Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 P 922/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 4961/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Herabsetzung der Pflegestufe eines Versicherten, dem Leistungen der Pflegestufe II aufgrund von Art. 45 PflegeVG bewilligt waren.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Oktober 2013 und der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2010 in der Fassung des Bescheids vom 25. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2011 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger ab 1. Juni 2010 weiterhin Pflegegeld nach Pflegestufe II beanspruchen kann.
Der am 1991 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegepflichtversichert. Bei ihm besteht eine Propionacidämie, eine rezidiv vererbte angeborene Stoffwechselerkrankung, die zur Folge hat, dass er mit einer PEG (Perkutane endoskopische Gastrostomie) -Ernährungssonde ernährt wird, sowie eine kognitive Leistungsminderung, ein ausgeprägter Knick-Platt-Fuß und eine Osteoporose. Der Kläger besuchte eine Körperbehindertenschule. Mittlerweile ist er in einer Werkstatt für Behinderte tätig. Seit Mai 1991 besteht ein Grad der Behinderung (GdB) von 80; die Merkzeichen G, B und H sind festgestellt.
Ab 9. Februar 1993 erhielt der Kläger Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der vom 1. Januar 1989 bis 31. März 1995 geltenden Fassung vom 20. Dezember 1988 (Bescheid vom 8. Oktober 1993). Nach dem Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M.-J., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), vom 6. Oktober 1993 bestand bei dem zweieinhalbjährigen Kläger die Notwendigkeit ständiger Hilfe beim Aufstehen und zu Bett gehen, bei der Nahrungszubereitung und -aufnahme, im Bereich der Körperpflege und der Koordination des Tagesablaufs, häufiger Hilfebedarf beim Treppensteigen und gelegentlicher Hilfebedarf bei der Kommunikation. Die Stoffwechselstörung des Klägers bedürfe der peinlich genauen Verabreichung einer Diätkost nach Plan. Die Zusammenstellung dieser Kost bedinge den starken pflegerischen Aufwand. Zusätzlicher Aufwand bestehe auch beim Füttern selbst. Die Voraussetzungen für die Anerkennung von Schwerpflegebedürftigkeit nach §§ 53 ff. SGB V lägen vor.
Am 8. Dezember 1994 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte erhob das Gutachten der Pflegefachkraft W., MDK, vom 14. September 1995 nach Untersuchung des Klägers am 4. September 1995. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates und der Sinnesorgane mäßige Einschränkungen habe. Es liege eine leichte Außenrotation der Füße vor. Der Kläger gehe geringgradig unsicher und stolpere häufig. Im Bereich der inneren Organe und des Zentralen Nervensystems sowie der Psyche bestünden schwere Einschränkungen. Der Kläger sei noch inkomplett harn- und stuhlinkontinent. Es bestehe der Verdacht auf eine geringgradige geistige Retardierung. Der pflegerische Aufwand im Bereich Körperpflege und Mobilisation sei im Vergleich zu einem gleichaltrigen gesunden Kind aber nicht wesentlich höher. Ein höherer Zeitaufwand bestehe bei der Ernährung und beim Essen eingeben. Es bestehe Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe I. Nach dem auf dem Gutachten angebrachten handschriftlichen Vermerk, hinsichtlich dessen Unterschrift und Datum nicht erkennbar ist, habe sich der Gesundheitszustand gegenüber der Begutachtung vom 6. Oktober 1993 nicht verändert, weshalb entsprechend den Übergangsvorschriften weiterhin Pflegestufe II bestehe. Mit Bescheid vom 21. September 1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 1. September 1995. Auf den vom Kläger dagegen erhobenen Widerspruch erstattete Pflegefachkraft W. das Gutachten vom 13. Oktober 1995. Er gab an, bei der Nahrungsaufnahme bestehe ein zeitlicher Mehraufwand, der in dem Gutachten vom 4. (richtig: 14.) September 1995 berücksichtigt worden sei. Das genaue Abwiegen und Zubereiten der Mahlzeiten seien im Gutachten berücksichtigte hauswirtschaftliche Verrichtungen. Die ständige Aufmerksamkeit, die der Kläger benötige, könne zeitlich ebenso wenig berücksichtigt werden, wie das tägliche Spazierengehen bzw. Gymnastik und die Medikamentengabe. Es verbleibe dabei, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe II zwischenzeitlich nicht mehr erfüllt seien. Mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers ab und verfügte, dass auf Grund der Besitzstandswahrung keine Rückstufung vorgenommen werde, sondern die bisherigen Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe II weitergezahlt würden.
