Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 2 R 478/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Inhaftierung aufgrund der religiösen Betätigung des Klägers, ist eine "Politische" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG, da sich die Gewahrsamsgründe, auf die besondere innenpolitische Entwicklung zurückführen lassen, welche die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG genannten Gebiete - im Unterschied zur innenpolitischen Entwicklung in den ehemaligen westlichen Besatzungszonen - in der Nachkriegszeit genommen haben.
2. Der Anerkennung der Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI steht nicht entgegen, dass eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG vom Kläger nicht vorgelegt wird.
2. Der Anerkennung der Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI steht nicht entgegen, dass eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG vom Kläger nicht vorgelegt wird.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 06.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Zeit der Inhaftierung des Klägers vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI anzuerkennen und die dem Kläger gewährte Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Ersatzzeit neu festzustellen.
2. Die Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung der Haftzeit des Klägers als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI.
Der Kläger ist 1937 in Kasachstan geboren. Er ist deutscher Staatsangehöriger. Der Kläger siedelte am 05.05.1993 nach Deutschland über (Bl. 10 II VA).
Er wurde am 05.08.1971 zu drei Jahren in einer Erziehungs- und Arbeitskolonne mit allgemeinen Strafbedingungen aufgrund seiner Religionszugehörigkeit zu den Siebten-Tags-Adventisten und des Organisierens und Feiern von Gottesdiensten verurteilt (Bl. 22-20 II VA). Er war vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 inhaftiert.
Mit Bescheid vom 15.02.1996 stellte die Beklagten den Versicherungsverlauf nach § 149 Abs. 5 SGB VI verbindlich fest (Teil II VA). Die Zeit vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 wurde nicht anerkannt, da die Voraussetzungen nach § 1 HHG nicht vorlägen.
Das Regierungspräsidium Gießen teilte der Landesversicherungsanstalt Hessen mit Schreiben vom 02.10.1996 mit, dass eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht ausgestellt werden könne, da die Verschleppung bzw. Ingewahrsamnahme im Fall des Klägers nicht als unmittelbare Kriegsfolge zu verstehen sei. (Bl. 23 II VA).
Mit Bescheid vom 28.10.1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Haft als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI ab (Bl. 24 II).
Mit Bescheid vom 23.06.1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit.
Mit Schreiben vom 06.07.2013 stellte der Kläger hinsichtlich der Zeit der Inhaftierung einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X (Bl. 18 I VA).
Mit Bescheid vom 06.09.2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, dass bei Erlass des Bescheides vom 28.10.1996 weder das Recht unrichtig angewandt wurde noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wurde (Bl. 24 I VA).
Mit Schreiben vom 19.09.2013 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.09.2013 ein (Bl. 27 I VA).
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Zeit der Inhaftierung könne nicht als Ersatzzeit anerkannt werden, da der Kläger nicht zum Personenkreis des § 1 HHG zählt.
Der Kläger hat am 27.11.2013 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Zeit der Inhaftierung aus religiösen Gründen als Ersatzzeit von der Beklagten anerkannt werden müsse. Die Beklagte müsse eine eigene Sachprüfung vornehmen und könne nicht auf die Versagung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG durch das Regierungspräsidium abstellen. Der Kläger beantragte zunächst auch, die Berufsausbildung des Klägers als Schweißer vom 04.10.1971 bis 28.07.1972 anzuerkennen. Nach einem Hinweis der Beklagten und des Gerichts, dass dies nicht Gegenstand des angegriffenen Bescheides sondern einer separaten Prüfung sei, nahm der Kläger diesen Klage Antrag zurück.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. den Bescheid vom 06.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2013 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verpflichten, die Zeit der Inhaftierung des Klägers vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI anzuerkennen und die dem Kläger gewährte Rente unter Berücksichtigung dieser Zeit neu festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig. Eine eigene Sachprüfung sei erfolgt. Der Kläger zähle nicht zum Personenkreis nach § 1 HHG. Eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG sei nicht durch das zuständige Regierungspräsidium ausgestellt worden. Die Entscheidung des Regierungspräsidiums sei für die Beklagte verbindlich.
