Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 27 KR 198/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 282/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit eines im Rahmen einer Betriebsprüfung erlassenen Verwaltungsakts mit der abstrakten Gefahr eines (zeitweiligen) Beitragsausfalls verstößt gegen § 86a Abs. 2 Nrn. 1 und 5 SGG.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. August 2013 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2013 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.875,50 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2013 anzuordnen, rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Es hätte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG anordnen müssen, weil die Abwägung der Interessen der Beteiligten ergibt, dass dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin der Vorrang einzuräumen ist. Denn es sind keine hinreichenden Gründe für eine rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG erkennbar.
1.) Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Der Gesetzgeber hat die sofortige Vollziehbarkeit kraft gesetzlicher Anordnung auf die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger beschränkt, durch die – im hier interessierenden Zusammenhang - Versicherungs- und Beitragspflichten festgestellt und Beiträge gefordert werden, um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Sozialversicherung sicherzustellen. Alle Maßnahmen i.S. d. § 31 Satz 1 SGB X, die die Versicherungsträger zur Vorbereitung der Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflichten treffen, sind dagegen nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Ihre sofortige Vollziehbarkeit bedarf mithin einer besonderen Anordnung, die mit einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung verbunden sein muss (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Die Feststellung eines solchen besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung muss sich aus der Gegenüberstellung der auf den konkreten Fall bezogenen öffentlichen Interessen an der sofortigen Durchsetzung des betroffenen Verwaltungsakts gegenüber den berücksichtigungsfähigen Interessen der Antragstellerin ergeben, bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides von seiner sofortigen Durchsetzung verschont zu bleiben; dabei muss das besondere Vollziehungsinteresse über das Interesse an dem Erlass des Verwaltungsakts hinausgehen, um den in solchen Fällen kraft Gesetzes gemäß § 86a Abs. 1 SGG angeordneten Suspensiveffekt zu wahren.
2.) Daran fehlt es hier. Die Antragsgegnerin leitet die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides daraus her, dass schon die Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung im vorliegenden Fall die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit aller Verwaltungsakte rechtfertige, die im Rahmen einer Betriebsprüfung erlassen würden, um einen etwaigen Schaden für die Versichertengemeinschaft so gering wie möglich zu halten. Deshalb dürfe die Aufklärung im Rahmen der Betriebsprüfung durch die Einlegung von Rechtsbehelfen nicht weiter verzögert werden. Sie stellt mithin auf die abstrakte und nicht auf eine konkrete Gefahr einer Vorenthaltung der Beiträge ab. Die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit erschöpft sich in der Sache damit in der Wiederholung der Begründung für den Verwaltungsakt selbst, weil sie in keiner Weise besondere Umstände des konkreten Falls für eine sofortige Durchsetzung gesetzlicher Vorlagepflichten berücksichtigt. Dies gilt auch für die weitere Auseinandersetzung mit den Interessen der Antragstellerin: Denn die Antragsgegnerin stellt dem abstrakt begründeten öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der geforderten Vorlage einer Übersicht aller bebuchten Konten nach dem Kostenrahmenplan für 2008 bis 2011 das Interesse der Antragstellerin an der Nichtvorlage der geforderten Unterlagen gegenüber, statt ihr Interesse zu berücksichtigen, bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides die geforderten Unterlagen nicht vorlegen zu müssen. Um dem Wortlaut des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu genügen, hätte die Antragsgegnerin konkrete fallbezogene Gründe für eine Pflicht zur sofortigen Erfüllung der Vorlagepflicht angeben müssen.
3.) In der Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit mit der abstrakten Gefahr eines (zeitweiligen) Beitragsausfalls liegt der Versuch, die in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit von Bescheiden zur Versicherungs- und Beitragspflicht ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles auf Verwaltungsakte zu erstrecken, die im Betriebsprüfungsverfahren zur Vorbereitung der Maßnahmen nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG erlassen werden. Damit verstößt die Antragsgegnerin gegen § 86a Abs. 2 Nrn. 1 und 5 SGG.
