L 2 AS 419/14 WA

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 419/14 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die vom Kläger hier am 27. Januar 2014 erhobene Nichtigkeits- bzw. Wiederaufnahmeklage L 2 AS 419/14 W-A ist offensichtlich haltlos und lässt auch nicht ansatzweise ein berechtigtes Interesse erkennen, weshalb sie als letztlich unbeachtliches Begehren auf sonstige Weise auszutragen ist und eine weitere Bearbeitung nicht zu erfolgen hat.

Gründe:

Der Kläger betreibt seit 2009 in einem deutlich jeglichen normalen Rahmen sprengenden Umfang Verfahren insbesondere beim Sozialgericht Karlsruhe und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg:

Landessozialgericht Sozialgericht Karlsruhe 2004 3 2005 9 2005 11 2006 14 2006 6 2007 12 2007 17 2008 18 2008 22 2009 259 2009 265 2010 392 2010 152 2011 245 2011 173 2012 289 2012 15 insg. 1238 insg. 664

Der Kläger hat Anfang Januar fünf und am 27. Januar 2014 weitere 127 Nichtigkeits- bzw. Wiederaufnahmeklagen bei verschiedenen Senaten des Landessozialgerichts erhoben. Im Schriftsatz vom 25. Januar 2014 sind 127 Aktenzeichen aufgelistet und wurde zur Begründung ausgeführt, der Sachverständige Prof. Dr. T. sei in seinem Gutachten vom 8. Juli 2013 im Verfahren L 2 SF 3694/12 EK zu dem Ergebnis gelangt, dass "der Kläger ... seit 2006 völliger Geisteskrankheit verfallen und prozessunfähig [sei]". Die aufgelisteten Entscheidungen seien gemäß § 579 ZPO nichtig. Die Prozessunfähigkeit des Klägers führe nicht zur Unzulässigkeit der Klagen. Diese gelte unabhängig davon, ob der Kläger ein anderes Sachurteil erstrebe oder – wie hier – die Prozessunfähigkeit geltend mache. Die Prozessfähigkeit habe auch nicht im Hinblick auf eine sachliche Unbegründetheit seiner Begehren dahingestellt bleiben können. Ebenso seien auch alle sonstigen Beschlüsse aufzuheben. Der Kläger hat parallel am 20. Januar 2014 zwei und am 27. Januar 2014 weitere 136 Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben und zur Begründung dort vorgetragen, dass sämtliche Verfahren nach demselben Schema abgelaufen seien. Er habe vor dem SG Klage erhoben, das SG habe die Klagen über Jahre hinweg nicht bearbeitet und dann mit - unbegründeten - Entscheidungen abgewiesen. Diese Entscheidungen habe er mit Rechtsmitteln angefochten. Das LSG habe in den Verfahren ebenfalls über Jahre hinweg Akten angesammelt und dann mit jahrelanger Verzögerung die Rechtsmittel abgewiesen. Streitigkeiten um Sozialleistungen seien jedoch besonders zu fördern.

