L 10 R 5299/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 44/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5299/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.11.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Der am 1962 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger und lebt seit 1988 in Deutschland. Er war zuletzt als Kurierfahrer sozialversicherungspflichtig beschäftigt und ist seit Mai 2002 arbeitslos. Im Vordergrund der gesundheitlichen Beschwerden des Klägers steht eine im Jahre 1975 erfolgte traumatische Unterschenkelamputation mit prothetischer Versorgung, ein chronisches Wirbelsäulensyndrom sowie eine koronare Drei-Gefäßerkrankung, wegen der es im März 2010 zu einer Bypass-Operation kam. Die nachfolgende Anschluss-Rehabilitation brach der Kläger nach wenigen Tagen gegen den ärztlichen Rat mit der Begründung ab, er sei gegen seinen Willen in die Rehabilitation geschickt worden (Bl. 41 Reha-Akte).

Den im April 2010 vom Kläger gestellten Antrag auf Gewährung stationärer medizinischer Leistungen zur Rehabilitation lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.04.2010 und Widerspruchsbescheid vom 20.10.2010 ab. Sie ging davon aus, dass die Erwerbsfähigkeit für die Tätigkeit als Kurierfahrer gemindert sei, diese Minderung aber durch Rehabilitationsmaßnahmen nicht wesentlich gebessert oder behoben werden könne.

Hiergegen hat der Kläger am 22.11.2010 beim Sozialgericht Karlsruhe Klage erhoben (S 5 R 4957/10). Das Klageverfahren hat im Hinblick auf ein gleichzeitig vom Kläger betriebenes Verfahren auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung zunächst geruht. Nachdem das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit rechtskräftig gewordenem Beschluss vom 13.12.2012, L 11 R 5562/11, die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende und einen Rentenanspruch verneinende Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe zurückgewiesen hatte, ist der vorliegende Rechtsstreit fortgeführt worden. Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte eingeholt. U. a. hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. im Mai 2013 mitgeteilt, der Kläger sei seit Anfang 2011 nur einmal, nämlich im Juni 2012 zur Behandlung gewesen. Es hätten nur Myogelosen im Nacken, Schulterbereich und Lumbalbereich bestanden, jedoch keine wesentlichen neurologischen Ausfälle. Im Vordergrund hätte die depressiv-resignative Stimmung mit aggressiven Durchbrüchen gestanden, zur Verbesserung der Schlafqualität und der Stimmung habe er ein Medikament rezeptiert, das auch bei Schmerzen helfe.

Mit Urteil vom 04.11.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und unter Darstellung der rechtlichen Grundlagen für die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 9 und § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - ) ausgeführt, der Kläger sei im Hinblick auf eine Tätigkeit als Kurierfahrer in der Erwerbsfähigkeit gemindert, nachdem die Fachärztin für Innere Medizin W. im Verwaltungsverfahren betreffend die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung das Heben und Tragen von Lasten von mehr als zehn Kilogramm ausgeschlossen habe und Kurierfahrer Pakete mit höherem Gewicht bewegen müssten. Allerdings strebe der Kläger - so seine Angaben im Klageverfahren - ohnehin nur noch leichte Montagearbeiten (als Produktionshelfer) sowie Tätigkeiten als Portier, Aufsicht oder Parkwächter und damit durchweg leichte Tätigkeiten an. Zu derartigen Tätigkeiten sei der Kläger auch ohne Durchführung einer stationären Rehabilitation in der Lage, was das Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 13.12.2012 zutreffend ausgeführt habe. Seither habe sich der Gesundheitszustand des Klägers nach den Angaben der behandelnden Ärzte nicht verschlechtert. Auch ein Anspruch des Klägers auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 40 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) scheide aus, weil ambulante Maßnahmen ausreichen würden.

Gegen das ihm am 11.11.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.12.2013 Berufung eingelegt. Er trägt vor, zuletzt als Kurierfahrer gearbeitet zu haben und er könne auch nur diese oder vergleichbare Tätigkeiten ausüben. Dies setze aber voraus, dass er dazu nicht nur physisch sondern auch psychisch in der Lage sei. Die psychische Befindlichkeit habe das Sozialgericht nicht hinreichend berücksichtigt und nach Angaben von Dr. H. sei er hochgradig depressiv. Die Depression sei behandlungsbedürftig und könne zumindest auch in einer Reha-Maßnahme gezielt therapiert werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.11.2013 und den Bescheid vom 14.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die Rechtsgrundlagen für die Gewährung der hier im Streit stehenden stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation zutreffend dargelegt (insbesondere § 10 SGB VI) und ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Maßnahme nicht erfüllt. Zutreffend hat das Sozialgericht darüber hinaus auch einen Anspruch nach SGB V geprüft und ebenso zutreffend verneint. Der Senat sieht daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend zu den Ausführungen des Sozialgerichts weist der Senat darauf hin, dass nach dem im Rentenverfahren von der Beklagten eingeholten Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin W. (Bl. 357 ff Renten-Akte) wegen der eingeschränkten Belastungsfähigkeit des linken Beines und der Wirbelsäulenbeschwerden dem Kläger häufiges Bücken sowie das Heben und Tragen von Lasten über zehn Kilogramm nicht mehr zumutbar sind. Soweit bei einer Tätigkeit als Kurierfahrer darüber hinausgehende Lasten anfallen, ist der Kläger somit in seiner Erwerbsfähigkeit in einer solchen Tätigkeit gemindert. Allerdings - und hierauf wies die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid zutreffend hin - lässt sich diese Erwerbsminderung durch medizinische Maßnahmen nicht mehr beheben. Denn jedenfalls der Zustand nach Unterschenkel-amputation mit Prothesenversorgung, der nach der Beurteilung der Gutachterin W. nur noch geringe Belastungen des linken Beines ermöglicht, ist nicht mehr durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu beeinflussen. Soweit der Kläger die Verrichtung leichter Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Betracht zieht, liegt bereits keine Minderung oder Gefährdung seiner Erwerbsfähigkeit vor. Wie das Sozialgericht schließt sich auch der Senat den Ausführungen des 11. Senats in seinem Beschluss vom 13.12.2012 an, wonach dem Kläger trotz der bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche zumutbar sind.

