L 6 P 66/10

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 16 P 1017/08
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 P 66/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 9. Oktober 2009 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III ab dem 1. Dezember 2007.

Die 1952 geborene Klägerin leidet seit über 10 Jahren am Stiff-man-Syndrom, einer Autoimmunerkrankung. Infolge der Grunderkrankung bestehen bei ihr dauerhafte neoplastische Neuropathien mit Sensibilitätsstörungen, grob- und feinmotorischen Störungen sowie Versteifungen der Muskulatur, teils mit Spasmen. Zudem leidet sie an Bewegungseinschränkungen des linken Armes und der Schulter sowie einem Schmerzsyndrom nach Chemotherapie, Bestrahlung und nach der operativen Entfernung des Lymphknotens im axillaren Bereich, einer Fußheberparese rechts, einer Schilddrüsenüberfunktion sowie unter Herzrhythmusstörungen.

Seit Februar 1999 erhält die Klägerin Leistungen der Pflegestufe III (Bescheid vom 19. Mai 1999 aufgrund des Gutachtens des ... Thüringen e.V. ( ) vom 14. Mai 1999). Im Rahmen einer Nachuntersuchung durch den am 2. Januar 2002 wurde bei ihr ein Pflegeaufwand bei der Grundpflege in Höhe von 182 Minuten täglich festgestellt. Daraufhin stufte sie die Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 2002 ab 1. Februar 2002 in die Pflegestufe II zurück. Dem Widerspruch half die Beklagte aufgrund des Gutachtens des ... vom 12. Juli 2002 mit Bescheid vom 16. Juli 2002 ab und gewährte ihr ab 1. Februar 2002 wieder Leistungen nach der Pflegestufe III.

In einem weiteren Gutachten des ... vom 7. Oktober 2004 aufgrund der Untersuchung am 30. September 2004 wurde ein Grundpflegebedarf von 246 Minuten pro Tag festgestellt, wobei auf den Bereich der Körperpflege 147 Minuten, auf den Bereich der Ernährung 15 Minuten und auf den Bereich der Mobilität 84 Minuten entfielen. Für den hauswirtschaftlichen Bereich wurde ein Bedarf von 60 Minuten gesehen. Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 13. Oktober 2004 die Leistungen der Pflegestufe III weiter.

Bei einer erneuten Begutachtung der Klägerin durch den. aufgrund einer Untersuchung in häuslicher Umgebung am 9. Oktober 2007 wurde im Gutachten vom 8. November 2007 eine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten der oberen Extremitäten festgestellt. Dadurch seien nunmehr einige Verrichtungen teilweise selbständig möglich. Im Ergebnis der Begutachtung ist ein Grundpflegebedarf von 130 Minuten täglich gegeben, wobei auf den Bereich der Körperpflege 69 Minuten, den Bereich der Ernährung 4 Minuten und den Bereich der Mobilität 57 Minuten entfielen. Nach erfolgter Anhörung unter dem 12. November 2007 hob die Beklagte mit Bescheid vom 19. November 2007 den Bescheid vom 13. Oktober 2004 nach § 48 Abs. l Satz l des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und gewährte der Klägerin ab 1. Dezember 2007 nur noch Leistungen der Pflegestufe II.

Ihren Widerspruch vom 27. November 2008 begründete die Klägerin im Wesentlichen damit, dass keine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten eingetreten sei. Insbesondere sei die Beweglichkeit des linken Armes durch Entfernung des Lymphknotens eingeschränkt. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2008 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass mangels Anhaltspunkten für die Notwendigkeit einer Zweitbegutachtung von einer weiteren Begutachtung abgesehen worden sei. Im Übrigen bezog sich die Beklagte im Wesentlichen auf das ...-Gutachten vom 8. November 2007.

Hiergegen hat die Klägerin am 28. Februar 2008 vor dem Sozialgericht Gotha (SG) Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass sich im Vergleich zu ihrer gesundheitlichen Situation bei der ursprünglichen Gewährung der Pflegestufe III keine Änderungen, insbesondere keine positiven Änderungen im Bereich der Körperpflege, Ernährung und der Mobilität ergeben hätten.