Der Kläger überzieht – wie der obigen Auflistung zu entnehmen ist – schon seit Jahren neben anderen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mit einer Vielzahl von Verfahren. Er wird ausweislich des vom erkennenden Senat in dem Entschädigungsverfahren L 2 SF 3694/12 EK eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. T. vom 8. Juli 2013 zur Prozessfähigkeit aufgrund einer Persönlichkeitsstörung als prozessunfähig bzw. ausweislich eines weiteren zwischenzeitlich noch dem Senat zur Kenntnis gelangten Gutachtens von Prof. Dr. S.//S. vom 29. Juni 2012 zwar noch als prozessfähig eingeschätzt. Allerdings wird von Prof. Dr. S./S. ebenfalls eine verfestigte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und querulatorischen Zügen beschrieben. Nach dem Eindruck dieser Gutachter in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Karlsruhe (im Rahmen derer sie den Kläger beobachten konnten) und unter Berücksichtigung der zahlreichen von ihm geführten Verfahren sei beim Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer ausgeprägten querulatorischen Entwicklung auszugehen. Dies würde nach Auffassung der Gutachter Prof. Dr. S./S. implizieren, dass die vom Kläger geführten Verfahren nicht primär einer sachlichen Klärung von rechtlich strittigen Sachverhalten dienten, sondern in starkem Maße Ausdruck eines starken Bedürfnisses nach Geltung und Anerkennung im Sinne der Kompensation eines primär geringen Selbstwertgefühls seien (insoweit im gleichen Sinne auch Prof. Dr. T.). D.h. mit anderen Worten, dass der Kläger bezüglich einzelner Verfahren kein an der Sache mehr bestehendes Interesse hat. Die Verfahren dienen vielmehr alleine dazu, seinen Minderwertigkeitskomplex (basal unsichere Persönlichkeit, so Prof. Dr. S./S.) dadurch zu kompensieren bzw. sein Selbstwertgefühl dadurch zu steigern, indem er auf vermeintlicher "Augenhöhe" mit einer Vielzahl von Gerichten und Richtern kommuniziert. Die hier in einem Block von 132 erhobenen und mit einer stereotypen Begründung versehenen Verfahren (und damit auch das hier im Senat konkret anhängige Verfahren) dienen vor diesem Hintergrund zur Überzeugung des Senates in keiner Weise mehr der Verfolgung eines auch nur ansatzweise bestehenden berechtigten (konkret-individuellen) Begehrens, sondern alleine der Selbstdarstellung des Klägers. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger hier geltend macht, seit 2006 prozessunfähig zu sein und sich hierbei alleine auf das vom Senat in dem Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer eingeholte Gutachten von Prof. Dr. T. vom 8. Juli 2013 stützt, wohingegen er im Entschädigungsverfahren umgekehrt vehement seine Prozessfähigkeit behauptet, unter anderem zuletzt auch unter konkreter Berufung auf das beim LG Regensburg eingeholte Gutachten von Prof. Dr. S./S. vom 29. Juni 2012. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (BSG Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 35/12 R- in juris Rn. 17, mit Hinweis auf BVerfG vom 2. Mai 1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43 (58)). Gleichwohl kann der Zugang zu den Gerichten von bestimmten Zulässigkeitsvoraussetzungen, namentlich von einem bestehenden Rechtsschutzbedürfnis, abhängig gemacht werden (vgl. nur BVerfG vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 1337/00 - BVerfGE 104, 220, 232 mwN; BSG vom 12. Juli 2012 aaO Rn. 17). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns. Sie verlangt vom Kläger, dass er ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann, das dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Rechtspflege gegenüber gestellt werden kann. Letztlich geht es um das Verbot des institutionellen Missbrauchs prozessualer Rechte zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, Vor § 51 Rn. 16a, 19; Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 22. Aufl. 2011, Vorb. § 40, Rn. 74 ff; dazu auch Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 (2007), 199, 212; Kapsa, Die Regel "Minima non curat praetor" im Lichte des Verfassungsrechts, in: Der verfaßte Rechtsstaat, Festgabe für Karin Großhof/Heidelberg 1998). In gleicher Weise hat sich auch das BSG bereits im Urteil vom 8. Mai 2007 ( – B 2 U 3/06 R – in juris) geäußert und konkret bezogen auf Rechtsmittel ausgeführt, dass auch dort der allgemeine Grundsatz gelte, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen dürfe. Trotz Vorliegens der Beschwer könne in seltenen Ausnahmefällen das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn der Rechtsweg unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich beschritten werde (u.a. mit Hinweis auf BGH vom 3. November 1971 – IV ZR 26/70BGHZ 57, 224). Der BFH ist in einem Beschluss vom 27. November 1991 (III B 566/90 in juris Rn. 23) im Zusammenhang mit einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung, der letztlich auf die Durchsetzung einer abweichenden Auffassung vom zuvor ergangenen Beschluss des BFH