Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 274/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Annahme einer quantitativen Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund des Sehens von Doppelbildern und einer Mitralklappeninsuffizienz ist angesichts von vielfältigen und die Anforderungen an körperlich leichte Tätigkeiten häufig übersteigenden Alltagsaktivitäten des Klägers nicht nachvollziehbar.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Erwerbsminderungs-rente hat.
Der 19 geborene Kläger durchlief eine Berufsausbildung zum Koch und war zuletzt bis ... 2010 als Koch für einen Partyservice tätig. Seit ...2011 ist er arbeitslos gemeldet.
Bei einem Unfall im Jahr 1997 zog sich der Kläger eine Schädigung des Nervus trochlearis zu, was zu einer beidseitigen Trochlearisparese und damit zur Wahrnehmung von Doppelbil-dern führte. Im März 2010 unterzog sich der Kläger einer operativen Mitralklappenrekon-struktion mit anschließendem Rehabilitationsaufenthalt in der Fachklinik F.
Am 18.08.2011 stellte er einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er begründete diesen mit einer Mitralklappeninsuffizienz, dem Sehen von Doppelbildern sowie einer beid-seitigen Kurzsichtigkeit bei Hornhautverkrümmung und legte den ärztlichen Entlassungsbe-richt der Fachklinik F. vom 1.04.2010 sowie weitere ärztliche Unterlagen vor.
Durch Bescheid vom 01.09.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Im Wider-spruchsverfahren machte der Kläger geltend, mit seinem noch vorhandenen Leistungsvermögen könne er Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden arbeitstäglich erbringen.
Zur Feststellung, ob bei dem Kläger eine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Grade vorliegt, gab die Beklagte daraufhin ein Gutachten bei der Internistin Dr. B.-K. in Auftrag (Gutachten vom 16.11.2011). Dr. B.-K. stellte im Wesentlichen ein gutes Langzeitergebnis nach der Mitralklappenrekonstruktion von 2010 sowie geringfügige Beeinträchtigungen durch degenerative Veränderungen beider Kniegelenke und durch eine Augenmuskelfehlstellung beidseits fest. Der Kläger habe zwar als Hauptbeschwerde die verminderte Leistungsfähigkeit nach der Herzoperation angegeben. Jedoch habe in allen kardiologischen Kontrolluntersuchungen, insbesondere echokardiographisch, aber auch in der Ergometrie eine gute kardiale Belastbarkeit des Klägers dargestellt werden können.
Zusammenfassend führte die Gutachterin aus, beim Kläger bestünde noch ein Leistungsver-mögen von über sechs Stunden arbeitstäglich für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Ar-beitsmarktes unter Beachtung diverser qualitativer Leistungseinschränkungen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 19.12.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Deswegen hat der Kläger am 17.01.2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung verweist er vor allem auf seine Herzerkrankung, sein beschränktes räumliches Sehen sowie auf degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und beider Kniegelenke. Diese chronischen Krankheiten begründeten eine dauerhafte Erwerbsminderung.