Die Einwände des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe greifen nicht durch. Entgegen seiner Behauptung hat Dr. H. in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom Mai 2013 gegenüber dem Sozialgericht gerade keine hochgradige Depression bestätigt, sondern lediglich eine depressiv-resignative Stimmung mit aggressiven Durchbrüchen beschrieben. Zur Behandlung dieser Störung hat er ein entsprechendes Medikament rezeptiert, wobei der Kläger nachfolgend Dr. H. nicht mehr aufgesucht hat. Es ist daher festzustellen, dass der Kläger trotz der von ihm behaupteten Depression seit Anfang 2011 nur einmal zur Behandlung bei Dr. H. gewesen ist. Führt der Kläger aber gerade in Bezug auf seine von ihm in den Vordergrund der Argumentation gestellten psychische Beschwerden keine ambulante Behandlungen durch, lässt sich insgesamt kein Bedarf für entsprechende Leistungen der medizinischen Rehabilitation und - angesichts, wie sogleich darzulegen ist, vorrangiger ambulanter Maßnahmen - schon gar nicht für eine stationäre Maßnahme feststellen.

Soweit der Kläger zuletzt behauptet hat, er könne sich aus eigener Kraft nicht zu einer regelmäßigen Behandlung aufraffen, ist dies nicht nachvollziehbar. Denn die typische Behandlung depressiver Zustände besteht in der Verabreichung und Einnahme entsprechender Medikamente, wie sie Dr. H. dem Kläger Mitte 2012 auch verordnet hat. Wenn der Kläger damals, Mitte 2012, in der Lage gewesen ist, die Hilfe von Dr. H. in Anspruch zu nehmen, gilt dies auch heute. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass zwischenzeitlich eine Änderung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten ist. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der Kläger nicht in der Lage sein soll, die medikamentöse Behandlung der behaupteten depressiven Zustände fortzusetzen.

Wenn aber die vom Kläger behauptete psychische Erkrankung durch ambulante Maßnahmen behandelt werden kann, scheidet ein Anspruch auf Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitation insoweit aus. Zwar erstreckt sich das dem Rentenversicherungsträger nach § 9 Abs. 2 SGB VI mit dem Wort "kann" eingeräumte Ermessen (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.2000, B 5 RJ 8/99 R in SozR 3-2600 § 10 Nr. 2) nicht auf das "Ob" der Leistungsgewährung, sondern beschränkt sich auf das "Wie" der Leistungserbringung. Dementsprechend bestimmt der Träger der Rentenversicherung - hier also die Beklagte - gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen sowie ggfs. die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei insoweit eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle stattfindet (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 54 Rdnr. 25 ff.) und die Beklagte nur dann zu einer bestimmten Entscheidung verpflichtet ist, wenn jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre (so genannte Ermessensreduzierung auf null, vgl. Keller a.a.O., Rdnr. 29). Eine solche Ermessensreduzierung auf null in Bezug auf die hier allein streitige stationäre Maßnahme verneint der Senat. Wie bereits dargelegt, bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass für die aus Klägersicht im Vordergrund stehende Behandlung der behaupteten psychischen Erkrankung ambulante Maßnahmen nicht ausreichen.

Zutreffend hat das Sozialgericht auch Ansprüche außerhalb des SGB VI verneint, namentlich nach dem SGB V. Auch ein möglicher Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gemäß §§ 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, 40 Abs. 1 SGB V ist bezüglich des "wie" der Leistungserbringung gemäß § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB V in das pflichtgemäße Ermessen des Leistungserbringers gestellt. Zusätzlich besteht ein Stufenverhältnis der verschiedenen Maßnahmen, welches bereits aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V deutlich wird. Gemäß § 40 Abs. 1 SGB V gilt: Reicht bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, erbringt die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen. Reichen diese Leistungen gleichfalls nicht aus, kann die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Demnach kommt eine stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung nur dann in Betracht, wenn weder eine ambulante Krankenbehandlung noch eine ambulante Rehabilitation ausreichend sind. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung dahingehend, dass, ungeachtet des dargestellten Stufenverhältnisses, im vorliegenden Fall nur eine medizinische stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in Betracht käme, sind, wie bereits dargestellt, nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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