L 8 SB 873/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3923/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 873/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Der 1965 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 21.10.2008 stellte das Landratsamt R. (LRA) beim Kläger wegen einer Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks, Beinverkürzung links (Teil-GdB 20), einer Depression und funktionelle Organbeschwerden (Teil-GdB 30) sowie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 10) den GdB mit 40 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz jeweils seit dem 07.11.2007 fest.

Am 01.12.2010 beantragte der Kläger beim LRA die Erhöhung des GdB. Das LRA holte insbesondere die Befundbeschreibung/Ärztlicher Bericht von Dr. H. vom 17.02.2011 ein. Mit Bescheid vom 02.05.2011 entsprach das LRA dem Antrag auf Neufeststellung des GdB nicht. Eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers und der damit einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen sei nicht eingetreten.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte der Kläger am 20.05.2011 Widerspruch ein. Er rügte zur Begründung ungenaue und unvollständige Nachforschungen. Das LRA holte den Befundbericht der Fachärztin für Psychiatrie S. vom 14.07.2011 ein. Die Fachärztin schätzte den GdB auf mindestens 50. In der gutachtlichen Stellungnahme vom 08.08.2011 schlug der Versorgungsarzt Dr. St. unter Übernahme der bisherigen Ansätze den GdB weiterhin mit 40 vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2011 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 02.05.2011 zurück. Die Auswertung der vorliegenden Befundunterlagen habe gezeigt, dass sich eine Verschlimmerung, die eine Erhöhung des GdB rechtfertigen könnte, nicht feststellen lasse.

Hiergegen erhob der Kläger am 21.11.2011 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Er trug zur Begründung vor, für die Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes sowie die Beinverkürzung sei von einem Teil-GdB von mindestens 30 auszugehen. Wegen der Wirbelsäulenerkrankung sowie des Schulter-Arm-Syndroms müsse der Teil-GdB auf mindestens 20 oder gar 30 erhöht werden. Von einem Gesamt-GdB von mindestens 50 sei auszugehen.

Das SG hörte vom Kläger benannte Ärzte unter Übersendung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. St. vom 08.08.2011 schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Orthopäde Dr. H. teilte in seiner Stellungnahme vom 14.02.2012 den Behandlungsverlauf, die Gesundheitsstörungen und Funktionsbeeinträchtigungen mit. Er stimmte den Bewertungen des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten zu und schätzte hinsichtlich des Arms rechts und des Beins links den GdB jeweils auf 20 ein. Die Fachärztin für Psychiatrie S. teilte in ihrer Stellungnahme vom 08.05.2012 den Behandlungsverlauf und die Befunde mit. Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten verharmlose die psychische Erkrankung des Klägers. Auf psychiatrischem Fachgebiet schätze die Fachärztin S. den GdB auf mindestens 50 ein.

Anschließend holte das SG von Amts wegen das orthopädische Gutachten des Dr. W. vom 16.07.2012 ein. Dr. W. gelangte in seinem Gutachten zu der Bewertung, auf orthopädischem Gebiet bestünden beim Kläger eine Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes mit Beinverkürzung (Teil-GdB 20), eine leichtgradige Tennisellenbogensymptomatik rechts, geringgradig links (Teil-GdB ( 10) sowie ein leichtgradiges Carpaltunnelsyndrom ohne motorische Komponente (Teil-GdB ( 10). Eine auffallende Funktionseinschränkung im Bereich der Hals- oder Rumpfwirbelsäule bzw. ein typisches Schulter-Arm-Syndrom fänden sich nicht, weshalb insofern ein GdB von 10 nicht anzusetzen sei. Dr. W. schätzte fachorthopädisch den Gesamt-GdB auf 20 ein.