Das Gericht hat die behandelnden Ärzte des Klägers – den Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. R., die Augenärztin Dr. D.-W. sowie den Allgemeinmediziner Dr. B. - schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. R. hat von einer normalen systolischen linksventrikulären Funktion und von einer normalen Belastbarkeit des Klägers im Alltag berichtet und bekundet, seiner Ansicht nach sollten bei einer leichten körperlichen beruflichen Tätigkeit keine Auswirkungen spürbar sein. Dr. D.-W. hat angegeben, wegen der Doppelbilder sei eine Beschäftigung, die auch gleichzeitig ein Sehen im Nahbereich erfordert, nahezu unmöglich.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht von Amts wegen ein Gutachten auf augenärztlichem Fachgebiet bei Prof. Dr. A. in Auftrag gegeben (Gutachten vom 15.05.2012). Dieser hat im Wesentlichen auf beiden Augen eine beginnende Linsentrübung, eine Lähumg des Nervus trochlearis, die Wahrnehmung von Doppelbildern im gesamten Gebrauchsblickfeld bei Blickwendung, periphere Gesichtsfeldeinschränkungen sowie auf dem rechten Auge ein gering ausgeprägtes manifestes Innen –und Höhenschielen für die Ferne diagnostiziert. Mit den permanent bestehenden beidäugigen Doppelbildern seien keine Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne unmittelbare Gefährdung der eigenen Gesundheit oder der Gesundheit anderer Personen möglich. Arbeitsversuche müssten zeigen, inwieweit eine sitzende Tätigkeit möglich sei. Auch die Wegefähigkeit sei eingeschränkt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2011 in der Gestalt des Wi-derspruchbescheids vom 19.12.2011 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Er-werbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Unter Berufung auf die sozialmedizinische Stellungnahme von Med.Dir. L. vom 21.06.2012 hat sie die Auffassung vertreten, durch die Augensymptomatik würden lediglich qualitative Leistungseinschränkungen hinsichtlich visueller Feinarbeiten, erhöhter Blendgefahr und Arbeiten am PC bestehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage i.S.v. § 54 Abs. 4 (Sozialge-richtsgesetz - SGG) ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 01.09.2011 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat weder einen Anspruch auf Rente wegen voller, noch wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Nach § 43 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Ver-sicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgaben ist der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn sein arbeitstägliches Leistungsvermögen beträgt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitstäglich mindestens sechs Stunden. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem von der Beklagten eingeholten, überzeugenden und in sich schlüssigen Gutachten von Dr. B.-K., welches das Gericht im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie aus den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. R. und dem ärztlichen Entlassungsbericht der Fachklinik F. Danach leidet der Kläger unter folgenden für seine berufliche Leistungsfähigkeit bedeutsamen Gesundheitsstörungen: Zustand nach Mitralklappenrekonstruktion im Jahr 2010 und geringfügige Beeinträchtigung durch degenerative Veränderungen beider Kniegelenke sowie durch eine unfallbedingte Trochlearisparese beidseits.
Die vorstehend genannten Gesundheitsstörungen schränken die berufliche Leistungsfähigkeit zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Aus medizinischer Sicht sind ihm noch körperlich leichte Tätigkeiten ständig im Sitzen und zeitweise im Stehen und Gehen unter Beachtung folgender qualitativer Einschränkungen – ohne Arbeiten mit ständiger Belastung der unteren Extremitäten sowie ohne erhöhte Blendgefahr, Arbeiten am PC und visuelle Feinarbeiten - arbeitstäglich mindestens sechs Stunden innerhalb einer 5-Tage-Woche zumutbar.
Der nicht nachvollziehbaren Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. A., welcher eine Erwerbstätigkeit des Klägers aufgrund der Doppelbilder nicht mehr für möglich gehalten hat, schließt sich das Gericht nicht an. Warum die permanent bestehenden beidäugigen Doppelbilder beim Kläger nicht einmal leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Gefährdung der eigenen oder fremder Personen zulassen, begründet der Gutachter nicht. Wenn er darauf abstellt, dass Arbeitsversuche zeigen müssten, inwieweit derartige Tätigkeiten möglich sind, lässt dies eher den Schluss darauf zu, dass er solche Tätigkeiten doch grundsätzlich für möglich hält.
Darüber hinaus berücksichtigt der Gutachter - ebenso wie Dr. D.-W. - nicht die vielfältigen und die Anforderungen an körperlich leichte Tätigkeiten häufig übersteigenden Alltagsaktivitäten des Klägers, wie er sie Dr. B.-K. gegenüber schilderte. Der Kläger ist im Haushalt tätig (Putzen, Staubsaugen, Wäsche, Einkaufen, Kochen, etc.), beteiligt sich an der Versorgung der beginnend pflegebedürftigen Schwiegermutter, führt mehrmals am Tag, zum Teil bis zu 1,5 Stunden den Hund aus, fährt alle 2-3 Tage 1-2 Stunden Fahrrad, und verrichte alle möglichen Arbeiten im Haus und im Garten (Reparaturarbeiten am Anhänger, Mähen der Wiesengrundstücke, Hereintragen von Holz, Einsammeln von Äpfeln bei der Apfelernte, etc.). Schließlich sei auch darauf hingewiesen, dass der Kläger trotz der Wahrnehmung von Doppelbildern von 1997 bis 2010 weiterhin vollschichtig beruflich tätig war und die Aufgabe des Berufes auf die Mitralklappeninsuffizienz zurückzuführen ist, welche damals operativ behandelt wurde. Zudem hat sich der Kläger durch die Visusbeschränkung nicht gehindert gesehen, sich nach der Operation auf eine Stelle als Berufsschullehrer in C. zu bewerben, was auch ein subjektives Leistungsvermögen voraussetzt. Im Einklang damit hat der Kläger Dr. B.-K. gegenüber erklärt, er sehe sich hauptsächlich in seiner verminderten Leistungsfähigkeit beschwert, die sich zwar schon gebessert habe, jedoch im Vergleich zum Zustand vor der Herz-OP noch gemindert sei. Eine Beeinträchtigung durch die Wahrnehmung von Doppelbildern schilderte er demgegenüber erst auf Nachfrage. Diesbezüglich ist dem Gutachten zu entnehmen, er habe "sich über die Jahre hinweg daran gewöhnt, greife jedoch gelegentlich etwas daneben". Alles in allem deutet dies nicht auf eine höhergradige Beeinträchtigung hin. Der Einschränkung des Visus wird durch die oben genannten qualitativen Einschränkungen hinreichend Rechnung getragen.
