L 9 R 4212/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1950/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4212/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. August 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1960 geborene Kläger ist gelernter Metzger und war zunächst in seinem Beruf ab 1978 dann als Koch, ungelernter Zimmermann, Lkw-Fahrer und Papiermacher bis April 1995 versicherungspflichtig beschäftigt. Von April 1995 bis September 1996 bezog er Krankengeld. Pflichtbeitragszeiten sind im Versicherungsverlauf des Klägers in der Folge erst wieder für den Zeitraum ab dem 01.05.2005 wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II vermerkt. 1996 nahm der Kläger eine Tätigkeit als selbstständiger Gastronom auf, für die er keine freiwilligen Beiträge entrichtet hat. Ein Grad der Behinderung von 100 ist seit Mai 2006 anerkannt sowie das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) festgestellt.

Einen vom Kläger am 27.08.2008 gestellten Rentenantrag hatte die Beklagte mit - bestandskräftigem - Bescheid vom 14.10.2008 abgelehnt. Nach deren Feststellungen lag eine volle Erwerbsminderung seit dem 20.02.2006 vor. Dem Antrag konnte nicht entsprochen werden, weil in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Leistungsfalles nicht wenigstens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt waren (sondern - im maßgeblichen Zeitraum vom 20.02.2001 bis 19.02.2006 - nur zehn Kalendermonate). Die Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung bzw. Verlängerungstatbestände lagen zudem nicht vor. Grundlage dieser Entscheidung war zum einen der Rehabilitations-Entlassungsbericht der Rehaklinik St. G. H., wo sich der Kläger vom 05.04.2006 bis 26.04.2006 in stationärer Behandlung befand, sowie der Bericht der F.klinik Bad B. über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 25.07.2008 bis 15.08.2008. Im Bericht der Reha-Klinik St. G. war unter den Diagnosen "Hepatisch metastierendes Karzinoid des Magens (ED 02/2006) und generalisierte AVK mit KHK und Status nach Oberschenkelamputation links 12/2001" ausgeführt worden, dass aufgrund der Oberschenkelamputation Tätigkeiten fast ausschließlich nur im Sitzen ausgeübt werden könnten, zumal aufgrund der gegenwärtigen Erkrankung eine Prothese nur bedingt getragen werden könne und neu angepasst werden müsse. Später (wenn abgesehen werden könne, dass hinsichtlich der Tumorerkrankung ein stabiler Krankheitsverlauf bestehe) könne durch die Ausstattung mit einer elektronischen Beinprothese das Leistungsbild dahingehend verbessert werden, dass leichte Tätigkeiten auch etwas häufiger im Gehen oder Stehen verrichtet werden könnten. Für die Tätigkeit als Gastwirt wurde ein unter dreistündiges Leistungsvermögen angegeben. Für leichte Tätigkeiten, die zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen und ständig im Sitzen und in Tagesschicht ausgeübt würden, wurden drei bis unter sechs Stunden als noch zumutbar angesehen. Im Bericht wurde ausgeführt, dass bei optimalem Krankheitsverlauf (eventuell nach Anpassung einer elektronischen Beinprothese und ggf. regelmäßigem Tragen einer Bruchbinde) es vorstellbar wäre, dass der Patient eine Leistungsfähigkeit wiedererlange, welche es ihm ermögliche, körperlich leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich durchzuführen. Der weitere Verlauf bleibe jedoch zunächst abzuwarten. Die Entlassung erfolgte als arbeitsunfähig. Die F.klinik Bad B. gab in ihrem Bericht vom 22.09.2008 ein Magenkarzinoid, einen Zustand nach Hemihepatektomie links 22.02.2006, eine Lebermetastase, eine Sandostatin-Therapie; eine Magen-Wedege-Resektion, eine Gastrektomie 06.02.2007 mit Rezidiv im Korpusbereich; eine koronare Herzkrankheit, einen Z. n. Myokarditis, einen Mitral- und Trikuspital-Klappenprolaps, rezidivierende Thromboembolien; einen Z. n. Oberschenkelamputation links 2001, eine AVK Stadium 2b rechts; eine Anämie, eine Hypertonie, eine kombinierte Niereninsuffizienz und eine Hyperurikämie an und ging auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden aus.