über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe und vom Beschluss des SG über die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung gerichtet gewesen war, davon ausgegangen, dass dieser Antrag damit rechtsmissbräuchlich und demgemäß unzulässig sei und es deshalb auch keiner förmlichen gesonderten Entscheidung des BFH über diesen Antrag bedürfe. Der VGH München hat bereits in einem Urteil vom 14. März 1990 (5 B 89.3542, in juris Rn. 9 ff.) unter anderem ausgeführt, dass sofern ein Rechtsschutzersuchen erkennbar nur verfahrensfremden Zwecken dient, es nicht seiner förmlichen Abweisung durch Prozessurteil bedürfe, vielmehr in diesem Falle das Ersuchen unabhängig von der Frage der Prozessunfähigkeit von vornherein unbeachtlich sei, weil ein Rechtsstreit überhaupt nicht anhängig geworden sei. Eine Ausprägung des für jeden Rechtsbehelf vor den (Verwaltungs-)Gerichten notwendigen Rechtsschutzbedürfnisses stellt es dar, dass der Rechtsschutzsuchende das Gericht nicht für unnütze oder unlautere Zwecke in Anspruch nehmen kann (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013 Vorb § 40 Rn. 30 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Aufl. 2012 Vor § 51 Rn. 16a; VGH München aaO Rn. 9). Insbesondere muss der Rechtsschutzsuchende ernsthaft und nach freiem Entschluss ein Urteil wollen (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl. 2010 S. 491 § 89 Rn. 30 ff. mwN; vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl. 2013 Einl. III 6 B, 7 A und D, Rn. 66). Andernfalls liegt ein Missbrauch des Prozessrechts zu verfahrensfremden Zwecken vor, der unstatthaft ist (vgl. OLG Frankfurt vom 6. März 1979 - 3 Ws 9-25 - NJW 1979, 1613, in juris Rn. 11 und 13; Baumbach/Lauterbach/Al¬bers/Hartmann, Einl. aaO). Ersuchen aber, die mit dem Rechtsschutzauftrag der Gerichte überhaupt nicht mehr im Zusammenhang stehen, sondern nur noch entweder der Selbstdarstellung des Antragstellers/Einreichers dienen sollen oder primär eine zusätzliche Arbeitsbelastung der Gerichte bezwecken, sind von vornherein nicht als förmliche Rechtsbehelfe zu behandeln (so VGH München aaO Rn. 10). Insofern ist die Sachlage vergleichbar mit der bei der Einreichung von Rechtsmitteln mit vorwiegend beleidigendem Inhalt, die ebenfalls als unbeachtlich angesehen werden (Walchshöfer, MDR 1975, 11/12). Eine solche Reaktion des Prozessrechts auf seine verfahrensfremde Inanspruchnahme ist, entsprechend der Reichweite des Verbots des Rechtsmissbrauchs, in allen Gerichtszweigen denkbar (vgl. auch eine entsprechende Regelung in § 60 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1986, BGBl I S. 2529, zuletzt geändert durch Art. 1 der Bekanntmachung vom 7. Januar 2002, BGBl. I. S. 1171). Der mit Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutz erfolgt durch eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche richterliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 112, 185 (207)). Eine Inanspruchnahme der Gerichte in zweckwidriger, rechtsmissbräuchlicher Weise steht außerhalb des Schutzes von Art. 19 Abs. 4 GG (vergleiche BVerfG Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 1 BvL 18/11 – in juris Rn. 72). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat pauschal Anfang Januar 2014 fünf und am 27. Januar 2014 im Block 127 Nichtigkeits- bzw. Wiederaufnahmeklagen erhoben mit einer für alle 132 Fälle gleich lautenden stereotypen Begründung, die auch noch im diametralen Gegensatz zu seinen Einlassungen im Ausgangsverfahren vor dem Senat auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer (L 2 SF 3694/12 EK) stehen, der nämlich vor dem erkennenden Senat in dem Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer beharrlich seine Prozessfähigkeit geltend macht und andererseits in den en bloc vor dem LSG erhobenen Nichtigkeits-bzw. Wiederaufnahmeklagen seine Prozessunfähigkeit unter alleiniger Berufung auf das von ihm im Ausgangsverfahren (L 2 SF 3694/12 EK) zurückgewiesene Gutachten von Prof. Dr. T. behauptet (der im Übrigen erst von Prozessunfähigkeit des Klägers für das im August 2012 eingegangene Ausgangsverfahren L 2 SF 3694/12 EK, nicht aber die Zeit davor, ausgegangen ist – ergänzende Klarstellung vom 12. Februar 2014) und umgekehrt das seine Prozessfähigkeit bejahende und ihm ebenfalls bekannte Gutachten von Prof. Dr. S./S. vom 29. Juni 2012 insoweit unterschlägt. Dem Kläger geht es damit in keiner Weise um die Prüfung konkret-individueller Begehren, er benutzt vielmehr diese Klagemöglichkeit in zweckwidriger, rechtsmissbräuchlicher Weise zum Aufbau seines Selbstwertgefühls, seiner Selbstdarstellung.

Aus diesen Gründen ist die vom Kläger hier anhängig gemachte Klage wegen Unbeachtlichkeit (weil überhaupt keine Klage im Sinne des Prozessrechtes) auf sonstige Weise auszutragen und hat eine weitere Bearbeitung nicht zu erfolgen. Die Prozessfähigkeit des Klägers kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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