Aber auch auf dem - für den Kläger im Vordergrund stehenden - internistisch/kardiologischen Fachgebiet leidet der Kläger ebenfalls nicht an gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die seine Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht einschränken würden. Wie Dr. B.-K. und Dr. R. ausgeführt haben, steht das körperliche Leistungsvermögen des Klägers nach der Herz-OP und der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme einer körperlich leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht entgegen. Selbiges lässt sich auch bereits dem Entlassungsbericht der Fachklinik F. entnehmen, wonach der Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden und mehr verrichten kann. Der Kläger erzielte bei allen kardiologischen Kontrolluntersuchungen, insbesondere echokardiographisch, aber auch in der Ergometrie im Rahmen der Begutachtung von Dr. B.-K. (max. 100 Watt, Abbruch wegen peripherer Erschöpfung, kaum Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks unter Belas-tung) gute Belastbarkeitswerte, die mit dem Vermögen des Klägers korrelieren, die oben aufgeführten Alltagsaktivitäten zu verrichten.
Ebenso wenig begründen nach der Überzeugung der Kammer die degenerativen Veränderun-gen beider Kniegelenke quantitative Leistungseinschränkungen. Denn diese führen lediglich zu geringfügigen Einschränkungen in der Form von Schmerzen, wenn der Kläger in die Knie geht. Eine fachärztlich-orthopädische Behandlung wird nicht durchgeführt, so dass der Lei-densdruck diesbezüglich als gering einzuschätzen ist.
Ferner ist das Gericht davon überzeugt, dass die Wegefähigkeit des Klägers nicht aufgehoben ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß zu bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Bei der Beurteilung der Mobilität sind dabei alle tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, Rn. 20 m.w.N. – nach juris). Wegefähigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß, z.B. mit dem Fahrrad, erreichbar ist (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.03.2011, L 3 R 42/07, Rn. 42 - nach juris). Im vorliegenden Fall ergibt sich die Wegefähigkeit des Klägers schon aus den von Dr. B.-K. erhobenen Alltagsaktivitäten und der Tatsache, dass der Kläger in der Lage war, die Strecke von Oberderdingen nach Karlsruhe zur Begutachtung bei Dr. B.-K. allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Überdies fährt der Kläger nach eigenen Angaben alle 2-3 Tage 1-2 Stunden Rad und führt seinen Hund 1 bis 1,5 Stunden aus. Eine dabei stattfindende Beeinträchtigung durch die Wahrnehmung von Doppelbildern hat der Kläger nicht geschildert, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb diese ihn in rentenrechtlich relevantem Umfang behindern sollten, wenn er zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einer Arbeitsstelle wäre.
Das mindestens sechsstündige Restleistungsvermögen des Klägers ist auch nicht derartig reduziert, dass es seinem Arbeitseinsatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen entgegenstünde. Die oben genannten qualitativen Einschränkungen stellen keine ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen dar, die die Benennung einer Verweisungstätigkeit erfordern würden (vgl. hierzu BSG, Beschl. v. 19.12.1996, GS 2/95, Rn. 37 ff. - nach juris).