Am 2. Oktober 1998 beantragte der Kläger Höherstufung. Die Beklagte erhob daraufhin das am 5. November 1998 durch Dr. Z., MDK, erstattete Gutachten. Darin wurde ein täglicher Hilfebedarf bei der Körperpflege von 58 Minuten, bei der Ernährung von 86 Minuten und bei der Mobilität von 66 Minuten, insgesamt 210 Minuten, festgestellt. Vom festzustellenden Grundpflegebedarf sei ein Pflegebedarf für gesunde gleichaltrige Kinder von 60 Minuten täglich zum Abzug zu bringen. Pflegebedürftigkeit entsprechend der Pflegestufe II liege vor. Mit Bescheid vom 6. November 1998 lehnte die Beklagte die Höherstufung ab.
Am 30. März 1999 beantragte der Kläger erneut die Höherstufung. Die Beklagte veranlasste wiederum eine Begutachtung des Klägers durch Dr. Z., die das Gutachten nach Aktenlage vom 17. Mai 1999 erstattete. Sie stellte einen täglichen körperbezogenen Mehraufwand an Pflege gegenüber gesunden gleichaltrigen Kindern von ca. 150 bis 160 Minuten fest. Weitere gesundheitliche Veränderungen gegenüber der Vorbegutachtung seien nicht eingetreten. Mit Bescheid vom 20. Mai 1999 lehnte die Beklagte die Höherstufung ab.
Im April 2010 leitete die Beklagte eine Nachuntersuchung ein. Pflegefachkraft K. erstattete nach Durchführung einer Untersuchung des Klägers am 4. Mai 2010 das Gutachten vom 5. Mai 2010. Er stellte einen täglichen Hilfebedarf bei der Grundpflege von 50 Minuten fest (Körperpflege 22 Minuten, Ernährung 20 Minuten, Mobilität acht Minuten). Er führte aus, der Hilfebedarf in den Bereichen Körperpflege und Mobilität habe sich pflegestufenrelevant reduziert. Der Kläger sei mittlerweile in der Lage, nach Aufforderung und Motivation einzelne Verrichtungen selbstständig durchzuführen, auch wenn Verlaufskontrollen notwendig seien. Im Bereich der Blasen- und Darmentleerung sei er nahezu selbstständig, lediglich ein Nachsäubern nach dem Stuhlgang sei erforderlich. Empfohlen werde die Pflegestufe I ab April 2010. Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2010 den Bescheid vom 21. September 1995 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Schwerpflegebedürftigkeit liege nicht mehr vor. Ab 1. Juni 2010 würden Pflegeleistungen nach Pflegestufe I gestellt.
Der Kläger erhob Widerspruch. Er leide unter einer Propionacidämie mit Essstörung, die sehr schwer zu behandeln sei, und weshalb er mit einer Magensonde versorgt sei. Seine Eltern seien die ganze Zeit damit beschäftigt, seine Nahrung und Medikamente für ihn vorzubereiten, da er selbst nicht in der Lage sei, dies zu tun. Auch wenn er rausgehe, müsse immer jemand dabei sein. Er legte ärztliche Atteste des Prof. Dr. T. und des PD Dr. F., jeweils Kreiskliniken R., vom 16./20. Februar 2009 und 1. Juli 2010, Arztbriefe des Prof. Dr. T. aus dem Jahr 2009 sowie einen beispielhaften Diät-Tagesplan vom 13. April 2009 vor. Daraufhin erhob die Beklagte das von der Pflegefachkraft H., MDK, am 1. Oktober 2010 nach einer häuslichen Untersuchung vom 29. September 2010 erstattete Gutachten. Darin wurde für die Körperpflege ein täglicher Hilfebedarf von 28 Minuten, für die Ernährung von 55 Minuten, für die Mobilität von acht Minuten, insgesamt von 91 Minuten angenommen. Der Kläger sei beim Gehen im Wohnumfeld sicher. Außer Haus trage er orthopädisches Schuhwerk, bei langen Strecken sei er mit Rollstuhl mobil, dieser müsse wegen fehlender Kraftausdauer geschoben werden. Bei zunehmender Belastung bestehe Kurzatmigkeit. Eine orale Nahrungsaufnahme erfolge nicht. Trinken erfolge eigenständig. Toilettengänge erfolgten selbstständig, teilweise liege eine unzureichende Säuberung nach Defäkation vor, weshalb hier Teilhilfebedarf erforderlich sei. Außerdem bestehe eine geistige Retardierung. Orientierung in der Wohnung und im näheren Umfeld seien gegeben, ansonsten benötige er personelle Begleitung außer Haus. Das Einschätzen von für ihn fremden Situationen gelinge nicht adäquat. Ein nachvollziehbarer Hilfebedarf bestehe mit Aufforderung und Motivation bei der Ganzkörperwäsche sowie auch beim Duschen. Des weiteren sei Motivation und Anleitung bei der täglichen Zahnpflege und beim Kämmen erforderlich. Die Rasur werde übernommen. Ferner seien Hilfestellungen beim Herausrichten der jahreszeitlich passenden Kleidung notwendig, die Reihenfolge des Kleidens werde vorgegeben. Teilweise sei Hilfe erforderlich beim Schließen von Knöpfen. Zum zeitgerechten Aufstehen und ins Bett gehen müsse er aufgefordert werden. Die Zubereitung von Diäten und die Kontrolle der Magensonde könnten nicht zu den grundpflegerischen Verrichtungen gerechnet werden. Zusätzlich zu würdigen sei die Gabe der zuvor passierten Kost. Trotz des gestiegenen Hilfebedarfs liege weiterhin der zeitliche Rahmen der Pflegestufe I vor. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit einem nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 25. Oktober 2010 mit, dass der MDK auch in seinem zweiten Gutachten zum Ergebnis gekommen sei, dass ein täglicher Hilfebedarf von mindestens zwei Stunden nicht vorliege und die Voraussetzungen für die Pflegestufe II nicht erfüllt seien. Im Bescheid vom 11. Mai 2010 sei es zu einem Schreibfehler bekommen. Aufzuheben sei nicht der Bescheid vom 21. September 1995, richtig müsse es heißen " Aus diesem Grund sind wir gehalten, den Bewilligungsbescheid vom 26. Oktober 1995 gemäß § 48 Sozialgesetzbuch (SGB) X aufzuheben" (Zitat mit Anführungszeichen im Original). Der Bescheid vom 11. Mai 2010 werde hiermit zu diesem Punkt berichtigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2011 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Die Gutachter des MDK hätten bei ihren Untersuchungen am 4. Mai und 29. September 2010 übereinstimmend festgestellt, dass sich der tägliche Hilfebedarf des Klägers deutlich reduziert habe. Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege betrage derzeit täglich 91 Minuten. Er habe sich im Bereich der Körperpflege sowie im Bereich der Mobilität pflegestufenrelevant reduziert. Der Kläger sei mittlerweile in der Lage, nach Aufforderung und Motivation einzelne Verrichtungen selbstständig durchzuführen, auch wenn Verlaufskontrollen notwendig seien. Im Bereich der Blasen- und Darmentleerung sei er nahezu selbstständig. Lediglich ein Nachsäubern nach Stuhlgang sei erforderlich. Die Beklagte habe deshalb zu Recht die Leistungen der Pflegestufe II zum 31. Mai 2010 eingestellt.
Am 14. Februar 2011 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Seine Rückstufung in die Pflegestufe I sei nicht berechtigt. Er brauche bei allen Verrichtungen der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme sowie der Aufrechterhaltung der Mobilität ständig der Motivation und Beaufsichtigung. Der in den Gutachten festgestellte Zeitaufwand für die Pflege und Versorgung werde dem tatsächlichen Aufwand, der durch seine Eltern erbracht werde, in keiner Weise gerecht. Die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen We. (hierzu im Folgenden) sei auch nicht zutreffend. Es handele sich bei den von ihm ermittelten Zeiten um Mindest-, nicht um Durchschnittswerte. Sein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege belaufe sich auf mindestens 36 Minuten und im Bereich der Mobilität auf mindestens zehn Minuten. Der Zeitbedarf für die Zubereitung der Mahlzeiten sei mit mindestens 60 Minuten anzunehmen. Der Zeitaufwand für die Nahrungsaufnahme sei mit 30 Minuten zu gering berechnet. Der gesamte Zeitbedarf für die Grundpflege sei mit mindestens 120 Minuten anzunehmen.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Zeitwerte des MDK im Bereich der Körperpflege mit 28 Minuten seien schlüssig. Nach den Begutachtungs-Richtlinien könnten für das Verabreichen der Nahrung mittels Sondenkost pro Tag 15 - 20 Minuten angerechnet werden. Beim Kläger habe der Gutachter sogar einen höheren Zeitaufwand anerkannt und 40 Minuten pro Tag berücksichtigt. Im Bereich der Mobilität sei ein Hilfebedarf von acht Minuten nachvollziehbar. Der Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung könne nicht berücksichtigt werden, da dieser nur im Zusammenhang mit medizinisch notwendigen Leistungen, die regelmäßig mindestens einmal die Woche anfielen, angerechnet werden dürfe. Ein Besuch der Behindertenwerkstatt gehöre nicht dazu.
Das SG erhob das Sachverständigengutachten des Pflegesachverständigen We. vom 6. Juni 2011. Er nahm einen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von 103 Minuten täglich (Körperpflege 26 Minuten, Ernährung 70 Minuten, Mobilität sieben Minuten) an. Es sei eine gewisse Stabilisierung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten, wenngleich diese Stabilität rasch empfindlich gestört werden könne, wenn beispielsweise grobe Diätfehler gemacht würden oder gravierende Infekte beim Kläger aufträten. Die Frage, seit wann der aktuelle Pflegebedarf bestehe, könne seriös nur dahingehend beantwortet werden, dass er seit der Untersuchung zur Erstellung des MDK-Gutachtens am 4. Mai 2010 bestehe.
Mit Urteil vom 14. Oktober 2013 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe zutreffend die Pflegestufe reduziert. Verfahrensrechtlich beurteile sich der Fall nach § 48 SGB X. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers liege vor. Ausweislich des Gutachtens von Herrn We. sei eine gewisse Stabilisierung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten. Auch die Anleitung der Eltern mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme habe beim Kläger zu einer Verringerung des Pflegebedarfs geführt. Der Sachverständige We. habe für es, das SG, nachvollziehbar und schlüssig im Bereich der Körperpflege einen Zeitaufwand von 26 Minuten, im Bereich der Ernährung von 70 Minuten und im Bereich der Mobilität von sieben Minuten abgeleitet. Der Bedarf für die Grundpflege betrage damit insgesamt maximal 103 Minuten und liege damit unter den für die Pflegestufe II notwendigen mindestens 120 Minuten. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 18. Oktober 2013 zugestellt.
Am 18. November 2013 hat der Kläger unter Verweis auf sein Vorbringen im Klageverfahren Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Ergänzend hat er vorgetragen, die gesetzlichen Voraussetzungen zur Aufhebung des Bescheids mit Dauerwirkung gemäß § 48 SGB X lägen nicht vor. Eine ohne hinreichenden Grund und ohne Anlass von der Beklagten veranlasste Neuuntersuchung zur Überprüfung des zu seinen Gunsten ergangenen Bescheids sei unzulässig. Darüber hinaus liege keine wesentliche Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vor. Sein Pflegebedarf rechtfertige weiterhin die Annahme der Pflegestufe II. Der Pflegebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme und im Bereich der Mobilität sei zu gering eingeschätzt worden. Völlig außer Acht bleibe, dass er regelmäßig von seinen Eltern einmal monatlich zu ärztlichen Untersuchungen begleitet werden müsse. Bei Komplikationen sei sogar eine wöchentliche ärztliche Untersuchung erforderlich. Wöchentlich werde er auch entweder von seinem Vater oder seiner Mutter zur Gymnastik begleitet mit einem Zeitaufwand von mindestens einer Stunde, wenn er mit dem Pkw seines Vaters transportiert werde, einem Aufwand von 2 Stunden, wenn er von seiner Mutter mit öffentlichen Verkehrsmitteln begleitet werde. Jede zweite Woche begleite ihn sein Vater auch zum MTV Sportverein mit einem Zeitaufwand von zwei Stunden und 20 Minuten. In vierteljährlichem Abstand müsse er zur Verlaufskontrolle in die Kreiskliniken Reutlingen begleitet werden. Der Kläger hat das ärztliche Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. D. vom 19. November 2013 und eine Bescheinigung des Prof. Dr. F. vom 6. Dezember 2013 vorgelegt.
