Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 2166/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 30.11.1998 und 15.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.1999 verurteilt, dem Kläger die Anschaffungskosten für den Blindenführhund C. in Höhe von weiteren 4.694,28 Euro nebst 4 % Zinsen ab 15.03.1999 zu erstatten.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte weitere Kosten für die Versorgung mit einem Blindenführhund als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung zu erstatten hat.
Der 1953 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger ist bei hochgradigen Gesichtsfeldeinschränkungen beidseits in Verbindung mit einer deutlichen Herabsetzung des Sehvermögens beidseits seit 1997 blind im Sinne des Gesetzes. Des weiteren besteht eine hochgradige, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit Tinnitus, wodurch das Richtungshören stark beeinträchtigt ist. Der Kläger ist als Schwerbehinderter im Sinne des Schwerbehindertengesetzes mit einem Grad der Behinderung von 100 und der Zuerkennung der Merkzeichen "B", "G", "BL", "H" und "RF" anerkannt (Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Frankfurt am Main vom 31. Oktober 1997). Der Landeswohlfahrtsverband Hessen bewilligte ihm mit Bescheid vom 08. Oktober 1997 Blindengeld nach dem Hessischen Landesblindengeldgesetz in Höhe von 1.155,00 DM ab 01. Juni 1997.
Die Augenärztin Dr. D. verordnete dem Kläger am 20. Mai 1998 einen Blindenhund. Nachdem sich der Kläger bei verschiedenen Blindenführhundeschulen in Deutschland nach einem für ihn geeigneten Blindenführhund informiert hatte, wandte er sich auf Empfehlung des Blindenbund in Hessen e.V. an die Österreichische Schule für Blindenführhunde in St. Katharein. Nach einer 16-tägigen Einschulung am Ausbildungsgelände in Österreich und einer 6-tägigen Einschulung am Wohnort erwarb der Kläger auf die verbindliche Bestellung im März 1999 von der Blindenführhundeschule E. in E-Stadt, der Zweigstelle für Deutschland der Österreichische Schule für Blindenführhunde, den am 01. April 1999 übergebenen Blindenführhund C. Die Kosten beliefen sich einschließlich der Kosten für Ein- und Zusammenschulungen in Höhe von 8.256,00 DM sowie Grundausrüstung und Zubehör von 873,80 DM auf insgesamt 37.181,22 DM (Rechnung vom 19. April 1999).
Auf den Kostenübernahmeantrag des Klägers vom 04. November 1998 erklärte sich die Beklagte mit Bescheid vom 30. November 1998 bereit, sich an den Kosten in Höhe von 28.000,00 DM zu beteiligen, wenn der Hund von einem Anbieter in Deutschland bezogen wird und lehnte eine volle Kostenübernahme für den vom Kläger ausgewählten Blindenführhund ab. In der Begründung führte sie unter Verweis auf § 18 Sozialgesetzbuch Gesetzliche Krankenversicherung - Fünftes Buch (SGB V) und das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V aus, dass eine ausreichende Versorgung mit einem Blindenführhund in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Betrag von bis zu 28.000,00 DM sichergestellt sei. Ergänzend benannte sie dem Kläger - wie bereits mit Schreiben vom 12. Juni 1998 - fünf Blindenführhundeschulen in Deutschland. Mit Bescheid vom 15. Januar 1999 erklärte die Beklagte nunmehr ihre Bereitschaft, die Kosten für den Hund des Österreichischen Anbieters in Höhe der deutschen Sätze bis zu einem Höchstbetrag von 28.000,00 DM zu erstatten. Die Führhunde deutscher Anbieter würden über ausreichende Führeigenschaften verfügen, so dass mit diesen Hunden eine ausreichende Versorgung gewährleistet werden könne.
Den Widerspruch des Klägers vom 15. Dezember 1998 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1999 zurück. Über den Betrag von 28.000,00 DM hinaus bestehe kein Anspruch auf Kostenübernahme. In der Bundesrepublik Deutschland existieren diverse Blindenführhundschulen, die ausgebildete Blindenführhunde zu einem Betrag bis zu 28.000,00 DM zur Verfügung stellen würden. Es sei nicht erkennbar, dass die von der Kasse benannten Führhundschulen nicht eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung bieten.
Am 05. März 1999 hat der Kläger beim Sozialgericht Hannover Klage erhoben, mit der er die Kostenübernahme des Restbetrages begehrt. Das Sozialgericht Hannover hat sich mit Beschluss vom 03. Mai 1999 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Frankfurt am Main verwiesen. Der Kläger macht geltend, er sei aufgrund seiner starken Hörschädigung - stärker noch als andere Blinde - auf einen besonders gut ausgebildeten Hund und in ganz besonderem Umfang auf das Vertrauensverhältnis zu diesem angewiesen. Er müsse sich auf das Tier absolut verlassen können, was nicht jede Führhundeschule erfüllen könne. Bei der Österreichische Schule für Blindenführhunde finde die Eingewöhnung in einer besonders intensiven Weise statt. Der Kläger bestreitet, dass er in Deutschland einen Blindenführhund in der von ihm benötigten Qualität preiswerter bekommen könne.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide vom 30.11.1998 und 15.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Anschaffungskosten für den Blindenführhund C. in Höhe von weiteren 4.694,28 Euro nebst 4 % Zinsen ab Klageerhebung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid für zutreffend und hat am 28. Mai 1999 28.000,00 DM an den Kläger überwiesen. Maßgebend sei, dass eine in der Qualität vergleichbare Leistung zur Verfügung stehe, wobei auf eine mindestens durchschnittliche Qualität des Führhundes abzustellen sei. Die persönliche Vorliebe für eine bestimmte Hundeführschule könne angesichts des Notwendigkeitsgebots des § 12 Abs. 1 SGB V erst dann ausschlaggebend sein, wenn es sich um Schulen mit in etwa gleichem Preisrahmen handelt. Es spreche auch nichts dafür, dass preisgünstigere Anbieter von Führhunden weniger vertrauenswürdig sind.
Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen Befundberichte der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. vom 27. April 2000 und der Ärzte für Hals Nasen-Ohrenheilkunde Dr. G. und H. vom 29. Mai 2000 eingeholt sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist auch sachlich begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Anschaffungskosten für den Blindenführhund "C." in vollem Umfang zu erstatten.
Versicherte haben nach § 33 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Ein Blindenführhund stellt für Blinde ein solches Hilfsmittel dar (Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Februar 1981, 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206).
Der Kläger hat - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund. Da die Beklagte keine Verträge für die Versorgung ihrer Versicherten mit Blindenführhunden mit entsprechenden Leistungserbringern gemäß § 127 SGB V abgeschlossen hat, war der Kläger berechtigt, sich abweichend vom Sachleistungsgrundsatz des § 2 Abs. 2 SGB V den von ihm benötigten Blindenführhund privat selbst zu beschaffen. Für den Bereich der Führhund-Versorgung liegt eine Versorgungslücke bzw. Systemstörung vor (§ 13 Abs. 3 SGB V).
Die Beklagte war nicht berechtigt, ihre Kostenzusage für die Beschaffung eines Blindenführhundes auf 28.000,00 DM zu begrenzen und den Kläger damit auf die billigsten Angebote von Blindenführhundeschulen in Deutschland, die im übrigen mangels eines Versorgungsvertrages gemäß § 127 SGB V und mangels einer Preisvereinbarung keine Leistungserbringer im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sind, zu verweisen. Beim Fehlen von Preisvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Erbringern von Hilfsmitteln für individuell angefertigte Hilfsmittel sind zur Feststellung der Höhe der von der Krankenkasse zu erstattenden Kosten die §§ 315, 316 Bürgerliches Gesetzbuch analog anzuwenden.
Der von dem Kläger über die Blindenführhundeschule E. zum Preis von 37.181,22 DM selbstbeschaffte Blindenführhund "C." der Österreichische Schule für Blindenführhunde ist notwendig, geeignet und auch wirtschaftlich im Sinne der §§ 33 und 12 Abs. 1 SGB V. Der mit ihm verfolgte Zweck konnte nicht durch einen Blindenführhund einer von der Beklagten benannten Blindenführhundeschule in Deutschland mit geringerem finanziellen Aufwand ebenso wirksam erreicht werden. Der blinde Kläger ist aufgrund seiner Mehrfachbehinderung durch die an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit starker Beeinträchtigung des Richtungshörens nicht in der Lage, sich mittels des Gehörs als Ausweichsinn auf nicht optischem Wege zu orientieren. Er benötigt daher einen besonders gut und sorgfältig ausgebildeten Blindenführhund, der nicht nur die fehlende optische Orientierung sondern auch die fehlende akustische Orientierung "ausgleicht". Er muss sich also auf das Tier in jeder Hinsicht absolut verlassen können. Nach den überzeugenden und glaubhaften Angaben des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung konnte diesen Anforderungen nur die Blindenführhundeschule E. gerecht werden. Von den von der Beklagten bekannten fünf Blindenführhundeschulen in Deutschland haben dem Kläger auf Anfrage überhaupt nur zwei Schulen, nämlich die Blindenführhundeschule J. sowie die Schule K., ein Angebot unterbreitet. Die Blindenführhundeschule L. und die Blindenführhundeschule "M." haben nicht geantwortet. Das Anschreiben an die Blindenführhundeschule N., Inhaberin O., sei mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurückgekommen. Zwar betragen die Kosten für einen Blindenführhund nach den Kostenvoranschlägen der Blindenführhundeschule J. vom 11. August 1998 und der Blindenführhundeschule K. vom 09. August 1998 nur 27.980,50 DM bzw. 27.701,23 DM. Diese Schulen haben jedoch den entscheidenden Nachteil, dass dort nach den Informationen des Klägers die Ausbildungszeit der Hunde lediglich ein halbes Jahr beträgt. Im Hinblick auf die Mehrfachbehinderung des Klägers ist für ihn aber ein Blindenführhund mit einer einjährigen Ausbildung notwendig. Auf telefonische Nachfrage des Klägers konnte ihm die Blindenführhundeschule J. die Ausbildung eines Hundes mit einem sogenannten "intelligenten Ungehorsam" im Hinblick auf sein Handicap der Schwerhörigkeit nicht überzeugend bejahen. Demgegenüber ist dem Kostenvoranschlag vom 05. November 1998 der Blindenführhundeschule E. - Internat für psychologische Hundeausbildung -, die als einzige Schule in Deutschland ordentliches Mitglied der International Federation of Guide Dog Schools for the Blind und des EVFM ist, zu entnehmen, dass die Ausbildungszeit der Hunde hier mindestens 360 Stunden in 9 Monaten beträgt. Hierdurch erklärt sich der Preisunterschied zu den billigsten Anbietern.
Die Kammer geht ebenso wie das Sozialgericht Gießen (Urteil vom 17. März 1993, S-9/Kr-577/92) davon aus, dass bei der Versorgung mit einem Blindenführhund der Preis nicht das entscheidende Kriterium ist, denn ein Blindenführhund des billigsten Anbieters ist nicht unbedingt die ausreichende und zweckmäßigste Versorgung. Die Argumentation des Landessozialgerichts Bremen in seinem Urteil vom 06. September 1996 (L-2/Kr-1/96, Breithaupt 1997, S. 316 bis 319), der sich die Beklagte angeschlossen hat, die persönliche Vorliebe des behinderten Menschen für eine bestimmte Hundeführschule könne erst dann ausschlaggebend sein, wenn es sich um Schulen mit in etwa gleichem Preisrahmen handelt, ist nicht überzeugend. Entscheidend ist vielmehr die Qualität der Ausbildung der Blindenführhunde und die im Einzelfall des Versicherten im Rahmen der Notwendigkeit des Behinderungsausgleichs an das Hilfsmittel Blindenführhund zu stellenden Anforderungen, da es um die Besonderheit der Versorgung mit einem "biologischen Hilfsmittel" für Schwerstbehinderte geht. Der Führhund ist als einziges lebendes Hilfsmittel auch das einzige ersetzende, intelligente, also lernfähige und sensomotorische Hilfsmittel, das nicht am Körper getragen wird. Der Führhund ist als Lebewesen ein "besonderes Hilfsmittel", der gezüchtet, liebevoll aufgezogen, sozialisiert und ausgebildet werden muss. Entsprechend seiner Zweckbestimmung, einem blinden Menschen die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Orientierung und damit ungefährdete Fortbewegung auch im modernen Straßenverkehr zu ermöglichen, ist ein Führhund nur geeignet und damit wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V, wenn er es dem Blinden - und wie im Fall des Klägers zudem Schwerhörigen - ermöglicht, am öffentlichen Straßenverkehr so teilzunehmen, dass er sich selbst und Dritte nicht gefährdet. Eine noch bedeutsamere bzw. gefährlichere Aufgabe kommt keinem anderen Hilfsmittel zu. Der Blinde muss sich dabei mit einem artverschiedenen Lebewesen "verständigen". Es bedarf deshalb neben einer qualifizierten und sorgfältigen Ausbildung des Führhundes auch der Ausbildung des Blinden zum "Hundeführer" als einer "Gebrauchsschulung" besonderer Art im Sinne eines Interaktionstrainings zwischen Herrn und Hund. Die Funktionstüchtigkeit des Blindenführhundes ist nicht statisch - wie bei einem technischen Gerät -, sondern dynamisch. Das Führgespann ist keine auf dem Hilfsmittelmarkt käufliche Sache und der vom Menschen isoliert gesehene Führhund ist eine "Sonderanfertigung". Ein Führhund mit einem inadäquaten Wesen, fehlender physischer und psychischer Eignung und/oder unzureichender Führleistung ist eine zusätzliche Behinderung, ja sogar lebensgefährlich für seinen "Schützling" und Dritte. Damit dem Führhundehalter das notwendige unbedingte Vertrauen zu seinem Führhund vermittelt werden kann, das wesentlich für das Gelingen der Versorgung des Blinden mit einem Führhund ist, muss ein Vertrauensverhältnis zwischen Führhundhalter und Führhundausbilder bestehen.
Ausgehend von diesen Grundsätzen (vgl. hierzu im einzelnen Riederle, Der Blindenführhund als Hilfsmittel der Krankenpflege, Die Sozialversicherung 1989, S. 127 bis 132; Riederle, Der Blindenführhund - ein sächliches Hilfsmittel?, Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, S. 497 bis 501) war der Kläger berechtigt, sich den Blindenführhund "C." als notwendiges und geeignetes Hilfsmittel von der Blindenführhundeschule E. als der Blindenführhundeschule seines Vertrauens zum Preis von insgesamt 37.181,22 DM zu beschaffen, nachdem die von der Beklagten benannten Schulen keinen Führhund mit einem "intelligenten Ungehorsam" liefern konnten. Gerade dieser "intelligente Ungehorsam" des Blindenführhundes ist bei dem Kläger wegen seines zusätzlichen Handicaps der Schwerhörigkeit mit starker Beeinträchtigung des Richtungshörens besonders wichtig, weshalb der Kläger zu Recht die Führhundeschule seines Vertrauens gewählt hat und wählen durfte. Nach den anschaulichen Schilderungen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung gibt es nämlich keine standardisierte Ausbildung der Führhunde, sondern es bestehen hierin erhebliche und entscheidende Unterschiede zwischen den einzelnen Blindenführhundeschulen. So muss beispielsweise zwischen einer "positiven" und einer "negativen" Erziehung des Hundes differenziert werden. Im ersten Fall wird das Tier in Form von Belobigungen, im anderen Fall durch Bestrafungen zum Führhund ausgebildet.
Die Versorgung mit dem Blindenführhund "C." verstößt letztlich auch nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Der Kläger hat sich nicht für das teuerste Angebot entschieden. Die von ihm ebenfalls eingeholten Kostenvoranschläge der Blindenführhundeschulen P. vom 10. August 1998, Q. vom 10. August 1998 und R. vom 03. September 1998 beliefen sich auf 45.242,85 DM, 44.761,95 DM bzw. 41.334,10 DM. Die Anschaffungskosten des Blindenführhundes "C." entsprechen somit einem Durchschnittspreis für einen Blindenführhund. Wie oben ausgeführt ist die Beklagte nicht berechtigt, den Kläger auf die billigsten Anbieter zu verweisen. Die erheblichen Preisunterschiede zwischen den im oberen und den im untersten Preisniveau liegenden Blindenführhundeschulen sind in der unterschiedlichen Ausbildungsdauer und damit in der Ausbildungsqualität der Hunde begründet. So sind den vorgenannten Kostenvoranschlägen Ausbildungszeiten der Hunde von 1268 Arbeitsstunden (Blindenführhundeschulen P. und Q.) und 350 Arbeitsstunden (Blindenführhundeschule R.) zu entnehmen.
Solange die Beklagte keine Versorgungsverträge nach § 127 SGB V und Preisvereinbarungen mit Blindenführhundelieferanten abgeschlossen hat sowie keine Qualitätskontrollen der Schulen durchführt und kein einheitlicher Qualitätsstandard der Ausbildung von Blindenführhunden garantiert ist - die "Qualitätskriterien zur Auswahl, Ausbildung und Kostenübernahme für Blindenführhunde" (Bundesanzeiger 1993 Nr. 117 v. 29. Juni 1993) sind nicht umgesetzt - können die erheblichen Preisunterschiede nicht zu Lasten des Versicherten gehen. Ausreichend und zweckmäßig ist nur die Versorgung mit einem Blindenführhund, die den speziellen und individuellen Bedürfnissen des Blinden entspricht und gerecht wird. Nach § 33 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - Erstes Buch (SGB I) sind die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten, seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den angemessenen Wünschen des Berechtigten entsprochen werden (§ 33 Satz 2 SGB I). Diesem Wunschrecht entspricht das Recht des Klägers auf Auswahl der Führhundeschule seines Vertrauens, das um so angemessener ist, als die Beklagte für die Qualität und Funktionstüchtigkeit der Blindenführhunde der von ihr benannten Lieferanten entgegen § 126 SGB V keine Gewähr übernimmt.
