L 11 R 4080/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2869/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4080/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23.08.2013 und der Bescheid der Beklagten vom 30.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2012 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.09.2014 bis 31.08.2017 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der Kläger ist am 01.02.1963 geboren. Er erlernte von 1978 bis 1981 den Beruf des Bäckers und war bis zum Jahre 2002 in diesem Beruf tätig, seit 1987 ist er Bäckermeister. 2002 bis 2005 absolvierte er eine Umschulung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann. Von 2005 an war er als Außendienstmitarbeiter tätig, seit November 2010 bestand nach einem Bandscheibenvorfall Arbeitsunfähigkeit. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.04.2012. In der Zeit von Februar 2009 bis Januar 2014 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen iSd § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet, insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden.

Auf seinen Antrag vom 03.01.2011 bewilligte die Beklagte eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, die vom 15.02. bis 15.03.2011 in der orthopädischen Abteilung der R.-Klinik in B. R. stattfand. Im Entlassungsbericht vom 16.03.2011 sind folgende Diagnosen aufgeführt: - sequestrierter Bandscheibenvorfall L5/S1, - Nucleotomie und Sequestrektomie von rechts, 02.02.2011, - Zustand nach Unterschenkelfraktur rechts 1992 - residuale Fußheber- und Fußsenkerschwäche rechts, - Zustand nach komplexer Handverletzung links, - depressive Episode. Die letzte berufliche Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter für Nahrungsmittel könne sechs Stunden und mehr, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ebenfalls sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden. Eine Weiterbehandlung (Psychotherapie, psychologische Beratung, Physiotherapie) werde empfohlen.

In einem Gutachten nach Aktenlage kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg am 18.07.2011 zu der Einschätzung, dass eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vorliege und dass in Bezug auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich bestehe.

Ein weiteres stationäres Heilverfahren fand vom 06.09. bis 11.10.2011 in der psychosomatischen Klinik Schloss W. statt. Im Entlassungsbericht vom 28.10.2011 sind folgende Diagnosen aufgeführt: - rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit reaktiven Anteilen, - chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Die letzte berufliche Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter könne nur noch unter drei Stunden täglich verrichtet werden, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr. Eine intensive ambulante, besser teilstationäre tagesklinische Behandlung zur weiteren Verbesserung werde empfohlen. Das Denken sei eingeengt auf depressive Inhalte und das Schmerzerleben; die Schwingungsfähigkeit sei deutlich reduziert; es bestünden mehrere Belastungsfaktoren über einen längeren Zeitraum (langjährige hohe berufliche Belastung, Bandscheibenvorfall und Operation, Tod des ersten Kindes, hieraus resultierende psychische Belastung der Ehefrau, schwere körperliche Erkrankung der Ehefrau). Aufgrund der vermittelten Stressbelastbarkeit seien Arbeiten unter Zeitdruck und Stressbelastung zu vermeiden.

Vom 24.09. bis 27.09.2011 wurde der Kläger im Psychiatrischen Zentrum N. stationär behandelt. Im Entlassungsbericht wird eine Aufnahme nach einem (para-)Suizidversuch beschrieben sowie eine Belastungsreaktion und eine Anpassungsstörung diagnostiziert.

