S 13 R 1642/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 1642/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Auch das Eingehen einer möglichen Scheinehe stellt eine Wiederheirat im Sinne des § 47 Abs. 1 SGB VI dar.
2. Die Tatsache einer Widerheirat ist dem Rentenversicherungsträgers binnen eines Monats nach Eheschließung mitzuteilen. Nur dann ist von einer unverzüglichen Mitteilung auszugehen.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte die der Klägerin gewährte Erziehungsrente ab dem 1. August 2009 wegen einer Wiederheirat aufheben und eine Rückerstattung in Höhe von 30.102,87 EUR verlangen darf.

Die Klägerin beantragte am 20. August 2008 Erziehungsrente wegen Erziehung eines Kindes nach dem Tod des geschiedenen Ehepartners. Hierzu verwendete sie den Vordruck der Be-klagten. Auf dem Vordruckblatt R 220 heißt es unter Punkt 7: " Ich verpflichte mich, den Rentenversicherungsträger sofort zu benachrichtigen, sobald Änderungen eintreten, die sich auf die Erziehungsrente auswirken (z.B.: Wiederheirat ( ))." Seit dem 14. November 2002 war sie von ihrem Ehemann geschieden gewesen. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder (geb. 1990 und geb. 1995) hervorgegangen. Im Mai 2008 ist der geschiedene Ehemann verstorben.

Mit Bescheid vom 29. April 2009 gewährte die Beklagte die beantragte Erziehungsrente. Die Rentenhöhe betrug ab August 2009 monatlich 922,76 EUR, ab März 2010 monatlich 867,84 EUR, ab Juli 2010 monatlich 854,15 EUR, ab Januar 2011 monatlich 851,30 EUR und ab Juli 2011 monatlich 903,59 EUR.

Die Klägerin heiratete am 23. Juli 2009 erneut. Die zuständige Ausländerbehörde erteilte dem Ehemann der Klägerin, einem türkischen Staatsangehörigen, auf seinen Visumsantrag vom 15. September 2009 mit Bescheid vom 7. April 2010 keine Aufenthaltserlaubnis, da sie vom Bestehen einer Scheinehe ausgehe. Zuvor hatte die zuständige Behörde die Klägerin und ihren Ehemann im November 2009 und Januar 2010 zu den Umständen der Eheschließung befragt. Im sich anschließenden Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin reichte der Anwalt des Ehemanns im Oktober 2010 ein Attest des behandelnden Arztes der Klägerin ein, in welchem es heißt, der Gesundheitszustand der Klägerin erfordere eine schnellst mögliche Zusammenführung mit dem Ehemann in Deutschland. Das Verwaltungsgericht Berlin wies mit Gerichtsbescheid vom 21. März 2012 die Klage des Ehemanns ab.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2012 teilte die Klägerin der Beklagten ihre Wiederheirat mit. Ihr Ehemann habe nach Aufforderung der Ausländerbehörde Deutschland bereits am 28. Juli 2009 wieder verlassen müssen. Durch die Eheschließung seien keine steuerlichen oder finan-ziellen Änderungen eingetreten.

Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 29. Juni 2012 zur Aufhebung der Erzie-hungsrente ab dem 1. August 2009 an.

Schließlich hob sie mit Bescheid vom 30. Juli 2012 ab dem 1. August 2009 die Erziehungs-rente auf und forderte die bis zum 31. Mai 2012 eingetretene Überzahlung in Höhe von 30.102,87 EUR zurück. Nach einer Wiederheirat stehe ihr keine Erziehungsrente mehr zu. Sie habe die Beklagte erst verspätetet über diese neue Ehe informiert.

Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs trug der Klägerbevollmächtigte vor, der im Juli 2009 geschlossenen Ehe komme keine Rechtswirkung zu, da die Ausländerbehör-de von einer Scheinehe ausgehe. Zudem habe die Klägerin nicht grob fahrlässig gehandelt, da ihr von der Ausländerbehörde mitgeteilt worden sei, es handle sich um eine Scheinehe ohne rechtliche Wirkung. Schließlich habe die Beklagte ein Ermessen hinsichtlich der Rückerstattung auszuüben, da der Klägerin seitens einer staatlichen Stelle, nämlich der Ausländerbehörde, suggeriert worden sei, ihre Ehe sei unwirksam. Dies begründe einen atypischen Fall.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 4. April 2013 als unbe-gründet zurück. Solange die Ehe nicht durch ein Familiengericht aufgehoben werde, sei von einer rechtsgültigen Ehe auszugehen. Die Klägerin sei im Rentenantragsvordruck auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen worden. Ein atypischer Fall liege gerade nicht vor.