Aus den vorstehend dargelegten Gründen waren die angefochtenen Bescheide abzuändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Anspruch auf Verzinsung folgt aus § 44 SGB I.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte weitere Kosten für die Versorgung mit einem Blindenführhund als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung zu erstatten hat.
Der 1953 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger ist bei hochgradigen Gesichtsfeldeinschränkungen beidseits in Verbindung mit einer deutlichen Herabsetzung des Sehvermögens beidseits seit 1997 blind im Sinne des Gesetzes. Des weiteren besteht eine hochgradige, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit Tinnitus, wodurch das Richtungshören stark beeinträchtigt ist. Der Kläger ist als Schwerbehinderter im Sinne des Schwerbehindertengesetzes mit einem Grad der Behinderung von 100 und der Zuerkennung der Merkzeichen "B", "G", "BL", "H" und "RF" anerkannt (Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Frankfurt am Main vom 31. Oktober 1997). Der Landeswohlfahrtsverband Hessen bewilligte ihm mit Bescheid vom 08. Oktober 1997 Blindengeld nach dem Hessischen Landesblindengeldgesetz in Höhe von 1.155,00 DM ab 01. Juni 1997.
Die Augenärztin Dr. D. verordnete dem Kläger am 20. Mai 1998 einen Blindenhund. Nachdem sich der Kläger bei verschiedenen Blindenführhundeschulen in Deutschland nach einem für ihn geeigneten Blindenführhund informiert hatte, wandte er sich auf Empfehlung des Blindenbund in Hessen e.V. an die Österreichische Schule für Blindenführhunde in St. Katharein. Nach einer 16-tägigen Einschulung am Ausbildungsgelände in Österreich und einer 6-tägigen Einschulung am Wohnort erwarb der Kläger auf die verbindliche Bestellung im März 1999 von der Blindenführhundeschule E. in E-Stadt, der Zweigstelle für Deutschland der Österreichische Schule für Blindenführhunde, den am 01. April 1999 übergebenen Blindenführhund C. Die Kosten beliefen sich einschließlich der Kosten für Ein- und Zusammenschulungen in Höhe von 8.256,00 DM sowie Grundausrüstung und Zubehör von 873,80 DM auf insgesamt 37.181,22 DM (Rechnung vom 19. April 1999).
Auf den Kostenübernahmeantrag des Klägers vom 04. November 1998 erklärte sich die Beklagte mit Bescheid vom 30. November 1998 bereit, sich an den Kosten in Höhe von 28.000,00 DM zu beteiligen, wenn der Hund von einem Anbieter in Deutschland bezogen wird und lehnte eine volle Kostenübernahme für den vom Kläger ausgewählten Blindenführhund ab. In der Begründung führte sie unter Verweis auf § 18 Sozialgesetzbuch Gesetzliche Krankenversicherung - Fünftes Buch (SGB V) und das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V aus, dass eine ausreichende Versorgung mit einem Blindenführhund in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Betrag von bis zu 28.000,00 DM sichergestellt sei. Ergänzend benannte sie dem Kläger - wie bereits mit Schreiben vom 12. Juni 1998 - fünf Blindenführhundeschulen in Deutschland. Mit Bescheid vom 15. Januar 1999 erklärte die Beklagte nunmehr ihre Bereitschaft, die Kosten für den Hund des Österreichischen Anbieters in Höhe der deutschen Sätze bis zu einem Höchstbetrag von 28.000,00 DM zu erstatten. Die Führhunde deutscher Anbieter würden über ausreichende Führeigenschaften verfügen, so dass mit diesen Hunden eine ausreichende Versorgung gewährleistet werden könne.
Den Widerspruch des Klägers vom 15. Dezember 1998 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1999 zurück. Über den Betrag von 28.000,00 DM hinaus bestehe kein Anspruch auf Kostenübernahme. In der Bundesrepublik Deutschland existieren diverse Blindenführhundschulen, die ausgebildete Blindenführhunde zu einem Betrag bis zu 28.000,00 DM zur Verfügung stellen würden. Es sei nicht erkennbar, dass die von der Kasse benannten Führhundschulen nicht eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung bieten.