Außerdem holte das SG von Amts wegen das nervenärztliche Gutachten des Professor Dr. G. vom 20.09.2012 ein. Professor Dr. G. gelangte in seinem Gutachten zu der Bewertung, beim Kläger lägen auf nervenärztlichem Gebiet eine Dysthymia (Einzel-GdB 20) sowie ein leicht ausgeprägtes Carpaltunnelsyndrom rechts ohne Funktionsbeeinträchtigung vor. Der Sachverständige schätzte unter Einbeziehung fachfremder GdB-Ansätze den Gesamt-GdB auf 30 ein.

Zudem holte das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das nervenärztliche Gutachten des Professor Dr. Br. vom 04.04.2013 ein. Professor Dr. Br. diagnostizierte beim Kläger eine chronische Dysthymie (Teil-GdB 40), eine somatoforme Schmerzstörung (Teil-GdB 30), eine Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes mit Beinverkürzung (Teil-GdB 20), eine leichtgradige Tennisellenbogensymptomatik rechts, geringgradig links (Teil-GdB 10) und ein leichtgradiges Carpaltunnelsyndrom ohne motorische Komponente (Teil-GdB 10). Professor Dr. Br. schätzte den Gesamt-GdB auf 50 ein.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der Stellungnahme des Versorgungsarztes D. vom 14.10.2013 entgegen. Der Kläger äußerte sich hierzu mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25.11.2013.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2014 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, der Beklagte habe frei von Rechtsfehlern die Feststellung eines GdB von über 40 abgelehnt.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 31.01.2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die vom Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 12.02.2014 beim SG eingelegte Berufung, die dem Landessozialgericht Baden-Württemberg zur Entscheidung vorgelegt worden ist. Der Kläger hat zur Begründung ausgeführt, die Fachärztin für Psychiatrie S. habe in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 08.05.2012 allein auf psychiatrisch-neurologischem Gebiet einen GdB von mindestens 50 bejaht. Diese Feststellung werde von Professor Dr. Br. geteilt. Das SG habe die Feststellungen der Fachärztin für Psychiatrie S. und des Professor Dr. Br. in seinem Gutachten nur unzureichend berücksichtigt. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte, an den Feststellungen des Professor Dr. Br. zu zweifeln.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Januar 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat zur Begründung vorgetragen, das SG habe bestätigt, dass eine wesentliche Verschlechterung, die zu einer Anhebung des GdB auf mehr als 40 führen müsse, nicht nachgewiesen sei. Das SG habe nachvollziehbar ausgeführt, warum Professor Dr. Br. und der Ärztin S. nicht gefolgt werden könne. Sachargumente, die eine abweichende Beurteilung begründen könnten, seien der Berufungsschrift nicht zu entnehmen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 02.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Neufeststellung des GdB von 50 oder höher zu.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Hiervon ausgehend ist beim Kläger im Vergleich zum letzten bindenden Feststellungsbescheid (Teil-Abhilfebescheid) des Beklagten vom 21.10.2008 mit einem GdB von 40 berücksichtigten Behinderungszustand des Klägers eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand des Klägers, die die Neufeststellung eines höheren GdB (50 oder mehr) rechtfertigt, nicht eingetreten, wie das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend begründet hat. Das SG hat zutreffend ausgeführt, für die vom Beklagten berücksichtigten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Schulter-Arm-Syndrom sei nicht angezeigt, eine Behinderung festzustellen. Der Ansicht von Dr. H. , der im Bereich des rechten Arms von einer Behinderung mit einem Teil-GdB von 20 ausgeht, sei nicht zu folgen. Entsprechendes gelte für die Ansicht von Professor Dr. Br. , der für eine leichtgradige Tennisellenbogensymptomatik sowie ein leichtgradiges Carpaltunnelsyndrom jeweils einen Teil-GdB von 10 angenommen habe. Der Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes bei Beinverkürzung sei ein GdB von 20 zuzuordnen. Die Behinderung auf psychiatrischem Fachgebiet bedinge einen GdB von 20. Der Gesamt-GdB betrage 30. Der abweichenden Ansicht der Psychiaterin S. sowie des Professor Dr. Br. sei nicht zu folgen. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis. Er macht sich zur Begründung seiner eigenen Entscheidungen die Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zu Eigen, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsverfahren bleibt auszuführen:

Beim Kläger liegen auf nervenärztlichem Fachgebiet keine Behinderungen vor, die jedenfalls einen Teil-GdB von mehr als 30 rechtfertigen, wie ihn der Beklagte entsprechend der gutachtlichen Stellungnahme von Dr. St. vom 07.03.2011 im streitgegenständlichen Bescheid vom 02.05.2011 zu Grunde gelegt hat.

Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetative oder psychische Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Beim Kläger kann auf nervenärztlichem Gebiet allenfalls von stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ausgegangen werden. Nach dem im Gutachten von Professor Dr. G. vom 20.09.2012 beschriebenen psychischen Befund zeigten sich beim Kläger keine Bewusstseins-, Orientierungs-, Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Antrieb, Psychomotorik, Affektivität sowie formales und inhaltliches Denken sind ebenso unauffällig. Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen sind nicht festzustellen. Auch nach dem von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten vom 04.04.2013 beschriebenen psychischen Befund ließen sich beim Kläger eine Einschränkung der sozialen Kontaktfähigkeit, Orientierungsstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Störungen der Ich-Funktionen, Störungen des Gedankenganges, Auffälligkeiten des Gedankeninhaltes eine wesentliche Beeinträchtigung des Umstellungs-/Anpassungsfähigkeit sowie eine Einschränkung der Gedächtnisleistungen, der Aufmerksamkeit, der Konzentrationsfähigkeit, der Kritikfähigkeit sowie eine Zwangssymptomatik nicht feststellen. Zwar beschreibt Professor Dr. Br. in seinem Gutachten eine etwas angespannte Psychomotorik, einen wechselhaften Gesichtsausdruck/Mimik, einen streckenweise etwas niedergeschlagen wirkenden Kläger, eine eher zurückhaltende Gestik, eine gedrückte und besorgte Grundstimmung, eine dezent in Richtung des depressiven Pools eingeengte Affektivität, einen leicht reduzierten Antrieb, eine Tendenz zur Somatisierung sowie eine zeitweise aufkommende Lebensüberdrüssigkeit. Dass der Kläger unter einer Depression leidet, haben weder Professor Dr. G. noch Professor Dr. Br. in ihren Gutachten diagnostiziert. Beide gehen übereinstimmend vom Vorliegen einer (chronischen) Dysthymia aus. Professor Dr. G. führt in seinem Gutachten weiter nachvollziehbar und zutreffend aus, dass auch in den Vorbefunden keine Symptomatik aufgeführt wird, die mit einer depressiven Episode nach ICD 10 vereinbar ist. Dass beim Kläger eine rezidivierende chronifizierte depressive Störung vorliegt, wie die Fachärztin für Psychiatrie S. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 08.05.2012 angegeben hat, ist damit für den Senat nicht belegt.

Die Ansicht von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten, beim Kläger sei zusätzlich eine somatoforme Schmerzstörung mit einem Teil-GdB von 30 zu berücksichtigen, überzeugt nicht. Das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung haben weder Professor Dr. G. in seinem Gutachten vom 20.09.2012 noch die den Kläger behandelnde Fachärztin für Psychiatrie S. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 08.05.2012 diagnostiziert. Auch nach den Beschreibungen von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten ist beim Kläger lediglich von einer Tendenz zur Somatisierung seiner inneren Konflikte auszugehen. Eine gesicherte somatoforme Schmerzstörung lässt sich hieraus noch nicht überzeugend ableiten. Nach den von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten beschriebenen Angaben des Klägers hat der Kläger Schmerzen in der linken Hüftregion/linkes Hüftgelenk, Rückenschmerzen, Schmerzen in beiden Lendenregion und im Bereich des linken Ellenbogengelenkes sowie im Bereich seines Hinterkopfes geltend gemacht, die im Hinblick auf das Gutachten des Dr. W. vom 16.07.2012 jedenfalls teilweise durch orthopädische Gesundheitsstörungen ein medizinisches Korrelat finden, worauf Professor Dr. Br. in seinem Gutachten nicht eingeht. Auch sonst hat Professor Dr. Br. das Vorliegen einer zusätzlich zu berücksichtigenden somatoformen Schmerzstörung in seinem Gutachten nicht nachvollziehbar begründet. Entsprechendes gilt für seine Teil-GdB Bewertung von 30. Ein Zustand, der einen eigenständigen GdB von 30 wegen einer Schmerzstörung rechtfertigt, ist nicht ersichtlich, worauf der Versorgungsarzt D. in seiner Stellungnahme vom 14.10.2013, die der Senat als sachverständiges Parteivorbringen verwertet, überzeugend hinweist. Soweit Professor Dr. Br. annimmt, dass das Schmerzgeschehen beim Kläger eine große Rolle spiele, lässt sich dies seinem Gutachten nicht nachvollziehbar entnehmen. Dass der Kläger etwa auf die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen ist, beschreibt Professor Dr. Br. in seinem Gutachten nicht. Nach dem Gutachten von Dr. W. ist nach den im Gutachten beschriebenen Angaben des Klägers vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger Schmerzmittel nur unregelmäßig nach Bedarf benötigt. So hat der Kläger bei der Begutachtung durch Dr. W. angegeben, er nehme Schmerzmittel (Voltaren Resinat) wenn er Schmerzen habe; zuletzt habe er eine Tablette vor einer Woche genommen. Nach den von Professor Dr. G. in seinem Gutachten beschriebenen Angaben benötigt der Kläger drei- bis viermal wöchentlich eine Schmerztablette. Dem entspricht im Wesentlichen auch die Beschreibung des Professor Dr. Br. in seinem Gutachten (Voltaren-Resinat bei Bedarf). Dass beim Kläger eine somatoforme Schmerzstörung besteht, die neben der Dysthymia zusätzlich mit einem Teil-GdB zu berücksichtigen ist, ist für den Senat damit nicht belegt.

Danach kann beim Kläger auf psychiatrischem Fachgebiet allenfalls von einem Teil-GdB von 30 ausgegangen werden. Schwere psychische Störungen liegen beim Kläger nicht vor. Nach dem Gutachten von Professor Dr. G. handelt es sich bei einer Dysthymia um eine leichtere psychische Störung. Dieser Bewertung ist zwar Professor Dr. Br. in seinem Gutachten entgegen getreten. Gravierende psychische Beeinträchtigungen des Klägers lassen sich jedoch seiner Befundbeschreibung im Gutachten nicht entnehmen, weshalb die Meinung von Professor Dr. Br. , das dysthyme Krankheitsgeschehen des Klägers habe vor allem auch relevante Folgen (Seite 25) den Senat nicht überzeugt, zumal für einzelne Einschränkungen (z.B. Schlafstörung, Interessenverlust) nicht hinreichend abgegrenzt ist, ob sie Folgen der Nachtarbeit oder Krankheitssymptome sind. Der Versorgungsarzt D. führt in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.10.2013 zutreffend und überzeugend aus, dass die von Professor Dr. Br. beschriebenen oben dargestellten (psychischen) Auffälligkeiten noch keine Symptome einer wesentlich eingeschränkten Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sind. Dieser Bewertung schließt sich der Senat an. Selbst wenn jedoch von einer - krankheitsbedingten - wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers ausgegangen würde, ist es nicht gerechtfertigt, den nach den dargestellten Bewertungsvorgaben der VG vorgesehenen GdB-Rahmen nach oben auf 40 auszuschöpfen. Die von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten beschriebenen psychischen Auffälligkeiten des Klägers sind leichten Schweregrads, die eine Ausschöpfung des GdB-Rahmens nicht rechtfertigen. Weiter ist der Kläger (als berufstätiger Koch) zu einer strukturierten Tagesgestaltung in der Lage, pflegt als Hobby die Reparatur elektrischer Geräte, hat einen kleinen Freundeskreis (nicht so viel) und übt Freizeitgestaltung (Urlaub in der Türkei, schaue gerne Fußballspiele an), was gegen wesentliche funktionellen Einschränkungen oder einen wesentlichen sozialen Rückzug spricht, sondern auf eine erhaltene soziale Kompetenz hindeutet. Auch Professor Dr. Br. hat nach seinen Beschreibungen im Gutachten eine Einschränkung der sozialen Kontaktfähigkeit des Klägers nicht festgestellt, was ebenfalls gegen eine Ausschöpfung des GdB-Rahmens spricht. Weiter spricht hiergegen, dass sich der Kläger nur in relativ langen Zeitabständen (alle 4 bis 6 Wochen) in psychiatrischer Behandlung befindet, wie sich aus der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage der Fachärztin für Psychiatrie S. vom 08.05.2012 ergibt und was der Kläger zudem bei der Begutachtung durch Dr. G. bestätigt hat. Nach den überzeugenden Ausführungen von Professor Dr. G. in seinem Gutachten liegt hierin eine Inkonsistenz zwischen dem Ausmaß der vom Kläger geschilderten Beschwerden und der Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe.

Der abweichenden Ansicht von Professor Dr. Br. in seinem Gutachten kann aus den genannten Gründen nicht gefolgt werden. Entsprechendes gilt auch für die abweichende Bewertung der Fachärztin für Psychiatrie S. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 08.05.2012. Zusätzliche Gesichtspunkte, die ihre Bewertung des GdB mit 50 auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet rechtfertigen könnten, lassen sich ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage nicht entnehmen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

Auf orthopädischem Fachgebiet ist beim Kläger weiter eine Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes mit Beinverkürzung mit einem Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen, wie Dr. W. in seinem Gutachten vom 16.07.2012 nachvollziehbar und überzeugend begründet hat. Zusätzlich zu berücksichtigenden Behinderungen des Klägers mit einem Teil-GdB von wenigstens 10 liegen nach dem überzeugenden Gutachten von Dr. W. beim Kläger nicht vor. Auch sonstige Gesundheitsstörungen, insbesondere auf neurologischem Fachgebiet, die mit einem Teil-GdB von wenigstens 10 zu berücksichtigen sind, sind nach den vom SG eingeholten Gutachten wie auch den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nicht ersichtlich und werden im Übrigen vom Kläger im Berufungsverfahren auch nicht geltend gemacht.

Hiervon ausgehend ist beim Kläger eine wesentliche Änderung seines Gesundheitszustandes, die eine Neufeststellung des GdB von mindestens 50 rechtfertigt, nicht belegt. Die Bemessung des Gesamt-GdB erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP bzw. der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Danach ist beim Kläger selbst bei einem zu seinen Gunsten unterstellten Teil-GdB von 30 auf psychiatrischem Fachgebiet kein höherer Gesamt-GdB als 40 festzustellen. Der Teil-GdB von 30 wird durch die mit einem Teil-GdB von 20 zu berücksichtigende Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks mit Beinverkürzung auf 40 erhöht. Weitere erhöhend zu berücksichtigenden Behinderungen liegen beim Kläger nicht vor. Im Vergleich zu dem im Teil-Abhilfebescheid vom 21.10.2008 bereits mit einem GdB von 40 berücksichtigten Behinderungszustand des Klägers ist damit eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Darauf, ob dem SG darin zu folgen ist, dass der Gesamt-GdB mit 30 zu bewerten sei, kommt es nicht relevant an.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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