L 16 R 470/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 188 R 3496/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 470/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger nach Maßgabe des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) verpflichtet ist, für den Zeitraum vom 1. Juni 1990 bis 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Der 1937 geborene Kläger absolvierte in der Zeit von 1955 bis 1958 ein Studium an der Ingenieurschule für Elektroenergie Z; ihm wurde mit Urkunde vom 4. Juli 1958 die Qualifikation als "Ingenieurökonom" zuerkannt. Nach Beschäftigungen als Ingenieur war der Kläger ab 1. Februar 1962 bei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) - Kreisleitung C - tätig und arbeitete - nach einem Studium am Institut für Gesellschaftswissenschaften (IfG) beim Zentralkomitee (ZK) der SED - ab 1. Juli 1971 beim IfG bzw bei der Akademie der Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (AdG). Am 3. April 1990 wurde die AdG in eine der - damaligen - Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) - nahestehende Stiftung umgewandelt und als Nachfolgeeinrichtung der Verein "Gesellschaftsanalyse und -theorie B e.V" gegründet. Der Kläger war dort über den 30. Juni 1990 hinaus als Dozent beschäftigt. Seine Beiträge zum Zusatzversorgungssystem Nr. 27 der Anlage 1 zum AAÜG wurden ihm bei seinem Austritt aus der Parteiversorgung am 31. Mai 1990 erstattet. Als - seinerzeit gesetzlich berufener - Zusatzversorgungsträger stellte die PDS Zugehörigkeitszeiten des Klägers zum Zusatzversorgungssystem Nr. 27 der Anlage 1 zum AAÜG vom 1. Februar 1962 bis 31. Mai 1990 fest (Bescheid vom 23. April 1999).

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 11. Oktober 2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2008, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1 AAÜG sowie Zugehörigkeitszeiten des Klägers zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG vom 1. August 1958 bis 31. Januar 1962 nebst den insoweit erzielten Entgelten fest; die Feststellung einer Zugehörigkeitszeit des Klägers zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG für die Zeit vom 1. Juni 1990 bis 30. Juni 1990 lehnte sie ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Wegen der erfolgten Beitragserstattung komme die Vormerkung einer Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 27 der Anlage 1 zum AAÜG nicht in Betracht, ebenso wenig die in einem anderen Zusatzversorgungssystem.

Die auf Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung von Zugehörigkeitszeiten nach dem AAÜG vom 1. Juni 1990 bis 30. Juni 1990 und Vormerkung der entsprechenden Entgelte gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 14. Mai 2013 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu - den hier allein in Betracht kommenden - Zusatzversorgungssystemen der Nrn. 4 bzw 27 der Anlage 1 zum AAÜG. Eine Einbeziehung in die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVI) setze voraus, dass die Beschäftigung bei einer selbständigen staatlichen Einrichtung erfolgt sei, die bei Auswahl ihrer Forschungsziele "frei" gewesen sei. Bei dem IfG bzw der AdG habe es sich indes um Forschungseinrichtungen der SED gehandelt, die den Vorgaben des ZK entsprechend darauf ausgerichtet gewesen seien, im Bereich der politischen Überzeugungsarbeit zu forschen. Letztlich habe es sich um Parteischulen gehandelt. Eine Zuordnung zum Zusatzversorgungssystem Nr. 27 der Anlage 1 zum AAÜG scheide aus, weil im Juni 1990 nach der Umwandlung in eine Stiftung die AdG nicht zu den in der Arbeitsrichtlinie über die "Freiwillige zusätzliche Altersversorgung für Mitarbeiter der SED" aufgeführten Leitungen und Einrichtungen der Partei mehr gehört habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf seine Schriftsätze vom 27. Juni 2013, 23. Dezember 2013 und 18. Juli 2014 wird Bezug genommen.

Er beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2008 zu verpflichten, Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz nebst der erzielten tatsächlichen Entgelte für die Zeit vom 1. Juni 1990 bis 30. Juni 1990 festzustellen. Der Kläger stellt hilfsweise die Beweisanträge Nrn. 1 und 2 aus dem Schriftsatz vom 18. Juli 2014.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG sowie der entsprechenden Arbeitsentgelte für den Zeitraum vom 1. Juni 1990 bis 30. Juni 1990.

Als Anspruchsgrundlage für das Recht, vom beklagten Versorgungsträger die begehrten Feststellungen zu verlangen, kommt nur § 8 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Nr. 1 AAÜG in Betracht. Danach hat die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nrn. 1 bis 27 dem Berechtigten den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG durch Bescheid bekannt zu geben, also die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, das hieraus tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, die Arbeitsausfalltage sowie nach Anwendung von §§ 6 und 7 AAÜG die sich daraus ergebenden tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer besonderen Beitragsbemessungsgrenze.

§ 8 AAÜG ist vorliegend anwendbar, weil der Anwendungsbereich des AAÜG eröffnet ist. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet (vgl § 18 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden. Die Beklagte hat dies in dem angefochtenen Bescheid zu Gunsten des Klägers mit einem gesonderten Entscheidungssatz festgestellt (vgl zur Zulässigkeit einer entsprechenden Status-Entscheidung schon BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr 2). Hiervon ist auf Grund der Tatbestands(Drittbindungs-)wirkung dieses Verwaltungsakts (vgl § 77 SGG) auch im gerichtlichen Verfahren auszugehen.

Maßstabsnorm für die begehrte Feststellung ist § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Danach gelten als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine - entgeltliche - Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist. Ob - über die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus - eine "Zeit der Zugehörigkeit" zum Versorgungssystem iS des § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im jeweils konkret in Frage stehenden Zeitraum vorgelegen hat, kann sich zunächst aus einer diesen Zeitraum mitumfassenden Versorgungszusage ergeben, die nach Art 19 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag (EV) - auch nach dem Beitritt der DDR nach Maßgabe des EV wirksam geblieben ist (vgl BSG vom 29. Juli 1997 - 4 RA 60/96 - SozR 3-8570 § 1 Nr 1). Eine derartige Versorgungszusage für den - vorliegend allein streitgegenständlichen - Monat Juni 1990 liegt nicht vor.

Beim Fehlen einer Versorgungszusage ist allein entscheidend, ob eine konkret in Frage stehende entgeltliche Beschäftigung oder Tätigkeit nach den Texten der in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG aufgelisteten Versorgungsordnungen, an die § 5 Abs. 1 AAÜG als relevante Fakten - nicht normativ (vgl zur unterschiedlichen Funktion der Versorgungsordnungen in § 1 Abs. 1 AAÜG und § 5 Abs. 1 AAÜG BSG, Urteil vom 18. Oktober 2007 - B 4 RS 28/07 R = SozR 4-8570 § 5 Nr 10) - anknüpft, zu denjenigen gehört, derentwegen ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen war (vgl BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 40/02 R = SozR 4-8570 § 5 Nr 1). Hiernach bestimmt sich beim Fehlen einer Versorgungszusage ohne das Erfordernis einer getrennten Prüfung einheitlich und gleichzeitig, ob bundesrechtlich von einer Zeit der Zugehörigkeit zum jeweiligen Versorgungssystem auszugehen ist und eine in dieser Zeit ausgeübte Erwerbstätigkeit diesem System zuzuordnen ist. Nur so kann die Zugehörigkeit zu bestimmten Versorgungssystemen zu Gunsten wie zu Lasten der Berechtigten (im "Guten wie im Schlechten") als Ausgangspunkt für die Verwirklichung des zentralen Anliegens des AAÜG dienen, alle Anspruchselemente auszusondern, die nicht auf volkswirtschaftlich sinnvoller Arbeit, sondern auf sachfremder politischer Begünstigung durch das DDR-Regime beruhen. § 5 Abs. 2 AAÜG bestätigt diese Zielsetzung. Hiernach finden die unterschiedlichen Begrenzungen der §§ 6 und 7 AAÜG kraft fiktiver Zugehörigkeit auch auf diejenigen Zeiten Anwendung, die vor der Einführung eines Versorgungssystems - und damit notwendig ohne formelle Einbeziehung der Betroffenen - in der Sozialpflichtversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zurückgelegt worden sind und in dessen sachlichen Anwendungsbereich gefallen wären, hätte das System damals bereits bestanden. Ebenso ordnet § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG mit derselben Rechtsfolge an, dass bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem ein Verlust von Anwartschaften bundesrechtlich selbst dann nicht als eingetreten gilt, wenn die Regelungen des betreffenden Systems dies vorsahen. Schließlich sind die §§ 6 und 7 AAÜG gemäß § 5 Abs. 3 Halbsatz 2 AAÜG ausdrücklich auch dann anzuwenden, wenn dem Berechtigten die zu einem System entrichteten Beiträge - wie hier - erstattet wurden (vgl insgesamt BSG, Urteil vom 30. Juni 1998 - B 4 RA 11/98 R - juris).

