S 27 Ka 1181/97

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
27
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27 Ka 1181/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 23.08.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.1997 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Honorarbegrenzungsmaßnahme wegen übermäßiger Ausdehnung der vertragsärztlichen Behandlung in Höhe von 3.952,55 DM (unquotiert) nach Leitzahl 503 des Honorarverteilungsmaßstabs der Beklagten (HVM) im Quartal I/1995.

Die Kläger betreiben als Internisten eine Gemeinschaftspraxis mit Sitz in A-Stadt.

Mit Bescheid vom 23.08.1995 nahm die Beklagte die strittige Honorarkürzung vor.

Hiergegen legten die Kläger am 05.09.1995 Widerspruch ein. Sie trugen vor, bei den pauschal angesetzten Minderungssätzen von 40% (endoskopische Leistungen) und 25% (kardiologische und sonographische Leistungen) würde nicht der Praxisschwerpunkt "Kardiologie/Gastroenterologie" berücksichtigt werden. Diese Praxisbesonderheit führe zu einem hohen Anteil an Zuweisungen von Auftragsleistungen, zumal wenige Praxen im Umkreis diese Leistungen anböten und offensichtlich der Bedarf existiere. Die Erfüllung von Auftragsleistungen sei keineswegs eine unangemessene Auswertung der vertragsärztlichen Behandlungsweise und widerspreche nicht der notwendigen Wirtschaftlichkeit. Die Minderungssätze seien deshalb zu erhöhen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie legte im einzelnen die Regelung nach Leitzahl 503 HVM dar und sah eine Ausnahme von der Honorarbegrenzungsregelung nicht als gegeben an. Im Planungsbereich der Kläger habe eine Unterversorgung nicht vorgelegen. Vielmehr habe der Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in Hessen mit seinem für das Quartal I/95 geltenden Beschluss festgestellt, daß eine Überversorgung für die Fachgruppe der Internisten vorliege. Ein Ausnahmetatbestand liege ebenfalls nicht vor. Die von den Klägern erbrachten Leistungen würden auch von anderen Kollegen in näheren und ausgedehnteren Einzugsbereichen angeboten werden.

Hiergegen haben die Kläger am 07.04.1997 die Klage erhoben. Sie tragen vor, eine schematische Begrenzung sei unzulässig. Die Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit würden nicht nachgeprüft werden. Es liege eine Ausnahme nach der Satzung vor. Sie schlössen mit ihren kardiologischen und endoskopischen Leistungen eine Lücke im ambulanten Versorgungssystem in der Stadt A-Stadt und im A-Stadter Landkreis. Schon der häufige Ansatz dieser Leistungen verdeutliche, daß sie den weitaus überwiegenden Teil der Versicherten in ihrem Einzugsgebiet versorgten. Darüber hinaus böte keine andere Praxis die Crohn-Sprechstunde, transösophageale Herzuntersuchungen oder ambulante Rechtsherzkatheteruntersuchungen an. Der Hinweis auf eine Überversorgung sei unzutreffend. Es müsse bedacht werden, daß die Gruppe der Internisten äußerst inhomogen sei und ca. 75 % dieser Fachgruppe ausschließlich hausärztlich niedergelassen seien. Gerade die Überweisungen für die kardiologischen und endoskopischen Untersuchungen kämen von den anderen internistischen Praxen. Die Leistungen seien auch so kostenintensiv, daß sie bei Minderung von 40 bzw. 25 % nicht kostendeckend erbracht werden könnten. Wenn sie selbst diese Leistungen nicht erbrächten, müßten die Patienten in Krankenhäuser überwiesen werden, was kostenintensiver sei.

Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 23.08.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheids und trägt ergänzend vor, die allgemeinen Kosten einer Praxis bis zur Höhe von 40 % würden nicht besonders berücksichtigt werden, da diese Kostenlast alle Praxen gleich treffe und bereits in den Grenzwert eingerechnet worden sei. Wenn im Fall der endoskopischen Leistungen 40 % besonderer Kosten berücksichtigt worden seien, so bedeute dies, daß von einer Kostenlast von 80 % ausgegangen werde. Insgesamt seien bei den Klägern bei einem angeforderten Gesamthonorarvolumen von 1.000.000 DM besondere Kosten in Höhe von 227.000 DM berücksichtigt worden, die über die allgemeinen Basiskosten von 40% hinausgingen. Ein Sicherstellungsproblem liege nicht vor. Dies sei eingehend geprüft worden. Wesentlich hierfür sei, ob der entsprechende Planungsbereich unterversorgt sei oder nicht. Wegen der Zulassungssperre habe aufgrund der planerischen Vorgaben nicht von einer Sicherstellungsproblematik ausgegangen werden können. Man habe auch festgestellt, daß die von den Klägern erbrachten Leistungen von anderen Kollegen ebenfalls angeboten werden würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Kassenärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Kassenärzte handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Klage ist zulässig, weil sie insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden ist.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 23.08.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.1997 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der angefochtene Bescheid ist unzureichend begründet. Ferner hat die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

Der Honorarverteilungsmaßstab soll sicherstellen, daß eine übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Kassenarztes verhütet wird (§ 85 Abs. 4 Satz 4 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V -). Diesem gesetzgeberischen Auftrag ist die Beklagte in ihrem Honorarverteilungsmaßstab durch Leitzahl (LZ) 503 nachgekommen. Ausgehend von einem einheitlichen Grenzwert berücksichtigt die Beklagte in ihrem HVM die unterschiedliche Praxisstruktur durch über die 40%igen Basiskosten hinausgehenden besonderen Kostensätze nach LZ 503 d. Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 06.05.1988 - 6 RKa 29/87 -). Die Höhe des Unkostensatzes kann die Beklagte dabei im Rahmen der zulässigen Pauschalierungen schätzen. Sie sind nur zu beanstanden, wenn ihre Festsetzung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich zu beurteilen wäre. Mit dem Gleichheitssatz ist es nicht vereinbar, wenn der der Honorarberechnung zugrunde liegende Unkostensatz für bestimmte Leistungen erheblich höher ist als die durchschnittlichen Kostensätze aller ärztlichen Praxen zuzüglich der besonderen Kostensätze. Hierbei kommt es nicht auf die individuelle Kostensituation der Kläger an, sondern auf die der Honorarberechnung zugrunde liegenden Kostensätze (so BSG, a.a.O.; Urteil vom 12.10.1994 - 6 RKa 24/94 - SozR 3-2500 § 85 SGB V Nr. 8). Zutreffend hat die Beklagte darauf verwiesen, daß zu den gesondert zu berücksichtigenden Kostensätzen weiter der allgemeine pauschale Kostensatz von 40 % zu berücksichtigen ist. Die Kläger haben nicht substantiiert dargetan, inwiefern so die Kostensätze von 80 bzw. 65 % für die endoskopischen bzw. sonographischen Leistungen die tatsächlich entstandenen Unkosten nicht abdecken sollten. Dies gilt auch für die übrigen Leistungsbereiche. Von daher sah die Kammer keine Notwendigkeit, dem Vortrag weiter nachzugehen, die zu berücksichtigenden Praxiskosten wichen erheblich von den tatsächlichen Kosten ab.

Der Bescheid war aber aufzuheben, weil die Beklagte nicht hinreichend das Nichtvorliegen einer Ausnahmeregelung begründet und bei Prüfung der Ausnahmeregelung fehlerhaft ihr Ermessen ausgeübt hat.

Nach dem HVM kann die Beklagte von einer Begrenzung des Honoraranspruchs in Ausnahmefällen ganz oder teilweise absehen, wenn die Tätigkeit des von einer Begrenzung betroffenen Arztes zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung notwendig ist. Diese Voraussetzungen sind insbesondere dann gegeben, wenn

(1) der betroffene Arzt unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit seiner Nachbarkollegen vorübergehend gezwungen ist, eine erhebliche Unterversorgung im Planungsbereich bis zur Niederlassung eines weiteren Arztes seiner Fachgruppe zu überbrücken;

(2) die vom betroffenen Arzt erbrachten Leistungen auch in einem räumlich ausgedehnten Einzugsbereich um den Praxissitz von anderen Kollegen nicht in ausreichendem Maße angeboten bzw. erbracht werden.