Der Kläger beantragt sachgerecht gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Oktober 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2010 in der Fassung vom 25. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Pflegefachkraft K. habe einen Hilfebedarf bei der Grundpflege in einem Umfang von 50 Minuten pro Tag ermittelt. Sachverständiger We. habe erläutert, dass eine gewisse Stabilisierung des Gesundheitszustand des Klägers eingetreten sei. Den Hilfebedarf in der Grundpflege habe er mit durchschnittlich 103 Minuten pro Tag bewertet. Nachdem sich in den tatsächlichen Verhältnissen im Umfang der Hilfe bei der Grundpflege eine wesentliche Änderung ergeben habe und bei der Grundpflege mindestens 120 Minuten pro Tag nicht mehr erforderlich seien, sei der frühere Bescheid mit Wirkung vom 1. Juni 2010 aufzuheben gewesen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufung ist auch begründet. Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn mit Bescheid vom 11. Mai 2010 in der Fassung des Bescheids vom 25. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2011 hat die Beklagte den Kläger ab 1. Juni 2010 zu Unrecht von Pflegestufe II nach Pflegestufe I zurückgestuft und das Pflegegeld nur noch nach der niedrigeren Pflegestufe gewährt. Die Voraussetzungen für eine derartige Rückstufung lagen nicht vor.
Streitgegenstand ist allein, ob der Kläger ab 1. Juni 2010 weiterhin Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II hat. Dieser Anspruch auf Weitergewährung von Pflegegeld ist im Wege der Anfechtungsklage durchzusetzen. Eine (zusätzlich) erhobene Leistungsklage wäre unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzinteresse fehlte (vgl. z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. Dezember 1979 - 7 RAr 10/79 -, in juris). Denn schon mit der Aufhebung des Bescheids vom 11. Mai 2010 in der Fassung des Bescheids vom 25. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2011 wären die Leistungen nach Pflegestufe II weiter zu gewähren. Mithin ist zu entscheiden, ob die Beklagte zu Recht die Leistungsgewährung zum 31. Mai 2010 eingestellt hat.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Wesentlich ist eine Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (BSG, Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - und 8. September 2010 - B 11 AL 4/09 -; beide in juris). Die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung nach einer bestimmten Pflegestufe ist als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren. Ein solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet bzw. inhaltlich verändert (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16. Februar 1984 - 1 RA 15/83 -, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R -; beide in juris).
Diese Voraussetzungen eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung waren hier hinsichtlich des Bescheids der Beklagten vom 26. Oktober 1995, mit dem die Beklagte dem Widerspruch des Klägers abhalf und verfügte, dass auf Grund der Besitzstandswahrung keine Rückstufung vorgenommen werde, sondern die bisherigen Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe II weitergezahlt würden, erfüllt. Darin ging es um die Bewilligung einer Dauerleistung, die sich auf einen voraussichtlich mindestens sechs Monate andauernden, die Pflegebedürftigkeit auslösenden Gesundheitszustand bezog (§ 14 Abs. 1 SGB XI).
Bei der Prüfung, ob eine Änderung im Sinne des § 48 SGB X eingetreten ist, ist bei Bescheiden, mit denen - wie hier mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 - die Bewilligung von Leistungen der Pflegestufe II auf Grund von Artikel (Art.) 45 Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) erfolgt, für den Vergleichsmaßstab folgendes zu beachten: Nach Art. 45 Abs. 1 PflegeVG werden pflegebedürftige Versicherte, die bis zum 31. März 1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 bis 57 SGB V a.F. erhalten haben, mit Wirkung vom 1. April 1995 ohne Antragstellung in die Pflegestufe II eingestuft und erhalten entsprechende Leistungen der Pflegeversicherung. Mit dieser Regelung wurde vom Gesetzgeber in Kauf genommen, dass Versicherte in Einzelfällen zwar die gesetzlichen Voraussetzungen für die Pflegestufe II nicht erfüllen, aber dennoch die entsprechende Leistungen erhalten. Eine Herabstufung dieser Pflegebedürftigen wegen von Anfang an zu günstiger Einstufung kommt allerdings schon aus Rechtsgründen (partieller Bestandsschutz) nicht in Betracht (BSG, Urteile vom 13. März 2001 - B 3 P 20/00 R - in juris). In dieser Entscheidung führt das BSG aus, der partielle Bestandsschutz mache § 48 SGB X nicht unanwendbar, er bewirke aber, dass Versicherte, die nach Art. 45 PflegeVG pauschal der Pflegestufe II zugeordnet worden seien, nur dann nach § 48 SGB X in die Pflegestufe I herabgestuft werden können, wenn sich der Pflegebedarf nach dem 31. März 1995 (also nicht schon zur Zeit der Geltung der §§ 53 ff. SGB V a.F.) aufgrund tatsächlicher Umstände wie z.B. einer gesundheitlichen Besserung, durch Ausstattung mit Hilfsmitteln oder durch Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes in solchem Maße verringert habe, dass nur noch ein Pflegebedarf in den sachlichen und zeitlichen Grenzen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 SGB XI (Pflegestufe I) vorhanden sei. Eine Herabstufung sei bei gegenüber dem Zustand vom 31. März 1995 nach Art und Umfang unverändertem Hilfebedarf, also bei fehlender nachträglicher wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, ausgeschlossen. Die objektive Beweislast für eine wesentliche Änderung trägt die Beklagte (bestätigt BSG, Urteil vom 30. Oktober 2001 - B 3 P 7/01 R -, so auch Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 2004 - L 4 P 1152/02 -, Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 26. August 2008 - L 6 P 463/05 -, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Februar 2012 - L 27 P 26/11 -, alle in juris).