Einen Überprüfungsantrag des Klägers vom 29.04.2009, mit dem der Kläger die Neufeststellung des Leistungsfalles beantragt hatte, lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 26.05.2009 ab.

Vertreten durch seinen Bevollmächtigen begehrte der Kläger mit Fax vom 20.10.2009 erneut die Überprüfung des ablehnenden Rentenbescheides. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.01.2010 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass auch nach erneuter Überprüfung kein anderer Leistungsfall habe festgestellt werden können. Es verbleibe bei der vollen Erwerbsminderung ab dem 20.02.2006. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, ausweislich des Reha-Entlassungsberichtes der Klinik H. habe zu diesem Zeitpunkt noch eine Arbeitsfähigkeit von drei bis sechs Stunden bestanden. Eine volle Erwerbsminderung habe zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorgelegen. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Erwerbsminderung sei aufgrund einer Leberteilentfernung und Entfernung der Nebenniere wegen eines bösartigen Tumors mit Metastasen am 20.02.2006 eingetreten. Darüber hinaus sei schon bei der onkologischen Nachsorge vom 05.04.2006 bis 26.04.2006 kein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr beschrieben worden. Bei der zweiten onkologischen Nachsorge im Jahr 2008 habe sich die Gesamtsituation nur verschlechtert. Ab Februar 2006 habe der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht mehr konkurrenzfähig verdienen können. Der Kläger habe zwar die allgemeine Wartezeit zum 20.02.2006 erfüllt. Allerdings lägen in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor. Darüber hinaus sei auch der Zeitraum vom 01.01.1984 bis 2005 nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären nur dann erfüllt, wenn der Leistungsfall frühestens im April 2008 eingetreten wäre.

Hiergegen hat der Kläger am 04.06.2010 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und zur Begründung erneut auf den Reha-Entlassungsbericht der Klinik H. betreffend den Zeitraum vom 05.04. bis 26.04.2006 verwiesen, wonach auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen eine Leistungsfähigkeit von drei bis unter sechs Stunden beschrieben worden sei. Erst die F.klinik Bad B. sei in ihrem Entlassungsbericht vom 22.09.2008 zu dem Ergebnis gelangt, dass nunmehr eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden bestehe. Es sei daher von einem Leistungsfall am 15.08.2008 (Termin der Beendigung der Reha-Maßnahme) auszugehen.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen eines fachinternistischen Gutachtens von Priv.-Doz. Dr. G. In dem zusammen mit der Assistenzärztin Dr. L. erstatteten Gutachten vom 27.12.2010 hat er ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen und den Angaben des Klägers ab Februar 2006 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angenommen werden könne. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf einen zeitlichen Umfang von unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne im Verlauf des Jahres 2008 angenommen werden. Eine exakte Datierung könne rückblickend nicht erfolgen. Nach dem Reha-Entlassungsbericht hätten im Juli 2008 Tätigkeiten bis drei Stunden verrichtet werden können. Rentenrelevant sei dafür die chronisch fortschreitende periphere arterielle Verschlusskrankheit gewesen und nicht das metastasierte Magenkarzinoid, welches sich aktuell in Remission befinde. Im Verlaufe des Jahres 2008 sei es bezüglich der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit zu einer allmählichen aber deutlichen Progredienz mit einer Zunahme der Claudicatio-intermittens-Symptomatik und einer signifikanten Abnahme der schmerzfreien Gehstrecke auf wenige Meter gekommen.

Das SG hat darüber hinaus Beweis erhoben durch das Einholen einer sachverständigen Zeugenaussage beim Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. E. Wegen der gemachten Angaben wird auf Blatt 102 der Gerichtsakte verwiesen.

Mit Urteil vom 30.08.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine volle Erwerbsminderung wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bereits im Februar 2006 eingetreten sei. Zwar sei grundsätzlich zwischen dem Eintritt der teilweisen und dem Eintritt der vollen Erwerbsminderung zu unterscheiden. Aufgrund der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes sei der Eintritt der vollen Erwerbsminderung aber ebenfalls auf den Februar 2006 zu datieren, unabhängig davon, ob das tatsächlich bestehende Leistungsvermögen unter drei Stunden abgesunken gewesen sei. Die bestehende teilweise Erwerbsminderung schlage in diesem Fall in die volle Erwerbsminderung durch. Es komme daher nicht entscheidungserheblich darauf an, wann das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden abgesunken sei.