Am 16.11.2011 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung bei dem Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S., M ... Im Gutachten vom 16.06.2012 beschrieb Dr. S. eine eingeschränkte affektive Resonanzfähigkeit mit Affektlabilität und vermehrter Weinerlichkeit. Der Kläger habe im Kontaktverhalten dysphorisch bzw missmutig gewirkt, die Sprache sei wenig moduliert und zeitweise recht undeutlich gewesen, Sprechstörungen hätten aber nicht bestanden. Es hätten auch keine Störungen des Bewusstseins, der Orientierung und der Auffassung, abgesehen von leichten Konzentrationsstörungen, bestanden. Im Antrieb sei der Kläger angemessen gewesen, eine Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung habe nicht vorgelegen. Die Grundstimmung sei depressiv und innerlich vermehrt angespannt gewesen. Dr. S. stellte folgende Diagnosen: - mittelgradige depressive Episode auf dem Boden von Anpassungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und sozialer Belastungssituation, - chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, - Fußheber- und Fußsenkerschwäche rechts. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung hielt Dr. S. den Kläger bei zumutbarerer Willensanstrengung für durchaus in der Lage, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzutreten. Er könne leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitshaltungen verrichten. Nachtschicht sowie Tätigkeiten mit geistig-psychischen Belastungen seien zu vermeiden, ebenso seien Einschränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit des Bewegungs- und Halteapparates zu beachten. Die noch möglichen Arbeiten könne er sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Mit Bescheid vom 30.12.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab und nahm zur Begründung Bezug auf die Rehabilitations-Entlassungsberichte sowie das Gutachten Dr. S ... Der Kläger könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Der hiergegen erhobene Widerspruch vom 30.01.2012 wurde ua damit begründet, dass eine schwere Depression vorliege. Der Kläger legte den Bericht des Klinikums A. W. vom 04.06.2012 vor, in welchem eine schwere depressive Episode diagnostiziert wird. Dieser Bericht lag Dr. S. bei der Erstattung des Gutachtens vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2012 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 28.08.2012 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Das Zusammenspiel von gesundheitlichen Einschränkungen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet würden eine Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich machen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung von schriftlichen Auskünften der behandelnden Ärzte. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie K.-F. hat mit Schreiben vom 29.09.2012 mitgeteilt, dass eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, sowie eine chronische Schmerzstörung vorliege. Der Orthopäde Dr. S. hat mit Schreiben vom 08.10.2012 mitgeteilt, dass aus orthopädischer Sicht leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich verrichtet werden könnten. Der Allgemeinarzt Kraft führte im Schreiben vom 15.10.2012 aus, dass der Kläger aus seiner Sicht nicht in der Lage sei, sechs Stunden regelmäßig täglich zu arbeiten. Die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. C. hat mit Schreiben vom 26.10.2012 mitgeteilt, dass zwar eine Minderung der Leistungsfähigkeit bestehe, der Kläger jedoch sechs Stunden und mehr täglich arbeiten könne.

Am 29.09.2012 hat der Kläger eine Maßnahme (Motivation, Unterricht, Training) in einem Bildungszentrum begonnen, die er am 05.03.2013 krankheitsbedingt wieder abgebrochen hat. Vom 04.03.2013 bis zum 28.03.2013 hat er sich stationär im Klinikum am W. (Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie) in Behandlung befunden. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. hat mit Schreiben vom 20.03.2013 mitgeteilt, dass eine schwere depressive Episode vorliege. Die Stimmung des Klägers sei stark gedrückt, weinerlich und teilweise verbittert. Es bestehe ein massiver Leidensdruck durch die langjährige Schmerzsymptomatik sowie die psychosozialen Umstände.

Nachdem die Beklagte die Einholung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigengutachtens angeregt hatte, hat das SG weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B., M ... Im Gutachten vom 07.05.2013 (Blatt 97 SG-Akte) hat Dr. B. folgende Diagnosen beschrieben: - eine geringgradige Fuß- und Zehenhebereinschränkung rechts mit assoziierter Sensibilitätsstörung, - belastungsabhängig beklagte LWS-Beschwerden, - eine anhaltende Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, - vielschichtige Persönlichkeitsakzentuierungen mit resultierend nur geringen Ressourcen bei Konflikten und Kränkungen, - subjektiv beklagte überdauernde Antriebsstörung und Depression, objektiv nicht in sozialmedizinisch richtungsweisendem Ausmaß abzubilden. Im Rahmen der Untersuchung/Exploration habe keine eigenständige Antriebsstörung und eine durchaus gut erhaltene inhaltliche Auslenkbarkeit vorgelegen. Im außerberuflichen Alltag würden sich weiterreichende, mit den somatischen Beschwerden begründete Einschränkungen nicht abbilden. Der Kläger sei in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Auszuschließen seien Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, Tätigkeiten mit überdurchschnittlichen Anforderungen an den festen Stand sowie Tätigkeiten mit ständigem Zeitdruck, in ständiger nervöser Anspannung, mit überdurchschnittlich fordernden sozialen Interaktionen, überdurchschnittlichen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit sowie Tätigkeiten mit anderen Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht. Im Zuge der zwei Stunden ausmachenden Anamneseerhebung sei der Kläger nicht erkennbar nach außen schmerzbeeinträchtigt gewesen. Er sei bewusstseinsklar und orientiert, im Denken formal geordnet gewesen. Die Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis- und Aufmerksamkeit seien während der mehrstündigen gutachterlichen Untersuchung ungestört gewesen. Weder somatisch noch psychisch habe sich in der Beschreibung der Alltagsaktivitäten eine überdauernde Funktionsstörung abgebildet, die auf weiterreichende quantitative Leistungseinschränkungen schließen lasse (Blatt 120 SG-Akte).