Da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist, kommt eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI nicht in Betracht.
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf volle oder teilweise Erwerbsminderungs-rente und die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Erwerbsminderungs-rente hat.
Der 19 geborene Kläger durchlief eine Berufsausbildung zum Koch und war zuletzt bis ... 2010 als Koch für einen Partyservice tätig. Seit ...2011 ist er arbeitslos gemeldet.
Bei einem Unfall im Jahr 1997 zog sich der Kläger eine Schädigung des Nervus trochlearis zu, was zu einer beidseitigen Trochlearisparese und damit zur Wahrnehmung von Doppelbil-dern führte. Im März 2010 unterzog sich der Kläger einer operativen Mitralklappenrekon-struktion mit anschließendem Rehabilitationsaufenthalt in der Fachklinik F.
Am 18.08.2011 stellte er einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Er begründete diesen mit einer Mitralklappeninsuffizienz, dem Sehen von Doppelbildern sowie einer beid-seitigen Kurzsichtigkeit bei Hornhautverkrümmung und legte den ärztlichen Entlassungsbe-richt der Fachklinik F. vom 1.04.2010 sowie weitere ärztliche Unterlagen vor.
Durch Bescheid vom 01.09.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Im Wider-spruchsverfahren machte der Kläger geltend, mit seinem noch vorhandenen Leistungsvermögen könne er Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden arbeitstäglich erbringen.
Zur Feststellung, ob bei dem Kläger eine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Grade vorliegt, gab die Beklagte daraufhin ein Gutachten bei der Internistin Dr. B.-K. in Auftrag (Gutachten vom 16.11.2011). Dr. B.-K. stellte im Wesentlichen ein gutes Langzeitergebnis nach der Mitralklappenrekonstruktion von 2010 sowie geringfügige Beeinträchtigungen durch degenerative Veränderungen beider Kniegelenke und durch eine Augenmuskelfehlstellung beidseits fest. Der Kläger habe zwar als Hauptbeschwerde die verminderte Leistungsfähigkeit nach der Herzoperation angegeben. Jedoch habe in allen kardiologischen Kontrolluntersuchungen, insbesondere echokardiographisch, aber auch in der Ergometrie eine gute kardiale Belastbarkeit des Klägers dargestellt werden können.
Zusammenfassend führte die Gutachterin aus, beim Kläger bestünde noch ein Leistungsver-mögen von über sechs Stunden arbeitstäglich für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Ar-beitsmarktes unter Beachtung diverser qualitativer Leistungseinschränkungen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 19.12.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Deswegen hat der Kläger am 17.01.2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung verweist er vor allem auf seine Herzerkrankung, sein beschränktes räumliches Sehen sowie auf degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und beider Kniegelenke. Diese chronischen Krankheiten begründeten eine dauerhafte Erwerbsminderung.
Das Gericht hat die behandelnden Ärzte des Klägers – den Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. R., die Augenärztin Dr. D.-W. sowie den Allgemeinmediziner Dr. B. - schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. R. hat von einer normalen systolischen linksventrikulären Funktion und von einer normalen Belastbarkeit des Klägers im Alltag berichtet und bekundet, seiner Ansicht nach sollten bei einer leichten körperlichen beruflichen Tätigkeit keine Auswirkungen spürbar sein. Dr. D.-W. hat angegeben, wegen der Doppelbilder sei eine Beschäftigung, die auch gleichzeitig ein Sehen im Nahbereich erfordert, nahezu unmöglich.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht von Amts wegen ein Gutachten auf augenärztlichem Fachgebiet bei Prof. Dr. A. in Auftrag gegeben (Gutachten vom 15.05.2012). Dieser hat im Wesentlichen auf beiden Augen eine beginnende Linsentrübung, eine Lähumg des Nervus trochlearis, die Wahrnehmung von Doppelbildern im gesamten Gebrauchsblickfeld bei Blickwendung, periphere Gesichtsfeldeinschränkungen sowie auf dem rechten Auge ein gering ausgeprägtes manifestes Innen –und Höhenschielen für die Ferne diagnostiziert. Mit den permanent bestehenden beidäugigen Doppelbildern seien keine Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne unmittelbare Gefährdung der eigenen Gesundheit oder der Gesundheit anderer Personen möglich. Arbeitsversuche müssten zeigen, inwieweit eine sitzende Tätigkeit möglich sei. Auch die Wegefähigkeit sei eingeschränkt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2011 in der Gestalt des Wi-derspruchbescheids vom 19.12.2011 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Er-werbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Unter Berufung auf die sozialmedizinische Stellungnahme von Med.Dir. L. vom 21.06.2012 hat sie die Auffassung vertreten, durch die Augensymptomatik würden lediglich qualitative Leistungseinschränkungen hinsichtlich visueller Feinarbeiten, erhöhter Blendgefahr und Arbeiten am PC bestehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage i.S.v. § 54 Abs. 4 (Sozialge-richtsgesetz - SGG) ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 01.09.2011 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat weder einen Anspruch auf Rente wegen voller, noch wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Nach § 43 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Ver-sicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgaben ist der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn sein arbeitstägliches Leistungsvermögen beträgt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitstäglich mindestens sechs Stunden. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem von der Beklagten eingeholten, überzeugenden und in sich schlüssigen Gutachten von Dr. B.-K., welches das Gericht im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie aus den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. R. und dem ärztlichen Entlassungsbericht der Fachklinik F. Danach leidet der Kläger unter folgenden für seine berufliche Leistungsfähigkeit bedeutsamen Gesundheitsstörungen: Zustand nach Mitralklappenrekonstruktion im Jahr 2010 und geringfügige Beeinträchtigung durch degenerative Veränderungen beider Kniegelenke sowie durch eine unfallbedingte Trochlearisparese beidseits.
Die vorstehend genannten Gesundheitsstörungen schränken die berufliche Leistungsfähigkeit zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Aus medizinischer Sicht sind ihm noch körperlich leichte Tätigkeiten ständig im Sitzen und zeitweise im Stehen und Gehen unter Beachtung folgender qualitativer Einschränkungen – ohne Arbeiten mit ständiger Belastung der unteren Extremitäten sowie ohne erhöhte Blendgefahr, Arbeiten am PC und visuelle Feinarbeiten - arbeitstäglich mindestens sechs Stunden innerhalb einer 5-Tage-Woche zumutbar.
Der nicht nachvollziehbaren Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. A., welcher eine Erwerbstätigkeit des Klägers aufgrund der Doppelbilder nicht mehr für möglich gehalten hat, schließt sich das Gericht nicht an. Warum die permanent bestehenden beidäugigen Doppelbilder beim Kläger nicht einmal leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Gefährdung der eigenen oder fremder Personen zulassen, begründet der Gutachter nicht. Wenn er darauf abstellt, dass Arbeitsversuche zeigen müssten, inwieweit derartige Tätigkeiten möglich sind, lässt dies eher den Schluss darauf zu, dass er solche Tätigkeiten doch grundsätzlich für möglich hält.
Darüber hinaus berücksichtigt der Gutachter - ebenso wie Dr. D.-W. - nicht die vielfältigen und die Anforderungen an körperlich leichte Tätigkeiten häufig übersteigenden Alltagsaktivitäten des Klägers, wie er sie Dr. B.-K. gegenüber schilderte. Der Kläger ist im Haushalt tätig (Putzen, Staubsaugen, Wäsche, Einkaufen, Kochen, etc.), beteiligt sich an der Versorgung der beginnend pflegebedürftigen Schwiegermutter, führt mehrmals am Tag, zum Teil bis zu 1,5 Stunden den Hund aus, fährt alle 2-3 Tage 1-2 Stunden Fahrrad, und verrichte alle möglichen Arbeiten im Haus und im Garten (Reparaturarbeiten am Anhänger, Mähen der Wiesengrundstücke, Hereintragen von Holz, Einsammeln von Äpfeln bei der Apfelernte, etc.). Schließlich sei auch darauf hingewiesen, dass der Kläger trotz der Wahrnehmung von Doppelbildern von 1997 bis 2010 weiterhin vollschichtig beruflich tätig war und die Aufgabe des Berufes auf die Mitralklappeninsuffizienz zurückzuführen ist, welche damals operativ behandelt wurde. Zudem hat sich der Kläger durch die Visusbeschränkung nicht gehindert gesehen, sich nach der Operation auf eine Stelle als Berufsschullehrer in C. zu bewerben, was auch ein subjektives Leistungsvermögen voraussetzt. Im Einklang damit hat der Kläger Dr. B.-K. gegenüber erklärt, er sehe sich hauptsächlich in seiner verminderten Leistungsfähigkeit beschwert, die sich zwar schon gebessert habe, jedoch im Vergleich zum Zustand vor der Herz-OP noch gemindert sei. Eine Beeinträchtigung durch die Wahrnehmung von Doppelbildern schilderte er demgegenüber erst auf Nachfrage. Diesbezüglich ist dem Gutachten zu entnehmen, er habe "sich über die Jahre hinweg daran gewöhnt, greife jedoch gelegentlich etwas daneben". Alles in allem deutet dies nicht auf eine höhergradige Beeinträchtigung hin. Der Einschränkung des Visus wird durch die oben genannten qualitativen Einschränkungen hinreichend Rechnung getragen.
