSG, Urt. v. 19.9.2007 – B 1 A 4/06 RSozR 4-2500 § 44 Nr. 13 Rndr. 12).

§ 8c Abs. 1, 1. Spiegelstrich der Satzung der Antragsgegnerin ist (auch) in der jetzt maßgeblichen Fassung durch den 38. Nachtrag nicht genehmigungsfähig, weil sie gegen § 194 Abs. 2 S. 2 SGB V als höherrangiges Recht verstößt. Denn danach darf die Antragstellerin nur Leistungen begründen, soweit das SGB V dieses zulässt.

Eine Vorschrift, die die Kostenerstattung für den Aufenthalt einer Begleitperson im Elternzimmer als Nebenleistung bei Schwangerschaft und Mutterschaft zulässt, enthält das SGB V nicht. Vielmehr folgt aus der Fassung des § 11 Abs. 6 SGB V d. G. v. 23.10.2012 (BGBl. I S. 2246), dass die von der Antragstellerin in § 8c Abs. 1, 1. Spiegelstrich ihrer Satzung vorgesehene Leistung nicht Teil der ermöglichten Zusatzleistungen ist. Denn § 11 Abs. 6 SGB V verweist insoweit nicht global auf den Leistungsbereich des § 24d SGB V als Feld möglicher Zusatzleistungen, sondern engt dieses durch die ausschließliche Erwähnung der Leistungen von Hebammen ein. Damit wird der gesamte Bereich der ärztlichen Betreuung als Gegenstand der gesetzlichen Überschrift und des Leistungsbereiches des § 24d SGB V von der Ermöglichung von Zusatzleistungen ausgenommen.

Die von der Antragstellerin vorgesehene Zusatzleistung weist keinen Bezug zu der Leistung von Hebammen auf. Sie ergänzt stationäre Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung um die Möglichkeit, einem im Elternzimmer des Krankenhauses aufgenommenen begleitenden Elternteil dessen Kosten teilweise zu erstatten. Sie knüpft damit allenfalls an die ärztliche Betreuung aus dem Leistungsrahmen des § 24d SGB V an, die notwendiger Weise Inhalt stationärer Behandlung ist. Hingegen steht sie in keinem rechtlichen Zusammenhang mit der Hebammenhilfe, die allein nach § 11 Abs. 6 SGB V Gegenstand zulässiger Leistungen auf Grund einer Satzung sein darf.

Die Antragsgegnerin hatte bei Erlass ihrer Änderungsanordnung keinen Ermessensspielraum (für das Verständnis der Vorschrift als Ermessensvorschrift grundsätzlich Engelhard in Hauck/Noftz, SGB IV, § 195 Rdnr. 7; Bloch in Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 195 Rdnr. 7; offen gelassen in BSG, Urt. v. 24.4.2002 – B 7/1 A 4/00 R – Juris). § 195 Abs. 2 S. 2 SGB V stellt dem Ansatz nach auf eine gebundene Rechtlage, nämlich den Fall ab, dass eine Satzung nicht hätte genehmigt werden dürfen. Ob es übergeordnete, die Funktionsfähigkeit der Krankenversicherung oder eines ihrer Träger betreffende oder andere gesetzlich verankerte Gesichtspunkte geben kann, eine rechtswidrige Satzung im Hinblick auf eine frühere Genehmigung für einige Zeit aufrecht zu erhalten, muss hier nicht geklärt werden. Solche Gesichtspunkte hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht. Angesichts der eindeutigen Rechtslage sind demnach keine Gesichtspunkte von Gewicht ersichtlich, die die Antragsgegnerin in eine Ermessensabwägung hätte einstellen können. Das Gesetz lässt etwa in § 12 Abs. 3 SGB V erkennen, dass die Rechtmäßigkeit der Leistungen hohe Bedeutung hat und die Verletzung bindend im Aufsichtswege zu sanktionieren ist. Die von der Antragstellerin geltend gemachten allgemeinen Wettbewerbsverhältnisse sind insoweit, wie die Antragsgegnerin zutreffend gewichtet hat, von untergeordneter Bedeutung. Angesichts der vorrangigen Bedeutung der Rechtmäßigkeit des Handelns ist es jedenfalls sachgerecht, wenn die Antragsgegnerin den Wettbewerbsausgleich gegenüber den Krankenkassen, die ihrer – richtigen – Rechtsauffassung bereits gefolgt sind, für entscheidend erachtet.

Hinsichtlich der Frist, die die Antragsgegnerin der Antragstellerin eingeräumt hat, ergeben sich keine Bedenken. Die Antragstellerin hat auch nicht geltend gemacht, ihr sei die Umsetzung der Änderungsanordnung innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich gewesen, oder die Fristbemessung führe als solche zu vermeidbaren Härten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert war gem. § 62 Abs. 2 S. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) und § 52 Abs. 2 GKG mangels anderer Anhaltspunkte auf 5000,- EUR festzusetzen.

Der Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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