Mit Gerichtsbescheid vom 23.08.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und würden den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich verrichten, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliege. Das SG hat sich auf die Ausführungen Dr. Brandis gestützt.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 27.08.2013 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 19.09.2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Die Leistungseinschätzungen Dr. S. und Dr. B. seien angesichts der Einschätzungen der behandelnden Ärzte des Klinikums am W. nicht nachvollziehbar. Dort sei eine rezidivierende depressive Störung schwere Episode, auch bei Entlassung Ende März 2013, diagnostiziert worden. Dass Dr. B. anlässlich der Untersuchung am 15.04.2013 keinerlei depressive Erkrankung mehr habe feststellen können, sei nicht erklärlich.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23.08.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 30.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 01.11.2011 Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden sowie auf die Ausführungen des SG Bezug.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung einer sachverständigen Zeugenauskunft beim Psychiatrischen Z. N., betreffend den stationären Aufenthalt des Klägers vom 24.09. bis 27.09.2011 (Blatt 38 Senatsakte).

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines sachverständigen Gutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K., G ... Im Gutachten vom 25.02.2014 (Blatt 57ff Senatsakte) hat der Sachverständige folgende Diagnosen gestellt: - rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, - kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend schizoiden Zügen, - kombinierte Schädigung des nervus Peronaeus und des nervus Tibialis rechts nach Unterschenkel-Trümmerfraktur, - lumbales Wurzelreizsyndrom S1 rechts. Im Rahmen der Untersuchung am 20.02.2014 habe der Kläger schwer gekränkt, depressiv herabgestimmt, gleichzeitig mürrisch, dysphorisch verstimmt und reizbar gewirkt. Der psychopathologische Eindruck decke sich qualitativ mit dem des Gutachtens Dr. S., wobei die Depressivität jetzt wesentlich stärker ausgeprägt gewirkt habe als Dr. S. sie beschrieben habe. In der Exploration hätten sich keine sicheren Zeichen von Inkonsistenzen oder einer negativen Antwortverzerrung ergeben. Gewisse Tendenzen zur Verdeutlichung seien nicht auszuschließen, jedoch in der gutachterlichen Situation auch nachvollziehbar. Eine bewusstseinsnahe Aggravation oder zielgerichtete Verdeutlichung könne weitestgehend ausgeschlossen werden. Der psychopathologische Befund decke sich Großteils mit den Befunden des Klinikums W./W ... Es liege eine fast paranoid ausgeprägte Kränkbarkeit und ein ebenso ausgeprägtes Misstrauen vor. Die vorliegende Persönlichkeitsstörung mit überwiegend schizoiden Zügen sei für die Frage der Leistungsbeurteilung mindestens genauso wichtig wie die Depressivität. Die neurologischen Ausfälle am rechten Bein seien sicher ausgeprägter als von Dr. B. angenommen. Es würden sich deutliche neurophysiologische und klinische Ausfälle als Hinweise auf die stattgehabte kombinierte Nervenschädigung als Korrelat der geklagten Beschwerden im rechten Bein finden. Der Kläger könne nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne Heben und Tragen von Lasten von mehr als 5 kg und ohne Arbeiten in Zwangshaltungen verrichten. Im Vordergrund stünden die psychischen Störungen mit einer derzeit schwergradigen depressiven Gestimmtheit, die die somatischen Beschwerden überlagere. Aufgrund der Schwere der psychischen Störung im gegenwärtigen Ausprägungsgrad bestehe ein Leistungsvermögen von nur noch unter drei Stunden täglich. Im Vergleich zu Dr. B. bestehe eine deutliche Verschlechterung des psychopathologischen Bildes und der Aktivitäten im Alltag. Die von Dr. B. angenommenen Inkonsistenzen seien jetzt nicht nachzuvollziehen gewesen. Seit dem ersten Gutachten Dr. S. sei eine kontinuierliche Verschlechterung des psychopathologischen Bilds zu attestieren. Auch seit der Begutachtung durch Dr. B. sei es zu einer Verschlechterung des psychopathologischen Befundes mit einer deutlichen Reduktion der sozialen Gestaltungsfähigkeit gekommen, weshalb das Eintreten der Leistungsbeurteilung von unter drei Stunden täglich etwa mit der Einleitung des Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht anzunehmen sei.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes vom 19.03.2014, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N., vorgelegt. Wenn Dr. K. ausführe, dass er Simulation und Aggravation weitgehend ausschließen könne, und weiter ausführe, dass die Symptome nur in der Untersuchungssituation zu beobachten seien, sei dies nicht nachvollziehbar, es sei denn der Gutachter kenne den Versicherten selbst lange Zeit außerhalb der Gutachterrolle. Überdies kontrastiere dies zu den zweifachen Vorgutachten, in dem ua auch ein Rentenbegehren beschrieben worden sei. Offensichtlich weise Dr. K. eine starke protektive Haltung auf, ohne die bestehende Aktenlage ausreichend in seine Überlegungen miteinzubeziehen.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 23.04.2014 (Blatt 90 Senatsakte) hat Dr. K. ausgeführt, dass er den Kläger im Rahmen der Untersuchung am 10.02.2014 als verbittert und gekränkt erlebt habe. Hinweise auf eine bewusstseinsnahe Aggravation oder Simulation habe er nicht feststellen können. Bei zahlreichen Fortbildungen im Rahmen des gutachterlichen Curriculums hätten weder Prof. M. (B.) noch Prof. W. (G.) eine schlüssige und "einfache" Testung auf Aggravation oder Verdeutlichung anbieten können. Entscheidend sei aus seiner Sicht die Annahme der Schwere der Persönlichkeitsstörung, die in den Vorgutachten nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Eine durchgeführte Augmentation der antidepressiven Erkrankung mit Lithium habe bei dem Kläger keine wesentliche Stabilisierung gebracht. Die Anwendung einer Lithium-Augmentation spreche eher für eine Intensivierung der medikamentösen Therapie als für die Annahme geringerer medikamentöser Aktivitäten, wie dies von der Beklagten angeführt werde.