Am 05. März 1999 hat der Kläger beim Sozialgericht Hannover Klage erhoben, mit der er die Kostenübernahme des Restbetrages begehrt. Das Sozialgericht Hannover hat sich mit Beschluss vom 03. Mai 1999 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Frankfurt am Main verwiesen. Der Kläger macht geltend, er sei aufgrund seiner starken Hörschädigung - stärker noch als andere Blinde - auf einen besonders gut ausgebildeten Hund und in ganz besonderem Umfang auf das Vertrauensverhältnis zu diesem angewiesen. Er müsse sich auf das Tier absolut verlassen können, was nicht jede Führhundeschule erfüllen könne. Bei der Österreichische Schule für Blindenführhunde finde die Eingewöhnung in einer besonders intensiven Weise statt. Der Kläger bestreitet, dass er in Deutschland einen Blindenführhund in der von ihm benötigten Qualität preiswerter bekommen könne.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide vom 30.11.1998 und 15.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Anschaffungskosten für den Blindenführhund C. in Höhe von weiteren 4.694,28 Euro nebst 4 % Zinsen ab Klageerhebung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid für zutreffend und hat am 28. Mai 1999 28.000,00 DM an den Kläger überwiesen. Maßgebend sei, dass eine in der Qualität vergleichbare Leistung zur Verfügung stehe, wobei auf eine mindestens durchschnittliche Qualität des Führhundes abzustellen sei. Die persönliche Vorliebe für eine bestimmte Hundeführschule könne angesichts des Notwendigkeitsgebots des § 12 Abs. 1 SGB V erst dann ausschlaggebend sein, wenn es sich um Schulen mit in etwa gleichem Preisrahmen handelt. Es spreche auch nichts dafür, dass preisgünstigere Anbieter von Führhunden weniger vertrauenswürdig sind.
Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen Befundberichte der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. vom 27. April 2000 und der Ärzte für Hals Nasen-Ohrenheilkunde Dr. G. und H. vom 29. Mai 2000 eingeholt sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist auch sachlich begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Anschaffungskosten für den Blindenführhund "C." in vollem Umfang zu erstatten.
Versicherte haben nach § 33 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Ein Blindenführhund stellt für Blinde ein solches Hilfsmittel dar (Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Februar 1981, 5a/5 RKn 35/78, BSGE 51, 206).
Der Kläger hat - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit einem Blindenführhund. Da die Beklagte keine Verträge für die Versorgung ihrer Versicherten mit Blindenführhunden mit entsprechenden Leistungserbringern gemäß § 127 SGB V abgeschlossen hat, war der Kläger berechtigt, sich abweichend vom Sachleistungsgrundsatz des § 2 Abs. 2 SGB V den von ihm benötigten Blindenführhund privat selbst zu beschaffen. Für den Bereich der Führhund-Versorgung liegt eine Versorgungslücke bzw. Systemstörung vor (§ 13 Abs. 3 SGB V).
Die Beklagte war nicht berechtigt, ihre Kostenzusage für die Beschaffung eines Blindenführhundes auf 28.000,00 DM zu begrenzen und den Kläger damit auf die billigsten Angebote von Blindenführhundeschulen in Deutschland, die im übrigen mangels eines Versorgungsvertrages gemäß § 127 SGB V und mangels einer Preisvereinbarung keine Leistungserbringer im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sind, zu verweisen. Beim Fehlen von Preisvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Erbringern von Hilfsmitteln für individuell angefertigte Hilfsmittel sind zur Feststellung der Höhe der von der Krankenkasse zu erstattenden Kosten die §§ 315, 316 Bürgerliches Gesetzbuch analog anzuwenden.
Der von dem Kläger über die Blindenführhundeschule E. zum Preis von 37.181,22 DM selbstbeschaffte Blindenführhund "C." der Österreichische Schule für Blindenführhunde ist notwendig, geeignet und auch wirtschaftlich im Sinne der §§ 33 und 12 Abs. 1 SGB V. Der mit ihm verfolgte Zweck konnte nicht durch einen Blindenführhund einer von der Beklagten benannten Blindenführhundeschule in Deutschland mit geringerem finanziellen Aufwand ebenso wirksam erreicht werden. Der blinde Kläger ist aufgrund seiner Mehrfachbehinderung durch die an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit starker Beeinträchtigung des Richtungshörens nicht in der Lage, sich mittels des Gehörs als Ausweichsinn auf nicht optischem Wege zu orientieren. Er benötigt daher einen besonders gut und sorgfältig ausgebildeten Blindenführhund, der nicht nur die fehlende optische Orientierung sondern auch die fehlende akustische Orientierung "ausgleicht". Er muss sich also auf das Tier in jeder Hinsicht absolut verlassen können. Nach den überzeugenden und glaubhaften Angaben des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung konnte diesen Anforderungen nur die Blindenführhundeschule E. gerecht werden. Von den von der Beklagten bekannten fünf Blindenführhundeschulen in Deutschland haben dem Kläger auf Anfrage überhaupt nur zwei Schulen, nämlich die Blindenführhundeschule J. sowie die Schule K., ein Angebot unterbreitet. Die Blindenführhundeschule L. und die Blindenführhundeschule "M." haben nicht geantwortet. Das Anschreiben an die Blindenführhundeschule N., Inhaberin O., sei mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurückgekommen. Zwar betragen die Kosten für einen Blindenführhund nach den Kostenvoranschlägen der Blindenführhundeschule J. vom 11. August 1998 und der Blindenführhundeschule K. vom 09. August 1998 nur 27.980,50 DM bzw. 27.701,23 DM. Diese Schulen haben jedoch den entscheidenden Nachteil, dass dort nach den Informationen des Klägers die Ausbildungszeit der Hunde lediglich ein halbes Jahr beträgt. Im Hinblick auf die Mehrfachbehinderung des Klägers ist für ihn aber ein Blindenführhund mit einer einjährigen Ausbildung notwendig. Auf telefonische Nachfrage des Klägers konnte ihm die Blindenführhundeschule J. die Ausbildung eines Hundes mit einem sogenannten "intelligenten Ungehorsam" im Hinblick auf sein Handicap der Schwerhörigkeit nicht überzeugend bejahen. Demgegenüber ist dem Kostenvoranschlag vom 05. November 1998 der Blindenführhundeschule E. - Internat für psychologische Hundeausbildung -, die als einzige Schule in Deutschland ordentliches Mitglied der International Federation of Guide Dog Schools for the Blind und des EVFM ist, zu entnehmen, dass die Ausbildungszeit der Hunde hier mindestens 360 Stunden in 9 Monaten beträgt. Hierdurch erklärt sich der Preisunterschied zu den billigsten Anbietern.
Die Kammer geht ebenso wie das Sozialgericht Gießen (Urteil vom 17. März 1993, S-9/Kr-577/92) davon aus, dass bei der Versorgung mit einem Blindenführhund der Preis nicht das entscheidende Kriterium ist, denn ein Blindenführhund des billigsten Anbieters ist nicht unbedingt die ausreichende und zweckmäßigste Versorgung. Die Argumentation des Landessozialgerichts Bremen in seinem Urteil vom 06. September 1996 (L-2/Kr-1/96, Breithaupt 1997, S. 316 bis 319), der sich die Beklagte angeschlossen hat, die persönliche Vorliebe des behinderten Menschen für eine bestimmte Hundeführschule könne erst dann ausschlaggebend sein, wenn es sich um Schulen mit in etwa gleichem Preisrahmen handelt, ist nicht überzeugend. Entscheidend ist vielmehr die Qualität der Ausbildung der Blindenführhunde und die im Einzelfall des Versicherten im Rahmen der Notwendigkeit des Behinderungsausgleichs an das Hilfsmittel Blindenführhund zu stellenden Anforderungen, da es um die Besonderheit der Versorgung mit einem "biologischen Hilfsmittel" für Schwerstbehinderte geht. Der Führhund ist als einziges lebendes Hilfsmittel auch das einzige ersetzende, intelligente, also lernfähige und sensomotorische Hilfsmittel, das nicht am Körper getragen wird. Der Führhund ist als Lebewesen ein "besonderes Hilfsmittel", der gezüchtet, liebevoll aufgezogen, sozialisiert und ausgebildet werden muss. Entsprechend seiner Zweckbestimmung, einem blinden Menschen die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Orientierung und damit ungefährdete Fortbewegung auch im modernen Straßenverkehr zu ermöglichen, ist ein Führhund nur geeignet und damit wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V, wenn er es dem Blinden - und wie im Fall des Klägers zudem Schwerhörigen - ermöglicht, am öffentlichen Straßenverkehr so teilzunehmen, dass er sich selbst und Dritte nicht gefährdet. Eine noch bedeutsamere bzw. gefährlichere Aufgabe kommt keinem anderen Hilfsmittel zu. Der Blinde muss sich dabei mit einem artverschiedenen Lebewesen "verständigen". Es bedarf deshalb neben einer qualifizierten und sorgfältigen Ausbildung des Führhundes auch der Ausbildung des Blinden zum "Hundeführer" als einer "Gebrauchsschulung" besonderer Art im Sinne eines Interaktionstrainings zwischen Herrn und Hund. Die Funktionstüchtigkeit des Blindenführhundes ist nicht statisch - wie bei einem technischen Gerät -, sondern dynamisch. Das Führgespann ist keine auf dem Hilfsmittelmarkt käufliche Sache und der vom Menschen isoliert gesehene Führhund ist eine "Sonderanfertigung". Ein Führhund mit einem inadäquaten Wesen, fehlender physischer und psychischer Eignung und/oder unzureichender Führleistung ist eine zusätzliche Behinderung, ja sogar lebensgefährlich für seinen "Schützling" und Dritte. Damit dem Führhundehalter das notwendige unbedingte Vertrauen zu seinem Führhund vermittelt werden kann, das wesentlich für das Gelingen der Versorgung des Blinden mit einem Führhund ist, muss ein Vertrauensverhältnis zwischen Führhundhalter und Führhundausbilder bestehen.
Ausgehend von diesen Grundsätzen (vgl. hierzu im einzelnen Riederle, Der Blindenführhund als Hilfsmittel der Krankenpflege, Die Sozialversicherung 1989, S. 127 bis 132; Riederle, Der Blindenführhund - ein sächliches Hilfsmittel?, Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, S. 497 bis 501) war der Kläger berechtigt, sich den Blindenführhund "C." als notwendiges und geeignetes Hilfsmittel von der Blindenführhundeschule E. als der Blindenführhundeschule seines Vertrauens zum Preis von insgesamt 37.181,22 DM zu beschaffen, nachdem die von der Beklagten benannten Schulen keinen Führhund mit einem "intelligenten Ungehorsam" liefern konnten. Gerade dieser "intelligente Ungehorsam" des Blindenführhundes ist bei dem Kläger wegen seines zusätzlichen Handicaps der Schwerhörigkeit mit starker Beeinträchtigung des Richtungshörens besonders wichtig, weshalb der Kläger zu Recht die Führhundeschule seines Vertrauens gewählt hat und wählen durfte. Nach den anschaulichen Schilderungen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung gibt es nämlich keine standardisierte Ausbildung der Führhunde, sondern es bestehen hierin erhebliche und entscheidende Unterschiede zwischen den einzelnen Blindenführhundeschulen. So muss beispielsweise zwischen einer "positiven" und einer "negativen" Erziehung des Hundes differenziert werden. Im ersten Fall wird das Tier in Form von Belobigungen, im anderen Fall durch Bestrafungen zum Führhund ausgebildet.
Die Versorgung mit dem Blindenführhund "C." verstößt letztlich auch nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Der Kläger hat sich nicht für das teuerste Angebot entschieden. Die von ihm ebenfalls eingeholten Kostenvoranschläge der Blindenführhundeschulen P. vom 10. August 1998, Q. vom 10. August 1998 und R. vom 03. September 1998 beliefen sich auf 45.242,85 DM, 44.761,95 DM bzw. 41.334,10 DM. Die Anschaffungskosten des Blindenführhundes "C." entsprechen somit einem Durchschnittspreis für einen Blindenführhund. Wie oben ausgeführt ist die Beklagte nicht berechtigt, den Kläger auf die billigsten Anbieter zu verweisen. Die erheblichen Preisunterschiede zwischen den im oberen und den im untersten Preisniveau liegenden Blindenführhundeschulen sind in der unterschiedlichen Ausbildungsdauer und damit in der Ausbildungsqualität der Hunde begründet. So sind den vorgenannten Kostenvoranschlägen Ausbildungszeiten der Hunde von 1268 Arbeitsstunden (Blindenführhundeschulen P. und Q.) und 350 Arbeitsstunden (Blindenführhundeschule R.) zu entnehmen.
Solange die Beklagte keine Versorgungsverträge nach § 127 SGB V und Preisvereinbarungen mit Blindenführhundelieferanten abgeschlossen hat sowie keine Qualitätskontrollen der Schulen durchführt und kein einheitlicher Qualitätsstandard der Ausbildung von Blindenführhunden garantiert ist - die "Qualitätskriterien zur Auswahl, Ausbildung und Kostenübernahme für Blindenführhunde" (Bundesanzeiger 1993 Nr. 117 v. 29. Juni 1993) sind nicht umgesetzt - können die erheblichen Preisunterschiede nicht zu Lasten des Versicherten gehen. Ausreichend und zweckmäßig ist nur die Versorgung mit einem Blindenführhund, die den speziellen und individuellen Bedürfnissen des Blinden entspricht und gerecht wird. Nach § 33 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - Erstes Buch (SGB I) sind die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten, seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den angemessenen Wünschen des Berechtigten entsprochen werden (§ 33 Satz 2 SGB I). Diesem Wunschrecht entspricht das Recht des Klägers auf Auswahl der Führhundeschule seines Vertrauens, das um so angemessener ist, als die Beklagte für die Qualität und Funktionstüchtigkeit der Blindenführhunde der von ihr benannten Lieferanten entgegen § 126 SGB V keine Gewähr übernimmt.
Aus den vorstehend dargelegten Gründen waren die angefochtenen Bescheide abzuändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Anspruch auf Verzinsung folgt aus § 44 SGB I.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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