Die Herabstufung des Klägers in Pflegestufe I wäre daher nur dann in Betracht gekommen, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen, wie sie noch am 31. März 1995 vorgelegen haben, eine Änderung eingetreten wäre und diese zu einer Verringerung des Hilfebedarfs geführt hätte, mit der die zeitliche Grenze der Pflegestufe II nicht mehr erreicht wäre. Prüfungsmaßstab kann daher nicht der von der Beklagten vorgenommene Vergleich zwischen den Feststellungen in dem Gutachten vom 19. Mai 1999 und den Gutachten vom 5. Mai und 1. Oktober 2010 sein. Denn durch eine Auswertung dieser Gutachten lässt sich nicht erheben, ob sich im Pflegebedarf, wie er noch unter der Geltung alten Rechts bestanden hat, eine Änderung im Sinne einer Verringerung ergeben hat. Eine Verringerung des Hilfebedarfs während der Geltungsdauer neuen Rechts belegt nämlich nicht gleichzeitig und zwingend eine entsprechende Änderung auch im Vergleich zu dem noch während der Geltung alten Rechts bestehenden Zustand. Zwar ist nicht auszuschließen, dass im Einzelfall diese Schlussfolgerung zutreffend ist. Doch ist beispielsweise denkbar, dass nach Inkrafttreten neuen Rechts eine Verschlimmerung im Gesundheitszustand und eine damit einhergehende Erhöhung des Hilfebedarfs eintritt, die sich bis zu einem späteren Zeitpunkt wieder vollständig zurückgebildet hat. Während der Geltung neuen Rechts ließe sich in diesem Fall bei einem Vergleich des jeweiligen Hilfebedarfs zwar eine Verringerung feststellen, nicht aber bei einem Vergleich mit dem Zustand, wie er noch nach altem Recht vorgelegen hat. Nach Art und Umfang hätte sich insoweit keine Änderung ergeben, so dass auch eine Herabsetzung der Pflegestufe ausgeschlossen wäre. Dieses Beispiel macht deutlich, dass dem Willen des Gesetzgebers, nämlich all jenen Versicherten, die schon Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach altem Recht bezogen haben, unbeschränkt Leistungen nach Pflegestufe II so lange zu gewähren, wie im Hilfebedarf nach Art und Umfang keine wesentliche Änderung eingetreten ist, nur Rechnung getragen werden kann, wenn zur Prüfung einer Verringerung des Hilfebedarfs als Vergleichsmaßstab der Zustand herangezogen wird, wie er noch unter Geltung alten Rechts bestanden hat. Denn nur dadurch wird gewährleistet, dass auch Versicherte, die zwar nach früherem Recht die Voraussetzungen der §§ 53 ff SGB V a.F. erfüllt haben und die Voraussetzungen für eine Einstufung in Pflegestufe I oder II nach neuem Recht nicht mehr erfüllen, bei im Wesentlichen unverändertem Hilfebedarf weiterhin Leistungen nach Pflegestufe II erhalten (Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 2004 - L 4 P 1152/02 -, a.a.O.).
Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die Beklagte den Kläger zulässigerweise nur dann in Pflegestufe I hätte herabstufen dürfen, wenn festzustellen wäre, dass im Hilfebedarf des Klägers nach dem 31. März 1995 nach Art und Umfang eine wesentliche Änderung eingetreten wäre. Die objektive Beweislast hierfür trägt - wie ausgeführt - die Beklagte.