Gegen das ihm am 07.09.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.09.2011 Berufung eingelegt.

Seines Erachtens komme es entscheidend darauf an, auf welchen Zeitpunkt der Leistungsfall datiert werde. Für einen Zeitraum ab April 2008 bestehe ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, weil zu diesem Zeitpunkt dann auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der 3/5-Belegung erfüllt seien. Das SG schließe zu Unrecht aus der Tatsache, dass im Versicherungsverlauf keine Versicherungspflichtzeiten aufgrund einer Beschäftigung ab dem Jahr 2006 aufgeführt seien, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen gewesen sei. Zu seinen Lasten könne nicht der Schluss auf einen verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt gezogen werden, weil nämlich nicht festgestellt sei, ob seitens des Rentenversicherungsträgers oder der Agentur für Arbeit für den Kläger überhaupt eine entsprechende Teilzeitarbeitsstelle gesucht worden sei. Es werde die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes einfach nur dadurch unterstellt, dass er in dieser Zeit Arbeitslosengeld II bezogen habe und keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei. Es sei jedoch nicht aufgeklärt worden, inwieweit das Jobcenter vergeblich versucht habe, Teilzeitarbeitsplätze zu vermitteln. Für die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes trage die Beklagte die objektive Beweislast.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. August 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Januar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 2010 und unter Abänderung des Bescheides vom 14. Oktober 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnend am 1. September 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass sich bereits dem Entlassungsbericht der Klinik H. entnehmen lasse, dass zum Entlassungszeitpunkt kein verwertbares Restleistungsvermögen mehr vorhanden gewesen sei und lediglich eine vage Prognose eine eventuelle Besserungsmöglichkeit gesehen habe. Dass der Teilzeitarbeitsmarkt für männliche Versicherte im letzten Jahrzehnt verschlossen gewesen sei, sei allgemein bekannt und bedürfe daher nicht des Nachweises im Einzelfall.

Der Kläger hat ergänzend vorgetragen und darauf hingewiesen, dass sich dem Gutachten von Dr. G. entnehmen lasse, dass er den Haushalt problemlos über vier Stunden habe versorgen können, auch habe er einkaufen können und aktiv an einem Umzug sowie in dem Gastronomiebetrieb des Bruders mithelfen können. Er sei stundenweise als Aushilfe vor allem an den Wochenenden tätig gewesen. Damit wäre es ihm möglich gewesen, zwischen drei bis unter sechs Stunden beispielsweise als Haushaltshilfe unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Bevollmächtigen des Klägers vom 25.10.2012, Schriftsatz der Beklagten vom 12.02.2013).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), nachdem die Ablehnung der Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit Bescheid vom 14.10.2008 bestandskräftig geworden war, weil der Kläger Widerspruch hiergegen nicht eingelegt hatte.

Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn und soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen wurde, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht wurden. § 44 Abs. 4 SGB X bestimmt, dass ein Anspruch auf Auszahlung der Rente nur für die letzten vier Jahre vor der Antragstellung (gerichtet auf die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides) geltend gemacht werden kann. Maßgeblich ist daher, ob die Beklagte bei Erlass der Entscheidung vom 14.10.2008 und unter Geltung der damaligen Rechtslage (vgl. BSG Urteil v. 01.12.1999, B 5 RJ 20/98 R, in Juris) das Recht unrichtig angewandt hat, wobei die objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen unrichtiger Sachverhaltsannahme ergeben sollen, beim Antragsteller/Kläger liegt (Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 44 Rn. 12).

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Artikel 1 Nr. 12 RVV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Unter Berücksichtigung des vorliegenden Entlassungsberichts der Reha-Klinik St. G. H. und des Gutachtens von Priv.-Doz. Dr. G. ist das Leistungsvermögen des Klägers auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt spätestens im Februar 2006 in rentenberechtigendem Grad gemindert. Der Senat kann insoweit offen lassen, ob zum damaligen Zeitpunkt volle Erwerbsminderung schon aus gesundheitlichen Gründen anzunehmen war. Hierfür sprechen die Ausführungen im Entlassungsbericht der Reha-Klinik St. G., der zwar insoweit etwas widersprüchlich ist, als er unter B.1 (positives und negatives Leistungsbild) leichte, zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen und ständig im Sitzen auszuübende Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch für drei bis unter sechs Stunden als möglich angegeben hat. Denn schon der Beschreibung des Leistungsbildes unter B.3 lässt sich entnehmen, dass es sich dabei nur um eine Prognose gehandelt hat, die für ein häufigeres Gehen und Stehen die Versorgung mit einer elektronischen Beinprothese voraussetzte. Schließlich wurde in der sozialmedizinischen Epikrise darauf hingewiesen, dass die körperliche Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war und auch längerfristig eine Tätigkeit als selbstständiger Gastwirt nicht mehr möglich sein werde. Nur bei einem optimalen Krankheitsverlauf und Anpassung einer elektronischen Beinprothese sowie einem regelmäßigen Tragen einer Bruchbinde sei überhaupt vorstellbar, dass der Kläger ein Leistungsvermögen wiedererlange, welches es ihm ermögliche, körperlich leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich durchzuführen. Es ist zudem vermerkt worden, dass auch der Kläger selbst erhebliche Zweifel daran hatte, sein Leistungsvermögen zumindest insoweit bessern zu können, als dass dadurch wenigstens ausschließlich sitzende Tätigkeiten drei- bis sechsstündig möglich sein würden. Für ein unter dreistündiges Leistungsvermögen spricht zudem, dass zu diesem Zeitpunkt eine Vielzahl von nicht unerheblichen Vorerkrankungen bestanden, die sich ebenfalls schon qualitativ nicht unerheblich auswirkten. Denn nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. G. bestehen schon seit 1998 arterielle Durchblutungsstörungen in beiden Beinen, weshalb die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach der Einschätzung des Dr. M. (Sozialmedizinisches Gutachten vom 26.11.1998) schon damals auf nur noch leichte, überwiegend im Sitzen auszuführende Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes eingeschränkt war. Schon damals waren mehrfache Embolien aus einem Thrombus des linken Herzventrikels aufgetreten, die operative Eingriffe erforderlich gemacht haben. Am 27.12.2001 wurde nach einer kompletten Ischämie des linken Beines dieses im Oberschenkel amputiert. Schließlich wurde im Rahmen einer Koloskopie im Februar 2006 ein Magentumor nachgewiesen und aufgrund aufgetretener Metastasen eine Leberteilresektion vorgenommen. Der Senat hält unter Berücksichtigung dessen die im Reha-Entlassungsbericht anklingende Erwerbsminderung auf unter drei Stunden zum Entlassungszeitpunkt, die zudem als arbeitsunfähig erfolgte, für plausibel und dem damaligen Gesundheitszustand Rechnung tragend. Soweit Priv.-Doz Dr. G. in seinem Gutachten die Auffassung vertritt, eine volle Erwerbsminderung habe zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Reha-Klinik St. G., H. noch nicht bestanden und sich dabei wesentlich auch auf die Angaben des Klägers stützt, der angeblich sich selbst und den Haushalt täglich über vier Stunden versorgen und Einkäufe erledigen konnte sowie zweimal wöchentlich schwimmen gewesen sei, vermag dies den Senat nicht vollständig davon zu überzeugen, dass aufgrund dieser Schilderungen auch angenommen werden kann, dass der Kläger einer Teilzeitbeschäftigung in einem Umfang von mehr als drei Stunden am Tag tatsächlich gewachsen gewesen wäre.

Geht man aber mit Priv.-Doz. Dr. G. davon aus, dass erst die im Verlauf des Jahres 2008 mit einer deutlichen Progredienz einhergehende vorbestehende periphere arterielle Verschlusskrankheit ein Ausmaß erreicht hat, welches zusammen mit den bereits beschriebenen Einschränkungen die Annahme einer vollen Erwerbsminderung mit einem Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden am Tag selbst für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes rechtfertigt, ergibt sich dadurch kein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, etwa ab Beginn der medizinischen Rehabilitation in der F.klinik Bad B. am 25.07.2008.

Mit Priv.-Doz. Dr. G. (und vom Kläger selbst auch nicht in Zweifel gezogen) steht jedenfalls zunächst fest, dass das Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit der Leberteilentfernung und der Entfernung der Nebennieren wegen eines bösartigen Tumors und Metastasen am 22.02.2006 dauerhaft auf weniger als sechs Stunden abgesunken war und sich der Gesundheitszustand danach auch nicht zeitweise wieder soweit gebessert hatte, dass zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr am Tag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche ausgeübt werden konnten. Ausgehend von der damit im Februar 2006 dem Grunde nach bestehenden, rentenrechtlich auch relevanten Erwerbsminderung sind jedoch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt, weil zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren. In dem zugrunde zu legenden Fünfjahreszeitraum vom 22.02.2001 bis zum 21.02.2006 liegen keine 36 Monate mit Pflichtbeiträgen vor, sondern lediglich 14 Monate aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II im Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum Monat des Leistungsfalles (vgl. Versicherungsverlauf vom 28.10.2010). Verlängerungstatbestände des § 43 Abs. 4 SGB VI liegen insoweit nicht vor, weil der letzte Pflichtbeitrag vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II durch den Bezug von Krankengeld im September 1996 nachgewiesen wurde und der Kläger danach rentenversicherungsrechtlich unversichert selbstständig als Gastronom tätig gewesen ist, und damit eine Unterbrechung im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI nicht vorgelegen hat. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB VI wären unter Berücksichtigung des vorgelegten Versicherungsverlaufes nur dann erfüllt, wenn der Versicherungsfall erst im bzw. ab April 2008 eingetreten wäre. Schließlich ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit auch nicht nach § 43 Abs. 5 SGB VI entbehrlich ist. Danach ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (z.B. Arbeitsunfall, Wehr- oder Zivildienstbeschäftigung; § 53 SGB VI). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Auch die Tatbestände des § 241 Abs. 2 SGB VI sind nicht erfüllt, denn der Kläger hat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung nicht jeden Kalendermonat mit Anwartschaftserhaltungszeiten gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 SGB VI belegt (so liegen insbesondere im Zeitraum von Oktober 1996 bis Dezember 2004 keine Monate mit Pflichtbeiträgen vor).

Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen des Versicherungsfalles im Februar 2006 nicht vor, ergibt sich ein solcher Anspruch nicht deshalb, weil spätestens im Juli 2008 (bei dann erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) das Leistungsvermögen des Klägers nochmals abgesunken und nun eine volle Erwerbsminderung aus nicht arbeitsmarktbedingten Gründen anzunehmen wäre. Denn selbst wenn man - wie der Kläger meint - zunächst rein formal "nur" von einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgehen wollte, die aufgrund der Arbeitsmarktlage in eine volle Rente wegen Erwerbsminderung durchgeschlagen hätte, ergibt sich mit der im Reha-Entlassungsbericht der F.klinik dokumentierten Verschlechterung und der dort angenommenen Leistungsfähigkeit von nunmehr weniger als drei Stunden kein neuer Versicherungsfall einer Rente wegen Erwerbsminderung (so der erkennende Senat schon in seinem Beschluss vom 13.08.2014, L 9 R 1721/14, in Juris).