Die Beteiligten erklärten übereinstimmend ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (Bl. 23, 24 GA).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Prozessakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 06.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Zeit der Inhaftierung des Klägers vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI anzuerkennen. Aus diesem Grund ist der angegriffene Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die die dem Kläger gewährte Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Ersatzzeit neu festzustellen.
Da die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI i.V.m. § 1 Abs. 1 Häftlingshilfegesetz (HHG) vorliegen, hat der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf Anerkennung der Haftzeit als Ersatzzeit.
Als Ersatzzeiten sind nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr in Gewahrsam genommen worden sind oder im Anschluss daran wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3. Oktober 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben.
Die Zeit der Inhaftierung erfolgte vor dem 01.01.1992. Zum Zeitpunkt der Inhaftierung hatte der Kläger das 14. Lebensjahr vollendet.
Der Kläger zählt darüber hinaus zum Personenkreis des § 1 HHG. Zum Personenkreis nach § 1 HHG zählen deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, wenn sie
1. nach der Besetzung ihres Aufenthaltsortes oder nach dem 8. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden oder
2. Angehörige der in Nummer 1 genannten Personen sind oder
3. Hinterbliebene der in Nummer 1 genannten Personen sind
und den gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes genommen haben.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und wurde in Kasachstan aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen. Kasachstan gehört als ehemalige Sowjetrepublik zu den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten.
Die Inhaftierung des Klägers vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 stellt eine Ingewahrsamnahme im Sinne von § 1 Abs. 5 HHG dar. Gewahrsam im Sinne des Absatzes 1 ist nach der in § 1 Abs. 5 S. 1 HHG enthaltenen Legaldefinition ein Festgehaltenwerden auf engbegrenztem Raum unter dauernder Bewachung.
Die Inhaftierung erfolgte aufgrund einer vorangegangenen religiösen Betätigung des Klägers. "Politisch" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG sind solche Gewahrsamsgründe, die sich auf die besondere innenpolitische Entwicklung zurückführen lassen, welche die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG genannten Gebiete - im Unterschied zur innenpolitischen Entwicklung in den ehemaligen westlichen Besatzungszonen - in der Nachkriegszeit genommen haben. Sie ist geprägt von der marxistisch-leninistischen Ideologie und unvereinbar mit den Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung (BVerwGE 12, 236, 241; Bearbeitungshinweise des Bundesministeriums des Innern für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 Häftlingshilfegesetz (HHG)). Die vom § 1 HHG erfassten Personenkreis nicht zu vertretenden Gewahrsamsgründe sind solche, die sich auf die besonderen politischen Entwicklungen in der (Nach-) Kriegszeit in den in der Norm genannten Gebieten zurückführen lassen und die mit den Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung unvereinbar sind (Das Deutsche Bundesrecht- Kommentar zum HHG, 1118. Lieferung- Stand 2011, VF 16, S. 16, § 1 Rn. 4). Die im Urteil beschriebene und sanktionierte Religionsausübung des Klägers stellte eine nach dem Grundgesetz geschützte grundfreiheitliche Betätigung dar, so dass die Ingewahrsamsnahme nach den in der Bundesrepublik bestehenden freiheitlich-demokratischer Grundsätzen aus vom Kläger nicht zu vertretenden Gründen erfolgte und eine politische Ingewahrsamsnahme darstellt.
Darüber hinaus kann weder dem § 1 HHG noch der Regelung des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI entnommen werden, dass die Ingewahrsamsnahme in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg stehen muss. Weder ergibt sich dieses Tatbestandsvoraussetzung aus dem Wortlaut des § 1 HHG noch aus der Regelung des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI.