Eine derartige Änderung lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Der Gesundheitszustand des Klägers bzw. seine sich auf den Umfang des Pflegebedarfs auswirkenden Einschränkungen sind zeitnah zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des 31. März 1995 durch das Gutachten vom 6. Oktober 1993 dokumentiert, wobei die bestehenden Einschränkungen des damals zweieinhalbjährigen Klägers lediglich sehr allgemein und wenig detailliert beschrieben sind. Es wird ein diskret unbeholfenes Gangbild, eine primär nonverbale Kommunikation und eine noch bestehende vollständige Inkontinenz sowie insbesondere ein erheblicher zeitlicher Aufwand bei der Nahrungszubereitung und der Nahrungsaufnahme beschrieben. Es fehlen insbesondere jegliche Feststellungen, in welchem Ausmaß der damalige Hilfebedarf des Klägers krankheitsbedingt und in welchem lediglich altersbedingt war. Einschränkungen beim Gehen außer Haus (orthopädisches Schuhwerk, bei langen Strecken Rollstuhl) werden auch bei den im Jahr 2010 und 2011 erstatteten Gutachten beschrieben. Ebenso wird die Kommunikation als eingeschränkt beschrieben als der Kläger nur auf einfache Fragen zu antworten vermag. Soweit im Unterschied zum Vorgutachten aus dem Jahr 1993 bezüglich der Kommunikation leichte Besserungen zu verzeichnen sind und insbesondere im Bereich der Darm- und Blasenentleerung nur noch ein Bedarf beim Nachsäubern nach Stuhlgang beschrieben wird, ist dies auf die Entwicklungsfortschritte des zum Zeitpunkt der Begutachtung im Jahr 2010 19-jährigen Klägers zurückzuführen. Dass sich der Hilfebedarf gegenüber einem im Jahr 1993 gesunden zweieinhalbjährigen Kind im Vergleich zum Bedarf im Jahr 2010 gegenüber einem gesunden 19 jährigen verringert hat, ist damit nicht belegt. Einen erheblichen Aufwand im Bereich der Ernährung und beim Esseneingeben beschreiben auch Pflegefachkräfte K. und H. sowie der Sachverständige We. in den Jahren 2010 bzw. 2011. Darauf, ob der Hilfebedarf im Bereich der Ernährung im Bereich 1993 "unrichtig" beurteilt wurde, kommt es nicht an. Dies würde keine wesentliche Änderung bedingen.
Etwas anderes ließe sich auch nicht auf die von Pflegefachkraft W. am 14. September und 13. Oktober 1995 sowie Dr. Z. am 5. November 1998 und 17. Mai 1999 erstatteten Gutachten stützen. Denn selbst dann, wenn man aus den Darlegungen in diesen Gutachten einen geringeren Hilfebedarf als noch im Oktober 1993 ableiten wollte, bliebe offen, ob die entsprechende Besserung erst nach dem 31. März 1995 eingetreten ist oder bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat. Letzteres würde aber eine Herabstufung gerade ausschließen.
Dass eine wesentliche Verminderung des Grundpflegebedarfs nicht nach dem 31. März 1995 eingetreten ist, belegt auch die Tatsache, dass die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 die bisherigen Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe II auf Grund der Besitzstandswahrung weiter zahlte und nur deshalb keine Rückstufung vornahm.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger ab 1. Juni 2010 weiterhin Pflegegeld nach Pflegestufe II beanspruchen kann.
Der am 1991 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegepflichtversichert. Bei ihm besteht eine Propionacidämie, eine rezidiv vererbte angeborene Stoffwechselerkrankung, die zur Folge hat, dass er mit einer PEG (Perkutane endoskopische Gastrostomie) -Ernährungssonde ernährt wird, sowie eine kognitive Leistungsminderung, ein ausgeprägter Knick-Platt-Fuß und eine Osteoporose. Der Kläger besuchte eine Körperbehindertenschule. Mittlerweile ist er in einer Werkstatt für Behinderte tätig. Seit Mai 1991 besteht ein Grad der Behinderung (GdB) von 80; die Merkzeichen G, B und H sind festgestellt.
Ab 9. Februar 1993 erhielt der Kläger Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der vom 1. Januar 1989 bis 31. März 1995 geltenden Fassung vom 20. Dezember 1988 (Bescheid vom 8. Oktober 1993). Nach dem Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M.-J., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), vom 6. Oktober 1993 bestand bei dem zweieinhalbjährigen Kläger die Notwendigkeit ständiger Hilfe beim Aufstehen und zu Bett gehen, bei der Nahrungszubereitung und -aufnahme, im Bereich der Körperpflege und der Koordination des Tagesablaufs, häufiger Hilfebedarf beim Treppensteigen und gelegentlicher Hilfebedarf bei der Kommunikation. Die Stoffwechselstörung des Klägers bedürfe der peinlich genauen Verabreichung einer Diätkost nach Plan. Die Zusammenstellung dieser Kost bedinge den starken pflegerischen Aufwand. Zusätzlicher Aufwand bestehe auch beim Füttern selbst. Die Voraussetzungen für die Anerkennung von Schwerpflegebedürftigkeit nach §§ 53 ff. SGB V lägen vor.