Deswegen hat die Klägerin am 6. Mai 2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Der Klägerbevollmächtigte stützt sich hierbei im Wesentlichen auf seinen Vortrag im Wider-spruchverfahren.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 4. April 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt auf die Ausführungen im Widerspruchbescheid Bezug.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2014 erklärt, ihr sei die Mitteilungspflicht bezüglich einer erneuten Eheschließung bewusst und der Hinweis im Rentenvordruck sei ihr bekannt gewesen. Sie habe aber angenommen aus der Scheinehe würde keine rechtlichen Konsequenzen folgen, dies habe sie den Ermittlungen der Ausländerbehörde entnommen. Zu der Meldung im Mai 2012 habe sie sich entschlossen, weil sie ja "auf dem Papier" tatsächlich verheiratet sei und die Beklagte nicht anlügen wollte.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklag-ten, die beigezogene Akte der Ausländerbehörde sowie die Prozessakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist in der Sache unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 4. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gem. § 47 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Er-reichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Erziehungsrente, wenn

1. ihre Ehe nach dem 30. Juni 1977 geschieden und ihr geschiedener Ehegatte gestor-ben ist, 2. sie ein eigenes Kind oder ein Kind des geschiedenen Ehegatten erziehen (§ 46 Abs. 2), 3. sie nicht wieder geheiratet haben und 4. sie bis zum Tod des geschiedenen Ehegatten die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwal-tungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wir-kung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffe-ne einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekom-men ist. (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X)

Gem. § 50 Abs. 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Orientiert an diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte den Rentenbescheid vom 29. April 2009 zu Recht gem. § 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X aufgehoben und die zu Unrecht gezahlten Leistungen in Höhe von 30.102,87 EUR gem. § 50 Abs. 1 SGB X zurückgefordert. Die Klägerin hat in grob fahrlässiger Weise der Beklagten ihre Widerheirat verspätet mitgeteilt.

1. Durch die Wiederheirat der Klägerin am 23. Juni 2009 sind die Tatbestandsvoraussetzun-gen des § 47 Abs. 1 SGB VI nicht mehr erfüllt. Der gegebenenfalls zuvor bestehende Rentenanspruch entfällt mit Ablauf des Monats, in dem die Wiederheirat erfolgt (§ 100 Abs. 3 Satz 1 SGB VI).

Gem. § 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB wird die Ehe nur dadurch geschlossen, dass die Eheschlie-ßenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.

Eine Ehe kann nur durch richterliche Entscheidung auf Antrag aufgehoben werden. (§ 1313 Satz 1 BGB)

Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, dass sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen. (§ 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB)

Auch das Eingehen einer möglichen Scheinehe stellt eine Wiederheirat im Sinne des § 47 Abs. 1 SGB VI dar. Denn bei einer möglichen Scheinehe handelt es sich um eine Eheschlie-ßung im Sinne des § 1310 BGB. Die Klägerin und ihr Ehemann haben die Ehe am 23. Juli 2009 auf dem Standesamt der Stadt Pforzheim geschlossen.

Diese Ehe ist gem. § 1313 BGB wirksam, auch wenn vorliegend möglicherweise ein Aufhe-bungsgrund gem. § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB gegeben sein könnte. Denn es bedarf dafür zu-nächst einen Antrages der Ehegatten sowie eines richterlichen Beschlusses. Die aufhebbare Ehe hat bis zur rechtskräftigen Aufhebung für beide Ehegatten alle Wirkungen einer gültigen Ehe. (vgl. Wellenhofer in MüKo zum BGB, 6. Aufl., § 1313 Rn. 9) Damit stellt das Eingehen einer Scheinehe eine Wiederheirat im Sinne des § 47 Abs. 1 SGB VI dar. Zudem wäre es nach Überzeugung der Kammer auch nicht gerechtfertigt, das Eingehen einer Scheinehe nicht mit einer "normalen" Wiederheirat gleichzusetzen. Denn die familienrechtlichen Wirkungen dieser beiden Eheschließungen sind dieselben. Nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 SGB VI kommt es lediglich auf die erneute Eheschließung an und nicht, ob die Eheleute tatsächlich in einer eheliche Lebensgemeinschaft zusammen leben.

2. Nach Überzeugung der Kammer ist die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht in grob fahrläs-siger Weise erst verspätet nachgekommen. Der Rentenbescheid kann gem. § 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X aufgehoben werden.

Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I)

Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene bereits einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSG vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R, Rn. 23 nach juris). Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen, wobei sich das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie dem Einsichtsvermögen des Beteiligten richtet (vgl. BSG vom 20. September 1977, 8/12 RKg 8/76, Rn. 25 nach juris). Die so umschriebene Sorgfaltspflichtverletzung muss sich sowohl auf das Bestehen der Mitteilungspflicht beziehen als auch auf das sie auslösende Ereignis (vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Rn. 43). Unverzüglich bedeutet die Mitteilung muss ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. (vgl. Seewald, in Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 60 SGB I Rn. 25 a)

a) Zunächst war der Klägerin bekannt, dass sie der Beklagten eine Wiederheirat unverzüglich mitteilen muss. Dies ergibt sich bereits aus dem schriftlichen Hinweis auf dem Vordruckblatt R 220. Hier heißt es unter Punkt 7: " Ich verpflichte mich, den Rentenversicherungsträger sofort zu benachrichtigen, sobald Änderungen eintreten, die sich auf die Erziehungsrente auswirken (z.B.: Wiederheirat ( )). Zudem hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2014 eingeräumt, dass ihr diese Mitteilungspflicht bekannt gewesen sei. Obwohl die Klägerin bereits am 23. Juli 2009 geheiratet hat, hat sie der Beklagten dies erst im Mai 2012, also über zwei Jahre später, zur Kenntnis gegeben. Hierbei handelt es sich nicht um eine unverzügliche Mitteilung. Nach Überzeugung der Kammer hätte die Tatsache einer Wiederheirat binnen eines Monats mitgeteilt werden müssen, ohne dass dann von schuldhaftem Zögern ausgegangen werden müsste. Es handelt sich nämlich hierbei um eine rechtlich einfache Mitteilung, welche keine langwierigen Ermittlungen oder das Zusammenstellen schwieriger Unterlagen voraussetzt und daher zeitnah erfolgen kann.

b) Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten kann das Verhalten der Ausländer-behörde den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entkräften.

Denn diese Argumentation verkennt, dass das Auftreten der Ausländerbehörde bereits in zeitlicher Hinsicht nach dem Verstreichen des Zeitfenster für eine unverzügliche Mitteilungspflicht erfolgte. Den Visumsantrag hat der Ehemann erst am 15. September 2009 und damit zwei Monate nach der Eheschließung gestellt. Frühestens ab diesem Zeitpunkt haben laut Aktenlage die Ermittlungen der Ausländerbehörde überhaupt begonnen. Ob wie von der Klägerin behauptet, bereits zwei Tage nach Eheschließung durch die Behörde mündlich der Verdacht einer Scheinehe geäußert worden sei, lässt sich den beigezogenen Ermittlungsakten nicht entnehmen. Nach Überzeugung der Kammer wäre eine solche mündliche Äußerung aber auch unerheblich, da sich die Klägerin allenfalls auf schriftliche, den Sachverhalt abschließend beurteilende Äußerungen verlassen durfte. Die mündliche Äußerung eines Verdachtes von behördlicher Seite kann sie keinesfalls von ihrer Mitteilungspflicht gegenüber der Beklagten entbinden. Der Remonstrationsbescheid ist im April 2010 und damit 8 Monate nach der Eheschließung ergangen. Erst in diesem Bescheid gibt die Behörde abschließend zu erkennen, dass der Ehe-mann keine Aufenthaltserlaubnis bekomme, weil von einer Scheinehe ausgegangen wird. Die Hochzeit hat aber bereits im Juli 2009 stattgefunden und wie oben dargestellt, ist das Gericht davon überzeugt, dass sie diese Wiederheirat binnen eines Monats der Beklagten hätte mitteilen müssen. Die unverzügliche Mitteilungsfrist ist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen.

Zudem ist nach Überzeugung der Kammer dem Remonatrationsbescheid vom 7. April 2010 kein Hinweis auf die Unwirksamkeit der Ehe der Klägerin zu entnehmen, welcher sie mög-licherweise von ihrer Mitteilungspflicht befreien könnte. Denn in diesem Verwaltungsakt weist die zuständige Ausländerbehörde keineswegs auf die Unwirksamkeit der zwischen der Klägerin und ihrem türkischen Mann geschlossenen Ehe hin. Vielmehr erklärt sie, dass dieser Ehe kein verfassungsrechtlicher Schutz gem. Art. 6 GG zustehe und daher der Ehemann keine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten kann. Dieser Bescheid sagt somit lediglich aus, dass die Ausländerbehörde von einer Scheinehe ausgehe und keine Aufenthaltsgenehmigung für den Ehemann erteilen könne. Zu sonstigen rechtlichen Wirkungen dieser Ehe trifft der Bescheid keine Aussage.

Der ausländerrechtliche Sachverhalt stand folglich einer unverzüglichen Mitteilung nach der Eheschließung im Juli 2009 nicht entgegen.

Auch das weitere Verhalten der Klägerin war widersprüchlich und konnte folglich dem Vor-wurf der groben Fahrlässigkeit nicht entgegen gehalten werden. Denn im sich an den Re-monstrationsbescheid anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Oktober 2010 hat der behandelnde Arzt der Klägerin gegenüber dem Verwaltungsgericht Berlin bescheinigt, dass ein Nachzug des Ehemanns aufgrund ihrer psychischen Beschwerden schnellstmöglich zu erfolgen habe. Auch gegenüber der Ausländerbehörde hat sich die Klägerin dahingehend geäußert, mit ihrem Ehemann tatsächlich eine Ehe führen zu wollen. Das bedeutet, sie hat dabei mitgewirkt, gegenüber dem Verwaltungsgericht und der zuständigen Ausländerbehörde zu suggerieren mit ihrem Ehemann eine eheliche Gemeinschaft in Deutschland herstellen zu wollen, um ihrem Ehemann eine Aufenthaltserlaubnis zu sichern. Gleichzeitig möchte sie sich nun aber gegenüber der Beklagten, also einer anderen Behörde, und dem Sozialgericht darauf berufen, es habe von Anfang an eine Scheinehe bestanden und sie habe daher nicht grob fahrlässig gehandelt. Die Klägerin kann sich aber nicht in den Jahren 2010 bis 2012 gegenüber der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht dahingehend einlassen, sie wolle die eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich herstellen und gegenüber der Beklagten und dem Sozi-algericht dahingehend äußern, es habe von Anfang an eine Scheinehe bestanden, das Einge-hen einer ehelichen Lebensgemeinschaft sei nie beabsichtigt gewesen.

Schließlich hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2014 selbst einge-räumt, sie habe die Eheschließung mitteilen wollen, weil sie "auf dem Papier" ja verheiratet gewesen sei und die Beklagte nicht habe anlügen wollen. Nach Überzeugung der Kammer war ihr daher sehr wohl bewusst, dass sie der Beklagten auch das Eingehen einer möglichen Scheinehe unverzüglich bekannt zu geben hatte. Dies hat sie ja letztendlich, wenn auch ver-spätet, im Mai 2012 getan. Bezüglich der verspäteten Meldung der Wiederheirat hat sie daher grob fahrlässig gehandelt.

3. Die Beklagte musste vorliegend auch kein Ermessen ausüben. Es ist kein atypischer Fall gegeben.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 5870 § 2 Nr 30) bedeutet das Wort "soll" in Abs. 1 S 2, dass der Leistungsträger in der Regel den VA rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach Abs. 1 S 2, die die Aufhebung des VA für die Vergangenheit gerade rechtfertigen, signifikant abweicht. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob der Versicherte durch die Rückzahlungspflicht nach § 50 Abs. 1 in besondere Bedrängnis gerät. Ebenso kann mitwirkendes Fehlverhalten des Leistungsträgers die Atypik eines Einzelfalls ergeben. Ein atypischer Fall ist jedoch nicht allein auf Grund der mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Rückzahlungspflicht gegeben; die mit der Erstattung verbundene Härte mutet das Gesetz jedem Betroffenen zu; dies gilt bei grober Pflichtwidrigkeit auch angesichts schlechter Einkommens- und Vermögenslage.

Vorliegend liegen nach Überzeugung der Kammer keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines atypischen Falles vor. Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, das Verhalten der Ausländerbehörde sei zu berücksichtigen, stehen diesen Erwägungen, wie bereits zuvor ausgeführt, bereits die zeitlichen Umstände entgegen. Zudem ist keinesfalls ersichtlich, warum die Klägerin infolge des Eingehens einer Scheinehe, welcher Umstand immerhin eine Strafbarkeit im Sinne des § 95 AufenthG auslösen könnte, im Vergleich zu einem Regelfall privilegiert werden sollte. In einem solchen Fall besteht nach Überzeugung der Kammer erst Recht ein öffentliches Interesse an der Aufhebung und Rückerstattung der zu Unrecht geleisteten Rentenbeiträge.

4. Die Klägerin hat gem. § 50 Abs. 1 SGB X die zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 30.102,87 EUR zurückzuerstatten.

5. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 4. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Demgemäß war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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