L 10 U 1507/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 139/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1507/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Rechtsgrundlage für die Rücknahme einer bestandskräftigen Ablehnung der Anerkennung eines Versicherungsfalles (hier: Eintritt einer BK) ist § 44 Abs. 1 SGB X, auch wenn im Ablehnungsbescheid nicht unmittelbar über Leistungsansprüche entschieden wurde.
2. Bei der BK 3102 ist - wie bei der BK 3101 - der ursächliche Zusammenhang grundsätzlich gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass der Versicherte bei seiner Berufstätigkeit einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt war, wobei eine bestimmte Infektionsquelle nicht nachgewiesen sein muss. Liegt eine solche erhöhte Infektionsgefahr vor, kann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass sich der Versicherte die bei ihm aufgetretene Krankheit durch seine besondere berufliche Exposition zuzog. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn besondere Umstände es ausschließen, dass die Infektion während oder auf Grund der versicherten Tätigkeit eintrat (z.B. weil Inkubationszeiten einen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ausschließen) oder wenn die Erkrankung durch eine Infektion im unversicherten Lebensbereich verursacht worden ist. Anlass zur Prüfung des zweiten Ausschlusstatbestandes besteht insbesondere dann, wenn der Versicherte sich auch in anderen als den beruflichen Gefahrenbereichen bewegte. Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen dieser Ausschlussgründe müssen aber nachgewiesen sein, wofür die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die objektive Beweislast tragen (s. insbesondere BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 7/08 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 3).
Das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 02.03.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 16.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 25.01.2010 zurückzunehmen und die Lungentuberkulose des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zur Rücknahme der die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; nachfolgend BK 3102 "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten") ablehnenden Entscheidung und zur Anerkennung einer solchen BK verpflichtet ist.

Der am 1928 geborene Kläger wuchs im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern auf, zu dem die Haltung von fünf bis sechs Milchkühen sowie ca. drei Jungtieren gehörte. Von 1946 bis einschließlich August 1957 war der Kläger, unterbrochen von Tätigkeiten außerhalb des fleischverarbeitenden Gewerbes im Zeitraum von 1949 bis 1951, als Metzger im Raum W.-T. unter anderem bei Schlachtungen von Rindern tätig und in dieser Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten versichert. Im Zeitraum von 1946 bis 1949 schlachtete er dabei in der Regel wöchentlich zwei Rinder im örtlichen Schlachthof. In der Zeit von 1951 bis 1957, als Filialleiter überwiegend im Verkauf und bei der Produktion von Wurst tätig, arbeitete er nur noch alle zwei Wochen im Schlachthof. In der Folgezeit arbeitete der Kläger dann nicht mehr als Metzger in der Produktion, sondern war als Filialleiter im Verkauf bzw. als Pächter einer Cafeteria tätig und schied zum 01.06.1991 aus dem Erwerbsleben aus. Der Kläger leidet seit 1985 an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis und befindet sich seither in ständiger lungenfachärztlicher Betreuung.