Der Kläger hat einen Entlassbrief des Klinikums A. W., Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie sowie des Klinikums Schloss W. über stationäre Behandlungen vom 28.02. bis 16.04.2014 (Blatt 97/98 Senatsakte) vorgelegt. Dort ist eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert. In den Verhaltensbeobachtungen auf der Station habe eine aufgehobene Schwingungsfähigkeit sowie eine Stimmung, die am ehesten als verbittert bezeichnet werden könne, imponiert.

In einer weiteren Stellungnahme vom 26.05.2014 die von der Beklagten vorgelegt worden ist, hat der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. ua ausgeführt, dass eine reaktive Stimmungsverschlechterung im Zuge eines laufenden Klageverfahrens kein aufgehobenes quantitatives Leistungsvermögen auf Dauer, sondern eine anlassbezogene affektive Reaktion belege.

In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 01.07.2014 hat Dr. K. ausgeführt, dass eine Erhöhung der Medikation mit Tavor stattgefunden habe, begründet mit einer Zunahme von Symptomen eines deutlich erhöhten Anspannungslevels. Letztlich halte er aber angesichts der problematischen Interpretation von Medikamentenspiegeln dies nicht für entscheidungsrelevant. Die neueren Berichte aus W. und der Klinik W. würden die Chronifizierung der psychischen Störungen aufzeigen. Insofern sehe er sich durch die beiden Entlassungsberichte in den Annahmen und Schlussfolgerungen seines Gutachtens bestärkt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte nebst Reha-Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat teilweise Erfolg.

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs 1 SGG) und statthafte (§ 143 SGG) Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2012 ist aufgrund eines nachträglichen Leistungsfalles, dem die Beklagte nicht Rechnung getragen hat, rechtswidrig geworden. Der Kläger hat aufgrund eines Leistungsfalls im Februar 2014 (Untersuchungstag Dr. K.: 20.02.2014) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.09.2014 befristet bis zum 31.08.2017. Ein Rentenanspruch bereits ab Rentenantragstellung besteht dagegen nicht; insoweit ist die Berufung des Klägers unbegründet.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbs-minderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflicht-beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Diese Voraussetzungen liegen vor. So erfüllt der Kläger ausweislich des in der Verwaltungsakte enthaltenen Versicherungsverlaufs die geforderten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Er erfüllt die allgemeine Wartezeit (§§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) und auch das Vorliegen von drei Jahren Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung im Februar 2014. Schließlich ist er auch voll erwerbsgemindert.