4.) Da die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Grundverwaltungsakts rechtswidrig ist, erweist sich auch die Zwangsgeldandrohung als rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung; die Wertfestsetzung (Grundverwaltungsakt und Zwangsgeldandrohung) beruht auf §§ 52 und 53 Gerichtskostengesetz.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2013 anzuordnen, rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Es hätte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG anordnen müssen, weil die Abwägung der Interessen der Beteiligten ergibt, dass dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin der Vorrang einzuräumen ist. Denn es sind keine hinreichenden Gründe für eine rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG erkennbar.
1.) Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Der Gesetzgeber hat die sofortige Vollziehbarkeit kraft gesetzlicher Anordnung auf die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger beschränkt, durch die – im hier interessierenden Zusammenhang - Versicherungs- und Beitragspflichten festgestellt und Beiträge gefordert werden, um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Sozialversicherung sicherzustellen. Alle Maßnahmen i.S. d. § 31 Satz 1 SGB X, die die Versicherungsträger zur Vorbereitung der Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflichten treffen, sind dagegen nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Ihre sofortige Vollziehbarkeit bedarf mithin einer besonderen Anordnung, die mit einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung verbunden sein muss (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Die Feststellung eines solchen besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung muss sich aus der Gegenüberstellung der auf den konkreten Fall bezogenen öffentlichen Interessen an der sofortigen Durchsetzung des betroffenen Verwaltungsakts gegenüber den berücksichtigungsfähigen Interessen der Antragstellerin ergeben, bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides von seiner sofortigen Durchsetzung verschont zu bleiben; dabei muss das besondere Vollziehungsinteresse über das Interesse an dem Erlass des Verwaltungsakts hinausgehen, um den in solchen Fällen kraft Gesetzes gemäß § 86a Abs. 1 SGG angeordneten Suspensiveffekt zu wahren.
2.) Daran fehlt es hier. Die Antragsgegnerin leitet die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides daraus her, dass schon die Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung im vorliegenden Fall die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit aller Verwaltungsakte rechtfertige, die im Rahmen einer Betriebsprüfung erlassen würden, um einen etwaigen Schaden für die Versichertengemeinschaft so gering wie möglich zu halten. Deshalb dürfe die Aufklärung im Rahmen der Betriebsprüfung durch die Einlegung von Rechtsbehelfen nicht weiter verzögert werden. Sie stellt mithin auf die abstrakte und nicht auf eine konkrete Gefahr einer Vorenthaltung der Beiträge ab. Die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit erschöpft sich in der Sache damit in der Wiederholung der Begründung für den Verwaltungsakt selbst, weil sie in keiner Weise besondere Umstände des konkreten Falls für eine sofortige Durchsetzung gesetzlicher Vorlagepflichten berücksichtigt. Dies gilt auch für die weitere Auseinandersetzung mit den Interessen der Antragstellerin: Denn die Antragsgegnerin stellt dem abstrakt begründeten öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der geforderten Vorlage einer Übersicht aller bebuchten Konten nach dem Kostenrahmenplan für 2008 bis 2011 das Interesse der Antragstellerin an der Nichtvorlage der geforderten Unterlagen gegenüber, statt ihr Interesse zu berücksichtigen, bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides die geforderten Unterlagen nicht vorlegen zu müssen. Um dem Wortlaut des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu genügen, hätte die Antragsgegnerin konkrete fallbezogene Gründe für eine Pflicht zur sofortigen Erfüllung der Vorlagepflicht angeben müssen.
3.) In der Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit mit der abstrakten Gefahr eines (zeitweiligen) Beitragsausfalls liegt der Versuch, die in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit von Bescheiden zur Versicherungs- und Beitragspflicht ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles auf Verwaltungsakte zu erstrecken, die im Betriebsprüfungsverfahren zur Vorbereitung der Maßnahmen nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG erlassen werden. Damit verstößt die Antragsgegnerin gegen § 86a Abs. 2 Nrn. 1 und 5 SGG.
4.) Da die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Grundverwaltungsakts rechtswidrig ist, erweist sich auch die Zwangsgeldandrohung als rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung; die Wertfestsetzung (Grundverwaltungsakt und Zwangsgeldandrohung) beruht auf §§ 52 und 53 Gerichtskostengesetz.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
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