L 11 R 954/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 292/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 954/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.01.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1964 geborene Klägerin hat den Beruf der Flachglasveredlerin erlernt. Aufgrund eines am 19.05.1987 erlittenen Arbeitsunfalls bezieht die Klägerin eine Verletztenrente der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft nach einer Minderung der Erwerbsfähigeit (MdE) von 45 vH. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: endgradige Beugeeinschränkung des linken Kniegelenks, Gefühlsstörungen im Bereich des rechten Ober- und Unterschenkels sowie des Fußrückens, geringgradige Großzehenheberschwäche rechts, Blasenentleerungsstörung und Potenzverlust. Mit Beschluss vom 17.09.2013 stellte das Amtsgericht Hechingen fest dass der ehemals männliche Kläger nunmehr dem weiblichen Geschlecht zugehörig ist.

Am 18.08.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagten erbat zunächst einen Befundbericht des Internisten Dr. Rewes. Im Anschluss beauftragte sie die Neurologin und Psychiaterin Dr. Reinecke mit der Erstellung eines Gutachtens. In ihrem Gutachten vom 31.10.2010, Untersuchung der Klägerin am 27.10.2010, stellte die Gutachterin folgende Diagnosen: Arterielle Hypertonie, Zustand nach schwerer Depression 2000/2001, Zustand nach Hodenkrebs 2009 und Zustand nach Arbeitsunfall mit Residualsymptomatik am linken Bein und rechten Fuß, Harnentleerungsstörung und Impotenz. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hätten sich keine Befunde ergeben, die die Ausübung der bisherigen beruflichen Tätigkeit in Frage stellen könnten.

Darüber hinaus beauftragte die Beklagte Dr. Meinhof, Facharzt für Allgemeinmedizin, mit der Erstellung eines Gutachtens. Der Gutachter teilte in seinem Gutachten vom 13.12.2010 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 23.11.2010 mit, dass die Klägerin an einem Zustand nach Hodenkarzinom links mit abdomineller Lymphknotenausräumung (kein Rezidiv oder Metastasierung), einem medikamentösen Bluthochdruck (ohne cardiale, renale oder Folgeschäden), einer Adipositas (mit BMI von 37, nutritiver Fettleber, kombinierter Hyperlipoproteinämie), einem chronischem Schmerzsyndrom bei Zustand nach Unfallverletzung (mit linksseitiger Oberschenkelfraktur, Beckenfraktur, Ileosakralfugensprengung, Urethraabriss und verbliebener Miktionsstörung), einem Zustand nach beidseitiger Meniskusoperation der Kniegelenke (rechts 1990; links 2005) und einer reaktiven Depression (anamnestisch bekannt seit 2002 ohne aktuelle therapeutische Intervention) leide. Sowohl die letzte berufliche Tätigkeit als auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten sechs Stunden und mehr ausgeübt werden.

Mit Bescheid vom 29.12.2010 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag der Klägerin ab.

Die Klägerin erhob am 17.01.2011 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass die festgestellte Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei den ärztlichen Begutachtungen keine ausreichende Rolle gespielt habe. Dabei sei ersichtlich, dass aufgrund dieser Wirbelsäulenproblematik keine leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Umfang von drei Stunden täglich verrichtet werden könnten. Des Weiteren sei es verwunderlich, dass bezüglich der internistischen Untersuchung mit Dr. Meinhof ein Facharzt für Allgemeinmedizin beauftragt worden sei. Es hätte hier ein Facharzt für Innere Medizin herangezogen werden müssen. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens werde im Übrigen die Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Arzt Dr. Rewes vermisst. Dieser könne über die einzelnen Krankheitsbilder ausführlich Auskunft geben. Zu folgenden Einschränkungen werde in den Gutachten keine Stellung genommen: müde, abgeschlagen, kaputt, Gliederschmerzen, Kräfteverlust, nicht belastbar (100 Joule, letztes Belastungs-EKG), stark schwankender Blutdruck bei Belastung (trotz hoher Medikamentierung), des Öfteren blaue/graue Fingerspitzen mit einhergehendem Kribbeln am ganzen Körper.

Die Beklagte erbat daraufhin nochmals einen Befundbericht von Dr. Rewes und einen Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Engele. Darüber hinaus gab die Beklagte bei dem Chirurgen/Unfallchirurgen Dr. Morlok ein Gutachten in Auftrag. In seinem Gutachten vom 13.09.2011 stellte dieser fest, dass sich ausgeprägte degenerative Veränderung im Bereich der gesamten Wirbelsäulen fänden. Im Bereich des Beckens seien die Symptome einer Arthrose der ISG-Fugen beiderseits nachweisbar. Ebenso seien arthrotische Veränderungen beider Hüftgelenke nachweisbar. Weiterhin finde sich ein ausgedehntes Narbenfeld im Bereich des Abdomens mit eingezogenen Narben. Bruchlücken seien nicht nachweisbar. Als Folge der Lymphadenektomie bestünden prätibiale Lymphödeme beidseits. Aufgrund dieser Veränderungen bestünden glaubhafte subjektive Beschwerden, wodurch die Belastbarkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt sei, sodass eine Belastbarkeit der Klägerin nur noch für leichte Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden gegeben sei.

In ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme gab Dr. Scheuer an, eine höhergradige Minderfunktion aufgrund der orthopädischen Leiden liege nicht vor. Insoweit könne keine Leistungsminderung aus den vorliegenden Befunden abgeleitet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2012 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit ihrer am 30.01.2012 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht geltend, dass die im Widerspruchsverfahren gehörten Dr. Rewes und Dr. Engele in ihren Befundberichten nichts Verwertbares in Bezug auf das Vorliegen von Erwerbsminderung ausführten. Dr. Morlok komme zu dem eindeutigen Ergebnis, dass sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwischen drei und sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Es liege daher zumindest teilweise Erwerbsminderung vor. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso die Beklagte anhand dieser Ergebnisse zu der Feststellung gelangt sei, es liege keine Erwerbsminderung vor. Unabhängig davon leide die Klägerin aber auch an weiteren Belastungseinschränkungen, wie ein zuletzt durchgeführtes Belastungs-EKG ergeben habe. Seitens des Kardiologen bestehe die Vermutung, dass dies mit Schlafstörungen zusammenhängen könnte.

Das SG hat daraufhin zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt. In seiner Stellungnahme vom 29.04.2012 hat der Kardiologe und Diabetologe Dr. Rietzler ausgeführt, es sei eine einmalige Untersuchung am 21.03.2012 erfolgt. Es bestünden keine Bedenken gegen die Beurteilung, wonach die Klägerin noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Es bestehe kein Hinweis auf eine kardiale Belastungsischämie. Nur eine leichtgradige Mitralklappeninsuffizienz, eine arterielle Hypertonie und ein Zustand nach Hodentumor 2002 sei feststellbar. In der Ergometrie sei eine stufenweise Belastung bis max 125 Watt möglich gewesen, dann sei ein Abbruch wegen Erschöpfung erfolgt. Der Internist und Hausarzt Dr. Rewes hat mit Schreiben vom 13.05.2012 geäußert, dass eine arterielle Hypertonie, leichtgradige Mitralklappenisuffizienz und der Verdacht auf anhaltende Anpassungsstörungen mit depressiver Symptomatik sowie Schmerzsyndrom nach Beckenringfraktur mit Harnleiterabriss und Oberschenkelfraktur links 1987 und Schädelhirntraum mit Verdacht auf Hirnkontusion sowie Zustand nach Hodencarcinom 2002 bestünden. Im Vordergrund dürfte am ehesten die neurologische Symptomatik stehen. Ursächlich spielten vermutlich auch die lebenseinschneidenden Ereignisse - Unfälle und durchgemachte Erkrankungen - mit eine Rolle. Die kardiologischen Befunde stünden nicht im Vordergrund. Das für die Leistungstätigkeit maßgebliche Fachgebiet sei das der Neurologie. Der derzeitige Gesundheitszustand und die Belastbarkeit könnten nicht beurteilt werden, da die Klägerin seit Februar 2012 keine Krankmeldung mehr gebraucht habe und sich seither nur noch sporadisch, dh um Medikamente verordnen zu lassen, in der Praxis vorgestellt habe.

In der Stellungnahme vom 02.08.2012 hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Engele geäußert, das für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit maßgebliche Leiden liege im Fachgebiet der Schmerztherapie, Chirurgie, Inneren Medizin und gleichwertig auch auf psychiatrischem Fachgebiet, wegen der Anpassungsstörung als Folge der erlebten Leistungsinsuffizienz. Bezüglich des psychiatrischen Fachgebiets bestünden jedoch keine Bedenken gegen die Beurteilung, die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Das Gericht hat sodann das fachorthopädisch-unfallchirurgische Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Knak vom 24.10.2012 eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 24.10.2012 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin vom gleichen Tag folgende Diagnosen mitgeteilt: wiederkehrendes muskuläres, leicht fehlstatisches und mehrsegmental degeneratives Gesamtwirbelsäulensyndrom, Restbeschwerdesymptomatik nach Wegeunfall 1987 mit Beckenbruch rechts und Oberschenkelbruch links mit Gefühlsstörungen, Großzehenheberschwäche rechts geringer Ausprägung und Bewegungseinschränkungen beider Hüftgelenke, beginnende degenerative Veränderungen beider Kniegelenke ohne Reizzeichen mit freien Gelenkbeweglichkeiten, Senk-Spreizfüße beidseits, beginnende degenerative Veränderungen beider Sprunggelenke mit endgradiger Bewegungseinschränkung rechts, beginnende geringe degenerative Veränderungen linker Ellenbogen bei freien Gelenkbeweglichkeiten beidseits ohne Reizzeichen und beginnende degenerative Veränderungen beider Handgelenke, beider Daumensattelgelenke und im Bereich diverser Langfingermittel- und Endgelenke beidseits. Aufgrund der nachvollziehbaren Beschwerdesympotmatik im Beckenbereich als Folge des Wegeunfalls 1987 werde empfohlen, zuzüglich zu den üblichen Arbeitspausen zwei weitere Pausen je 10 Minuten im Laufe eines Arbeitstages und nach freier Wahl zuzugestehen. In der Zusammensicht lasse sich die Darstellung des chirurgischen Gutachters vom September 2011 mit der Empfehlung der Anerkennung eines drei bis unter sechsstündigen Leistungsvermögens zum heutigen Zeitpunkt nicht darstellen. Die Klägerin selbst gebe keinen so erheblichen Beschwerdedruck an, als dass sie ständig notwendigerweise eine Therapie bezüglich der Unfallfolgen benötige. Die medikamentöse Therapie dürfe als niederpotente Bedarfsmedikation bezeichnet werden. Die vorgenannten Sitz-, Steh- und Gehzeiten bedeuteten lediglich qualitative Einschränkungen. Perspektivisch sei die Klägerin nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten ohne der Notwendigkeit schweren Hebens, Tragens und Bewegens von Lasten für mehr als 5 bis 10 kg ohne Hilfsmittel in häufiger Abfolge durchzuführen. Tätigkeiten mit der Notwendigkeit der Einnahme von häufigen Zwangshaltungen sowie häufigem Bücken seien nicht sinnvoll. Die Tätigkeit sollte vermehrt im Sitzen mit geringem Steh- und Gehanteil stattfinden können. Tätigkeiten mit der vermehrten Notwendigkeit des gehäuften Kletterns und/oder Steigens seien nicht sinnvoll. Das Arbeiten auf Gerüsten und Leitern solle vermieden werden, ebenso Tätigkeiten mit der besonderen Exposition von Kälte, Zugluft und Nässe. Die sozialmedizinisch relevante Gehstrecke zum Erreichen eines Arbeitsplatzes sei der Klägerin problemlos zumutbar. Die Klägerin sei insoweit in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes an fünf Tagen in der Woche sechst Stunden täglich auszuüben.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.01.2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach dem nachvollziehbaren Gutachten von Dr. Knak sei die Klägerin noch in der Lage, im zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auszuüben. Sowohl auf internistischem, als auch auf nervenärztlichem Fachgebiet bestünden keine Anhaltspunkte für eine quantitative Erwerbsminderung. Auch keine sonstigen schwerwiegenden spezifischen Leistungseinschränkungen, die ausnahmsweise die Annahme eines verschlossenen Arbeitsmarktes trotz sechsstündiger Erwerbsfähigkeit bedingen könnten, seien ersichtlich.

Der Gerichtsbescheid ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 04.02.2013 mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden.

Am 04.03.2013 hat die Klägerin gegen den Gerichtsbescheid Berufung eingelegt und zur Berufungsbegründung ausgeführt, das Gericht habe bei seiner Entscheidung außer Acht gelassen, dass das Gutachten von Dr. Knak den Feststellungen von Dr. Morlok widerspreche. Die orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin seien entgegen der Auffassung von Dr. Knak derart gravierend, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden täglich zur Verfügung zu stehen. Auch die bestehenden psychischen Beschwerden der Klägerin seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dies gelte auch für die Schlafapnoe mit ihren Folgen. Hinzu komme nunmehr, dass die Klägerin nach langem Leidensdruck ihre Transsexualität offenbart habe. Auch dies müsse berücksichtigt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.01.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung ab 01.08.2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.

Auf Bitten der Beklagten hat die Klägerin das Gutachten von Prof. Dr. Pfäfflin übersandt, das zu Frage Stellung genommen hat, ob die sachverständig zu beurteilenden Voraussetzungen für eine Vornamens- und Personenstandsänderung nach dem Transsexuellengesetz vorliegen. Darüber hinaus hat der Senat nochmals Dr Rietzler zum Krankheitszustand der Klägerin befragt. In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 04.08.2013 teilt er diesbzgl mit, dass trotz der Schlaf-Apnoe-Erkrankung von einem vollschichtigen Leistungsvermögen auszugehen sei.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG hat das Gericht darüber hinaus Prof. Dr. Stevens mit der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung der Klägerin beauftragt. Prof. Dr. Stevens kommt in seinem Gutachten vom 03.04.2014 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 24.03.2014 zu dem Ergebnis, dass auf neurologischem Fachgebiet bei der Klägerin eine Teilschädigung des N. cutaneus femoris lateralis rechts sowie eine mittelschwer ausgeprägte Neuropathie vorliege. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei keine Gesundheitsstörung zu benennen. Eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungen liege nicht vor. Die Klägerin sei demnach noch in der Lage, ohne Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zu verrichten.

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 20.08.2014 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des LSG, des SG und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind den § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser, als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine 5-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom SG und vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs und mehr Stunden an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Die Klägerin ist damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Die Klägerin leidet auf orthopädischem Fachgebiet an einem degenerativen Gesamtwirbelsäulensyndrom, einer Restbeschwerdensymptomatik nach Wegunfall 1987 mit Beckenbruch rechts und Oberschenkelbruch links mit Gefühlsstörungen, einer Großzehenheberschwäche rechts geringer Ausprägung und Bewegungseinschränkungen beider Hüftgelenke, beginnenden degenerativen Veränderungen beider Kniegelenke ohne Reizzeichen, mit freier Gelenkbeweglichkeit, Senk-Spreizfüßen beidseits, beginnenden degenerativen Veränderungen beider Sprunggelenke mit endgradiger Bewegungseinschränkung rechts, beginnenden geringen degenerativen Veränderungen des linken Ellenbogens bei freier Gelenkbeweglichkeit beidseits ohne Reizzeichen, beginnenden degenerativen Veränderungen beider Handgelenke, beider Daumensattelgelenke und im Bereich diverser Langfingermittel- und Endgelenke beidseits. Aufgrund der genannten Diagnosen ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, Lasten von mehr als 5 bis 10 kg ohne Hilfsmittel in häufiger Abfolge zu heben, zu tragen und zu bewegen. Auch Tätigkeiten mit der Notwendigkeit der Einnahmen von häufigen Zwangshaltungen sowie häufigem Bücken sind nicht leidensgerecht. Tätigkeiten vermehrt im Sitzen mit geringen Steh- und Gehanteilen sind jedoch möglich. Tätigkeiten mit der vermehrten Notwendigkeit des gehäuften Kletterns und/oder Steigens, das Arbeiten auf Gerüsten und Leitern sind zu vermeiden, ebenso Tätigkeiten mit der besonderen Exposition von Kälte, Zugluft und Nässe. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. Kank vom 24.10.2012. Die vom Gutachter mitgeteilten Diagnosen und qualitativen Leistungseinschätzungen lassen sich aus den Befunden nachvollziehbar und schlüssig ableiten. Nachvollziehbar und schlüssig ist auch seine Leistungsbewertung, wonach die Klägerin noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben.

Demgegenüber vermag das Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren von Dr. Morlok nicht zu überzeugen. So begründet dieser seine Leistungseinschätzung mit erheblich degenerativen Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule, einer beginnenden Coxarthrose beidseits mit Arthrose des ISG-Gelenks. Es bestünden glaubhafte subjektive Beschwerden, sodass das Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, ebenso das Heben und Tragen und Bewegen von Lasten, welche schwerer sind als 10 kg erheblich erschwert sei. Es bestünde eine Gang- und Standunsicherheit. Auch Arbeiten in Zwangshaltungen seien nicht möglich. Damit aber stimmen die von Dr. Morlok mitgeteilten qualitativen Leistungseinschränkungen weitestgehend mit denen von Dr. Knak überein. Nicht nachvollziehbar ist freilich, wie Dr. Morlok über qualitative Leistungseinschränkungen hinaus aus dem mitgeteilten Befund auch quantitative Leistungseinschränkungen ableitet. So schildert er selbst nur eine beginnende Coxarthrose, ohne erhebliche Leistungseinschränkungen diesbezüglich zu nennen. Hinsichtlich der Wirbelsäule werden keine entsprechend schwergradigen objektiven Befunde erhoben. Auch detaillierte Angaben zu den subjektiven Beschwerden und deren Objektivierung fehlen, weshalb den Leistungseinschätzungen von Dr. Knak zu folgen ist. Dies gilt umso mehr, als dieser zutreffend auf einen fehlenden erheblichen Beschwerdedruck hinweist, so dass eine ständige fachärztliche Betreuung nicht erfolgt. Auch die medikamentöse Therapie ist in Übereinstimmung mit dem Gutachter nur als niederpotente Bedarfsmedikation zu bezeichnen. Schließlich wurde die von Dr. Morlok genannte Gang- und Standunsicherheit sowohl bei Dr. Knak als auch bei der Begutachtung durch Prof. Dr. Stevens ausgeschlossen.

Eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt sich auch nicht auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. Prof. Dr. Stevens hat in seinem Gutachten vom 03.04.2014 aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 24.03.2014 auf neurologischem Fachgebiet lediglich eine Teilschädigung des N. cutaneus femoris lateralis rechts sowie eine mittelschwer ausgeprägte Neuropathie und auf psychiatrischem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen festgestellt. Die Gesundheitsstörungen wirken sich nicht nachteilig auf die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin aus. Die Neuropathie ist nicht ausgeprägt genug, um eine Fußlähmung oder eine Gang- und Standunsicherheit hervorzurufen. Das Geh- und Stehvermögen ist nicht beeinträchtigt.

Die Einschätzung des Gutachters wird auch durch die Einschätzung des behandelnden Facharztes Dr. Engele unterstützt, der ebenfalls davon ausgeht, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes über sechs Stunden täglich verrichten kann. Schließlich ist auch aus dem überlassenen Gutachten von Prof. Dr. Pfäfflin kein psychiatrischer Befund zu entnehmen, der auf eine quantitative Leistungsminderung schließen würde. Prof. Dr. Pfäfflin teilt mit, dass es differenzialdiagnostisch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen körperlicher oder seelischer Erkrankungen, die gelegentlich mit einer transsexuellen Begleitsymptomatik einhergehen können, gegeben sei. Auch Dr. Reinecke kommt in ihrem Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren dementsprechend zu einem Leistungsvermögen von über sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt sich schließlich auch nicht auf internistischem Fachgebiet. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. Meinhof aus dem Verwaltungsverfahren. Dieser stellte folgende Diagnosen: kompensierter arterieller Hypertonus ohne kardiale, renale oder vasculäre Folgeschäden, nutritive Adipositas mit Fettleber und Hyperlipidämie und zurückliegendes Hodenkarzinom ID 202 in voller Remission. Er teilt insoweit in seinem Gutachten mit, dass kein überdurchschnittlicher Zeit- und Leistungsdruck, keine extremen Temperaturschwankungen und keine Steh- und Laufbelastungen zumutbar seien. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen seien jedoch sechs Stunden leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar.

Auch hinsichtlich des Schlaf-Apnoe-Syndroms liegt keine quantitative Leistungsminderung vor. So verneint Prof. Dr. Stevens ausdrücklich eine Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Im Übrigen geht auch der behandelnde Arzt Dr. Rietzler von einem Leistungsvermögen von über sechs Stunden pro Arbeitstag in seiner sachverständigen Zeugenaussage aus.

Schließlich fehlen auch Ansatzpunkte dafür, dass bei der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre. Den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen wird bereits durch den Umstand Rechnung getragen, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind. Schließlich ist hier nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinn der Rechtsprechung des BSG unter den aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5 ARKN 28/82, BSGE 56, 64 SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 in BSGE 80, 2 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Insbesondere ergibt sich aus den vorliegenden Gutachten nicht, dass die Klägerin betriebsunübliche Pausen benötigt. Zwar hat Dr. Knak zwei weitere Pausen zu den arbeitsüblichen Pausen empfohlen, ein zwingendes Erfordernis ist hierin jedoch nicht bei einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts, die im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt werden kann, zu sehen. Zumindest aber handelt es sich um kurzzeitige erforderliche Arbeitsunterbrechungen, die keine unüblichen Pausen darstellen. Zeiten, in denen persönliche Belange wahrgenommen werden (so genannte persönliche Verteilzeiten), werden zwar nicht unmittelbar für den Arbeitsprozess selbst verwendet, gelten jedoch als Arbeitszeit. Im Rahmen dieser Verteilzeiten kann die Klägerin der Empfehlung des Dr. Knak ausreichend Rechnung tragen. Es war daher im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit die Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ausüben kann, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass die Klägerin vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Die Klägerin ist nach dem maßgeblichen Stichtag geboren, weshalb eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bereits aus diesem Grund ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 1 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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