Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
24
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 24 VG 495/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8/5 VG 1328/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
(1) Unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.1997 wird das beklagte Land verurteilt, der Klägerin Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz wegen der Folgen des gewaltsamen Todes ihrer Mutter am xx.xx.1995 zu gewähren.
(2) Der Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
(3) Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Voraussetzungen für Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1964 geborene Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 28.11.1995 die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Sie habe einen psychischen Schaden durch den gewaltsamen Tod ihrer Mutter (C. A.) am xx.xx.1995 erlitten.
Die 1938 geborene Mutter der Klägerin lebte zusammen mit ihrem Ehemann D. A., geboren 1952, ihrem zweiten Ehemann und Stiefvater der Klägerin, seit etwa 1977 zusammen in der Erdgeschosswohnung des Hauses A-Straße in A-Stadt. Im zweiten Stock und im Dachgeschoss dieses Hauses wohnte die von ihrem Ehemann getrennt lebende Klägerin mit ihren zwei Kindern. Die Wohnung im ersten Stock des Hauses bewohnte eine alleinstehende Frau mit Kindern. Am xx.xx.1995 fand die Klägerin ihre Mutter blutüberströmt auf deren Küchenboden liegend vor, nachdem sie (die Klägerin) durch ihren Stiefvater herbeigerufen worden war.
Nach den Strafakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt (Az.: 32 Js 72940/95) - insbesondere dem Tatortbefundbericht der Polizei vom xx.xx.1995 - stellte sich am Tattag aufgrund erster Ermittlungen die Tat folgendermaßen dar: D. A. verließ die Wohnung am Tattag gegen 5 Uhr morgens, um in das mit seiner Frau zusammen geführte Geschäft zu gehen. Bei seiner Rückkehr gegen 7 Uhr 30 fand er seine Frau leblos in ihrem Blute liegend vor. Die herbeigerufene Notärztin sowie die Polizei gingen von einer Gewalttat gegenüber C. A. aus, deren Tod aufgrund von stumpfen Gewalteinwirkungen gegen den Kopf und - wie sich später bestätigte - durch Erdrosseln eingetreten war. Die Tote hatte viel Blut verloren. Die gesamte Küche war mit Blut verschmiert, an den Küchenschränken waren Blutspritzer. Der gesamte Küchenboden war voller Blut, da das Notarztteam durch die Blutlachen hin- und hergelaufen war.
Laut Vernehmungsprotokoll der Polizei vom xx.xx.1995 stellte sich der Sachverhalt aus der Sicht der Klägerin am Tattag folgendermaßen dar: Sie sei gegen 7 Uhr aufgestanden, zu ihrer Tochter in den zweiten Stock gegangen, um sie zu wecken. Gegen 7 Uhr 20 habe sie die Blumen auf dem Balkon gegossen. D. A. habe um ca. 7 Uhr 30 bei ihr geklingelt und gesagt, er käme nicht ins Haus, weil der Schlüssel von innen stecke. Kurze Zeit später habe sie ihn schreien gehört: "Nein, wie konnte sie das nur machen." Ihr sei klar gewesen, dass sich ihre Mutter etwas angetan habe. Die Beziehung zwischen den Eheleuten sei getrübt gewesen, außerdem hätten wirtschaftliche Schwierigkeiten bestanden. Ihre Mutter habe darüber geklagt, dass ihr die Schulden über den Kopf wachsen würden. in den letzten Monaten hätte sie auch mal über Selbstmord gesprochen. Als sie (die Klägerin) den D. rufen hörte, habe sie die Feuerwehr angerufen. Ihr sei diese Telefonnummer zuerst eingefallen, weil ihr Ehemann dort tätig gewesen sei. Dann sei sie runtergegangen in die Wohnung ihrer Mutter, wo sie ihre Mutter auf dem Küchenboden auf dem Bauch habe liegen sehen. Der D. habe ihr die Tür von innen aufgemacht. Seine Hände und sein Gesicht seien blutig gewesen. Überall in der Küche sei Blut gewesen. Für sie sei klar gewesen, dass sich ihre Mutter die Pulsadern aufgeschnitten habe. Sie habe nur kurz auf ihre Mutter geblickt und sei dann wieder nach oben gegangen. Wegen des vielen Blutes sei sie davon überzeugt gewesen, dass ihre Mutter tot war. Auf die Frage des vernehmenden Polizisten, ob sie dem D. A. eine Gewalttat zutraue, sagte die Klägerin (am Tattag), dass sie es nicht wisse. "Menschen sind unberechenbar. Eigentlich glaube ich das nicht."
Laut Akten der Staatsanwaltschaft verdichtete sich der Verdacht gegen den Ehemann der Getöteten, so dass am Tag nach der Gewalttat zunächst ein Haftbefehl gegen D. A. erlassen wurde und er dann nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen der Tötung seiner Frau angeklagt und aufgrund mehrtägiger Verhandlungen, bei denen die Klägerin als Zeugin gehört wurde, durch Urteil vom 10.07.1996 der 11. Großen Strafkammer des Landgerichtes Darmstadt wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Leistungen nach dem OEG durch Bescheid vom 12.11.1996 mit der Begründung ab, sie sei nicht unmittelbar durch den Angriff betroffen gewesen. "Zwischen dem tätlichen Angriff und der psychischen Belastungsreaktion muss ein enger örtlicher, zeitlicher und persönlicher Zusammenhang liegen. Dies ist praktisch nur der Fall, wenn man Augenzeuge der eigentlichen Tathandlung sei. Sie sind erst später zum Tatort gekommen und sind nach eigenen Aussagen zunächst von einem Selbstmord ihrer Mutter ausgegangen. Ein eigenständiger Opferanspruch nach § 1 Abs. 1 OEG kann somit nicht begründet werden."
Der gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 08.01.1997 erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 30.01.1997 mit Hinweis auf die im Rundschreiben vom 06.08.1996 niedergelegten Kriterien des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (Az.: VI 1 - 52039/3) als unbegründet zurückgewiesen. In diesem Rundschreiben werden folgende Kriterien, die kumulativ vorliegen müssten, zur Erfüllung des Anspruchs auf Opferentschädigung einer "anderen Person" gefordert:
(1) Um die Schädigungskette nicht ins Endlose laufen zu lassen, muss zwischen Schädigungstatbestand und dem Schaden bei Dritten eine "gewisse Nähe" bestehen. Diese setzt einen unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang voraus; das Überbringen einer Todesnachricht reicht dazu nicht.