Auch mit dem Sinn und Zweck kann diese einschränkende Interpretation nicht begründet werden. Aus dem Bearbeitungshinweis des Bundesministeriums des Innern für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 Häftlingshilfegesetz (HHG) wird zunächst ausgeführt, dass das HHG auf den Gewahrsam abhebt, der als Folge des Zweiten Weltkrieges auf die politische Entwicklung der Nachkriegszeit in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und in den Aussiedlungsgebieten zurückzuführen ist. Es wird aber weiter konkretisiert: "Die bei der Errichtung und Sicherung kommunistischer Herrschaftssysteme angewendeten Methoden waren mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Deshalb sollte nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs des HHG mit dem Gesetz in erster Linie denjenigen ehemaligen Sowjetzonenhäftlingen geholfen werden, die als sogenannte Klassenfeinde galten oder deshalb verurteilt wurden, weil sie sonst geeignet erschienen, den Aufbau einer Volksdemokratie in der SBZ zu hindern oder zu stören (BT-Drs. II/1450, Anlage I S. 5). Aber auch derjenige, der "unter dem Gesichtspunkt der Brechung des politischen Widerstandes gegen die Sowjetisierung" in den im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) umschriebenen Gebieten als politischer Häftling behandelt wurde, sollte nach dem HHG leistungsberechtigt sein (vgl. aaO S. 6f)" (Bearbeitungshinweise des Bundesministeriums des Innern für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 Häftlingshilfegesetz (HHG)).
Bei Berücksichtigung des Bearbeitungshinweises ist die politische Ingewahrsamnahme als Folge des zweiten Weltkriegs im Hinblick auf die politische Ausrichtung der in § 1 Abs.1 HHG genannten Gebiete zu verstehen und nicht auf den Gewahrsam als unmittelbare Kriegsfolge zu reduzieren. Zweck des HHG ist es, denn politischen Häftlingen Hilfe zu leisten, die in dem politischen System des Gewahrsamsstaates gelebt haben und diese zum Opfer gefallen sind. Damit sollte der im Gewahrsamsstaat lebenden deutschen Bevölkerung innerer Rückhalt gewährt werden (Das Deutsche Bundesrecht- Kommentar zum HHG, 1118. Lieferung- Stand 2011, VF 16, S. 13 Rn. 2). Anspruchsvoraussetzung ist ein politisch bedingter Gewahrsam im kommunistischen Machtbereich (Das Deutsche Bundesrecht- Kommentar zum HHG, 1118. Lieferung- Stand 2011, VF 16, S. 16 Rn. 4). Diese Auslegung wird auch vom dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 HHG gestützt, denn der Gewahrsam wird längstens bis 31. Dezember 1989 berücksichtigt.
Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass eine Anerkennung der Ersatzzeit nicht erfolgen kann, weil vom Kläger eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht vorgelegt werden kann, steht dies der Anerkennung der Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI nach Ansicht der Kammer nicht entgegen.
Die von der Beklagten vertretene Ansicht wird zwar von Gürtner im Kasseler Kommentar, 81. Ergänzungslieferung, Stand 2014, zu § 250 SGB VI, Randnummer 93 gestützt. Der Kommentator vertritt ohne Bezugnahme auf Rechtsprechung oder Literatur und ohne weitere Begründung die Ansicht, dass die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG eine Bindungswirkung sowohl für die Behörden als auch die Gerichte entfaltet.
Dem kann aus verschiedenen Gründen nicht gefolgt werden. Zum einen spricht gegen diese Auffassung, dass der Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI nur auf § 1 HHG Bezug nimmt und aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGG nicht entnommen werden kann, dass Voraussetzung für die Anerkennung der Ersatzzeit die Vorlage einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ist. Vielmehr legt der Wortlaut des § 250 Abs.1 Nr. 5 SGB VI nahe, dass es für die Anerkennung der Ersatzzeit der Bescheinigung gerade nicht bedarf, denn die Ersatzzeit ist anzuerkennen, wenn Versicherte in Gewahrsam genommen worden sind oder im Anschluss daran wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3. Oktober 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben. Die Ersatzzeit ist damit auch für Personen anzuerkennen, die nicht zum Personenkreis des § 1 HHG zählen, weil sie bereits vor dem 03.10.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben. Für diesen Personenkreis kann deshalb keine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ausgestellt werden und dennoch ist die Zeit anzuerkennen. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer, dass es für die Anerkennung der Ersatzzeit der Erteilung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht bedarf.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG einem anderen Zweck als der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten dient.
Aus § 10 Abs. 4 S. 1 HHG ergibt sich, dass der Nachweis darüber, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HHG vorliegen und dass Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG weder gegeben noch gemäß § 2 Abs. 4 HHG wirksam sind, durch eine Bescheinigung zu erbringen ist, soweit zugleich ein Anspruch nach den §§ 9a bis 9c HHG besteht. Die Bescheinigung wird danach nur für den Fall erteilt, dass der Kläger einen Anspruch auf die in den §§ 9a bis 9c HHG benannten Eingliederungshilfen hat. Da der Kläger jedoch keine Eingliederungsleistungen nach §§ 9a-9c HHG begehrt, ist ihm eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Abs. 1 HHG nicht auszustellen. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass ohne Vorlage der Bescheinigung der Kläger nicht zu dem von § 1 HHG genannten Personenkreis zählt.
Das von der Entscheidung der nach dem HHG zuständigen Behörde immer eine Bindungswirkung ausgeht, kann somit weder dem HHG noch dem SGB VI entnommen werden.
Das der angegriffene Bescheid rechtwidrig ist, weil die Haftzeit als Ersatzzeit anzuerkennen ist, ist er aufzuheben. Aus diesem Grund ist die dem Kläger gewährte Rente unter Berücksichtigung der Ersatzzeit neu festzustellen. Hierbei sind die Vorgaben des § 44 Abs. 4 SGB X beachtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger nur teilweise mit der Klage obsiegt, da der Klageantrag hinsichtlich der Berücksichtigung einer Ausbildung des Klägers als Schweißer nicht streitgegenständlich und damit unzulässig war.
Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Berufung nach § 144 Abs. 1 S. 2 SGG statthaft.
2. Die Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung der Haftzeit des Klägers als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI.
Der Kläger ist 1937 in Kasachstan geboren. Er ist deutscher Staatsangehöriger. Der Kläger siedelte am 05.05.1993 nach Deutschland über (Bl. 10 II VA).
Er wurde am 05.08.1971 zu drei Jahren in einer Erziehungs- und Arbeitskolonne mit allgemeinen Strafbedingungen aufgrund seiner Religionszugehörigkeit zu den Siebten-Tags-Adventisten und des Organisierens und Feiern von Gottesdiensten verurteilt (Bl. 22-20 II VA). Er war vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 inhaftiert.
Mit Bescheid vom 15.02.1996 stellte die Beklagten den Versicherungsverlauf nach § 149 Abs. 5 SGB VI verbindlich fest (Teil II VA). Die Zeit vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 wurde nicht anerkannt, da die Voraussetzungen nach § 1 HHG nicht vorlägen.
Das Regierungspräsidium Gießen teilte der Landesversicherungsanstalt Hessen mit Schreiben vom 02.10.1996 mit, dass eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht ausgestellt werden könne, da die Verschleppung bzw. Ingewahrsamnahme im Fall des Klägers nicht als unmittelbare Kriegsfolge zu verstehen sei. (Bl. 23 II VA).
Mit Bescheid vom 28.10.1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Haft als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI ab (Bl. 24 II).
Mit Bescheid vom 23.06.1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit.
Mit Schreiben vom 06.07.2013 stellte der Kläger hinsichtlich der Zeit der Inhaftierung einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X (Bl. 18 I VA).