So wenig wie auf die durch eine konstitutive Zusage begründete formale Mitgliedschaft oder die förmlich festgestellte "Zugehörigkeit" kommt es für die Frage, ob eine Beschäftigung oder Tätigkeit in einem Versorgungssystem zurückgelegt worden ist, auf sonstige Umstände neben der Art der ausgeübten Erwerbstätigkeit an. Für die hiernach vorzunehmende Zuordnung von Beschäftigungszeiten zu einem bestimmten Versorgungssystem kommt es daher weder auf die frühere Auslegung der Versorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR oder auf deren Verwaltungspraxis an, noch haben die Beklagte und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die früheren "Ansprüche und Anwartschaften" unter Anwendung des DDR-Rechts (hier Versorgungsrechts) zu prüfen. Zugehörigkeitszeiten iS des § 5 AAÜG liegen immer - nur - dann vor, wenn konkret eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt worden ist, derentwegen ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 des AAÜG aufgelistet worden ist, und zwar unabhängig von einer tatsächlichen Beitragsleistung zu einem Versorgungssystem (vgl BSG aaO). Den Beweisanträgen des Klägers, die unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze für das vorliegende Verfahren keine Relevanz haben, war daher schon deshalb nicht zu entsprechen.

Die von dem Kläger im Juni 1990 ausgeübte entgeltliche Beschäftigung lässt sich einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG nicht zuordnen. Die AdG war zu vor diesem Zeitraum bereits in einen der PDS nahestehenden eingetragenen Verein privaten Rechts umgewandelt worden, der weder vom Geltungsbereich der AVI, die nur selbständige staatliche Einrichtungen - und damit eben keine Forschungseinrichtungen bzw Vereine der SED bzw PDS - umfasste (vgl neben den Rechtsprechungsnachweisen in dem angefochtenen Urteil auch BSG, Beschluss vom 5. Mai 2009 - B 13 RS 1/09 B - juris), noch von dem der Parteiversorgung umfasst war. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit Bezug und sieht von einer weiteren Begründung ab. Auch eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG, auf die der Kläger in seinem Berufungsschriftsatz abhebt, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger im Juni 1990 weder bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch bei einem diesem Betrieben gleichgestellten Betrieb beschäftigt war. Bei den insoweit in § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 (GBl Nr 62 S 487) zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl I Nr 93 S 844) genannten wissenschaftlichen Instituten und Forschungsinstituten muss es sich um Einrichtungen der DDR-Wirtschaft handeln (vgl BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 4/10 R = SozR 4-8570 § 1 Nr 19), was hier ersichtlich nicht der Fall war. Die weiteren Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 zum AAÜG sind vorliegend von vornherein nicht einschlägig.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved