S 38 KA 1035/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 1035/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung im Quartal 2/2012 (Widerspruchsbescheid vom 16.10.2013).

Die Beklagte brachte die von der Klägerin, einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), das im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin, der Gynäkologie, der Geburtshilfe und der Neurochirurgie tätig ist, durch die Dres. H.N. und D.K. erbrachten Leistungen der Kinder- und Jugendmedizin zur Absetzung, weil die Abrechnungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Deren früherer Leiter Dr. M., der als Facharzt der Kinder- und Jugendmedizin tätig war, schied zum 09.04.2012 aus dem MVZ aus. Sein Ausscheiden war etwa einen Monat vorher bekannt.

Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 04.04.2012 teilte dieser dem Zulassungsausschuss folgendes mit:

" Herr M. wird mit Wirkung zum 09.04.2012 aus dem MVZ ausscheiden; eine entsprechende Mitteilung geht mit gleicher Post an den Zulassungsausschuss Ärzte Schwaben. Im Zeitraum vom 10.04.2012 bis voraussichtlich zum 30.06.2012 wird Herr M. von den Kinderärzten Dr. H.N. und Dr. D.K. , in etwa gleichem zeitlichen Umfang vertreten."

Zur Begründung führte die Beklagte aus, es handle sich um keine lediglich vorübergehende Abwesenheit von Dr. M. und damit auch nicht um einen Vertretungsfall nach § 32 Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV). Einzige Ausnahme sei das sog. Witwenquartal.

Dagegen ließ die Klägerin Klage zum Sozialgericht München einlegen. Entgegen der Auffassung der Beklagten handle es sich um einen Vertretungsfall, vergleichbar mit der Situation eines sog. Witwenquartals. Im Übrigen seien die zivilrechtlichen Grundsätze über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff. BGB) anwendbar.

Die kinder- und jugendmedizinische Versorgung ohne die Leistungen, die die Klägerin durch die Dres. N. und K. erbracht habe, wäre in der Region zusammengebrochen, da es keinerlei andere Versorgungsmöglichkeiten gegeben habe. Immerhin seien durch die Klägerin im streitigen Quartal 700 Kinder behandelt worden. Schließlich habe die Beklagte ihre Beratungs- und Fürsorgepflichten verletzt, die sie gem. § 3 der Satzung der KVB wahrzunehmen habe. Abgesehen davon wäre das Schreiben vom 04.04.2012 einzig und allein als Antrag auf Genehmigung eines Sicherstellungsassistenten für den Fall auszulegen gewesen, dass ein Vertretungsfall rechtlich ausschied. In dem Zusammenhang könne die fehlende Genehmigung nicht entgegengehalten werden. Wie das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 28.03.2007, Az B 6 KA 30/06 R) ausgeführt habe, liege der Sinn der Genehmigung in der Überprüfung der Qualifikation des jeweiligen Sicherstellungsassistenten. Im streitgegenständlichen Fall sei aber ein solches Überprüfungs- und Informationsinteresse nicht erkennbar. Die die strittigen Leistungen erbringenden Ärzte seien seit längerer Zeit tätig und der Beklagten bekannt.

Zum Vorhalt nicht eingehaltener Beratungs- und Fürsorgepflichten wies die Be-klagte darauf hin, die Klägerin sei anwaltschaftlich vertreten. Die Problematik, dass kein Vertretungsfall vorlag, hätte daher der Klägerin bekannt sein müssen. Im Übrigen sei der Prozessbevollmächtigte in einem Telefonat am 13.04.2012 auf die "Vertretungsproblematik" durch die Beklagte hingewiesen und empfohlen worden, mit der Service-Abteilung der KVB Kontakt aufzunehmen.

In der mündlichen Verhandlung am 01.10.2014 stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 31.07.2014. Die Vertreter der Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 01.10.2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet.

Der Antrag der Klägerseite vom 04.04.2012 ist gem. §§ 133, 157 BGB nach dem Empfängerhorizont auszulegen. Der Wortlaut spricht zweifellos von "vertreten" und lässt für eine andere Auslegung keinen Raum. Andererseits liegt ein Vertretungsfall nicht vor, so dass ein Vertreten nach § 32 Ärzte-ZV rechtlich nicht möglich ist. Ein Vertreten setzt voraus, dass ein zu Vertretender vorhanden ist. Mit Ausscheiden von Dr. M. aus dem MVZ zum 09.04.2012 ist eine Vertretung des-selben aber ausgeschlossen. Ausnahmsweise einen Vertretungsfall zu fingieren, ist zu verneinen. Denn der Sachverhalt gibt keine Veranlassung, ihn gleich dem in dem sog. Witwenquartal oder Gnadenquartal zu behandeln (vgl. § 4 Abs. 3 BMV-Ä bzw. § 8 Abs. 5 EKV-Ä; S. Bäune, A. Meschke, S. Rothfuß, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, Rn 27 zu § 32). Der Gleichheitssatz ist aber nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 117, 272,300f.).

Während das Ausscheiden eines angestellten Arztes aus einem MVZ auf dessen Existenz keine Auswirkung hat, muss die Fortführungsfähigkeit einer Praxis, bei der der Praxisinhaber verstorben ist, nicht zuletzt im Interesse der Erben und ei-nes potentiellen Praxisübernehmers schnellstmöglichst sichergestellt werden. Wenn in diesem Fall eine Vertretung fingiert und die Vertretung bei einer Vertre-tungsdauer von bis zu einem Quartal (darüber hinaus bis zu sechs Monaten Ge-nehmigungspflichtigkeit) angezeigt wird, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Es handelt sich um eine außergewöhnliche Ausnahmesituation; anders dagegen beim Ausscheiden eines Arztes aus einem MVZ. Hier handelt es sich um eine planbare Situation( Ausscheiden war dem MVZ etwa ein Monat vorher bekannt). Eine Gleichbehandlung (Art. 3 GG) ist somit nicht geboten.

Auch eine Auslegung des Schreibens des Prozessbevollmächtigten vom 04.04.2012 als Antrag auf Genehmigung eines Sicherstellungsassistenten im Hinblick auf die rechtliche Unmöglichkeit einer Vertretung nach § 32 Ärzte-ZV war nicht möglich. Denn die Beklagte hat im Telefonat vom 13.04.2012 auf die "Vertretungsproblematik" hingewiesen und empfohlen, mit der Service-Abteilung der KVB Kontakt aufzunehmen. Trotzdem blieb eine Reaktion der Klägerseite aus. Die Beklagte musste daher davon ausgehen, dass die Vertretungsanzeige belassen werden sollte, zumal auch die Klägerin anwaltlich vertreten war. Ein bloßes Schweigen der Klägerseite kann nicht als Antrag auf Genehmigung eines Sicherstellungsassistenten ausgelegt werden. Außerdem unterfällt die Antragstellung der Dispositionsmaxime der Klägerseite, so dass es nicht Aufgabe der Beklagten ist, die Klägerseite nochmals auf die "Vertretungsproblematik" hinzuweisen.

Der Sachverhalt gibt auch keinen Anlass, einen Verstoß gegen die sich aus § 3 der Satzung der Beklagten ergebenden Beratungs- und Fürsorgepflichten anzunehmen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Rechtsinstitut des "Sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs", das im Bereich der Rentenversicherung entwickelt worden ist. Es kommt nach den allgemeinen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Leistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung zum Tragen, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers muss ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 5/05). Dieses Rechtsinstitut ist jedoch im Verhältnis des Vertragsarztes zur Kassenärztlichen Vereinigung nicht anwendbar. Denn es beruht auf dem besonderen Sozialrechtsverhältnis zwischen Sozialleistungsempfänger und Sozialleistungsträger (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.2003, Az. B 4 RA 38/02 R). Wie das Hessische Landessozialgericht (Urteil vom 15.05.2005, Az. L 4 KA 41/05) ausführt, sind Vertragsärzte nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie ein Großteil der Leistungsempfänger im Sinne der §§ 11 ff. SGB I. Insofern verbietet sich im "Vertragsarztrecht" die Anwendung des "Sozi-alrechtlichen Herstellungsanspruchs".

Selbst bei Auslegung des klägerischen Schreibens vom 04.04.2012 als Antrag auf Genehmigung eines Sicherstellungsassistenten entfaltet der bloße Antrag keine Statusbegründung. Diese tritt erst mit der Genehmigung ein. Darauf kann nicht verzichtet werden, auch wenn der Sinn der Genehmigung in der Überprüfung der Qualifikation des jeweiligen Sicherstellungsassistenten liegen und im streitgegenständlichen Verfahren keine Überprüfungsnotwendigkeit bestehen sollte. Denn es handelt sich um ein formelles Verfahren. So bestimmt § 32 Abs. 2 Ärzte-ZV ausdrücklich, dass "die vorherige Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich ist". Hinzu kommt, dass die Genehmigung nach § 32 Abs. 2 Ärzte-ZV für die Dauer der Beschäftigung zu befristen ist. Eine Rückwirkung ist ebenfalls nicht möglich.

Honoraransprüche für erbrachte Leistungen aufgrund einer Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB), wie der Prozessbevollmächtigte ausführt, scheiden ebenfalls aus. Es handelt sich um zivilrechtliche Regelungen, deren Anwendung mit den Grundsätzen des formal ausgestalteten Vertragsarztrechts nicht vereinbar ist.

Aus den genannten Gründen wurden diverse Gebührenordnungspositionen in den angefochtenen Bescheiden zu Recht abgesetzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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