Die Aussetzung der Begrenzungen im Fall (1) kann vom Geschäftsausschuß der Bezirksstelle für einen bestimmten Bereich oder eine bestimmte Praxis für einen Zeitraum von höchstens vier Abrechnungsquartalen auf Antrag oder von Amts wegen beschlossen werden. Eine darüber hinausgehende Ausnahmeregelung bedarf der Genehmigung durch den Vorstand. Diese Genehmigung kann grundsätzlich nur unter der Voraussetzung erteilt werden, daß in dem betroffenen Bereich ein zusätzlicher Kassenarztsitz zur vordringlichen Besetzung ausgeschrieben wird (LZ 503 f der Grundsätze der Honorarverteilung Primär- und Ersatzkassen vom 26.11.1994, bekanntgegeben durch Rundschreiben vom 10.12.1994). Es kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend die Regelbeispiele nach Satz 2 der genannten Vorschrift vorliegen, da jedenfalls die Beklagte nicht ausreichend begründet hat, weshalb die Tätigkeit der Kläger zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung nicht notwendig gewesen sein sollte.

Ausweislich der Verwaltungsakte hat die Beklagte nur geprüft, ob die Leistungen der Kläger von weiteren Ärzten innerhalb der Bezirksstelle erbracht werden. Sie hat ferner nur geprüft, ob diese Leistungen von Internisten mit der Zusatzbezeichnung Kardiologie erbracht werden. Die Kläger haben aber vorgetragen, was von der Beklagten nicht bestritten wurde, ihr Praxisschwerpunkt liege insbesondere neben den kardiologischen Leistungen im Bereich der Endoskopie. Zur Prüfung der Versorgung der Versicherten mit endoskopischen Leistungen ist die Heranziehung der Statistik für Internisten mit der Zusatzbezeichnung Kardiologie unbrauchbar. Ferner ist die Kammer der Auffassung, wovon offensichtlich die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid auch ausgeht, wenn sie auf den Planungsbereich abstellt, daß der Bedarf für den einzelnen Planungsbereich nicht für den Bereich der Bezirksstelle, der wesentlich größer ist, zu ermitteln ist. Hinzu kommt, daß auch nach der vorgelegten Statistik die Leistungen nach Nrn. 755, 760 und 763 EBM von jeweils drei bzw. (Nr. 763) von vier Ärzten überhaupt erbracht werden. Hierzu sind die Kläger selbst zu rechnen, so daß aus der Statistik nicht hervorgeht, ob nicht sogar tatsächlich diese Leistungen von den Klägern selbst erbracht werden. Hiermit hätte ich die Beklagte im einzelnen auseinandersetzen müssen, da die Kläger hierin in ihrem Widerspruch darauf hingewiesen haben und ein Praxisschwerpunkt in den genannten Leistungen auch erkennbar ist. Die Beklagte hätte es daher in diesem besonderen Fall nicht bei den allgemeinen Hinweisen lassen dürfen. Dieser Begründungsmangel nach § 35 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren - SGB X - kann von der Beklagten durch Nachholung einer ausreichenden Begründung nicht mehr aufgehoben werden, da eine Nachholung der Begründung nur bis zum Abschluß eines Vorverfahrens möglich ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X). Aufgrund der fehlerhaften Tatsachenermittlung konnte die Beklagte auch ihr Ermessen nicht richtig ausüben, so daß ein Ermessensfehler vorliegt. Die unzureichende Tatsachenermittlung führt ferner zu einem Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 20 SGB X). Da es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, sind diese Verfahrens- und Formfehler nicht unbeachtlich (§ 42 Satz 1 SGB X).

Nach ausreichender Ermittlung des Sachverhalts steht es der Beklagten frei, einen neuen, rechtsfehlerfreien Bescheid zu erlassen.

Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid aber rechtswidrig und daher aufzuheben.

Nach allem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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