(2) Zwischen dem unmittelbar betroffenen Opfer und dem Drittgeschädigten muss eine Sonderbeziehung bestehen. Diese wird regelmäßig durch Ehe- und Eltern-/Kindverhältnis angenommen werden können.
(3) Das schädigende Ereignis muss geeignet sein, den Schock durch das eigene Erleben auszulösen. Dies kann regelmäßig nur bei schweren vorsätzlichen Gewalttaten angenommen werden, wie z.B. Mord, Totschlag, schwere Körperverletzung.
(4) Der "Schock" muss eine nicht nur vorübergehende psychische Störung von Krankheitswert verursacht haben (posttraumatische Belastungsstörung in Abgrenzung zur abnormen Trauerreaktion).
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.01.1996 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.02.1997, bei Gericht eingegangen am 14.02.1997, Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.
Zur Begründung hat sie auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 07.11.1979, Az ... 9 Rvg 1/78 (BSGE 49,98) hingewiesen. Danach sei einer Mutter, die aufgrund der Überbringung der Nachricht von der Ermordung ihres Kindes eine dauernde psychische Gesundheitsstörung erlitten hatte, Versorgung nach dem OEG i.V. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt worden. Im vorliegenden Fall habe sie nicht nur eine Nachricht vom Tod ihrer Mutter erhalten, sondern habe sie in der Küche blutüberströmt auf dem Boden liegen gesehen. Später habe sie dann die Küche von dem vielen Blut reinigen müssen. Zudem habe es sich dann herausgestellt, dass ihr Stiefvater der Täter gewesen sei. Alle diese Vorgänge hätten zu einem psychischen "Schockschaden" geführt.
Ihre vorbestehende, seit 1992 behandlungsbedürftige psychische Erkrankung habe sich durch die Gewalttat gravierend verschlimmert. Sie sei vor der Tat fast symptomfrei gewesen. Nach der Gewalttat haben sie wieder einer verstärkten nervenärztlichen Behandlung bedurft.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 12.11.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.1997 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihr Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang nach dem OEG in VerBindung mit dem BVG wegen der Folgen des gewaltsamen Todes ihrer Mutter am xx.xx.1995 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen, insbesondere auf die für eine Anerkennung erforderlichen im Rundschreiben vom 06.08.1996 des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Az.: VI 1-52039/3, niedergelegten Kriterien, die die Ergebnisse der Länderreferentenbesprechung vom 24.04.1996 zu diesem Problemkreis zusammenfassten. Die Rechtsprechung des BSG dürfe keinesfalls zu einem unkontrollierten Ausufern des anspruchsberechtigten Personenkreises führen. Die aufgeführten Kriterien ermöglichten eine sachgerechte und dogmatisch vertretbare Erfassung von "Drittgeschädigten". Die Klägerin sei nach ihrem eigenen Vorbringen bei der Gewalttat nicht zugegen gewesen, sondern erst nach Vollendung der Tötungshandlung in die Wohnung gekommen, wo sie ihre Mutter habe liegen gesehen, aber nicht zu ihr hingegangen sei. Sie habe somit die schwere Gewalttat nicht selbst erlebt. "Das spätere Auffinden einer Getöteten ist kein geeignetes Ereignis, den Schock durch das "eigene Erlebnis" auszulösen.", so Schreiben des Beklagten vom 05.01.1998. Des weiteren hat sich der Beklagte auf ein weiteres Rundschreiben des BMA vom 02.12.1998 (V a 1 - 52039/3) berufen, in dem an der bisher dargelegten Rechtsauffassung festgehalten werde.
Das Gericht hat Befundberichte des Hausarztes Dr. E. (17.09.1998) und der Dipi.Psych. F. (14.09.1998) beigezogen. Des weiteren hat dem Gericht ein Entlassungsgericht vom 24.08.1993 über einen stationären Aufenthalt vom 10.05. bis 22.06.1993 des Klinischen Zentrums Kirchvers - Psychosomatik, Psychotherapie, Psychiatrie - vorgelegen. Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme zu den medizinischen Befunden erhalten. Für den Beklagten hat der Leitende Arzt, der Nervenarzt Dr. G., in seiner aktenmäßigen Stellungnahme vom 08.12.1998 ausgeführt, dass - soweit nach Aktenlage beurteilbar - der gewaltsame Tod der Mutter zu einer Verschärfung, d.h. Verschlimmerung, der bis Januar 1995 noch regelmäßig behandlungsbedürftigen Vorerkrankung geführt habe. Die Vorerkrankung "Angst-konversionsneurotische Entwicklung" wäre nach den Anhaltpunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit, 1996, von 1992 bis 1995 mit einem GdB von 30 zu bewerten gewesen, die Verschlimmerung dieses Leidens ginge für ein Jahr zu Lasten des Schockerlebnisses und könne aus seiner Sicht mit einer MdE von 30 eingeschätzt werden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend die Zulassung der Sprungrevision beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts-, und der Beschädigtenakte des Beklagten (Az ... 21 60 - 92/96 OEG) sowie der Strafakten der Staatsanwaltschaft am Landgericht Darmstadt (Az ... 32 Js 72 94095), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide waren aufzuheben, weil sie die Klägerin in ihren Rechten verletzen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG i.V. mit dem BVG dem Grunde nach zu. Der Beklagte ist verpflichtet, bei der Klägerin Schädigungsfolgen nach dem OEG anzuerkennen und Versorgungsleistungen zu gewähren. Die Schädigungsfolgen im einzelnen sowie die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sind vom Beklagten festzustellen und darauf hin Versorgungsleistungen in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Eine Entscheidung dem Grunde nach gemäß § 130 Sozialgerichtsgesetz war zulässig und geboten. Zwar hat die Klägerin eine Verurteilung zur Leistung beantragt, da die Ermittlung des Umfangs der gesundheitlichen Schädigung sowie die darauf beruhenden Versorgungsleistungen nach dem BVG von dem Beklagten gemäß § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu ermitteln und festzusetzen sind, hat es das Gericht aber für zweckmäßig und sachgerecht gehalten, über den Anspruch der Klägerin nur dem Grunde nach zu entscheiden. Damit wurde die Klägerin mit einer möglicherweise unnötigen nervenärztlichen Begutachtung nicht belastet. Es ist vorrangig Aufgabe der Verwaltung und nicht des Gerichtes, eine Entscheidung über die anzuerkennende gesundheitliche Schädigung in Form einer konkreten Bezeichnung und über die Höhe der MdE zu treffen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass in vorangegangenen Entscheidungen des Gerichtes (S 24/VG - 4486/96; S 24/VG - 4326/96) auf Antrag und mit Einverständnis der Beteiligten die Sprungrevision zugelassen und vom beklagten Land auch eingelegt, dann aber ohne Begründung zurückgenommen wurde (B 9 Vg 4486/96; B 9 VG 4/98 R) mit der Folge, dass in der Verwaltungspraxis § 1 Abs. 1 OEG unter Berufung auf die Rundschreiben des BMA und ohne Beachtung der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 07.11.1979 (s.o.) weiterhin einengend ausgelegt wird. Unter Berufung auf die in den o.g. Rundschreiben des BMA aufgestellten Kriterien hat sich der Beklagte in derartigen Fällen weitgehend seiner Ermittlungsverpflichtung nach § 20 SGB X entzogen.
Es steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die Klägerin Opfer im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes geworden ist.
Dem steht nicht entgegen, dass nicht die Klägerin Ziel des gewalttätigen Angriffs des D. A. war, sondern ihre Mutter.
§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG lautet:
Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.
Nach dem Wortlaut des § 1 OEG hat die Klägerin die Voraussetzungen erfüllt. Unstreitig erkrankte sie infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen eine andere Person, hier: ihre Mutter, bzw. ihre vorbestehende weitgehend abgeklungene psychische Erkrankung erfuhr eine gravierende Verschlimmerung. Die Klägerin erlitt somit eine gesundheitliche Schädigung. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung ist es unbeachtlich, ob bei der Person, gegen die ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff geführt wird, eine gesundheitliche Schädigung auftritt, oder auch bei einer anderen Person. Entscheidend ist, dass "infolge" der Tat jemand - also auch eine andere Person - "eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat." Dies ist hier der Fall.
Wie das BSG in seinem Urteil vom 07.11.1979, Az.: 9 RVg 1/78, ausführte, umfasst das OEG einen größeren anspruchsberechtigten Personenkreis als das Bundesversorgungsgesetz. Man könne diese unterschiedliche Wertung als Ungereimtheit - und damit als abstimmungsbedürftig - ansehen, da es sich bei beiden Gesetzesmaterialien um Rechtsbereiche des sozialen Entschädigungsrechtes handele. So werde im OEG die Entschädigungspflicht der öffentlichen Hand daraus abgeleitet, dass der Staat keine wirksamen Schutz vor kriminellen Handlungen habe bieten können. Im Vergleich dazu müsste die Ausgleichspflicht bei Kriegsopfern eigentlich stärker sein, da der Staat selbst die Einbuße von Gesundheit oder den Verlust des Lebens abfordere. Trotz dieser Unstimmigkeit seien aber die Rechtssätze so, wie sie sich der Rechtsauslegung zeigten, hinzunehmen. Eine begrenzende Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG im Sinne der ausschließlichen Einbeziehung von Drittgeschädigten in den Fällen der aberratio ictus ergebe sich auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien nicht zwingend.
Das Gericht folgt der Rechtsprechung des BSG und sieht keinen zwingenden Grund zur Abweichung, auch wenn bei der vom BSG erfolgten Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG der anspruchsberechtigte Personenkreis weiter gefasst ist als in vergleichbaren Fällen des sonstigen Entschädigungsrechtes. Das Gericht sieht für eine Eingrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises, wie sie im Rundschreiben vom BMA beschrieben ist, keine rechtliche Grundlage, die sich unmittelbar aus dem OEG ableiten lassen könnte. Dies gilt insbesondere auch unter Beachtung des § 2 (Soziale Rechte) des Sozialgesetzbuches Allgemeiner Teil (SGB I). § 2 SGB I lautet:
(1) Der Erfüllung der in § 1 genannten Aufgaben dienen die nachfolgenden sozialen Rechte. Aus ihnen können Ansprüche nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches im einzelnen bestimmt sind.
(2) Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuches und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Somit ist es nicht Aufgabe der Rechtsprechung, einengende leistungsbegrenzende Auslegungen des Wortlautes von Vorschriften des OEG vorzunehmen, auch wenn tatsächliche Schwierigkeiten hinsichtlich einer evtl. notwendigen Anspruchsbegrenzung zu konstatieren sind. Dies hat das BSG bereits 1979 erkannt und den Gesetzgeber auf die Möglichkeit einer entsprechenden Gesetzesänderung hingewiesen. Trotzdem ist der Gesetzgeber in diesem Sinne bisher nicht tätig geworden. Erst durch die Zunahme von Anträgen "anderer Personen" auf Opferentschädigung hat sich der BMA veranlasst gefühlt, im Wege von Rundschreiben anspruchsbegrenzende Auslegungen des OEG vorzuschlagen, indem der in Frage kommende vom OEG erfasste Personenkreis begrenzt werden soll. Dies findet im OEG keine rechtliche Grundlage. Der BMA und der Beklagte verkennen das o.g. Urteil des BSG, soweit sie die im Urteil aufgeführte bisherige Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des BVG hinsichtlich der Feststellung und damit zum Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs genannten Kriterien, wie z.B. "gewisse Nähe zwischen Tat und Schaden" und "die zeitliche Unmittelbarkeit", zum Anlass nehmen, den entschädigungsberechtigten Personenkreis von vornherein zu begrenzen. Das BSG führte im o.g. Urteil aus, dass nach den Gegebenheiten des § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG neben den Fällen der aberratio ictus Entschädigung auch in den Fällen gewährt wird, wenn durch ein mit gefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen eine Gefahr für Leib und Leben anderer wenigstens fahrlässig herbeigeführt worden ist. Auch bei dieser Regelung würden Personenschäden berücksichtigt, die eintreten, ohne dass die Tat gegen eine Person gerichtet sein müsse. Daraus sei zu folgern, dass der Gesetzgeber sich des Vorsatzkriteriums bediente, um die Entschädigungsregelung vor einer Ausweitung in Richtung einer Art allgemeiner Volksversicherung gegen schwere Unfälle abzudämmen. Die Verantwortlichkeit des Staates sollte auf den willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person begrenzt sein (mit Hinweis auf BT-Drs. 7/2506, S.10). Im Gesetz sowie in den Gesetzesmaterialien fehle jedoch der deutliche Hinweis, dass "mittelbar Geschädigte" von seinen Gewährleistungen ausgenommen sein sollten. Entscheidend sei, dass der an der Schockwirkung erkrankte Mensch selbst durch die Gewalttat betroffen sei und nicht etwa nur deren Rückwirkung zu spüren bekomme. Im zu entscheidenden Fall habe die Nachrichtenübermittlung von dem besonders schrecklichen Geschehen eine natürliche Einheit mit dem Gewaltvorgang gebildet, soweit es jedenfalls für den Schockschaden gelte.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG stellt sich somit zum einen die Frage, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vorgelegen hat, zum andern ist der Nachweis zu führen, dass "infolge" (so der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG) eines solchen Angriffs der Antragsteller eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach der Rechtsprechung des BSG ist somit allein die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Gewalttat im Sinne des OEG und einer bei einer anderen Person eingetretenen gesundheitlichen Schädigung rechtlich von Bedeutung, so schwierig die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges im Bereich psychischer Erkrankungen und um solche handelt es sich mit Ausnahme der Fälle der aberratio ictus in der Regel - auch zu belegen ist. Dabei ist das schadensstiftende Geschehen gegenüber der Klägerin für sich zu betrachten, und zwar unabhängig von dem Ende der Gewalttat. Im Verhältnis zu der Klägerin als - auch - unmittelbar Geschädigter ist ein einheitlicher, in sich geschlossener Lebensvorgang zu beurteilen, der nicht aufgetrennt werden darf. "Die versorgungsrechtlich beachtliche Ursachenkette hat erst dort aufzuhören, wo sich der Angriff gegen die Klägerin, gegen ihre Psyche auswirkte" (so BSG a.a.O.). Daraus ist zu folgern, dass der Beklagte sich nach dem Vortrag der Klägerin, sie habe infolge der Gewalttat an ihrer Mutter einen psychischen Schaden erlitten, hätte veranlasst sehen müssen, Ermittlungen einzuholen und Feststellungen zu treffen. Die vom BMA in seinen Rundschreiben aufgestellten Kriterien, die vorab den entschädigungsberechtigten Personenkreis bereits begrenzen, sind weder rechtlich zulässig noch geeignet, den Schwierigkeiten bei der Feststellung der Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Gewalttat und psychischer Erkrankung zu entgehen. Sie sind nicht vereinbar mit dem Gesetzeswortlaut. Sie widersprechen auch den Ausführungen des BSG im o.g. Urteil. Außerdem sind sie widersprüchlich und schon deshalb nicht geeignet, als Voraussetzungen zur Begrenzung des Personenkreises zu dienen. Sollen nunmehr nur Verwandte ersten Grades und Ehegatten oder alle Verwandten oder auch Lebensgefährten - auch gleichgeschlechtliche - und nahe Freunde oder langjährige Arbeitskollegen - als "andere Person" Opferentschädigung nach dem OEG geltend machen dürfen? Die Aufzählung von bestimmten Personengruppen, die vom Gesetz erfasst werden sollen, führen zu einer nicht nachvollziehbaren, beliebigen Eingrenzung des Personenkreises. Die im Rundschreiben vom 06.08.1996 angeführten Personengruppen mit sog. Sonderbeziehungen zum Opfer lassen sich unter dem verfassungsrechtlichen Postulat des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht vorab festlegen. Dies gilt auch für das Kriterium der "örtlichen und zeitlichen Nähe". Der Gesetzeswortlaut verlangt nicht die Anwesenheit des Dritten beim Tathergang. Die vom BMA niedergelegten Kriterien bringen keine für die Ausführung des Gesetzes erforderliche Rechtssicherheit Wie sich aus den dem Gericht zur Kenntnis gelangten Verwaltungsentscheidungen ergibt, ist es dem Beklagten bisher nicht gelungen, auf diese Weise eine das Gleichheitsgebot achtende Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen zu finden. So hat der Beklagte in der Vergangenheit - unter der Voraussetzung, dass eine psychische Erkrankung festzustellen war - auch bei der Überbringung einer Nachricht und ohne persönliches Zugegensein bei der Gewalttat einen Anspruch nach dem OEG anerkannt (vgl. Verfahren wegen Verschlimmerung einer derartigen, bereits mit Bescheid vom 04.08.1986 anerkannten gesundheitlichen Schädigung, Az.: S 24/VG 1072/95).
Im vorliegenden Fall war die Klägerin bei der Ermordung ihrer Mutter nicht zugegen, so dass der Beklagte unter Berücksichtigung der Rundschreiben des BMA und unabhängig von möglichen psychischen Folgen der Tat bei der Klägerin, einen Anspruch nach dem OEG von vornherein wegen des Fehlens einer "örtlichen Nähe zur Tat" verneinte. Wie der Leitende Arzt des Landesversorgungsamtes Nervenarzt Dr. G. jedoch feststellte, ist die bei der Klägerin nach der Ermordung ihrer Mutter eingetretene Verschlimmerung einer bereits vorbestehenden psychischen Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit auf die Tat zurückzuführen. Somit war der Beklagte auch verpflichtet, einen entsprechenden Gesundheitsschaden nach dem OEG anzuerkennen und Versorgungsleistungen in gesetzlichem Umfang, darunter insbesondere auch Heilbehandlung, nach dem BVG zu gewähren.
Der vom Beklagten vorgetragenen Anregung, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beizuladen, folgte das Gericht nicht. Die Voraussetzungen des § 75 Sozialgerichtsgesetz betreffend eine notwendige Beiladung waren nicht erfüllt. Für eine einfache Beiladung sah das Gericht keine Notwendigkeit, da es sich um die Auslegung des geltenden Rechtes handelt, zu der sich das BMA in seinen o.g. Rundschreiben bereits geäußert hat (vgl. auch BverwG Buchh 310 § 65 Nr. 17).
Die Sprungrevision war gemäß § 161 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Zif 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
(2) Der Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
(3) Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Voraussetzungen für Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1964 geborene Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 28.11.1995 die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Sie habe einen psychischen Schaden durch den gewaltsamen Tod ihrer Mutter (C. A.) am xx.xx.1995 erlitten.
Die 1938 geborene Mutter der Klägerin lebte zusammen mit ihrem Ehemann D. A., geboren 1952, ihrem zweiten Ehemann und Stiefvater der Klägerin, seit etwa 1977 zusammen in der Erdgeschosswohnung des Hauses A-Straße in A-Stadt. Im zweiten Stock und im Dachgeschoss dieses Hauses wohnte die von ihrem Ehemann getrennt lebende Klägerin mit ihren zwei Kindern. Die Wohnung im ersten Stock des Hauses bewohnte eine alleinstehende Frau mit Kindern. Am xx.xx.1995 fand die Klägerin ihre Mutter blutüberströmt auf deren Küchenboden liegend vor, nachdem sie (die Klägerin) durch ihren Stiefvater herbeigerufen worden war.
Nach den Strafakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt (Az.: 32 Js 72940/95) - insbesondere dem Tatortbefundbericht der Polizei vom xx.xx.1995 - stellte sich am Tattag aufgrund erster Ermittlungen die Tat folgendermaßen dar: D. A. verließ die Wohnung am Tattag gegen 5 Uhr morgens, um in das mit seiner Frau zusammen geführte Geschäft zu gehen. Bei seiner Rückkehr gegen 7 Uhr 30 fand er seine Frau leblos in ihrem Blute liegend vor. Die herbeigerufene Notärztin sowie die Polizei gingen von einer Gewalttat gegenüber C. A. aus, deren Tod aufgrund von stumpfen Gewalteinwirkungen gegen den Kopf und - wie sich später bestätigte - durch Erdrosseln eingetreten war. Die Tote hatte viel Blut verloren. Die gesamte Küche war mit Blut verschmiert, an den Küchenschränken waren Blutspritzer. Der gesamte Küchenboden war voller Blut, da das Notarztteam durch die Blutlachen hin- und hergelaufen war.
Laut Vernehmungsprotokoll der Polizei vom xx.xx.1995 stellte sich der Sachverhalt aus der Sicht der Klägerin am Tattag folgendermaßen dar: Sie sei gegen 7 Uhr aufgestanden, zu ihrer Tochter in den zweiten Stock gegangen, um sie zu wecken. Gegen 7 Uhr 20 habe sie die Blumen auf dem Balkon gegossen. D. A. habe um ca. 7 Uhr 30 bei ihr geklingelt und gesagt, er käme nicht ins Haus, weil der Schlüssel von innen stecke. Kurze Zeit später habe sie ihn schreien gehört: "Nein, wie konnte sie das nur machen." Ihr sei klar gewesen, dass sich ihre Mutter etwas angetan habe. Die Beziehung zwischen den Eheleuten sei getrübt gewesen, außerdem hätten wirtschaftliche Schwierigkeiten bestanden. Ihre Mutter habe darüber geklagt, dass ihr die Schulden über den Kopf wachsen würden. in den letzten Monaten hätte sie auch mal über Selbstmord gesprochen. Als sie (die Klägerin) den D. rufen hörte, habe sie die Feuerwehr angerufen. Ihr sei diese Telefonnummer zuerst eingefallen, weil ihr Ehemann dort tätig gewesen sei. Dann sei sie runtergegangen in die Wohnung ihrer Mutter, wo sie ihre Mutter auf dem Küchenboden auf dem Bauch habe liegen sehen. Der D. habe ihr die Tür von innen aufgemacht. Seine Hände und sein Gesicht seien blutig gewesen. Überall in der Küche sei Blut gewesen. Für sie sei klar gewesen, dass sich ihre Mutter die Pulsadern aufgeschnitten habe. Sie habe nur kurz auf ihre Mutter geblickt und sei dann wieder nach oben gegangen. Wegen des vielen Blutes sei sie davon überzeugt gewesen, dass ihre Mutter tot war. Auf die Frage des vernehmenden Polizisten, ob sie dem D. A. eine Gewalttat zutraue, sagte die Klägerin (am Tattag), dass sie es nicht wisse. "Menschen sind unberechenbar. Eigentlich glaube ich das nicht."
Laut Akten der Staatsanwaltschaft verdichtete sich der Verdacht gegen den Ehemann der Getöteten, so dass am Tag nach der Gewalttat zunächst ein Haftbefehl gegen D. A. erlassen wurde und er dann nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen der Tötung seiner Frau angeklagt und aufgrund mehrtägiger Verhandlungen, bei denen die Klägerin als Zeugin gehört wurde, durch Urteil vom 10.07.1996 der 11. Großen Strafkammer des Landgerichtes Darmstadt wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Leistungen nach dem OEG durch Bescheid vom 12.11.1996 mit der Begründung ab, sie sei nicht unmittelbar durch den Angriff betroffen gewesen. "Zwischen dem tätlichen Angriff und der psychischen Belastungsreaktion muss ein enger örtlicher, zeitlicher und persönlicher Zusammenhang liegen. Dies ist praktisch nur der Fall, wenn man Augenzeuge der eigentlichen Tathandlung sei. Sie sind erst später zum Tatort gekommen und sind nach eigenen Aussagen zunächst von einem Selbstmord ihrer Mutter ausgegangen. Ein eigenständiger Opferanspruch nach § 1 Abs. 1 OEG kann somit nicht begründet werden."
Der gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 08.01.1997 erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 30.01.1997 mit Hinweis auf die im Rundschreiben vom 06.08.1996 niedergelegten Kriterien des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (Az.: VI 1 - 52039/3) als unbegründet zurückgewiesen. In diesem Rundschreiben werden folgende Kriterien, die kumulativ vorliegen müssten, zur Erfüllung des Anspruchs auf Opferentschädigung einer "anderen Person" gefordert:
(1) Um die Schädigungskette nicht ins Endlose laufen zu lassen, muss zwischen Schädigungstatbestand und dem Schaden bei Dritten eine "gewisse Nähe" bestehen. Diese setzt einen unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang voraus; das Überbringen einer Todesnachricht reicht dazu nicht.
(2) Zwischen dem unmittelbar betroffenen Opfer und dem Drittgeschädigten muss eine Sonderbeziehung bestehen. Diese wird regelmäßig durch Ehe- und Eltern-/Kindverhältnis angenommen werden können.
(3) Das schädigende Ereignis muss geeignet sein, den Schock durch das eigene Erleben auszulösen. Dies kann regelmäßig nur bei schweren vorsätzlichen Gewalttaten angenommen werden, wie z.B. Mord, Totschlag, schwere Körperverletzung.
(4) Der "Schock" muss eine nicht nur vorübergehende psychische Störung von Krankheitswert verursacht haben (posttraumatische Belastungsstörung in Abgrenzung zur abnormen Trauerreaktion).
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.01.1996 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.02.1997, bei Gericht eingegangen am 14.02.1997, Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.
Zur Begründung hat sie auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 07.11.1979, Az ... 9 Rvg 1/78 (BSGE 49,98) hingewiesen. Danach sei einer Mutter, die aufgrund der Überbringung der Nachricht von der Ermordung ihres Kindes eine dauernde psychische Gesundheitsstörung erlitten hatte, Versorgung nach dem OEG i.V. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt worden. Im vorliegenden Fall habe sie nicht nur eine Nachricht vom Tod ihrer Mutter erhalten, sondern habe sie in der Küche blutüberströmt auf dem Boden liegen gesehen. Später habe sie dann die Küche von dem vielen Blut reinigen müssen. Zudem habe es sich dann herausgestellt, dass ihr Stiefvater der Täter gewesen sei. Alle diese Vorgänge hätten zu einem psychischen "Schockschaden" geführt.
Ihre vorbestehende, seit 1992 behandlungsbedürftige psychische Erkrankung habe sich durch die Gewalttat gravierend verschlimmert. Sie sei vor der Tat fast symptomfrei gewesen. Nach der Gewalttat haben sie wieder einer verstärkten nervenärztlichen Behandlung bedurft.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 12.11.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.1997 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihr Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang nach dem OEG in VerBindung mit dem BVG wegen der Folgen des gewaltsamen Todes ihrer Mutter am xx.xx.1995 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen, insbesondere auf die für eine Anerkennung erforderlichen im Rundschreiben vom 06.08.1996 des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Az.: VI 1-52039/3, niedergelegten Kriterien, die die Ergebnisse der Länderreferentenbesprechung vom 24.04.1996 zu diesem Problemkreis zusammenfassten. Die Rechtsprechung des BSG dürfe keinesfalls zu einem unkontrollierten Ausufern des anspruchsberechtigten Personenkreises führen. Die aufgeführten Kriterien ermöglichten eine sachgerechte und dogmatisch vertretbare Erfassung von "Drittgeschädigten". Die Klägerin sei nach ihrem eigenen Vorbringen bei der Gewalttat nicht zugegen gewesen, sondern erst nach Vollendung der Tötungshandlung in die Wohnung gekommen, wo sie ihre Mutter habe liegen gesehen, aber nicht zu ihr hingegangen sei. Sie habe somit die schwere Gewalttat nicht selbst erlebt. "Das spätere Auffinden einer Getöteten ist kein geeignetes Ereignis, den Schock durch das "eigene Erlebnis" auszulösen.", so Schreiben des Beklagten vom 05.01.1998. Des weiteren hat sich der Beklagte auf ein weiteres Rundschreiben des BMA vom 02.12.1998 (V a 1 - 52039/3) berufen, in dem an der bisher dargelegten Rechtsauffassung festgehalten werde.
Das Gericht hat Befundberichte des Hausarztes Dr. E. (17.09.1998) und der Dipi.Psych. F. (14.09.1998) beigezogen. Des weiteren hat dem Gericht ein Entlassungsgericht vom 24.08.1993 über einen stationären Aufenthalt vom 10.05. bis 22.06.1993 des Klinischen Zentrums Kirchvers - Psychosomatik, Psychotherapie, Psychiatrie - vorgelegen. Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme zu den medizinischen Befunden erhalten. Für den Beklagten hat der Leitende Arzt, der Nervenarzt Dr. G., in seiner aktenmäßigen Stellungnahme vom 08.12.1998 ausgeführt, dass - soweit nach Aktenlage beurteilbar - der gewaltsame Tod der Mutter zu einer Verschärfung, d.h. Verschlimmerung, der bis Januar 1995 noch regelmäßig behandlungsbedürftigen Vorerkrankung geführt habe. Die Vorerkrankung "Angst-konversionsneurotische Entwicklung" wäre nach den Anhaltpunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit, 1996, von 1992 bis 1995 mit einem GdB von 30 zu bewerten gewesen, die Verschlimmerung dieses Leidens ginge für ein Jahr zu Lasten des Schockerlebnisses und könne aus seiner Sicht mit einer MdE von 30 eingeschätzt werden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend die Zulassung der Sprungrevision beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts-, und der Beschädigtenakte des Beklagten (Az ... 21 60 - 92/96 OEG) sowie der Strafakten der Staatsanwaltschaft am Landgericht Darmstadt (Az ... 32 Js 72 94095), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide waren aufzuheben, weil sie die Klägerin in ihren Rechten verletzen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG i.V. mit dem BVG dem Grunde nach zu. Der Beklagte ist verpflichtet, bei der Klägerin Schädigungsfolgen nach dem OEG anzuerkennen und Versorgungsleistungen zu gewähren. Die Schädigungsfolgen im einzelnen sowie die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sind vom Beklagten festzustellen und darauf hin Versorgungsleistungen in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Eine Entscheidung dem Grunde nach gemäß § 130 Sozialgerichtsgesetz war zulässig und geboten. Zwar hat die Klägerin eine Verurteilung zur Leistung beantragt, da die Ermittlung des Umfangs der gesundheitlichen Schädigung sowie die darauf beruhenden Versorgungsleistungen nach dem BVG von dem Beklagten gemäß § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu ermitteln und festzusetzen sind, hat es das Gericht aber für zweckmäßig und sachgerecht gehalten, über den Anspruch der Klägerin nur dem Grunde nach zu entscheiden. Damit wurde die Klägerin mit einer möglicherweise unnötigen nervenärztlichen Begutachtung nicht belastet. Es ist vorrangig Aufgabe der Verwaltung und nicht des Gerichtes, eine Entscheidung über die anzuerkennende gesundheitliche Schädigung in Form einer konkreten Bezeichnung und über die Höhe der MdE zu treffen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass in vorangegangenen Entscheidungen des Gerichtes (S 24/VG - 4486/96; S 24/VG - 4326/96) auf Antrag und mit Einverständnis der Beteiligten die Sprungrevision zugelassen und vom beklagten Land auch eingelegt, dann aber ohne Begründung zurückgenommen wurde (B 9 Vg 4486/96; B 9 VG 4/98 R) mit der Folge, dass in der Verwaltungspraxis § 1 Abs. 1 OEG unter Berufung auf die Rundschreiben des BMA und ohne Beachtung der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 07.11.1979 (s.o.) weiterhin einengend ausgelegt wird. Unter Berufung auf die in den o.g. Rundschreiben des BMA aufgestellten Kriterien hat sich der Beklagte in derartigen Fällen weitgehend seiner Ermittlungsverpflichtung nach § 20 SGB X entzogen.
Es steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die Klägerin Opfer im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes geworden ist.
Dem steht nicht entgegen, dass nicht die Klägerin Ziel des gewalttätigen Angriffs des D. A. war, sondern ihre Mutter.
§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG lautet:
Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.
Nach dem Wortlaut des § 1 OEG hat die Klägerin die Voraussetzungen erfüllt. Unstreitig erkrankte sie infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen eine andere Person, hier: ihre Mutter, bzw. ihre vorbestehende weitgehend abgeklungene psychische Erkrankung erfuhr eine gravierende Verschlimmerung. Die Klägerin erlitt somit eine gesundheitliche Schädigung. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung ist es unbeachtlich, ob bei der Person, gegen die ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff geführt wird, eine gesundheitliche Schädigung auftritt, oder auch bei einer anderen Person. Entscheidend ist, dass "infolge" der Tat jemand - also auch eine andere Person - "eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat." Dies ist hier der Fall.
Wie das BSG in seinem Urteil vom 07.11.1979, Az.: 9 RVg 1/78, ausführte, umfasst das OEG einen größeren anspruchsberechtigten Personenkreis als das Bundesversorgungsgesetz. Man könne diese unterschiedliche Wertung als Ungereimtheit - und damit als abstimmungsbedürftig - ansehen, da es sich bei beiden Gesetzesmaterialien um Rechtsbereiche des sozialen Entschädigungsrechtes handele. So werde im OEG die Entschädigungspflicht der öffentlichen Hand daraus abgeleitet, dass der Staat keine wirksamen Schutz vor kriminellen Handlungen habe bieten können. Im Vergleich dazu müsste die Ausgleichspflicht bei Kriegsopfern eigentlich stärker sein, da der Staat selbst die Einbuße von Gesundheit oder den Verlust des Lebens abfordere. Trotz dieser Unstimmigkeit seien aber die Rechtssätze so, wie sie sich der Rechtsauslegung zeigten, hinzunehmen. Eine begrenzende Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG im Sinne der ausschließlichen Einbeziehung von Drittgeschädigten in den Fällen der aberratio ictus ergebe sich auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien nicht zwingend.
Das Gericht folgt der Rechtsprechung des BSG und sieht keinen zwingenden Grund zur Abweichung, auch wenn bei der vom BSG erfolgten Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG der anspruchsberechtigte Personenkreis weiter gefasst ist als in vergleichbaren Fällen des sonstigen Entschädigungsrechtes. Das Gericht sieht für eine Eingrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises, wie sie im Rundschreiben vom BMA beschrieben ist, keine rechtliche Grundlage, die sich unmittelbar aus dem OEG ableiten lassen könnte. Dies gilt insbesondere auch unter Beachtung des § 2 (Soziale Rechte) des Sozialgesetzbuches Allgemeiner Teil (SGB I). § 2 SGB I lautet:
(1) Der Erfüllung der in § 1 genannten Aufgaben dienen die nachfolgenden sozialen Rechte. Aus ihnen können Ansprüche nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches im einzelnen bestimmt sind.
(2) Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuches und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Somit ist es nicht Aufgabe der Rechtsprechung, einengende leistungsbegrenzende Auslegungen des Wortlautes von Vorschriften des OEG vorzunehmen, auch wenn tatsächliche Schwierigkeiten hinsichtlich einer evtl. notwendigen Anspruchsbegrenzung zu konstatieren sind. Dies hat das BSG bereits 1979 erkannt und den Gesetzgeber auf die Möglichkeit einer entsprechenden Gesetzesänderung hingewiesen. Trotzdem ist der Gesetzgeber in diesem Sinne bisher nicht tätig geworden. Erst durch die Zunahme von Anträgen "anderer Personen" auf Opferentschädigung hat sich der BMA veranlasst gefühlt, im Wege von Rundschreiben anspruchsbegrenzende Auslegungen des OEG vorzuschlagen, indem der in Frage kommende vom OEG erfasste Personenkreis begrenzt werden soll. Dies findet im OEG keine rechtliche Grundlage. Der BMA und der Beklagte verkennen das o.g. Urteil des BSG, soweit sie die im Urteil aufgeführte bisherige Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des BVG hinsichtlich der Feststellung und damit zum Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs genannten Kriterien, wie z.B. "gewisse Nähe zwischen Tat und Schaden" und "die zeitliche Unmittelbarkeit", zum Anlass nehmen, den entschädigungsberechtigten Personenkreis von vornherein zu begrenzen. Das BSG führte im o.g. Urteil aus, dass nach den Gegebenheiten des § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG neben den Fällen der aberratio ictus Entschädigung auch in den Fällen gewährt wird, wenn durch ein mit gefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen eine Gefahr für Leib und Leben anderer wenigstens fahrlässig herbeigeführt worden ist. Auch bei dieser Regelung würden Personenschäden berücksichtigt, die eintreten, ohne dass die Tat gegen eine Person gerichtet sein müsse. Daraus sei zu folgern, dass der Gesetzgeber sich des Vorsatzkriteriums bediente, um die Entschädigungsregelung vor einer Ausweitung in Richtung einer Art allgemeiner Volksversicherung gegen schwere Unfälle abzudämmen. Die Verantwortlichkeit des Staates sollte auf den willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person begrenzt sein (mit Hinweis auf BT-Drs. 7/2506, S.10). Im Gesetz sowie in den Gesetzesmaterialien fehle jedoch der deutliche Hinweis, dass "mittelbar Geschädigte" von seinen Gewährleistungen ausgenommen sein sollten. Entscheidend sei, dass der an der Schockwirkung erkrankte Mensch selbst durch die Gewalttat betroffen sei und nicht etwa nur deren Rückwirkung zu spüren bekomme. Im zu entscheidenden Fall habe die Nachrichtenübermittlung von dem besonders schrecklichen Geschehen eine natürliche Einheit mit dem Gewaltvorgang gebildet, soweit es jedenfalls für den Schockschaden gelte.