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraus-setzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Der Kläger kann zur Überzeugung des Senats unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich nicht mehr als drei Stunden arbeiten und ist deshalb voll erwerbs-gemindert (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem nachvollziehbaren und plausiblen Sachverständigengutachten von Dr. K. vom 25.02.2014. Der Sachverständige hat im Gutachten vom 25.02.2014 (Untersuchungstag 20.02.2014) folgende Diagnosen gestellt: - rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, - kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend schizoiden Zügen, - kombinierte Schädigung des nervus Peronaeus und des nervus Tibialis rechts nach Unter-schenkel-Trümmerfraktur, - lumbales Wurzelreizsyndrom S1 rechts. Im Vordergrund stehen nach den überzeugenden Darlegungen Dr. Kummers die psychischen Störungen mit einer derzeit schwergradigen Depression, wie sie auch vom Klinikum W. beschrieben wird. Aufgrund der Schwere der psychischen Störung besteht ein Leistungsvermögen von nur noch unter drei Stunden täglich. Im Rahmen der Untersuchung am 20.02.2014 hat Dr. K. eine weitgehend aufgehobene Schwingungsfähigkeit beschrieben. Zwar hat sich der psychopathologische Eindruck qualitativ mit dem des Gutachtens von Dr. S. gedeckt, aber die Depressivität war wesentlich stärker ausgeprägt als Dr. S. sie beschrieben hat. Eine bewusstseinsnahe Aggravation oder zielgerichtete Verdeutlichung hat Dr. K. weitestgehend ausgeschlossen; sichere Zeichen von Inkonsistenzen oder einer negativen Antwortverzerrung hat Dr. K., dem der Senat eine entsprechende Einschätzung ohne weiteres zutraut, nicht gefunden. Die diesbezüglichen Ausführungen Dr. N., der dem Sachverständigen eine protektive Haltung zu Gunsten des Klägers unterstellt hat, waren für den Senat nicht nachvollziehbar. Die vorliegende Persönlichkeitsstörung mit überwiegend schizoiden Zügen (paranoid ausgeprägte Kränkbarkeit und ein ebenso ausgeprägtes Misstrauen) ist nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen Dr. K. für die Frage der Leistungsbeurteilung ebenso wichtig wie die Depressivität, weil die Auswirkungen der Depression vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsstörung beurteilt werden müssen. Dieser psychopathologische Befund deckt sich großteils mit den Befunden des Klinikums W./W ... Die neueren Berichte aus W. und der Klinik W. zeigen die Chronifizierung der psychischen Störungen auf. Schließlich werden die Ausführungen Dr. K. durch die Tatsache untermauert, dass eine durchgeführte Augmentation der antidepressiven Behandlung mit Lithium beim Kläger keine wesentliche Stabilisierung gebracht hat. Die Anwendung einer Lithium-Augmentation spricht, wie Dr. K. dargelegt hat, eher für eine Intensivierung der medikamentösen Therapie als für die Annahme geringerer medikamentöser Aktivitäten; die Erhöhung der Medikation mit Tavor ist mit einer Zunahme von Symptomen eines deutlich erhöhten Anspannungslevels begründet worden.

Den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung sieht der Senat mit der Untersuchung bei Dr. K. als nachgewiesen an. Für die Zeit vor Februar 2014 war das Leistungsvermögen des Klägers zwar bereits beeinträchtigt. Es lässt sich aber nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass das Leistungsvermögen des Klägers bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf weniger als sechs Stunden herabgemindert war. Dr. K. hat herausgearbeitet, dass im Vergleich zum Untersuchungsbefund von Dr. B. eine deutliche Verschlechterung des psychopathologischen Bildes und der Aktivitäten im Alltag eingetreten ist und dass es sich nicht, wie von Dr. N. vermutet, um eine lediglich anlassbezogene affektive Reaktion handelt. Seit dem ersten Gutachten Dr. S. ist nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen Dr. K. eine kontinuierliche Verschlechterung des psychopathologischen Bilds zu attestieren. Auch seit der Begutachtung durch Dr. B. ist es zu einer Verschlechterung des psychopathologischen Befundes mit einer deutlichen Reduktion der sozialen Gestaltungsfähigkeit gekommen.

Die Gewährung einer Dauerrente ist der Ausnahmefall. Regelmäßig ist nur eine Rente auf Zeit zu gewähren. Eine Ausnahme gilt lediglich unter den Voraussetzungen des § 102 Abs 2 S 4 SGB VI. Danach werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Unwahrscheinlich iS des § 102 Abs 2 Satz 4 SGB VI ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht (BSG 29.03.2006, B 13 RJ 31/05 R, SozR 4-2600 § 102 Nr 2); hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten sind alle Maßnahmen zu berücksichtigen (vgl Senatsurteil vom 05.04.2005, L 11 R 3020/03). Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass alle Therapieoptionen ausgeschöpft sind, eine Besserung ist daher nicht unwahrscheinlich. Folglich hat der Kläger nur Anspruch auf eine befristete Rente. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI), weshalb sich, ausgehend vom Leistungsfall Untersuchungstag bei Dr. K. (20.02.2014) der Rentenbeginn ab 01.09.2014 ergibt. Renten dürfen außerdem nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden (§ 102 Abs 1 Satz 3 SGB VI), weshalb die Rente am 31.08.2017 endet.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. K. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt, entgegen den Ausführungen Dr. N., wie aufgezeigt, auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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