Im Mai 2009 erstattete Dr. J. , Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie, Umweltmedizin und Allergologie bei der Beklagten eine Anzeige wegen des Verdachts auf eine BK (Rindertuberkulose). Bei dem Kläger komme Rindertuberkulose in Betracht. In dem beigefügten Arztbericht vom 20.05.2009 (Bl. 2 Rücks. f. VA) stellte er die Diagnose einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose mit dem Mycobacterium bovis. Im Juni 2009 meldete Dr. B.-H. , Ärztin des Gesundheitsamts des R.-N-Kreises, den dringenden Verdacht einer BK in Gestalt einer offenen, akuten Tuberkulose verursacht durch des Mycobacterium bovis caprae (Bl. 8 f. VA). Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch den Beruf (Metzger) liege nahe, da beim Kläger ein "besonderer" Erreger der Tuberkulose festgestellt worden sei (Mycobacterium bovis caprae) der früher durch Rinder übertragen worden sei. Der Kläger erinnere sich noch genau, dass er als Lehrling und Geselle einige Male tuberkuloseerkrankte Tiere habe schlachten müssen. Besonders erinnerlich sei ihm ein Zwischenfall, bei dem ihm Eiter eines erkrankten Tieres ins Gesicht gespritzt sei. Beigefügt war u.a. ein Bericht der Tho¬raxklinik am Universitätsklinikum H. vom April 2009 (Bl. 9 Rücks. ff. VA). Darin wird ebenfalls die Diagnose einer reaktivierten Mycobacterium-bovis-caprae-Infektion gestellt. Dies habe die endgültige kulturelle Differenzierung belegt. Die Beklagte holte daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme ein. Dr. W.-F. , Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde, teilte der Beklagten im Rahmen ihrer beratungsfachärztlichen Stellungnahme vom Juli 2009 (Bl. 22 ff. VA) mit, zwar habe sie vom Kläger in Erfahrung gebracht, dass er auf einem elterlichen landwirtschaftlichen Hof aufgewachsen sei, weshalb eine Infektion in der Kindheit nicht ausgeschlossen werden könne. Der Kläger habe sich aber daran erinnert, dass der Rinderbestand des Hofes als tuberkulosefrei ausgezeichnet gewesen sei und es habe auch keine früheren Erkrankungen, die Hinweise auf eine Tuberkulose geben könnten, gegeben. Angesichts der früher breiten tuberkulösen Durchseuchung der Rinderbestände sei bei Schlachtern die berufsbedingte Exposition entsprechend hoch gewesen, sodass man davon ausgehen könne, dass der Kläger sich die Infektion durch Inhalation oder durch Verletzung als Schmier- oder Wundinfektion bei der Arbeit zugezogen habe. Im Hinblick auf die gesicherte hohe tuberkulöse Exposition als Schlachter und gleichzeitig geringe oder fehlende Infektionsgefährdung im privaten Bereich empfehle sie, die Erkrankung als BK anzuerkennen.

Mit Bescheid vom 25.01.2010 lehnte die Beklagte eine Anerkennung als BK ab. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und versicherter Tätigkeit sei nicht wahrscheinlich. Zwar habe beim Kläger eine berufsspezifische Gefährdung im Hinblick auf den vermehrt an Rindertuberkulose leidenden Rinderbestand zu damaliger Zeit bestanden. Dieses allgemeine Infektionsrisiko einer Tuberkulose bei Kontakt mit Rindern habe aber auch den privaten Bereich betroffen, da die Eltern des Klägers immer fünf bis sechs Kühe gehalten hätten. Dass der Bestand tuberkulosefrei gewesen sein soll, stelle nur eine Vermutung dar, da ein Kind bzw. Jugendlicher dies wohl kaum beurteilen könne. In der Landwirtschaft sei der Kläger zudem einem erheblichen weiteren Risiko durch den Genuss roher Milch ausgesetzt gewesen.

