L 2 R 430/14 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 R 4068/13 ER I
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 R 430/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu den Möglichkeiten einstweiligen Rechtsschutzes bei Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente nach Veranlassung der Rentenantragstellung durch die Arbeitsverwaltung.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2014 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Klage vom 14. August 2013 gegen den Widerspruchsbescheid vom 12. August 2013 aufschiebende Wirkung hat.

Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wandte sich zunächst mit einem Antrag vom 21. Juli 2013 (Datum des Schreibens) auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Juli 2013 an das Sozialgericht Berlin. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 19 R 4068/13 ER geführt. In dem Bescheid vom 18. Juli 2013 ging die Antragsgegnerin davon aus, dass – ausgehend von einem Leistungsfall am 20. Juli 2009 – die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien und ein Rentenanspruch für die Zeit vom 1. Februar 2010 bis voraussichtlich 31. Juli 2015 gegeben sei, lehnte die Zahlung der Rente jedoch wegen fehlender Mitwirkung (Angaben zum Einkommen im Zeitraum der Rentengewährung) ab. Zuvor hatte sie mit Bescheid vom 11. Januar 2012 den Antrag des Antragstellers vom 29. Dezember 2011 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung wegen des Fehlens der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt. Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 11. Januar 2012 und 18. Juli 2013 wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2013 zurück.

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2013 (S 19 R 4068/13 ER I) hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf den Widerspruchsbescheid vom 12. August 2013 beantragt.

Mit Beschluss vom 12. Mai 2014 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt und unter anderem ausgeführt, sinngemäß sei der Antrag des Antragstellers auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 14. August 2013 gegen den Widerspruchsbescheid vom 12. August 2013 gerichtet. Dem Antrag fehle jedoch das Rechtsschutzbedürfnis, da nicht ersichtlich sei, dass die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 12. August 2013 nicht beachtet hätte. Einer deklaratorischen Feststellung der aufschiebenden Wirkung bedürfe es daher nicht.

Gegen den ihm am 14. Mai 2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 20. Mai 2014 (Eingangsdatum) Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt und sein Begehren weiter verfolgt.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist aus den jedenfalls im Ergebnis zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet. Allerdings war klar zu stellen, dass die Klage zugunsten des Antragstellers aufschiebende Wirkung hat und deshalb bis zur Entscheidung über diese Klage keine für den Antragsteller negativen Schlussfolgerungen aus der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit gezogen werden dürfen. Denn durch die aufschiebende Wirkung wird die Wirksamkeit (§ 39 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch –SGB X) des den Eintritt des Versicherungsfalls feststellenden Verwaltungsaktes suspendiert bzw. aufgeschoben.

Die Statthaftigkeit der Möglichkeiten der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beurteilt sich danach, ob in der Hauptsache die Anfechtungsklage gegeben wäre oder der Anspruch in der Hauptsache mit der Verpflichtungs- und Leistungsklage zu verfolgen wäre. Im ersten Fall ist der Antrag auf Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung zu richten (§ 86 b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG), im zweiten Fall ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Sicherungs- oder Regelungsanordnung zu beantragen (§ 86b Abs. 2 SGG).

Jedenfalls im Ergebnis zu Recht – wenn auch ohne nachvollziehbare Begründung - hat das Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86 b Abs. 1 SGG für statthaft erachtet.

Grundsätzlich richtet sich der einstweilige Rechtsschutz im Falle einer Rentenablehnung nach § 86 b Abs. 2 SGG, da die Rentenbewilligung als erstrebter Anspruch in der Hauptsache mit der Verpflichtungs- bzw. Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen ist. Zu richten wäre der Antrag auf vorläufige Bewilligung der Rente. Dies ergibt sich schon daraus, dass ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen eine Rentenablehnung sinnlos ist, da dem Antragsteller mit der Kassation der ablehnenden Entscheidung, die allein mit der Anfechtungsklage erstrebt werden kann, nicht geholfen ist. Denn mit der Kassation der ablehnenden Entscheidung allein steht ihm keine Rente zu. Anders ist dies lediglich dann, wenn eine laufende Rente entzogen werden soll. Dieser Fall ist in § 86 a Abs. 2 Nr. 3 SGG i.V.m. § 86 b Abs. 1 SGG geregelt. Darum geht es vorliegend aber nicht.

Zutreffend hat das Sozialgericht vorliegend aber erkannt, dass einstweiliger Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 2 SGG nicht gewährt werden kann, da der Antragsteller gar keine Rentenbewilligung anstrebt, sondern umgekehrt, die Feststellung, dass die Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente nicht vorliegen. So hat er bereits bei der Datenerfassung bezüglich des Formularrentenantrags keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Feststellung begehre, erwerbsfähig zu sein und den Antrag nur stelle, weil die Agentur für Arbeit aufgrund eines medizinischen Gutachtens anderer Auffassung sei. Die Antragsgegnerin hat dies auch auf Blatt 15 der Verwaltungsakte zur Kenntnis genommen.

Damit ist die Frage nach dem Rechtsschutzbedürfnis eines solchen Antrags aufgeworfen und damit die Frage nach Rechtsschutzmöglichkeiten.

Stellt ein Versicherter einen Renten(-bewilligungs-)antrag und wird daraufhin der Versicherungsfall antragsgemäß festgestellt, bestehen im Grundsatz keine Rechtsschutzmöglichkeiten, da dem Antrag stattgegeben wurde und eine Beschwer nicht gegeben ist. Stellt der Antragsteller den Rentenantrag nur deshalb, weil er aufgrund einer bescheidmäßigen Aufforderung des Leistungsträgers nach geltendem Recht (vgl. z.B. § 5 Sozialgesetzbuch/Zweites Buch - SGB II) dazu verpflichtet ist, kann er sich gegen diese Aufforderung zur Wehr setzen. Der Rentenversicherungsträger wird in diesen Fällen verpflichtet sein, das Ergebnis des Verfahrens gegen die Aufforderung abzuwarten. Es besteht für ihn das Verbot eines vorzeitigen Verfahrensabschlusses (vgl. dazu BSG, 4. Senat, SozR 3-1300 § 32 Nr. 2 m. w. N.; vgl. auch LPK-SGB II Armborst, § 5 Rn 50 am Ende).

Für den hiesigen Antragsteller trifft allerdings keine der geschilderten Fallgestaltungen zu. Einen Rentenbewilligungsantrag hat er nicht gestellt, eine Aufforderung der Agentur für Arbeit liegt nicht vor. Eine dem § 5 Abs. 3 SGB II entsprechende Vorschrift, nach der die Behörde den Antrag selbst stellen kann, kennt das SGB III nicht. Sie ist dort auch nicht erforderlich, weil nach § 125 SGB III a.F./§ 145 SGB III n.F. der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht, solange kein Rentenantrag bzw. ein Rehabilitationsantrag gestellt ist (§ 145 Abs. 2 Satz 3 SGB III). Wirkt der Versicherte an der Feststellung der Erwerbsminderung nicht mit, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld ebenfalls bis zur Nachholung der Mitwirkung (§ 145 Abs. 2 Satz 5 SGB III). Einer Möglichkeit den Rentenantrag selbst zu stellen, bedarf es für die Agentur für Arbeit nicht.

So stellt der Bescheid der Agentur für Arbeit vom 16. Dezember 2011 schon deshalb keine Aufforderung zur Rentenantragstellung dar, da eine solche in dem Bescheid nicht mit einem Wort erwähnt wird. Vielmehr wird die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit der Begründung abgelehnt, dass der Antragsteller der Arbeitsvermittlung aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Verfügung steht. Zur sozialen Absicherung wird auf die Möglichkeit des Bezuges von Krankengeld und eine Antragstellung nach dem SGB II hingewiesen. Letzteres scheint der Antragsteller getan zu haben, denn das Bezirksamt als Träger der Grundsicherung hat sich mit Schreiben vom 2. Januar 2012 in der Angelegenheit des Antragstellers an das Jobcenter gewandt, um von dort die medizinischen Unterlagen zu erhalten; anschließend sollte ein Gutachten über den Träger der Rentenversicherung in Auftrag gegeben werden.

Allerdings ist nicht zu verkennen, dass der Antragsteller durch die Regelungen des § 125 a.F./§ 145 n.F. SGB III in mittelbaren Zwang gerät, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen, da ohne diesen die Leistungen nach dem SGB III ruhen. Er kann auch nicht darauf verwiesen werden, die Überprüfung der Erwerbsfähigkeit in einem gegen die Ablehnung von Arbeitslosengeld gerichteten Verfahren gegen die Agentur für Arbeit zu betreiben, da nach § 145 Abs.1 Satz 2 n.F./ § 125 Abs. 1 S. 2 a.F. SGB III der zuständige Rentenversicherungsträger über das Vorliegen einer verminderten Erwerbsfähigkeit entscheidet.

Vor diesem Hintergrund wird man dem Antragsteller die Möglichkeit nicht versagen dürfen, gegen die Feststellung der Erwerbsminderung vorzugehen. Denn für ihn geht es grundsätzlich darum, die Leistungen der Arbeitsverwaltung weiter in Anspruch nehmen zu können, insbesondere auch Vermittlungsleistungen, die bei voll erwerbsgeminderten Versicherten nicht mehr in Betracht kommen. Gegebenenfalls stehen für einen bestimmten Zeitraum im Vergleich zur Rente auch noch – höhere - Arbeitslosengeldleistungen im Raum.

Damit steht allerdings noch nicht fest, ob einstweiliger Rechtsschutz nach § 86 b Abs.1 SGG im Sinne der aufschiebenden Wirkung gegen die Feststellung der Erwerbsminderung zu gewähren ist oder der Antrag i.S. der Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Feststellung der Erwerbsfähigkeit zu lauten hat. Nach Auffassung des Senats ist zu differenzieren: Hat der Rentenversicherungsträger noch nicht entschieden, wird der Versicherte sein Ziel nur mit der Verpflichtung auf Feststellung der Erwerbsfähigkeit erreichen können. Der Wortlaut des § 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III lässt auch dies zu, da dort nur von der Feststellung, ob Erwerbsminderung vorliegt, die Rede ist. Der Wortlaut lässt beide Feststellungen (Erwerbsminderung oder Erwerbsfähigkeit) zu. Hat der Rentenversicherungsträger wie im vorliegenden Fall bereits entschieden, steht die Anfechtung allerdings im Vordergrund, so dass einstweiliger Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 SGG mit Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Feststellung des Versicherungsfalls der Erwerbsminderung zu gewähren ist.

Da die prozessuale Situation recht komplex erscheint, hat der Senat aus Gründen der Klarstellung festgestellt, dass die Anfechtungsklage nach § 86 a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung hat. Das bedeutet, dass aus der Feststellung der Erwerbsminderung durch die Antragsgegnerin bis zur Entscheidung über diese Feststellung im Klageverfahren vor dem Sozialgericht keine rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen werden dürfen.

Dem Umstand, dass der Antragsteller seine Mitwirkung an der Rentenfeststellung durch Nichtbekanntgabe seiner Verdienste im angedachten Rentenbewilligungszeitraum verweigert, kommt im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung vor, da hier zunächst über die Frage des "Ob" der Rentengewährung gestritten wird. Die Frage, in welcher Höhe die Rente dann angesichts von Einkommen auszuzahlen wäre, ist rechtlich und tatsächlich nachgelagert.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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