Mit Bescheid vom 06.09.2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, dass bei Erlass des Bescheides vom 28.10.1996 weder das Recht unrichtig angewandt wurde noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wurde (Bl. 24 I VA).
Mit Schreiben vom 19.09.2013 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.09.2013 ein (Bl. 27 I VA).
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Zeit der Inhaftierung könne nicht als Ersatzzeit anerkannt werden, da der Kläger nicht zum Personenkreis des § 1 HHG zählt.
Der Kläger hat am 27.11.2013 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Zeit der Inhaftierung aus religiösen Gründen als Ersatzzeit von der Beklagten anerkannt werden müsse. Die Beklagte müsse eine eigene Sachprüfung vornehmen und könne nicht auf die Versagung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG durch das Regierungspräsidium abstellen. Der Kläger beantragte zunächst auch, die Berufsausbildung des Klägers als Schweißer vom 04.10.1971 bis 28.07.1972 anzuerkennen. Nach einem Hinweis der Beklagten und des Gerichts, dass dies nicht Gegenstand des angegriffenen Bescheides sondern einer separaten Prüfung sei, nahm der Kläger diesen Klage Antrag zurück.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. den Bescheid vom 06.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2013 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verpflichten, die Zeit der Inhaftierung des Klägers vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI anzuerkennen und die dem Kläger gewährte Rente unter Berücksichtigung dieser Zeit neu festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig. Eine eigene Sachprüfung sei erfolgt. Der Kläger zähle nicht zum Personenkreis nach § 1 HHG. Eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG sei nicht durch das zuständige Regierungspräsidium ausgestellt worden. Die Entscheidung des Regierungspräsidiums sei für die Beklagte verbindlich.
Die Beteiligten erklärten übereinstimmend ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (Bl. 23, 24 GA).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Prozessakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 06.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Zeit der Inhaftierung des Klägers vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI anzuerkennen. Aus diesem Grund ist der angegriffene Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die die dem Kläger gewährte Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Ersatzzeit neu festzustellen.
Da die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI i.V.m. § 1 Abs. 1 Häftlingshilfegesetz (HHG) vorliegen, hat der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf Anerkennung der Haftzeit als Ersatzzeit.
Als Ersatzzeiten sind nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr in Gewahrsam genommen worden sind oder im Anschluss daran wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3. Oktober 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben.
Die Zeit der Inhaftierung erfolgte vor dem 01.01.1992. Zum Zeitpunkt der Inhaftierung hatte der Kläger das 14. Lebensjahr vollendet.
Der Kläger zählt darüber hinaus zum Personenkreis des § 1 HHG. Zum Personenkreis nach § 1 HHG zählen deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, wenn sie
1. nach der Besetzung ihres Aufenthaltsortes oder nach dem 8. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden oder
2. Angehörige der in Nummer 1 genannten Personen sind oder
3. Hinterbliebene der in Nummer 1 genannten Personen sind
und den gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes genommen haben.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und wurde in Kasachstan aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen. Kasachstan gehört als ehemalige Sowjetrepublik zu den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten.
Die Inhaftierung des Klägers vom 18.06.1971 bis 18.06.1974 stellt eine Ingewahrsamnahme im Sinne von § 1 Abs. 5 HHG dar. Gewahrsam im Sinne des Absatzes 1 ist nach der in § 1 Abs. 5 S. 1 HHG enthaltenen Legaldefinition ein Festgehaltenwerden auf engbegrenztem Raum unter dauernder Bewachung.
Die Inhaftierung erfolgte aufgrund einer vorangegangenen religiösen Betätigung des Klägers. "Politisch" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG sind solche Gewahrsamsgründe, die sich auf die besondere innenpolitische Entwicklung zurückführen lassen, welche die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG genannten Gebiete - im Unterschied zur innenpolitischen Entwicklung in den ehemaligen westlichen Besatzungszonen - in der Nachkriegszeit genommen haben. Sie ist geprägt von der marxistisch-leninistischen Ideologie und unvereinbar mit den Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung (BVerwGE 12, 236, 241; Bearbeitungshinweise des Bundesministeriums des Innern für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 Häftlingshilfegesetz (HHG)). Die vom § 1 HHG erfassten Personenkreis nicht zu vertretenden Gewahrsamsgründe sind solche, die sich auf die besonderen politischen Entwicklungen in der (Nach-) Kriegszeit in den in der Norm genannten Gebieten zurückführen lassen und die mit den Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung unvereinbar sind (Das Deutsche Bundesrecht- Kommentar zum HHG, 1118. Lieferung- Stand 2011, VF 16, S. 16, § 1 Rn. 4). Die im Urteil beschriebene und sanktionierte Religionsausübung des Klägers stellte eine nach dem Grundgesetz geschützte grundfreiheitliche Betätigung dar, so dass die Ingewahrsamsnahme nach den in der Bundesrepublik bestehenden freiheitlich-demokratischer Grundsätzen aus vom Kläger nicht zu vertretenden Gründen erfolgte und eine politische Ingewahrsamsnahme darstellt.
Darüber hinaus kann weder dem § 1 HHG noch der Regelung des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI entnommen werden, dass die Ingewahrsamsnahme in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg stehen muss. Weder ergibt sich dieses Tatbestandsvoraussetzung aus dem Wortlaut des § 1 HHG noch aus der Regelung des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI.
Auch mit dem Sinn und Zweck kann diese einschränkende Interpretation nicht begründet werden. Aus dem Bearbeitungshinweis des Bundesministeriums des Innern für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 Häftlingshilfegesetz (HHG) wird zunächst ausgeführt, dass das HHG auf den Gewahrsam abhebt, der als Folge des Zweiten Weltkrieges auf die politische Entwicklung der Nachkriegszeit in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und in den Aussiedlungsgebieten zurückzuführen ist. Es wird aber weiter konkretisiert: "Die bei der Errichtung und Sicherung kommunistischer Herrschaftssysteme angewendeten Methoden waren mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Deshalb sollte nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs des HHG mit dem Gesetz in erster Linie denjenigen ehemaligen Sowjetzonenhäftlingen geholfen werden, die als sogenannte Klassenfeinde galten oder deshalb verurteilt wurden, weil sie sonst geeignet erschienen, den Aufbau einer Volksdemokratie in der SBZ zu hindern oder zu stören (BT-Drs. II/1450, Anlage I S. 5). Aber auch derjenige, der "unter dem Gesichtspunkt der Brechung des politischen Widerstandes gegen die Sowjetisierung" in den im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) umschriebenen Gebieten als politischer Häftling behandelt wurde, sollte nach dem HHG leistungsberechtigt sein (vgl. aaO S. 6f)" (Bearbeitungshinweise des Bundesministeriums des Innern für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 Häftlingshilfegesetz (HHG)).
Bei Berücksichtigung des Bearbeitungshinweises ist die politische Ingewahrsamnahme als Folge des zweiten Weltkriegs im Hinblick auf die politische Ausrichtung der in § 1 Abs.1 HHG genannten Gebiete zu verstehen und nicht auf den Gewahrsam als unmittelbare Kriegsfolge zu reduzieren. Zweck des HHG ist es, denn politischen Häftlingen Hilfe zu leisten, die in dem politischen System des Gewahrsamsstaates gelebt haben und diese zum Opfer gefallen sind. Damit sollte der im Gewahrsamsstaat lebenden deutschen Bevölkerung innerer Rückhalt gewährt werden (Das Deutsche Bundesrecht- Kommentar zum HHG, 1118. Lieferung- Stand 2011, VF 16, S. 13 Rn. 2). Anspruchsvoraussetzung ist ein politisch bedingter Gewahrsam im kommunistischen Machtbereich (Das Deutsche Bundesrecht- Kommentar zum HHG, 1118. Lieferung- Stand 2011, VF 16, S. 16 Rn. 4). Diese Auslegung wird auch vom dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 HHG gestützt, denn der Gewahrsam wird längstens bis 31. Dezember 1989 berücksichtigt.
Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass eine Anerkennung der Ersatzzeit nicht erfolgen kann, weil vom Kläger eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht vorgelegt werden kann, steht dies der Anerkennung der Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI nach Ansicht der Kammer nicht entgegen.
Die von der Beklagten vertretene Ansicht wird zwar von Gürtner im Kasseler Kommentar, 81. Ergänzungslieferung, Stand 2014, zu § 250 SGB VI, Randnummer 93 gestützt. Der Kommentator vertritt ohne Bezugnahme auf Rechtsprechung oder Literatur und ohne weitere Begründung die Ansicht, dass die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG eine Bindungswirkung sowohl für die Behörden als auch die Gerichte entfaltet.
Dem kann aus verschiedenen Gründen nicht gefolgt werden. Zum einen spricht gegen diese Auffassung, dass der Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI nur auf § 1 HHG Bezug nimmt und aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGG nicht entnommen werden kann, dass Voraussetzung für die Anerkennung der Ersatzzeit die Vorlage einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ist. Vielmehr legt der Wortlaut des § 250 Abs.1 Nr. 5 SGB VI nahe, dass es für die Anerkennung der Ersatzzeit der Bescheinigung gerade nicht bedarf, denn die Ersatzzeit ist anzuerkennen, wenn Versicherte in Gewahrsam genommen worden sind oder im Anschluss daran wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3. Oktober 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben. Die Ersatzzeit ist damit auch für Personen anzuerkennen, die nicht zum Personenkreis des § 1 HHG zählen, weil sie bereits vor dem 03.10.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben. Für diesen Personenkreis kann deshalb keine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ausgestellt werden und dennoch ist die Zeit anzuerkennen. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer, dass es für die Anerkennung der Ersatzzeit der Erteilung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht bedarf.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG einem anderen Zweck als der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten dient.
Aus § 10 Abs. 4 S. 1 HHG ergibt sich, dass der Nachweis darüber, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HHG vorliegen und dass Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG weder gegeben noch gemäß § 2 Abs. 4 HHG wirksam sind, durch eine Bescheinigung zu erbringen ist, soweit zugleich ein Anspruch nach den §§ 9a bis 9c HHG besteht. Die Bescheinigung wird danach nur für den Fall erteilt, dass der Kläger einen Anspruch auf die in den §§ 9a bis 9c HHG benannten Eingliederungshilfen hat. Da der Kläger jedoch keine Eingliederungsleistungen nach §§ 9a-9c HHG begehrt, ist ihm eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Abs. 1 HHG nicht auszustellen. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass ohne Vorlage der Bescheinigung der Kläger nicht zu dem von § 1 HHG genannten Personenkreis zählt.
Das von der Entscheidung der nach dem HHG zuständigen Behörde immer eine Bindungswirkung ausgeht, kann somit weder dem HHG noch dem SGB VI entnommen werden.
Das der angegriffene Bescheid rechtwidrig ist, weil die Haftzeit als Ersatzzeit anzuerkennen ist, ist er aufzuheben. Aus diesem Grund ist die dem Kläger gewährte Rente unter Berücksichtigung der Ersatzzeit neu festzustellen. Hierbei sind die Vorgaben des § 44 Abs. 4 SGB X beachtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger nur teilweise mit der Klage obsiegt, da der Klageantrag hinsichtlich der Berücksichtigung einer Ausbildung des Klägers als Schweißer nicht streitgegenständlich und damit unzulässig war.
Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Berufung nach § 144 Abs. 1 S. 2 SGG statthaft.
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