Aber auch auf dem - für den Kläger im Vordergrund stehenden - internistisch/kardiologischen Fachgebiet leidet der Kläger ebenfalls nicht an gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die seine Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht einschränken würden. Wie Dr. B.-K. und Dr. R. ausgeführt haben, steht das körperliche Leistungsvermögen des Klägers nach der Herz-OP und der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme einer körperlich leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht entgegen. Selbiges lässt sich auch bereits dem Entlassungsbericht der Fachklinik F. entnehmen, wonach der Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden und mehr verrichten kann. Der Kläger erzielte bei allen kardiologischen Kontrolluntersuchungen, insbesondere echokardiographisch, aber auch in der Ergometrie im Rahmen der Begutachtung von Dr. B.-K. (max. 100 Watt, Abbruch wegen peripherer Erschöpfung, kaum Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks unter Belas-tung) gute Belastbarkeitswerte, die mit dem Vermögen des Klägers korrelieren, die oben aufgeführten Alltagsaktivitäten zu verrichten.
Ebenso wenig begründen nach der Überzeugung der Kammer die degenerativen Veränderun-gen beider Kniegelenke quantitative Leistungseinschränkungen. Denn diese führen lediglich zu geringfügigen Einschränkungen in der Form von Schmerzen, wenn der Kläger in die Knie geht. Eine fachärztlich-orthopädische Behandlung wird nicht durchgeführt, so dass der Lei-densdruck diesbezüglich als gering einzuschätzen ist.
Ferner ist das Gericht davon überzeugt, dass die Wegefähigkeit des Klägers nicht aufgehoben ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß zu bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Bei der Beurteilung der Mobilität sind dabei alle tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, Rn. 20 m.w.N. – nach juris). Wegefähigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß, z.B. mit dem Fahrrad, erreichbar ist (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.03.2011, L 3 R 42/07, Rn. 42 - nach juris). Im vorliegenden Fall ergibt sich die Wegefähigkeit des Klägers schon aus den von Dr. B.-K. erhobenen Alltagsaktivitäten und der Tatsache, dass der Kläger in der Lage war, die Strecke von Oberderdingen nach Karlsruhe zur Begutachtung bei Dr. B.-K. allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Überdies fährt der Kläger nach eigenen Angaben alle 2-3 Tage 1-2 Stunden Rad und führt seinen Hund 1 bis 1,5 Stunden aus. Eine dabei stattfindende Beeinträchtigung durch die Wahrnehmung von Doppelbildern hat der Kläger nicht geschildert, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb diese ihn in rentenrechtlich relevantem Umfang behindern sollten, wenn er zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einer Arbeitsstelle wäre.
Das mindestens sechsstündige Restleistungsvermögen des Klägers ist auch nicht derartig reduziert, dass es seinem Arbeitseinsatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen entgegenstünde. Die oben genannten qualitativen Einschränkungen stellen keine ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen dar, die die Benennung einer Verweisungstätigkeit erfordern würden (vgl. hierzu BSG, Beschl. v. 19.12.1996, GS 2/95, Rn. 37 ff. - nach juris).
Da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist, kommt eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI nicht in Betracht.
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf volle oder teilweise Erwerbsminderungs-rente und die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
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