L 1 U 3636/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 2080/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3636/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Vereinbart ein Verletztengeldempfänger bei laufendem Beschäftigungsverhältnis während des Verletztengeldbezuges mit seinem Arbeitgeber eine künftige Beschäftigung auf einem anderen vorhandenen Arbeitsplatz, kommt es für die Prüfung der Arbeitsfähigkeit auf die Bedingungen dieser Tätigkeit an.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 21.08.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist statthaft. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung des Art. 6 Drittes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.2010 (BGBl. I, 1127) ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache wäre die Berufung nicht unzulässig.

Die Beschwerde ist aber unbegründet, da das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht. Der Senat schließt sich den zutreffenden Gründen des Beschlusses des Sozialgerichts Konstanz (SG) vom 21.08.2014 an, nimmt darauf Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer erneuten Darstellung ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend ist, auch im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers im Berufungsverfahren, Folgendes auszuführen:

Das SG hat für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit zutreffend auf den neuen Arbeitsplatz als Bediener abgestellt, der dem Antragsteller von der Firma P. GmbH im April 2014 zur Verfügung gestellt worden ist. Es handelt sich um Bedienertätigkeiten an verschiedenen Zuschneidemaschinen, bei denen er nur relativ kurze Gehstrecken zurücklegen muss und keine schweren Lasten zu tragen hat. Bezogen auf diese Tätigkeit begründen die noch bestehenden Arbeitsunfallfolgen mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Arbeitsunfähigkeit mehr. Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles i.S.d. § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalles nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen. Solange das Beschäftigungsverhältnis fortbesteht, bildet es den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Gibt der Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die zuletzt innegehabte Arbeitsstelle auf, ändert sich allerdings der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an dem zuletzt innegehabten Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden (vgl. Urteil des BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 31/06 R -, Rn. 12 m.w.N. (juris)). Ausgehend von diesen rechtlichen Grundsätzen ist für ein Abstellen auf die konkreten Verhältnisse des zuletzt innegehabten Arbeitsplatzes (hier als Hilfsarbeiter, der im Wesentlichen mit einem Gabelstapler Gegenstände zu Maschinen zu transportieren hatte, vgl. die Erstauskunft des Betriebsleiters vom 24.08.2010, Band I, Bl. 10-11 der Verwaltungsakte des Antragsgegners – VA) auch dann kein Raum mehr, wenn zwischen dem Versicherten und dessen Arbeitgeber einvernehmlich vereinbart worden ist, den Versicherten bei fortbestehendem Beschäftigungsverhältnis künftig an einem anderen Arbeitsplatz, der konkret zur Verfügung steht, einzusetzen. So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat selbst im Rahmen des Gesprächs bei seiner Arbeitgeberin, der Firma P.GmbH, am 15.04.2014 auf seine noch bestehenden Schmerzen am verletzten Bein verwiesen, weshalb er gelegentlich noch auf den Gebrauch einer Gehstütze angewiesen ist, und anschließend darum gebeten, ihn nicht mehr an einem Gabelstapler einzusetzen, woraufhin mit dem Produktionsleiter der Puren GmbH vereinbart worden ist, dass der Kläger bei fortbestehendem Beschäftigungsverhältnis künftig eine Tätigkeit als Bediener ausüben soll. Der Formulierung im Aktenvermerk des Bediensteten der Berufshelfers der Beklagten vom 15.04.2014, der Kläger sei mit diesen Arbeiten "bestens vertraut", entnimmt der Senat, dass es sich um Tätigkeiten handelt, die der Kläger kennt und sofort ohne nennenswerte Anlernzeit ausüben kann.

Nachdem die Ausgestaltung dieses Arbeitsplatzes die unfallbedingt verbliebenen Einschränkungen der Gehfähigkeit des Antragstellers, wie von ihm am 15.04.2014 geschildert, in der gebotenen Weise berücksichtigt, und seiner Bitte, ihn künftig nicht mehr am Gabelstapler einzusetzen, von seinem Arbeitgeber ohne Weiteres entsprochen worden ist, sieht der Senat es als sehr unwahrscheinlich an, dass er bedingt durch verbliebene Unfallfolgen gesundheitlich nicht in der Lage ist, die nunmehr angebotene Tätigkeit als Bediener auszuüben. Auch aus den vorliegenden ärztlichen Äußerungen ergibt sich insoweit nichts anderes. So hat der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. R. dem Kläger zwar Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum 30.06.2014 ausgestellt, gegenüber der Beklagten aber ausdrücklich bestätigt, dass dies aus "internistischen Gründen" erfolgt ist und kein Zusammenhang mit den Arbeitsunfallfolgen besteht. Der Antragsteller selbst hat mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 01.07.2014 unter Vorlage der ersten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie R. vom 30.06.2014 mitteilen lassen, weiterhin an "unerklärlichem Flüssigkeitsaustritt am rechten Ohr und Magenschmerzen" zu leiden, was ihn an der Arbeitsaufnahme hindere. Ein Wechsel des für die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen maßgeblichen Krankheitsbildes zum 01.07.2014 ist hiernach nicht anzunehmen, ein Zusammenhang der geschilderten Beschwerden mit den Unfallfolgen unwahrscheinlich, wie bereits vom SG ausgeführt. Nur ergänzend weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass über den 01.09.2014 hinausreichende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht vorgelegt worden sind; die letzte im Eilverfahren gegenüber dem SG vorgelegte Bescheinigung der Neurologin und Psychiaterin R. datierte vom 01.08.2014 und umfasste den Zeitraum bis zum 01.09.2014. Ihr Attest vom 29.08.2014 bescheinigt lediglich die Fortdauer ambulanter neurologischer und psychiatrischer Behandlung, nicht aber Arbeitsunfähigkeit.

Der Auffassung des Antragstellers, ihm sei unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde eine Arbeitsaufnahme angesichts ausgefallener Zähne ohne Zahnersatz (Gebiss) nicht zumutbar, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Tätigkeit als Bediener ist nicht mit Kundenkontakt verbunden. Sie erfordert auch nicht das Führen längerer Gespräche, nachdem bei der Auswahl der Tätigkeit die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse des aus der Türkei stammenden Klägers ausdrücklich angesprochen und berücksichtigt worden sind. Das Fehlen der Zähne bei derzeit wohl noch nicht abgeschlossener Versorgung mit Zahnersatz ist somit für die Ausübung der Tätigkeit funktionell nicht relevant. Außerdem kommt es nicht nur während der Arbeitstätigkeit, sondern auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses zwangsläufig immer wieder zur Begegnung des Antragstellers mit anderen Menschen, etwa im Wartezimmer beim Arzt oder beim Einkaufen. Warum dann aber speziell die Arbeitsausübung ohne saniertes Gebiss gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz – GG) verstoßen soll, ist für den Senat nicht nachvollziehbar.

Schließlich ist für eine Folgenabwägung, wie vom Antragsteller gefordert, vorliegend bereits deshalb kein Raum, weil ein Anordnungsanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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