Mit "Versicherungsfall" werden die Ereignisse im Leben des Versicherten bezeichnet, gegen deren Nachteile er oder seine Hinterbliebenen durch die Versicherung geschützt werden sollen (BSGE 20, 48, 50). Für die spezifische Leistungsart einer "Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI a.F." gilt wie auch für die Leistungsart der "Rente wegen voller Erwerbsminderung" nach § 43 SGB VI n.F., dass Anspruch auf diese Rente derjenige hat, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat und erwerbsunfähig nach altem bzw. erwerbsgemindert nach neuem Recht ist (vgl. Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.06.2010, L 21 R 1203/07, in Juris). Dieser Versicherungsfall der Erwerbsminderung ist im Februar 2006 eingetreten. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. nur die Beschlüsse des Großen Senats vom 11.12.1969 - GS 4/69 - und vom 10.12.1976 - GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - noch zu den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, in Juris) ist auch dann Erwerbsunfähigkeit des Versicherten anzunehmen, wenn dieser zwar noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bis zu acht Stunden täglich erwerbstätig sein kann, er jedoch - wie im vorliegenden Fall - keinen entsprechenden Arbeitsplatz inne hat und ihm der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist. Diese konkrete Betrachtungsweise sollte nach dem Willen des Gesetzgebers wegen der ungünstigen Arbeitsmarktsituation auch nach dem 31.12.2000 (Gürtner, Kasseler Kommentar, Stand Juni 2014, § 43 Rn 30 m.w.N.; vgl. Art. 2 Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit [BGBl. I, 1827]) weitergelten. Das BSG hat darüber hinaus bereits entschieden, dass bei der sogenannten arbeitsmarktabhängigen Erwerbsunfähigkeit die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bei jeder quantitativen Leistungseinschränkung zu berücksichtigen ist und bei rückwirkender Prüfung der Arbeitsmarktlage der Nachweis solcher konkreter Vermittlungsbemühungen nicht mehr erforderlich ist (Urteil vom 17.06.1993, 13 RJ 1/92, Urteil vom 08.09.2005, B 13 RJ 10/04 R, beide in Juris). Schließlich hat das BSG in der erstgenannten Entscheidung auch nochmals dargelegt, dass es "auch für die Gewährung einer Zeitrente, die bei der wie hier streitigen Feststellung von BU bzw. EU im Regelfall nur aufgrund der Arbeitsmarktlage in Betracht kommt (§ 1276 Abs. 1 Satz 2 RVO), in ständiger Rechtsprechung von einem einheitlichen Versicherungsfall der BU/EU" ausgeht.

Damit ist auch nicht auf einen weiteren Leistungsfall der - jetzt nur medizinisch bedingten - vollen Erwerbsminderung abzustellen oder ein solcher neu zu prüfen oder zu berücksichtigen. So stellt § 101 Abs.1 SGB VI für die Frage des Beginns und der Änderung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf den Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit ab, ohne diesen Begriff zu definieren. Übereinstimmend in Rechtsprechung und Literatur versteht man unter Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Kenntnissen und körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen (vgl. BSGE 28, 18). Der Begriff beinhaltet in der gesetzlichen Rentenversicherung die Beeinträchtigung des beruflichen Leistungsvermögens und die Fähigkeit des Versicherten zum Erwerb von Einkünften durch eine Beschäftigung oder Tätigkeit. Hierbei sind aber nicht ausschließlich Kriterien zu beachten, die mit dem Gesundheitszustand des Versicherten in unmittelbarem Zusammenhang stehen. So ist bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit für die Frage des Vorliegens einer Minderung der Erwerbsfähigkeit zu prüfen, ob ein zumutbarer Verweisungsberuf besteht. Ist der Versicherte aus medizinischer Sicht nur teilweise erwerbsgemindert, kommt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage in Betracht (sog. konkrete Betrachtungsweise, vgl. BT-Drs. 14/4230 S. 23). Anders als im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, das grundsätzlich eine abstrakte Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit für einen Anspruch auf Verletztenrente beinhaltet und dabei ausschließlich auf die gesundheitlich bedingten Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund eines Versicherungsfalls abstellt (vgl. § 56 SGB VII), sieht die gesetzliche Rentenversicherung die konkrete Betrachtungsweise vor, bei der neben den bei dem Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen auch der beruflichen Werdegang, die Arbeitsmarktlage und die konkrete Beschäftigungssituation zu berücksichtigen sind (vgl. insoweit schon LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Deshalb bestand der Zustand der vollen Erwerbsminderung ab 22.02.2006 und über den April 2008 bzw. den während des Aufenthaltes in der F.klinik dokumentierten Einschränkungen hinaus fort, wobei unerheblich ist, worauf die volle Erwerbsminderung letztlich beruht. Entscheidend ist insoweit allein die Rechtsfolge, nämlich die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Dass sich der Gesundheitszustand des Klägers in der Zeit zwischen dem 22.02.2006 und dem Aufenthalt in der F.klinik so weit gebessert haben könnte, dass der Kläger wieder vollschichtig einsatzfähig war, ist substantiiert nicht geltend gemacht worden und durch die überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen widerlegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers auch im Berufungsverfahren.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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