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG stellt sich somit zum einen die Frage, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vorgelegen hat, zum andern ist der Nachweis zu führen, dass "infolge" (so der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG) eines solchen Angriffs der Antragsteller eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach der Rechtsprechung des BSG ist somit allein die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Gewalttat im Sinne des OEG und einer bei einer anderen Person eingetretenen gesundheitlichen Schädigung rechtlich von Bedeutung, so schwierig die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges im Bereich psychischer Erkrankungen und um solche handelt es sich mit Ausnahme der Fälle der aberratio ictus in der Regel - auch zu belegen ist. Dabei ist das schadensstiftende Geschehen gegenüber der Klägerin für sich zu betrachten, und zwar unabhängig von dem Ende der Gewalttat. Im Verhältnis zu der Klägerin als - auch - unmittelbar Geschädigter ist ein einheitlicher, in sich geschlossener Lebensvorgang zu beurteilen, der nicht aufgetrennt werden darf. "Die versorgungsrechtlich beachtliche Ursachenkette hat erst dort aufzuhören, wo sich der Angriff gegen die Klägerin, gegen ihre Psyche auswirkte" (so BSG a.a.O.). Daraus ist zu folgern, dass der Beklagte sich nach dem Vortrag der Klägerin, sie habe infolge der Gewalttat an ihrer Mutter einen psychischen Schaden erlitten, hätte veranlasst sehen müssen, Ermittlungen einzuholen und Feststellungen zu treffen. Die vom BMA in seinen Rundschreiben aufgestellten Kriterien, die vorab den entschädigungsberechtigten Personenkreis bereits begrenzen, sind weder rechtlich zulässig noch geeignet, den Schwierigkeiten bei der Feststellung der Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Gewalttat und psychischer Erkrankung zu entgehen. Sie sind nicht vereinbar mit dem Gesetzeswortlaut. Sie widersprechen auch den Ausführungen des BSG im o.g. Urteil. Außerdem sind sie widersprüchlich und schon deshalb nicht geeignet, als Voraussetzungen zur Begrenzung des Personenkreises zu dienen. Sollen nunmehr nur Verwandte ersten Grades und Ehegatten oder alle Verwandten oder auch Lebensgefährten - auch gleichgeschlechtliche - und nahe Freunde oder langjährige Arbeitskollegen - als "andere Person" Opferentschädigung nach dem OEG geltend machen dürfen? Die Aufzählung von bestimmten Personengruppen, die vom Gesetz erfasst werden sollen, führen zu einer nicht nachvollziehbaren, beliebigen Eingrenzung des Personenkreises. Die im Rundschreiben vom 06.08.1996 angeführten Personengruppen mit sog. Sonderbeziehungen zum Opfer lassen sich unter dem verfassungsrechtlichen Postulat des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht vorab festlegen. Dies gilt auch für das Kriterium der "örtlichen und zeitlichen Nähe". Der Gesetzeswortlaut verlangt nicht die Anwesenheit des Dritten beim Tathergang. Die vom BMA niedergelegten Kriterien bringen keine für die Ausführung des Gesetzes erforderliche Rechtssicherheit Wie sich aus den dem Gericht zur Kenntnis gelangten Verwaltungsentscheidungen ergibt, ist es dem Beklagten bisher nicht gelungen, auf diese Weise eine das Gleichheitsgebot achtende Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen zu finden. So hat der Beklagte in der Vergangenheit - unter der Voraussetzung, dass eine psychische Erkrankung festzustellen war - auch bei der Überbringung einer Nachricht und ohne persönliches Zugegensein bei der Gewalttat einen Anspruch nach dem OEG anerkannt (vgl. Verfahren wegen Verschlimmerung einer derartigen, bereits mit Bescheid vom 04.08.1986 anerkannten gesundheitlichen Schädigung, Az.: S 24/VG 1072/95).
Im vorliegenden Fall war die Klägerin bei der Ermordung ihrer Mutter nicht zugegen, so dass der Beklagte unter Berücksichtigung der Rundschreiben des BMA und unabhängig von möglichen psychischen Folgen der Tat bei der Klägerin, einen Anspruch nach dem OEG von vornherein wegen des Fehlens einer "örtlichen Nähe zur Tat" verneinte. Wie der Leitende Arzt des Landesversorgungsamtes Nervenarzt Dr. G. jedoch feststellte, ist die bei der Klägerin nach der Ermordung ihrer Mutter eingetretene Verschlimmerung einer bereits vorbestehenden psychischen Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit auf die Tat zurückzuführen. Somit war der Beklagte auch verpflichtet, einen entsprechenden Gesundheitsschaden nach dem OEG anzuerkennen und Versorgungsleistungen in gesetzlichem Umfang, darunter insbesondere auch Heilbehandlung, nach dem BVG zu gewähren.
Der vom Beklagten vorgetragenen Anregung, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beizuladen, folgte das Gericht nicht. Die Voraussetzungen des § 75 Sozialgerichtsgesetz betreffend eine notwendige Beiladung waren nicht erfüllt. Für eine einfache Beiladung sah das Gericht keine Notwendigkeit, da es sich um die Auslegung des geltenden Rechtes handelt, zu der sich das BMA in seinen o.g. Rundschreiben bereits geäußert hat (vgl. auch BverwG Buchh 310 § 65 Nr. 17).
Die Sprungrevision war gemäß § 161 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Zif 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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