Am 12.03.2010 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 25.01.2010, nachdem sein behandelnder Arzt weiterhin der Auffassung sei, dass eine berufsbedingte Lungenerkrankung vorliege. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2010 mangels neuer Gesichtspunkte ab. Zur Begründung des Widerspruchs legte der Kläger eine weitere Stellungnahme von Dr. B.-H. vom Juli 2010 vor (Bl. 67 ff. VA). Dr. B.-H. verwies darin erneut auf eine dem Kläger konkret in Erinnerung gebliebene Schlachtung eines Rinds im Schlachthof in W.-T. im Jahr 1954, bei welchem ihm der Eiter des tuberkulosekranken Tieres entgegengespritzt sei. Dem Kläger sei das Krankheitsbild der Rindertuberkulose vertraut gewesen. Er habe im Zuge seiner Ausbildung wiederholt die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Rindertuberkulose zu Gesicht bekommen. Der Kläger sei demnach nicht nur im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit einer besonderen Infektionsgefährdung ausgesetzt gewesen, sondern schildere eine massive Exposition gegenüber Tuberkulosebakterien, die ihm noch gut in Erinnerung geblieben sei und die geeignet gewesen sei, eine Infektion mit dem Erreger Tuberkulose zu verursachen. Demgegenüber seien die konkurrierenden Infektionsrisiken außerhalb der beruflichen Tätigkeit vernachlässigbar. Nach Angaben der Eltern sei der Rinderbestand tuberkulosefrei gewesen; so sei es dem Kläger jedenfalls aus Gesprächen in Erinnerung. Hierfür spreche die praktizierte eigene Aufzucht und die kleine Stückzahl. Im Hinblick auf die Milch habe der Kläger im Gespräch angegeben, dass er sowohl als Kind wie auch als Jugendlicher zwar Milch getrunken habe. Seine Mutter, der der Übertragungsweg der Tuberkuloseerreger bekannt gewesen sei, habe die Milch aber immer abgekocht. Unter Berücksichtigung des deutlich erhöhten damaligen Infektionsrisikos als Metzger gegenüber dem sehr geringen Risiko, sich an den Rindern auf dem Hof der Eltern bzw. durch den Genuss von Milch anzustecken, empfehle man, die Erkrankung als BK anzuerkennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 13.01.2011 Klage beim Sozialgericht Mannheim erhoben, die er u.a. damit begründet hat, dass der von der Beklagten vorgetragene Verweis auf eine außerberufliche Infektionsmöglichkeit nicht ausreiche, nachdem die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen dieser Ausschlussgründe nicht nachgewiesen seien. Im Hinblick auf den von der Beklagten vorgebrachten Einwand, dass die nach § 18 Bundesseuchengesetz (BSeuchG, zum 31.12.2000 außer Kraft getreten) beim Kläger durchgeführten Tuberkuloseuntersuchungen ohne Befund geblieben seien, hat er eine weitere Stellungnahme von Dr. B.-H. vom Juni 2011 vorgelegt. Dr. B.-H. hat darin ausgeführt, Nachermittlungen hätten ergeben, dass beim Kläger damals keine Tuberkulindiagnostik erfolgt sei, sondern lediglich Thoraxröntgenaufnahmen. Durch diese Untersuchungen habe zwar eine Erkrankung an Tuberkulose, insbesondere eine ansteckungsfähige Tuberkulose der Atmungsorgane, keinesfalls aber eine latente tuberkulöse Infektion ausgeschlossen werden können. Bezüglich der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme von Frau Dr. B.-H. wird auf Bl. 21 ff. SG-Akte verwiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 02.03.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der betrieblichen Gefahr einer Infektion sei gegenüber dem Risiko einer Erkrankung im privaten Bereich in der Situation des Klägers kein deutliches Übergewicht beizumessen. Der Kläger sei nicht erst mit Beginn seiner Ausbildung zum Metzger einer über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen, sondern bereits über seine gesamte Kindheit hinweg, nachdem er auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, zu dem auch Rinder gehörten, aufgewachsen sei.

Gegen den ihm am 09.03.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05.04.2012 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft hat.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 02.03.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 25.01.2010 zurückzunehmen und die Tuberkuloseerkrankung im Jahr 2009 als Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat vorgebracht, neben dem letztendlich nicht mehr eingrenzbaren Infektionszeitpunkt sei zu berücksichtigen, dass der festgestellte Erreger zwar auch bei Rindern vorkomme, aber eben nicht nur. Gerade das Vorkommen des Erregers auch bei Zoo- und Wildtieren und sogar auch zum Teil bei Haustieren begründe erhebliche Zweifel an einer beruflichen Infektion.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Rücknahme der die Anerkennung versagenden Entscheidung vom 25.01.2010, da bei ihm zur Überzeugung des Senats eine BK 3102 vorliegt.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 16.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2010, mit dem die Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 25.01.2010 über die Ablehnung der Anerkennung einer Lungentuberkulose als BK 3102 ablehnte. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, in juris) kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Versicherungsfalles - Arbeitsunfall oder Berufskrankheit, vgl. § 7 Abs. 1 SGB VII - als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (zum subjektiv-öffentlichen Recht s. das erwähnte Urteil des BSG vom 05.07.2011). Dem entsprechend begehrt der Kläger hier zulässigerweise zum einen die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des die streitige BK bestandskräftig ablehnenden Bescheides vom 25.01.2010 und zum anderen die Verpflichtung der Beklagten, nach erfolgter Rücknahme des Bescheides vom 25.01.2010 die streitige BK anzuerkennen.

Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens auf Rücknahme des Bescheides vom 25.01.2010 ist § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach Abs. 1 Satz 1 der Regelung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Übrigen - so Abs. 2 Satz 1 - ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 2), wobei eine solche Entscheidung im Ermessen der Verwaltung steht. Diese Bestimmungen ermöglichen eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte.

Im vorliegenden Fall findet § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X Anwendung (so auch, ohne weitere Problematisierung, für die streitige Feststellung eines Arbeitsunfalls: BSG, Urteil vom 05.09.2006, B 2 U 24/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 18). Zwar wurde im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 25.01.2010 an sich nicht über Leistungen entschieden, sondern (nur) die Anerkennung der streitigen BK 3102 abgelehnt, so dass durch diesen Bescheid unmittelbar nicht "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind", wie dies § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraussetzt. Für die Anwendung dieser Regelung spricht jedoch, dass es bei der Anerkennung einer BK letztendlich in der Regel doch (mittelbar) um Leistungsansprüche geht. Dabei ist im Anwendungsbereich des Abs. 1 eine gebundene Entscheidung über die Korrektur mit Wirkung für die Vergangenheit zu treffen, während der Behörde im Anwendungsbereich des Abs. 2 insoweit, was die Vergangenheit anbelangt, ein Ermessensspielraum zusteht. Dadurch würde der die Feststellung einer BK begehrende potentielle Leistungsempfänger - was die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides für die Vergangenheit anbelangt - schlechter gestellt, als wenn im bestandskräftigen Bescheid unmittelbar konkrete Leistungsansprüche abgelehnt worden wären. Ein Grund für diese unterschiedliche Behandlung von schlussendlich doch sozialleistungsbezogener Überprüfungsverfahren ist nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 25.01.2010 liegen vor. Die Beklagte lehnte zu Unrecht die Anerkennung der Lungentuberkulose als BK 3102 ab. Denn der Kläger leidet an einer solchen Erkrankung, die er sich bei seiner beruflichen Tätigkeit zuzog, und somit an einer BK 3102 und er hat dementsprechend Anspruch auf Anerkennung dieser Erkrankung als BK.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, 3 oder 6 SGB VI begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlass der BKV Gebrauch gemacht. Zu den BKen zählen danach gem. Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität); die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 7/08 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 3). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG a.a.O.). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen der hier streitigen BK vor.

Die bei dem Kläger sämtlichen ärztlichen Bekundungen zufolge (vgl. insbesondere den Arztbericht der Thoraxklinik am Universitätsklinikum H. vom April 2009) zweifelsfrei vorliegende Infektion mit dem Mycobacterium bovis caprae (Rindertuberkulose) fällt unter die Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV (vgl. Merkblatt in der Bekanntmachung des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung vom 01.09.2003, BArbBl. 10/2003, S. 26 ff. i.V.m. Anhang Nr. 35). Es handelt sich somit bei der Erkrankung des Klägers um eine (auch) von Rindern auf den Menschen übertragbare Krankheit. Ebenso liegt mit der Tätigkeit des Schlachtens von Rindern eine versicherte Tätigkeit des Klägers für den hier in Betracht kommenden Zeitraum vor, die in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten (bzw. deren Rechtsnachfolgerin) fällt.

Hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und einer Infektionskrankheit gelten im Rahmen der streitigen BK 3102 die vom Bundessozialgericht zur gleichgelagerten BK 3101 ("Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war") entwickelten Grundsätze entsprechend (BSG, Urteil vom 04.05.1999, B 2 U 14/98 R, u.a. in juris). Danach tritt auf Grund der Schwierigkeiten beim Nachweis eines Infektionsvorganges die Infektionsgefahr an die Stelle der Einwirkungen, die entsprechend den Anforderungen an das Merkmal der Einwirkungen im Vollbeweis nachzuweisen ist. Der ursächliche Zusammenhang ist demnach grundsätzlich gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass der Kläger bei seiner Berufstätigkeit einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist, wobei eine bestimmte Infektionsquelle nicht nachgewiesen sein muss (vgl. hierzu und zum Nachfolgenden BSG vom 02.04.2009 a.a.O.). Die besondere Gefahrenexposition kann sich auf Grund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit, nämlich des Personenkreises oder der Objekte, mit oder an denen zu arbeiten ist und der Übertragungsgefährlichkeit der ausgeübten Verrichtungen ergeben, die sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit und nach der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Kläger verrichteten gefährlichen Handlungen bestimmt. Dabei genügt nicht eine schlichte Infektionsgefahr, vielmehr ist eine besonders erhöhte Infektionsgefahr erforderlich, wie § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII zu entnehmen ist.

Der Kläger war einer solchen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr, bezogen auf die Rindertuberkulose, im Rahmen seiner versicherten beruflichen Tätigkeit ausgesetzt, jedenfalls soweit er als Metzger auch Schlachtungen durchführte. Dies entnimmt der Senat der beratungsfachärztlichen Stellungnahme von Dr. W.-F. sowie den Bekundungen von Dr. B.-H ... Auf Grund der breiten tuberkulösen Durchseuchung der Rinderbestände in der Nachkriegszeit gerade im süddeutschen Raum lag bei Schlachtern eine entsprechend hohe berufsbedingte Exposition gegenüber der Rindertuberkulose vor. So betrug in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren der Tuberkulosebefall bei Rindern 20 bis 30 %; bei Kühen waren sogar 40 bis 45% des Bestands in Deutschland betroffen (Dr. B.-H. , Stellungnahme vom Juli 2010). Die Ansteckung des Menschen kann aerogen (Tröpfcheninfektion, Inhalation von infektiösem Staub), durch Genuss von unzureichend erhitzter Milch oder Fleisch tuberkulöser Tiere oder durch die Haut und Schleimhaut über Wunden oder kleinste Verletzungen infolge Schmutz und Schmierinfektion erfolgen (Bauerfeind u.a., Zoonosen, 4. Auflage 2013, S. 243). Der Kläger war als Schlachter zunächst von 1946 bis 1949 im Schlachthof in W.-T. tätig und schlachtete dort ausschließlich Rinder, in der Regel zwei Stück in der Woche. Unter Zugrundelegung von 36 Arbeitswochen pro Jahr verarbeitete der Kläger in diesem Zeitraum - wie Dr. B.-H. schlüssig und nachvollziehbar in ihrer Stellungnahme vom Juli 2010 darlegte - mehr als 200 Rinder. Als Infektionsweg kommen konkret neben Inhalation - der Kläger trug seinerzeit keinen Mundschutz - auch Wundinfektionen bei Verletzungen in Betracht (so Dr. B.-H. , a.a.O.; Dr. W.-F. ). Zeitgleich wurden im selben Schlachtraum, während der Kläger zugegen war, geschätzt zwischen 1.000 bis 1.500 weitere Rinder von den drei bis vier weiteren, im selben Schlachtraum tätigen Metzgern geschlachtet. Diese in Gegenwart des Klägers geschlachteten Tiere erhöhten dessen Infektionsrisiko, da beim Öffnen von Körperhöhlen oder Aufschneiden von Organen ein erregerhaltiges Aerosol entstehen kann, welches nicht nur der jeweilige Metzger selbst, sondern auch die in der Nähe arbeitenden Kollegen unter Umständen einatmeten (Dr. B.-H. , a.a.O.).

Unter Berücksichtigung der dargestellten Schlachtmengen und der durchschnittlichen Durchseuchung des Rinderbestands speziell in Süddeutschland mit wenigstens 20 bis 30 % aller Rinder bzw. 40 bis 45 % aller Kühe gelangte Dr. B.-H. in ihrer Stellungnahme vom Juli 2010 wiederum schlüssig und nachvollziehbar zum Ergebnis, dass unter den mehr als 200 vom Kläger geschlachteten Tieren sich wenigstens 40 bis 90 an Tuberkulose erkrankte Tiere befunden haben. Hinzu trat das Infektionsrisiko durch die von den weiteren Metzgern zur gleichen Zeit im selben Raum zerlegten Schlachttiere, bei denen von 200 bis 600 mit tuberkulösen Veränderungen belasteten Stück Vieh auszugehen ist. Zwischen 1951 und 1957 arbeitete der Kläger zwar nur noch alle zwei Wochen im Schlachthof. Unter der Berücksichtigung der oben geschilderten Bedingungen ist für diesen Zeitraum dennoch von einem Kontakt des Klägers unmittelbar beim Schlachten mit weiteren 20 bis 50 tuberkulosekranken Tieren und mittelbar mit weiteren 80 bis 250 Tieren auf Grund von Schlachtung in seiner Gegenwart auszugehen (Dr. B.-H. , a.a.O.). Hieraus errechnet sich eine unmittelbare Exposition gegenüber wenigstens 60 bis zu 140 tuberkulosekranken Tieren und eine mittelbare Exposition gegenüber wenigstens 240 bis hin zu 760 tuberkulosekranken Rindern. Angesichts dieser erheblichen beruflichen Exposition gehen sowohl Dr. W.-F. wie auch Dr. B.-H. übereinstimmend zu Recht von einer besonderen, über das Normalmaß hinausgehenden Ansteckungsgefahr aus.

Der Kläger selbst erinnert sich, dass er es in dieser Zeit wiederholt beim Schlachten mit tuberkulosekranken Rindern zu tun hatte. Die Erscheinungsformen der Rindertuberkulose waren ihm als Schlachter auch gut vertraut. Auch erinnert sich der Kläger an einen konkreten Fall: So spritzte ihm 1954 im Schlachthof in W.-T. bei der Öffnung des Bauchraums eines tuberkulosekranken Rindes der Eiter des tuberkulosekranken Tieres ins Gesicht. Diesen Vorgang berichtete er sowohl Dr. W.-F. als auch Dr. B.-H. in konsistenter Form; für den Senat sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche Zweifel an dieser Darstellung begründen könnten. Bereits diese massive Exposition gegenüber Tuberkulosebakterien, die ohne Weiteres geeignet war, eine Infektion mit dem Erreger der Rinder¬tuberkulose zu verursachen (Dr. B.-H. , a.a.O.) belegt eine besondere Infektionsgefährdung des Klägers gegenüber dem Mycobacterium bovis caprae. Auch für den Senat bestehen nach alledem keine Zweifel am Nachweis der besonders erhöhten Infektionsgefahr des Klägers in seiner beruflichen Tätigkeit.

Liegt damit eine erhöhte Infektionsgefahr vor, kann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass sich der Versicherte die bei ihm aufgetretene übertragbare Krankheit durch seine besondere berufliche Exposition zugezogen hat (BSG, Urteil vom 04.05.1999, a.a.O.; Urteil vom 02.04.2009, a.a.O.). Dies ist nur dann nicht der Fall (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009, a.a.O.), wenn besondere Umstände es ausschließen, dass die Infektion während oder auf Grund der versicherten Tätigkeit eintrat (z.B. weil Inkubationszeiten einen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ausschließen) oder wenn die Erkrankung durch eine Infektion in den unversicherten Lebensbereichen verursacht worden ist. Anlass zur Prüfung des zweiten Ausschlusstatbestandes besteht insbesondere dann, wenn der Versicherte sich auch in anderen als den beruflichen Gefahrenbereichen bewegte (BSG, a.a.O.). Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen dieser Ausschlussgründe müssen aber nachgewiesen sein, wofür die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die objektive Beweislast tragen (BSG a.a.O.). Soweit das Bundessozialgericht im Urteil vom 04.05.1999 (a.a.O.) formuliert hat, dass die Bejahung des Kausalzusammenhangs auf Grund eines typischen Geschehensablaufs dann nicht gelten kann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, wonach die Erkrankung auch durch Einwirkungen bedingt sein kann, die nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind, ist diese Beurteilung durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 02.04.2009 (a.a.O.) jedenfalls überholt. Im Übrigen lag der Entscheidung vom 04.05.1999 ein Sachverhalt zu Grunde, in dem ein konkurrierendes Infektionsrisiko aus dem unversicherten privaten Lebensbereich nachgewiesen war, sodass sich nähere Ausführungen zum Nachweis einer solchen konkurrierenden Ursache und zur Beweislast in diesem Fall erübrigten.

Vorliegend verneint der Senat einen derartigen Ausschlusstatbestand.

Der Umstand, dass beim Kläger die Tuberkulose erst im Jahre 2009 manifest wurde, schließt eine Infektion während seiner Tätigkeit als Schlachter nicht aus. Dr. B.-H. hat - wie bereits erwähnt - insoweit auf die lange Inkubationszeit hingewiesen, was das jahrzehntelange Intervall zwischen Infektion und aktiver Erkrankung erklärt. Hiervon ist auch Dr. W.-F. ausgegangen. Sie hat dargelegt, dass die Tuberkulose beim Kläger zunächst ohne therapeutische Maßnahmen ausheilte und es jetzt im höheren Alter infolge nachlassender Immunität und Schwächung des Organismus durch andere Erkrankungen zur Reaktivierung kam.

Zu Unrecht verneint die Beklagte eine Ansteckung während der beruflichen Tätigkeit als Schlachter unter Hinweis auf die für den Kläger eingeholten Gesundheitszeugnisse nach § 18 BSeuchG, in deren Rahmen auch regelmäßig eine Tuberkulosetestung stattgefunden habe. Dr. B.-H. legte in ihrer Stellungnahme vom Juni 2011 schlüssig und nachvollziehbar dar, dass eine unauffällige Thoraxröntgenaufnahme im Rahmen des Gesundheitszeugnisses nach §§ 17 bzw. 18 BSeuchG lediglich gegen eine manifeste Tuberkulose, d.h. eine Erkrankung an einer Tuberkulose der Atmungsorgane spricht, nicht aber gegen eine latente tuberkulöse Infektion. Die vom Gesundheitsamt vorgenommenen Nachermittlungen im Falle des Klägers ergaben, dass bei ihm keine Tuberkulindiagnostik erfolgte, sondern im Rahmen der Erteilung von Gesundheitszeugnissen Thoraxröntgenaufnahmen durchgeführt wurden, sodass zwar eine Erkrankung an Tuberkulose, insbesondere eine ansteckungsfähige Tuberkulose der Atmungsorgane, nicht aber eine latente tuberkulöse Infektion hierdurch ausgeschlossen wurde. Damit kann aber - so Dr. B.-H. - keinesfalls ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit als Schlachter mit Mycobacterium bovis caprae infiziert wurde, ohne dass es damals zu einer aktiven Erkrankung an Tuberkulose kam, sondern diese sich erst Jahrzehnte später auf Grund der langen Inkubationszeit der Tuberkulose manifestierte.

Ein konkurrierendes Infektionsrisiko aus dem unversicherten Lebensbereich des Klägers ist nicht feststellbar.

Ein konkurrierendes Infektionsrisiko auf Grund der Rinderhaltung auf dem elterlichen Betrieb verneinten bereits Dr. W.-F. sowie B.-H. (a.a.O.) mit überzeugender Begründung. Nach Angaben des Klägers umfasste der Viehbestand des landwirtschaftlichen Betriebs seiner Eltern in der Regel fünf bis sechs Milchkühe sowie ca. drei Jungtiere. Das Vieh stammte aus eigener Aufzucht und wurde nicht dazugekauft. Davon ausgehend, dass eine Kuh sechs bis acht Jahre durchschnittlich Milch gibt, ging Dr. B.-H. in der Stellungnahme vom Juli 2010 davon aus, dass der Kläger Kontakt zu schätzungsweise 15 bis 25 Stück Vieh hatte. Unter Zugrundelegung der damals üblichen Tuberkuloseprävalenz bei Rindern wäre danach von Kontakten zu drei bis elf tuberkulosekranken Rindern bzw. Kühen auf dem elterlichen Hof auszugehen; eine Infektion wäre grundsätzlich durch ein Anhusten seitens eines kranken Tieres denkbar. Nach Erinnerung des Klägers war der Rinderbestand des Hofs allerdings als tuberkulosefrei ausgezeichnet. Diese Angabe des Klägers erscheint auf Grund der eigenen Aufzucht und der verhältnismäßig kleinen Stückzahl auch plausibel. Der Senat schließt sich daher der Einschätzung der beiden Ärztinnen an, wonach das Infektionsrisiko für den Kläger in seiner Kindheit im Zusammenhang mit dem Rinderbestand auf dem Hof als gering einzuschätzen ist.

Soweit in damaliger Zeit ein weiteres Infektionsrisiko im Genuss nicht abgekochter Milch bestand, schloss Dr. B.-H. eine diesbezügliche Infektion im Hinblick darauf, dass die Mutter des Klägers die Milch stets abkochte, da ihr das Infektionsrisiko für Tuberkulose durch Rohmilch bekannt war, nachvollziehbar aus (a.a.O.). Die Effektivität dieser Maßnahme ist, u.a. anhand der sehr niedrigen Rate boviner Tuberkulose bei Menschen in Frankreich, wo Milch gewohnheitsmäßig abgekocht wurde, belegt (Dr. B.-H. , a.a.O.).

Ein konkurrierendes Infektionsrisiko zur Schlachtung der seinerzeit tuberkulös durchseuchten Rinder stellt - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch nicht das Vorkommen des Mycobacterium bovis caprae bei Zoo- und Wildtieren bzw. zum Teil auch bei Haustieren dar. Denn Rinder sind die bei Weitem wichtigste Quelle für Infektionen des Menschen mit Mycobacterium bovis (Bauernfeind, a.a.O., S. 242). Dementsprechend hat das Ansteckungsrisiko für den Menschen mit Mycobacterium bovis infolge der erfolgreichen Bekämpfung der Rindertuberkulose in vielen Ländern der Europäischen Union stark abgenommen. So betrug 2008 die Inzidenz der Mycobacterium bovis-bedingten Tuberkulose des Menschen EU-weit 0,02 Neuerkrankungen je 100.000 Einwohner (Bauernfeind u.a., a.a.O.). Soweit neben seltenen Fällen von Tuberkulose bei Hunden oder Katzen der Mycobacterium bovis vergleichsweise häufig bei Raubkatzen, Rindern, Antilopen, Elefanten sowie Primaten in Zoos, Wildparks und Tierhandlungen vorkommt, kann jedenfalls angesichts des Übertragungsweges nicht von einem dem Schlachterberuf gleichwertigen Übertragungsrisiko ausgegangen werden. Angesichts des vorbeschriebenen Ansteckungsweges ist eine Infektion im Rahmen des Besuchs eines zoologischen Gartens evident deutlich weniger wahrscheinlich, als im Rahmen der Schlachtung eines infizierten Tiers. Dementsprechend bejahte bereits das Landessozialgericht Hamburg in seinem Urteil vom 18.10.1955 (Breithaupt 1956, S. 471 bis 474) für die Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre bei Schlachtern eine verstärkte Gefährdung einer Ansteckung an Tuberkulose.

Liegen damit beim Kläger die Voraussetzungen für eine BK 3102 vor, war der die Anerkennung der BK ablehnende Bescheid vom 25.01.2010 rechtswidrig. Die Beklagte ist daher verpflichtet, den Bescheid vom 25.01.2010 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen und eine BK 3102 anzuerkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved