L 3 SB 2494/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 925/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2494/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der Beklagte hatte bei dem am 02.11.1951 geborenen Kläger in Auswertung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Arztes T. vom 17.06.2008, in der als Behinderungen eine Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 20 eingeschätzt worden waren, mit Bescheid vom 24.06.2008 den GdB mit 20 seit 15.04.2008 festgestellt.

Der Kläger beantragte am 04.05.2010 die Neufeststellung des GdB und legte dabei diverse ärztliche Unterlagen vor. Der Beklagte holte Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. B. ein und zog über ihn sowie über die Abteilung Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des Klinikums der A.-Universität F., weitere ärztliche Unterlagen bei. Dr. B. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.09.2010 die Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche mit einem Einzel-GdB von 30, einen Bandscheibenschaden, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20, psychovegetative Störungen mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine chronische Magenschleimhautentzündung mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Mit Bescheid vom 04.10.2010 hob der Beklagte den Bescheid vom 24.06.2008 auf und stellte den GdB mit 40 seit 04.05.2010 fest.

Im Widerspruchsverfahren hielt Dr. K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.11.2010 an der bisherigen GdB-Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 40 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers wieder.

Hiergegen hat der Kläger am 22.02.2011 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben.

Das Sozialgericht hat zunächst die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde und Unfallchirurg Dr. J. hat angegeben, der Kläger sei zuletzt im März 2009 von seinem Praxisvorgänger Dr. B. behandelt worden. Der Orthopäde und Unfallchirurg Dr. B. hat ausgeführt, er habe den Kläger einmal im Juli 2010 wegen Halswirbelsäulen-Beschwerden behandelt. Die auf die Halswirbelsäule bezogenen Gesundheitsstörungen seien als mittelgradig zu bezeichnen und mit einem Einzel-GdB von 20 zu beziffern. Sodann hat der Kläger das sozialmedizinische Gutachten von Dr. B., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung B., vom 27.08.2010 vorgelegt, in dem rezidivierende Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulen-Syndrome, eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits und rezidivierende Gastroduodenitiden diagnostiziert worden sind. Ferner hat das Sozialgericht die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat unter Vorlage von Sprachaudiogrammen und Tympanogrammen eine mittel- bis hochgradige Schwerhörigkeit beidseits sowie einen Tinnitus beschrieben und den Einzel-GdB hierfür mit 55 eingeschätzt. Dr. R. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.01.2012 weitere Ermittlungen vorgeschlagen. Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. Dipl.-Psych. K.-H. mitgeteilt, der Kläger sei ihr nicht bekannt.

Sodann hat das Sozialgericht von Amts wegen das hals-nasen-ohren-ärztliche Gutachten des Dr. W. vom 17.07.2012 eingeholt. Der Sachverständige hat einen beidseitigen Hörverlust in Höhe von 50% beschrieben und hieraus einen Einzel-GdB von 30 abgeleitet. Er hat ferner ausgeführt, der vom Kläger angegebene Tinnitus führe zu keiner nennenswerten Beeinträchtigung im Sinne von Konzentrations- oder Einschlafstörungen, so dass der Einzel-GdB hierfür auf 0 festzulegen sei. Im weiteren Verlauf hat der Kläger den ärztlichen Entlassungsbericht von Dr. B.-F., B.-Klinik B., vom 23.10.2012 vorgelegt, in dem anhaltende Lumboischialgien rechts bei fortgeschrittener Degeneration L4 bis S1 und eine depressive Verstimmung diagnostiziert worden sind.

Daraufhin hat das Sozialgericht von Amts wegen das orthopädische Gutachten des Dr. Dr. S. vom 23.01.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom im Bereich der Lendenwirbelsäule mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen beschrieben und hierfür einen Einzel-GdB von 20 angesetzt. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des Einzel-GdB-Wertes von 30 für das hals-nasen-ohren-ärztliche Fachgebiet sei, da die einzelnen Erkrankungen sich nicht gegenseitig beeinflussten, der Gesamt-GdB mit 50 einzustufen. Dr. Hartwig hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.03.2013 an der bisherigen GdB-Beurteilung festgehalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.05.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, bei einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom in einem Wirbelsäulenabschnitt, nämlich der Lendenwirbelsäule, mit mittelgradig funktionellen Auswirkungen, sei dem Sachverständigen Dr. Dr. S. zuzustimmen, dass hierfür ein Einzel-GdB von 20 festzustellen sei. Höhere Feststellungen verböten sich aufgrund der fehlenden Behandlungsintensität, der fehlenden Nachweisbarkeit von Beschwerden in der Halswirbelsäule im Rehabilitationsverfahren, der Diskrepanzen in den Angaben des Klägers sowie der fehlenden Nachweise höhergradiger Funktionsbeeinträchtigungen und stärkerer Behinderungen im Rahmen der Begutachtung. Es hat in Bezug auf das hals-nasen-ohren-ärztliche Fachgebiet ausgeführt, dem Gutachten des Dr. W. sei wegen der umfangreicheren und präziseren Befunderfassung Folge zu leisten, so dass der beidseitige Hörverlust von 50% mit einem Einzel-GdB von 30 zu beurteilen sei. Dem Sachverständigen sei auch darin zu folgen, dass beim Kläger infolge des Tinnitusleidens keine nennenswerte Beeinträchtigung vorliege. Konzentrations- und Einschlafstörungen seien nicht benannt worden. Ferner hat das Sozialgericht dargelegt, Kopfschmerzen würden bei der GdB-Beurteilung nicht berücksichtigt, da sie im Regelfall medikamentöser Behandlung gut zugänglich beziehungsweise Ausdruck anderer zu Grunde liegender Organerkrankungen seien. Eine depressive Störung könne nicht als ernsthafte chronische Erkrankung mit bleibender Behinderung bei Funktionseinbußen im Alltags- und Berufsleben festgestellt werden, da sich der Kläger während des gesamten, sich über Jahre hinwegziehenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens nicht in regelmäßiger Facharztbehandlung befunden habe. Zwar sei im Entlassungsbericht der B.-Klinik B. eine depressive Entwicklung benannt, der Kläger sei aber bei allen seinen behandelnden Ärzten und bei den beiden Gutachtern nicht als depressiv aufgefallen. Auch die vom Kläger benannten Schulterbeschwerden oder der von ihm aufgeführte Bluthochdruck seien nicht nachgewiesen beziehungsweise von den behandelnden Ärzten ausdrücklich als nicht bestehend beschrieben worden. Die als chronisch beschriebene Magenschleimhautentzündung werde vom Beklagten mit einem Einzel-GdB von 10 hinreichend hoch festgestellt. Unter Berücksichtigung aller Einzel-GdB-Werte komme kein höherer Gesamt-GdB als 40 in Betracht. Zwar sei dem Sachverständigen Dr. Dr. S. insoweit zuzustimmen, dass sich die Erkrankungen auf orthopädischem und hals-nasen-ohren-ärztlichem Fachgebiet nicht überschnitten. Nichts desto trotz führe dies nicht zu einer reinen Addition der Einzel-GdB-Werte. Denn bei mehreren vorliegenden Behinderungen sei nur eine anteilige Erhöhung des Gesamt-GdB vorzunehmen.

Gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat der Kläger am 14.06.2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er hat darauf hingewiesen, er sei der deutschen Sprache nur mangelhaft mächtig, was sich auch aus dem Entlassungsbericht der B.-Klinik B. ergebe. Dieser Gesichtspunkt sei im Hinblick auf die Bewertung seiner Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche wichtig. So sei das Tonaudiogramm dann zur Bemessung der Schwerhörigkeit heranzuziehen, wenn eine Sprachgehörprüfung, beispielsweise bei Ausländern, gar nicht möglich sei. Es bestünden daher Zweifel an der Verwertbarkeit der angefertigten Sprachaudiogramme. Die Schwerhörigkeit sei daher mit einem Einzel-GdB von mehr als 30 zu bewerten. Hinsichtlich der Wirbelsäulenbeeinträchtigung sei darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige Dr. Dr. S. eine Seitneigung der Halswirbelsäule beidseits mit 10 Grad festgestellt habe, was einer schweren Funktionseinschränkung gleich komme. Hinzu komme, dass eine Rotation von 50 Grad eine mittelgradige Bewegungseinschränkung darstelle. Es sei nicht nachvollziehbar, dass dieser Umstand nicht angemessen als mittelgradig bewertet werde. Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei demnach, da zwei Wirbelsäulenabschnitte mittelgradig betroffen seien, von einem Einzel-GdB von 30 auszugehen. Ferner ist dargelegt worden, angesichts seiner Sprachschwierigkeiten sei eine entsprechende fachpsychiatrische Behandlung nicht möglich gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Mai 2013 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 4. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat ausgeführt, das Sozialgericht sei in Übereinstimmung mit den angegriffenen Bescheiden, gestützt auf die beiden eingeholten Gutachten von Einzel-GdB-Werten von 30 und 20 ausgegangen. Hinsichtlich einer depressiven Störung sei das Sozialgericht von einem vorübergehenden Ereignis ausgegangen, während er für psychovegetative Störungen einen Einzel-GdB von 10 angesetzt habe, der sich auf den Gesamt-GdB nicht auswirke.

Der Senat hat Dipl.-Psych. A. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat dargelegt, der Kläger habe bei ihr von Januar bis September 2013 regelmäßig psychotherapeutische Gespräche wahrgenommen. Im November 2013 habe das Abschlussgespräch stattgefunden. Der Kläger leide insbesondere an einer mittelgradigen depressiven Störung mit somatischem Syndrom. Die emotionale Bewältigung und Verarbeitung der belastenden Situation zu Hause durch die Betreuung seiner pflegebedürftigen Ehegattin sei aufgrund dem eingeschränkten deutschen Sprachverständnis und Reflektionsvermögen nur geringfügig möglich gewesen, so dass die körperlichen Beschwerden in Form von Magenschmerzen, rascher Erschöpfbarkeit und Schlafstörungen sowie die psychischen Beschwerden in Form von Konzentrationsproblemen, Resignation und Hilflosigkeit am Ende unverändert vom Kläger berichtet worden seien. Durch die Arbeitsentlastung bei zweijähriger Arbeitslosigkeit sei die orthopädisch bedingte Schmerzsymptomatik ohne regelmäßigen Schmerzmittelgebrauch aushaltbar. Der Kläger versuche, das Bewegungs-Training aufrechtzuerhalten, und gehe regelmäßig schwimmen. Eine medikamentöse antidepressive Therapie sei versucht, aber nicht kontinuierlich eingehalten worden. Hierzu hat Dr. G. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.02.2014 dargelegt, diese Angaben reichten nicht aus, um von einer dauerhaft höhergradigen Beeinträchtigung durch die depressive Symptomatik mit wesentlichen Auswirkungen auf die Alltagsbewältigung und das psychosoziale Umfeld ausgehen zu können.

Der ehemalige Berichterstatter hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert.

Der Kläger hat von seiner ursprünglichen Absicht, die Einholung eines Gutachtens auf eigenes Kostenrisiko zu beantragen, wieder Abstand genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgericht (SGG) statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat auf-grund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhand-lung entschieden hat, ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialge-richts Freiburg vom 23.05.2013, mit dem die Klage des Klägers gegen den Bescheid des Be-klagten vom 04.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2011 abgewiesen worden ist. Der Kläger erstrebt nach richtiger Auslegung seines Klagebegehrens die Aufhebung dieses Bescheides, soweit der Beklagte bei ihm den GdB auf weniger als 50 festgestellt hat, und die Verpflichtung des Beklagten, bei ihm den GdB mit 50 festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt der Kläger zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzu-heben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgele-gen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Ge-samt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gelten für die Bemessung des GdB folgende Grundsätze (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris, mit weiteren Nachweisen):

Nach § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Ver-fahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 S. 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zeh-nergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 23.04.2004 (BGBl. I 606) gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maß-stäbe entsprechend. Durch diesen Verweis wird auf die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festge-legten Maßstäbe für das versorgungsrechtliche Bewertungssystem abgestellt, dessen Ausgangs-punkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden im Sinne der Nr. 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Von diesem leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ab. Gemäß § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX in der Fassung vom 13.12.2007 (BGBl. I 2904) wird zusätzlich auf die aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG (bis zum 30.06.2011) beziehungsweise des § 30 Abs. 16 BVG (ab dem 01.07.2011) erlassene Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) Bezug genommen, so dass ab 01.01.2009 die VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, anstelle der AHP Grundlage für die Feststellung des GdB ist. Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grunds-ätze" (VG) veröffentlicht worden, in denen unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind nach Teil A Nr. 2 VG auch für die Feststellung des GdB maßgebend.

Die AHP und die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Viel-mehr ist die GdB-Bewertung auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Her-anziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den AHP und der VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - nach Teil A Nr. 19 Abs. 1 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. a VG in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind nach Teil A Nr. 19 Abs. 2 AHP und Teil A Nr. 3 Buchst. b VG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der AHP und der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend.

Im vorliegenden Fall ist bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X der Zeitraum ab der letztmaligen Feststellung des Gesamt-GdB mit Bescheid vom 24.06.2008 zu beurteilen. Formal betrachtet sind bis zum 31.12.2008 die AHP und ab dem 01.01.2009 die VG heranzuziehen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Sozialgericht zutreffend dargelegt, dass beim Kläger eine wesentliche Änderung der Gesundheitsverhältnisse nur insoweit eingetreten ist, als der Gesamt-GdB von 20 auf jetzt 40 heraufzusetzen war.

Zutreffend hat das Sozialgericht in Auswertung des schlüssigen und gut nachvollziehbaren Gut-achtens des Dr. W. dargelegt, dass im Bereich des Funktionssystems "Ohren" nach Teil B Nr. 5.2.4 VG der Einzel-GdB mit 30 und nicht, wie Dr. K. vorgeschlagen hat, mit 55 einzuschätzen ist. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung gemäß § 153 Abs. 2 SGG unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides zur Vermeidung von Wiederholungen an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Der Senat teilt die Ansicht des Klägers, die aufgrund der angefertigten Sprachaudiogramme erfolgte gutachterliche Einschätzung seiner Schwerhörigkeit sei wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht verwertbar, nicht. Im Entlassungsbericht der B.-Klinik B. ist lediglich darauf hingewiesen worden, dass der psychische Befund des Klägers auf Grund schlechter Sprachkenntnisse nicht beurteilbar gewesen sei. Hieraus schließt der Senat aber nicht, dass die vom Gutachter vorgenommene Sprachgehörprüfung wegen etwaiger Sprachschwierigkeiten unmöglich gewesen sein soll. Denn es bedarf bei der Prüfung der Hörfähigkeit keiner besonderen Sprachkenntnisse. Der Senat ist im Übrigen davon überzeugt, dass es einem erfahrenen Sachverständigen wie Dr. W. aufgefallen wäre, wenn zur Durchführung der Hörtests die Hinzuziehung eines Dolmetschers notwendig gewesen wäre. Dass die Sprachkenntnisse des Klägers für eine einwandfreie Begutachtung ausgereicht haben, schließt der Senat auch daraus, dass sich der Kläger schon seit 1975 im Bundesgebiet befindet und damit eine für die Durchführung einer Hörprüfung ausreichende deutsche Sprachfertigkeit erworben haben dürfte. In diesem Zusammenhang hat auch Dr. Dr. S. in seinem Gutachten dargelegt, dass der Kläger bei entsprechender Lautstärke auf alle Fragen hat Auskunft geben und die Verständigung in der deutschen Sprache ohne Fehlerquellen hat durchgeführt werden können.

Der Senat folgt dem Sozialgericht auch insoweit, als es im Bereich des Funktionssystems "Rumpf" von einem Einzel-GdB von 20 ausgegangen ist, und verweist auch in diesem Zusammenhang gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides. Aus dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren ergibt sich keine andere Bewertung. Der Sachverständige Dr. Dr. S. hat die von ihm erhobenen Befunde zutreffend ausgewertet. Die von ihm vorgenommene Einschätzung, es handele sich um einen nach Teil B Nr. 18.9 VG mit einem GdB von 20 zu bewertenden Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt ist zutreffend. Neben der von ihm beschriebenen eingeschränkten Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule mit Fuß- und Großzehenheberschwäche rechts und einem sensiblem Defizit im Dermatom L5 rechts liegt kein GdB-relevanter Schaden im Bereich der Halswirbelsäule vor. So sind zwar im Bereich der Halswirbelsäule Bewegungsmaße beim Rechts-Links-Drehen von 50 Grad (Normalmaß 60-80 Grad), Rückneigen bis zur Stirnfläche von 80 Grad (Normalmaß beim Rückneigen bis zur Kopfmitte 40-50 Grad) und beim Seitneigen von 10 Grad (Normalmaß 30-40 Grad) gemessen worden. Aus der etwas stärkeren Einschränkung beim Seitneigen auf eine mittelgradige Einschränkung im Bereich der Halswirbelsäule zu schließen, verbietet sich jedoch schon vor dem Hintergrund, dass nach den Angaben des Dr. Dr. S. die im Rahmen der gezielten Untersuchung erhobenen Befunde nicht mit der praktisch freien Entfaltbarkeit beim unbeobachteten Entkleiden vor der Untersuchung korrelliert haben. Im Übrigen sind die angefertigten Röntgenbilder der Halswirbelsäule vom Sachverständigen als unauffällig beurteilt worden, so dass die vom Kläger bei der Messung demonstrierten Bewegungseinschränkungen kein objektives Korrelat haben. Hierzu passt auch, dass der Kläger bei der Anamnese keine Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäue angegeben hat.

Im Bereich des Funktionssystems "Gehirn einschließlich Psyche" lässt sich allenfalls ein Einzel-GdB von 10 abbilden. Zutreffend hat das Sozialgericht auf die fehlende regelmäßige fachärztliche Behandlung einer psychischen Erkrankung hingewiesen. Aus dem Hinweis des Klägers, wegen seiner Sprachschwierigkeiten sei eine entsprechende fachpsychiatrische Behandlung nicht möglich gewesen, ergibt sich nichts Anderes. Auch in diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass nicht von derart gravierenden Sprachschwierigkeiten ausgegangen werden kann, dass der Kläger an der Durchführung einer regelmäßigen und dauerhaften fachpsychiatrischen Behandlung gehindert gewesen wäre. So hat auch Dipl.-Psych. A. lediglich dargelegt, dass die emotionale Bewältigung aufgrund des eingeschränkten deutschen Sprachverständnisses und Reflektionsvermögens nur geringfügig möglich gewesen sei. Die Durchführung einer Gesprächstherapie ist aber durchaus möglich gewesen. Die von Dipl.-Psych. A. beschriebenen psychischen Beschwerden wie Konzentrationsprobleme, Resignation und Hilflosigkeit rechtfertigen im Übrigen nach den schlüssigen Darlegungen des Dr. G. allenfalls die Annahme von nach Teil B Nr. 3.7 VG mit einem GdB von 0 bis 20 zu beurteilenden leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen. Dass dieser GdB-Spielraum nicht nach oben auszuschöpfen ist, ergibt sich daraus, dass die Gesprächstherapie schon wieder nach knapp einem Jahr hat abgeschlossen werden können und vom Kläger eine medikamentöse antidepressive Therapie nicht kontinuierlich eingehalten worden ist, so dass sich ein einen höheren Einzel-GdB als 10 bedingender Leidensdruck nicht objektivieren lässt.

Zusätzlich ist - vom Sozialgericht zutreffend dargelegt und vom Kläger auch nicht angegriffen - wegen der festgestellten chronischen Magenschleimhautentzündung für das Funktionssystem "Verdauung" ein Einzel-GdB-Wert von 10 zu berücksichtigen. Ferner hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, wegen eines Bluthochdrucks und Schulterbeschwerden in den Funktionssystemen "Herz-Kreislauf" und "Arme" überhaupt von einem Einzel-GdB auszugehen.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 30 für das Funktionssystem "Ohren", Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem "Rumpf", Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche", Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem "Verdauung") haben der Beklagte und das Sozialgericht den Gesamt-GdB rechtsfehlerfrei mit 40 festgestellt. Dabei sind sie nach Teil A Nr. 2 und 3 VG von der Funktionsbeeinträchtigung ausgegangen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und haben dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen geprüft, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen von Ausnahmefällen abgesehen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Dies ist beim Kläger der Fall, weil danach die neben der mit 30 zu bewertenden Funktionsbehinderung im Funktionssystemen "Ohren" und der mit 20 zu bewertenden Funktionsbehinderung im Funktionssystemen "Rumpf", die in den Funktionssystemen "Gehirn einschließlich Psyche" und "Verdauung" bestehenden Erkrankungen jeweils nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind. Bei der Bemessung des Gesamt-GdB war auch ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen. Denn nach Teil A Nr. 3 Buchst. b VG sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die beim Kläger bestehenden Erkrankungen insgesamt nicht mit Gesundheitsschäden zu vergleichen, deren Funktionsbeeinträchtigungen einen Gesamt-GdB von 50 begründen.

Mithin ist seit Erlass des Bescheides vom 24.06.2008 eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers nicht insoweit eingetreten, als der Gesamt-GdB von 20 auf mehr als 40 heraufzusetzen gewesen wäre. Der die bloße Heraufsetzung auf einen Gesamt-GdB von 40 regelnde Bescheid des Beklagten vom 04.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2011 hat sich daher als ebenso rechtmäßig erwiesen wie der die hiergegen erhobene Klage abweisende Gerichtsbescheid des Sozialgerichts.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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