Das SG hat einen Befundbericht der behandelnden Hausärztin Dr. K. und ein Gutachten des Pflegesachverständigen H. eingeholt. Er hat in seinem Gutachten vom 19. Januar 2009 aufgrund der in häuslicher Umgebung durchgeführten Untersuchung der Klägerin einen Grundpflegebedarf von insgesamt 195 Minuten festgestellt, wobei auf den Bereich der Körperpflege 67 Minuten, auf den Bereich der Ernährung 12 Minuten und auf den Bereich der Mobilität 73 Minuten entfielen. Der Sachverständige hat sich mit den Gutachten des. vom 7. Oktober 2004 und vom 8. November 2007 auseinander gesetzt und festgestellt, dass der in diesen Gutachten ermittelte Grundpflegebedarf nicht dem tatsächlichen Pflegebedarf der Klägerin entsprach. Nach seiner Ansicht ist der im Gutachten vom 7. Oktober 2004 ermittelte Pflegebedarf in einem für die Zuordnung der Pflegestufe relevanten Umfang überbewertet worden, während im Gutachten vom 8. November 2007 notwendige und regelmäßig anfallende Hilfen nicht ausreichend erfasst und daher zeitlich bei der Pflegebedarfserhebung nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Zudem habe sich der gesundheitliche Zustand der Klägerin im Vergleich zum Zeitpunkt der letzten Bestätigung der Pflegestufe III im Jahr 2004 bis zu der Rückstufung im Dezember 2007 nicht wesentlich verändert. Alle pflegerelevanten Einschränkungen bestünden in ähnlicher Ausprägung schon seit langem. Auch der Pflegebedarf bestehe im Wesentlichen unverändert fort. Es sei daher von einem dauerhaften Pflegebedarf auszugehen, der schon zum Zeitpunkt der Bestätigung der Pflegestufe III im Oktober 2004 nur die zeitlichen Kriterien einer Schwerpflegebedürftigkeit entsprechend der Pflegestufe II erfüllt. In seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 25. April und vom 27. Juni 2009 hat der Sachverständige darüber hinaus ausgeführt, die im Oktober 2007 vom. festgestellte Verminderung des Grundpflegebedarfes resultiere nicht aus einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes, sondern aus dessen unterschiedlicher Bewertung seitens der Gutachter.

Mit Urteil vom 9. Oktober 2009 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2009 aufgehoben und zur Be-gründung ausgeführt, dass aufgrund der Wertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen, der Gutachten des vom 7. Oktober 2004 und vom 6. November 2007 sowie unter Berücksichtigung der Anhörung des Ehemannes der Klägerin und des Sachverständigengutachtens des Pflegesachverständigen H. zur Überzeugung der Kammer feststehe, dass der Grundpflegebedarf der Klägerin im Wesentlichen seit der Bescheiderteilung am 13. Oktober 2004 unverändert fortbestehe und der Pflegestufe II entspreche. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des Sachverständigen bestehe ein Hilfebedarf bei der Grundpflege in Höhe von insgesamt 204 Minuten. Damit seien die zeitlichen Kriterien einer Schwerpflegebedürftigkeit entsprechend der Pflegestufe II erfüllt. Dieser Bedarf habe im Wesentlichen auch schon zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 13. Oktober 2004 bestanden, zumal in einem Folgegutachten des. vom 11. Januar 2002 ein Grundpflegebedarf von insgesamt 182 Minuten täglich festgestellt worden sei.

Gegen das ihr am 6. Januar 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Januar 2010 Beru¬fung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass nach dem neuerlichen Gutachten des. vom 3. März 2010 die Voraussetzungen der Pflegestufe III im Jahr 2004 zweifelsfrei vorgelegen hätten und danach eine Verbesserung des Gesundheitszustands bei der Klägerin eingetreten sei. Auch der Pflegesachverständige H. habe in seinen ergänzenden Stellungnahmen bestätigt, dass unter Beachtung der erstmaligen Bewilligung der Pflegestufe III im Jahr 1999 eine allmähliche Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin erfolgt sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - Az.: B 3 P 8/04 R) komme eine Herabstufung bei wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse auch dann in Betracht, wenn der tatsächliche Pflegebedarf geringer gewesen sei und eine Leistungsbewilligung von Anfang an nicht gerechtfertigt habe, da ein Vertrauensschutz nur dann bestehe, wenn der Gesundheitszustand unverändert sei und lediglich durch eine strengere Einschätzung des erforderlichen Hilfebedarfs eine niedrigere Pflegestufe festgestellt werde. Gegebenenfalls seien die Ausgangsbescheide vom 19. Mai 1999 und fortfolgende aufzuheben bzw. zu ändern oder bei deren Bestandskraft § 48 Abs. 3 SGB X anzuwenden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 9. Oktober 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass sie die Voraussetzungen der Pflegestufe III weiterhin erfüllt und eine gesundheitliche Besserung nicht erst 2004, sondern bereits bei Bestätigung der Voraussetzungen der Pflegestufe III eingetreten ist.

Der Berichterstatter des Senats hat mit den Beteiligten am 6. Mai 2013 einen Erörterungstermin durchgeführt, im Rahmen dessen diese auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Niederschrift verwiesen.

Der Senat hat außerdem ergänzende Stellungnahmen des Sachverständigen H. vom 19. Mai 2010 und vom 7. September 2011 eingeholt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte, die Gegenstand der geheimen Beratung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klage der Klägerin ist begründet. Wie das SG zu Recht festgestellt hat, ist der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2008 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da die Voraussetzungen für die Aufhebung der Pflegstufe III nach § 48 Abs. l Satz l SGB X nicht vorliegen.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Hier ist eine wesentliche Änderung bezüglich des zeitlichen Umfangs der Pflegebedürftigkeit der Klägerin mit Wirkung zum 1. Dezember 2007 nach Überzeugung des Senats nicht eingetreten. Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides. Der angefochtene Bescheid der Beklagten hinsichtlich der Aufhebung der Pflegestufe III ist ein bereits vollzogener Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung. Er erschöpft sich mit dem Entzug der vormals bewilligten Leistung; sein Vollzug wird trotz der Klage sofort wirksam, weil diese keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. BSG, Urteil vom 20. April 1993 – Az.: 2 RU 52/92). Eine erst später eintretende Rechtsänderung oder eine tatsächliche Änderung hat daher keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheides zum Zeitpunkt seines Erlasses. Somit kommt es hier auf die zum Zeitpunkt des Widerrufs bestehenden tatsächlichen Verhältnisse an, die nach § 48 Abs. 1 SGB X mit jenen zu vergleichen sind, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft wurden, vorhanden gewesen sind.

Fraglich ist, ob diese letzte Leistungsbewilligung, wie die Beklagte meint, mit dem Schreiben vom 13. Oktober 2004 erfolgt ist, oder bereits mit dem Bescheid vom 16. Juli 2002. Gegen die Auffassung der Beklagten könnte sprechen, dass deren Schreiben vom 13. Oktober 2004 lediglich als schlichte Mitteilung über das Ergebnis des.-Gutachtens vom 7. Oktober 2004 und daneben als Hinweis auf die unveränderte Rechtslage, die sich aus dem Bescheid vom 16. Juli 2002 ergibt, nämlich die unveränderte Gewährung von kombinierte Pflegeleistungen, angesehen werden könnte und deshalb keinen neuen, die Pflegestufe III bewilligenden Verwaltungsakt darstellt. Letztlich kann dies jedoch dahin stehen, da sich die tatsächlichen Verhältnisse weder zum Zeitpunkt Oktober 2004, noch zum Juli 2002 im Vergleich zum Entziehungszeitpunkt im November 2007 wesentlich geändert haben. In keinem Fall lagen die Voraussetzungen für die Gewährung der Pflegestufe III (noch) vor. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Für die Gewährung von Leistungen des SGB XI sind gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI pflegebedürftige Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI), einer von drei Pflegestufen zuzuordnen. Pflegebedürftige der Stufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. SGB XI). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegepersonen für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). In der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind es mindestens drei Stunden, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden (= 120 Minuten) entfallen muss (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Leistungen nach der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) erhalten Personen, welche die pflegerischen und zeitlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 sowie Abs. 3 Nr. 3 SGB XI erfüllen (§§ 36 Abs. 3 Nr. 3, 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB XI). Schwerstpflegebedürftige sind demnach Personen, die Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung und/oder der Mobilität (§ 14 Abs 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI - sog Grundpflege) täglich rund um die Uhr, auch nachts, und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) benötigen; der gesamte Pflegebedarf muss mindestens fünf Stunden (= 300 Minuten), die Grundpflege davon mindestens vier Stunden (= 240 Minuten) betragen. Der zeitliche Umfang der notwendigen Hilfe ist, weil naturwissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten zur exakten Bemessung des Zeitbedarfes für einzelne Verrichtungen in der Regel nicht existieren und standardisierte Zeiten oder Erfahrungswerte im Hinblick auf die jeweiligen individuellen Verhältnisse allenfalls einen Anhaltspunkt zur Ermittlung des Zeitaufwandes geben können, durch Schätzung entsprechend § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) an Hand der zur Verfügung stehenden medizinischen Feststellungen (z.B. Begutachtungsergebnisse medizinisch-pflegerischer Sachverständiger) zu bestimmen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - Az.: 3 RK 9/94, in SozR 3 – 2500 § 53 Nr. 7; Senatsurteile vom 28. Februar 2001 – Az.: L 6 P 249/99, 24. Januar 2001 – Az.: L 6 P 348/00, 20. Dezember 2000 – Az.: L 6 P 552/99).

Dabei orientiert sich der Senat an den Zeitvorgaben der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch – BRi (Begutachtungsrichtlinien – BRi) vom 21. März 1997 in der hier gültigen Fassung vom 11. Mai 2006, dort Abschnitt F "Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung für die in § 14 SGB X genannten Verrichtungen der Grundpflege", ohne letztlich daran gebunden zu sein (vgl. BSG, Urteil vom 31. August 2000 - Az.: B 3 P 14/99 R, in Breithaupt 2001, S. 120 ff.).

Unter Beachtung dieser Vorgaben ergibt sich einerseits, dass für den streitgegenständlichen Zeitpunkt im November 2007 - entgegen der Auffassung der Klägerin - die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI nicht vorliegen. Der Senat folgt dabei den Ausführungen des erstinstanzlich beauftragten Pflegesachverständigen H. im Gutachten vom 19. Januar 2009. Er hat aufgrund der Untersuchung der Klägerin am 6. Januar 2009 in häuslicher Umgebung für den Senat nachvollziehbar festgestellt, dass die Klägerin einen Grundpflegebedarf von 195 Minuten pro Tag hat, was einer Schwerpflegebedürftigkeit, mithin der Pflegestufe II entspricht. Die demgegenüber von der Klägerin geltend gemachten höheren Zeitwerte für einzelne Verrichtungen sind, worauf der Sachverständige in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 24. April und vom 27. Juni 2009 zutreffend hinweist, nicht dem anrechenbaren Hilfebedarf zugrunde zu legen. Zum einen beziehen sie sich auf die Gesamtdauer einer Verrichtung, wie z.B. der von der Klägerin geltend gemachte Zeitaufwand für die Hilfe zur Darmentleerung oder im Bereich der Körperpflege sowie der Mobilität. Nach den Ausführungen des Sachverständigen H. kann diese die genannten Verrichtungen zu großen Teilen selbständig ausführen und bedarf lediglich in eng begrenztem Rahmen der Hilfe einer Pflegeperson. Allein dieser Hilfebedarf ist jedoch der Bemessung der Pflegebedürftigkeit zugrunde zu legen. Zum anderen sind manche der geltend gemachten zusätzlichen Verrichtungen, wie z.B. die zusätzliche tägliche Ganzkörperwaschung neben der täglichen Dusche, den Teilkörperwaschungen sowie den Hilfen zum Waschen der Hände und des Gesichts oder der Hilfe- und Begleitungsbedarf bei Spaziergängen, entweder nicht erforderlich oder aber nicht berücksichtigungsfähig.

Gestützt wird dies zum Teil auch durch das zeitnahe Gutachten des. vom 8. November 2007, das ebenfalls nur einen Hilfebedarf im Bereich der Schwerpflegebedürftigkeit - also der Pflegestufe II - bei der Klägerin festgestellt hat. Allerdings liegt der vom. festgestellte zeitliche Umfang des Hilfebedarfs (130 Minuten täglich in der Grundpflege) unzutreffend im unteren Bereich der Pflegestufe II, weil medizinisch bzw. pflegerisch begründbare Hilfebedarfe, z.B. zur Vor- und Nachbereitung des Händewaschens, garnicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden, wie z.B. bei den Hilfen beim Duschen mit Haarewaschen, bei der Teilkörperwäsche, bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, hier beim Einschenken der Getränke, beim An- und Auskleiden, beim Aufstehen und Zubettgehen, bei der Lagerung sowie beim Transfer. Dem ist die Beklagte nicht beachtlich entgegengetreten, so dass der Senat mit dem SG von der Erforderlichkeit des Pflegemehraufwands im Umfang von ca. 65 Minuten täglich, wie vom gerichtlichen Sachverständigen H. beschrieben, ausgeht.

Andererseits ist eine wesentliche Veränderung des zum Zeitpunkt der Entziehung der Pflegestufe III festgestellten Hilfebedarfs im Vergleich zum Hilfebedarf im Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft wurden, nicht nachgewiesen. Der Senat geht im Gegenteil mit dem Sachverständigen H. davon aus, dass der berücksichtigungsfähige Pflegebedarf der Klägerin bereits seit mindestens Januar 2002, wahrscheinlich bereits seit Ende 1999, nur noch den zeitlichen Umfang der Pflegestufe II erfüllt hat. Nach den Feststellungen des Sachverständigen hat sich die akute und bedrohliche gesundheitliche Situation der Klägerin mit ständiger Bettlägerigkeit, die um den Jahreswechsel 1998/1999 und noch in den ersten Monaten des Jahres 1999 bestand, bis Ende des Jahres 1999 wieder so stabilisiert, dass sie ihre Selbstpflegefähigkeiten zum Teil widererlangt hat. So war sie ab dieser Zeit nicht nur bei der Nahrungsaufnahme wieder zu teilweisen Selbstübernahmen in der Lage, sondern ihr waren auch bei anderen Verrichtungen der Grundpflege wieder Mithilfen möglich. Dies wird im Übrigen auch durch das.-Gutachten vom 11. Januar 2002 bestätigt, das etwa denselben Umfang des Grundpflegebedarfs wie der gerichtliche Sachverständige H. beschreibt. Ebenfalls angegeben wird dort die Stabilisierung des Allgemeinzustands der Klägerin, die zum Begutachtungszeitpunkt wieder in der Lage war, die bereitgestellten Mahlzeiten selbständig einzunehmen, sich im Rollstuhl sitzend im Wohnbereich fortzubewegen, und die versucht, Teilbereiche der Körperhygiene selbständig zu gewährleisten.

Die demgegenüber unterschiedlichen Feststellungen in den beiden folgenden -Gutachten aus dem Juli 2002 und dem Oktober 2004 beruhen nicht auf gesundheitlichen Veränderungen bzw. deutlich veränderten Hilfebedarfen, sondern auf einer verschiedenen Bewertung eines im Wesentlichen unveränderten Pflege- und Hilfebedarfs der Klägerin. So wird im Gutachten vom 12. Juli 2002 gegenüber dem Gutachten vom 11. Januar 2002 einerseits bei der Körperpflege ein um 12. Minuten höherer täglicher Hilfebedarf beschrieben, der aus einem zusätzlichen Hilfebedarf bei der Teilwäsche Hände und Gesicht, beim Zähneputzen sowie beim Kämmen resultiert. Gleichzeitig wird in den Erläuterungen ausgeführt, dass die Klägerin die Teilwäsche Gesicht sowie das Zähneputzen selbst übernimmt, so dass der hieraus resultierende Mehrbedarf an Hilfe gegenüber dem.-Gutachten vom 11. Januar 2002 nicht plausibel ist. Der Mehrbedarf an Hilfe im Bereich der Blasen- und Darmentleerung, hier insbesondere beim Stuhlgang im Umfang von 13 Minuten täglich, erscheint nicht nachvollziehbar, zumal das -Gutachten vom 12. Juli 2002 hierfür keine Begründung gibt. Tatsächlich war die Klägerin in der Lage, selbständig ihre Blase und den Darm zu entleeren. Zudem wurde sowohl im.-Gutachten vom 11. Januar 2002 als auch im Gutachten des Sachverständigen H. vom 19. Januar 2009 lediglich eine einmalige Darmentleerung pro Tag beschrieben, wohingegen das.-Gutachten vom 12. Juli 2002 von einem zweimaligen Hilfebedarf pro Tag ausgeht, ohne dies jedoch zu begründen. Auch der im Bereich der Mobilität im.-Gutachten vom 12. Juli 2002 beschriebene Mehrbedarf bei den meisten Verrichtungen ist für den Senat mangels Begründung nicht nachvollziehbar. Entsprechendes gilt für den im.-Gutachten vom 7. Oktober 2004 festgestellten Hilfebedarf, der sich größtenteils mit dem.-Gutachten vom 12. Juli 2002 deckt. Hierzu hat der gerichtliche Pflegesachverständige H. in seinem Gutachten vom 19. Januar 2009 u.a. festgestellt, dass einzelne Verrichtungen, die im.-Gutachten vom 7. Oktober 2004 berücksichtigt wurden, tatsächlich nicht anfallen oder nicht erforderlich sind. Dies betrifft z.B. im Bereich der Körperpflege die neben dem täglichen Duschen aufgeführte tägliche Ganzkörperwäsche, die aber nicht regelmäßig erforderlich ist und von der Klägerin so auch nicht praktiziert wird. Zudem wurde, wie bereits im.-Gutachten vom 12. Juli 2002, der Hilfebedarf bei anderen Verrichtungen zu hoch bewertet. Dies betrifft z.B. den Hilfebedarf beim Kämmen, wo der Sachverständige H. nur sehr geringe vor- und nachbereitende Unterstützungsmaßnahmen als erforderlich beschreibt, und beim Richten der Bekleidung, wo infolge der Art der Kleidung der Klägerin (gutgängige, dehnbare Kleidung ohne umständliche Verschlüsse) ein geringerer Hilfebedarf nötig ist. Ebenso wird im.-Gutachten vom 7. Oktober 2004 der Hilfebedarf bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung überbewertet, da nach den Feststellungen des Sachverständigen H. nicht alle Mahlzeiten in mundgerechte Häppchen zerkleinert werden müssen.

Dem tritt die Beklagte auch mit der sozialmedizinischen Stellungnahme des. vom 3. März 2010 nicht beachtlich entgegen. Vielmehr werden dort im Wesentlichen die beiden.-Gutachten vom 7. Oktober 2004 und vom 8. November 2007 miteinander verglichen, ohne die Bewertungen im Gutachten vom 7. Oktober 2004 zu überprüfen. In diesem Zusammenhang verweist der Sachverständige H. darauf, dass sowohl nach Aussagen der Klägerin und der Pflegeperson, nämlich ihres Ehemannes, als auch der behandelnden Hausärztin eine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustands seit dem Ende der neunziger Jahre nicht (mehr) eingetreten sei.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 7. Juli 2005 (Az.: B 3 P 8/04 R, nach juris), da auch nach dieser Entscheidung zunächst das Vorliegen einer objektiven Änderung der tatsächlichen Verhältnisse festzustellen ist, die zudem wesentlich gewesen sein muss. Vom Vorliegen einer solchen wesentlichen Änderung im Falle der Klägerin konnte sich der Senat nach dem oben Gesagten gerade keine Überzeugung verschaffen. Vielmehr geht er davon aus, dass seit der letzten maßgeblichen Leistungsbewilligung bei der Klägerin ein im Wesentlichen unveränderter Umfang ihres Pflegebedarfs (etwa 190 Minuten Grundpflegebedarf täglich) vorliegt. Es kommt hier daher entgegen der Auffassung der Beklagten auf die Erwägungen des BSG in der genannten Entscheidung zur Frage einer rechtmäßen oder rechtswidrigen Leistungsbewilligung und der Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 45 SGB X gar nicht an, da das BSG im dort entschiedenen Fall gerade vom Vorliegen einer wesentlichen Änderung ausgeht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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