Am 8. Dezember 1994 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte erhob das Gutachten der Pflegefachkraft W., MDK, vom 14. September 1995 nach Untersuchung des Klägers am 4. September 1995. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates und der Sinnesorgane mäßige Einschränkungen habe. Es liege eine leichte Außenrotation der Füße vor. Der Kläger gehe geringgradig unsicher und stolpere häufig. Im Bereich der inneren Organe und des Zentralen Nervensystems sowie der Psyche bestünden schwere Einschränkungen. Der Kläger sei noch inkomplett harn- und stuhlinkontinent. Es bestehe der Verdacht auf eine geringgradige geistige Retardierung. Der pflegerische Aufwand im Bereich Körperpflege und Mobilisation sei im Vergleich zu einem gleichaltrigen gesunden Kind aber nicht wesentlich höher. Ein höherer Zeitaufwand bestehe bei der Ernährung und beim Essen eingeben. Es bestehe Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe I. Nach dem auf dem Gutachten angebrachten handschriftlichen Vermerk, hinsichtlich dessen Unterschrift und Datum nicht erkennbar ist, habe sich der Gesundheitszustand gegenüber der Begutachtung vom 6. Oktober 1993 nicht verändert, weshalb entsprechend den Übergangsvorschriften weiterhin Pflegestufe II bestehe. Mit Bescheid vom 21. September 1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 1. September 1995. Auf den vom Kläger dagegen erhobenen Widerspruch erstattete Pflegefachkraft W. das Gutachten vom 13. Oktober 1995. Er gab an, bei der Nahrungsaufnahme bestehe ein zeitlicher Mehraufwand, der in dem Gutachten vom 4. (richtig: 14.) September 1995 berücksichtigt worden sei. Das genaue Abwiegen und Zubereiten der Mahlzeiten seien im Gutachten berücksichtigte hauswirtschaftliche Verrichtungen. Die ständige Aufmerksamkeit, die der Kläger benötige, könne zeitlich ebenso wenig berücksichtigt werden, wie das tägliche Spazierengehen bzw. Gymnastik und die Medikamentengabe. Es verbleibe dabei, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe II zwischenzeitlich nicht mehr erfüllt seien. Mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers ab und verfügte, dass auf Grund der Besitzstandswahrung keine Rückstufung vorgenommen werde, sondern die bisherigen Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe II weitergezahlt würden.
Am 2. Oktober 1998 beantragte der Kläger Höherstufung. Die Beklagte erhob daraufhin das am 5. November 1998 durch Dr. Z., MDK, erstattete Gutachten. Darin wurde ein täglicher Hilfebedarf bei der Körperpflege von 58 Minuten, bei der Ernährung von 86 Minuten und bei der Mobilität von 66 Minuten, insgesamt 210 Minuten, festgestellt. Vom festzustellenden Grundpflegebedarf sei ein Pflegebedarf für gesunde gleichaltrige Kinder von 60 Minuten täglich zum Abzug zu bringen. Pflegebedürftigkeit entsprechend der Pflegestufe II liege vor. Mit Bescheid vom 6. November 1998 lehnte die Beklagte die Höherstufung ab.
Am 30. März 1999 beantragte der Kläger erneut die Höherstufung. Die Beklagte veranlasste wiederum eine Begutachtung des Klägers durch Dr. Z., die das Gutachten nach Aktenlage vom 17. Mai 1999 erstattete. Sie stellte einen täglichen körperbezogenen Mehraufwand an Pflege gegenüber gesunden gleichaltrigen Kindern von ca. 150 bis 160 Minuten fest. Weitere gesundheitliche Veränderungen gegenüber der Vorbegutachtung seien nicht eingetreten. Mit Bescheid vom 20. Mai 1999 lehnte die Beklagte die Höherstufung ab.
Im April 2010 leitete die Beklagte eine Nachuntersuchung ein. Pflegefachkraft K. erstattete nach Durchführung einer Untersuchung des Klägers am 4. Mai 2010 das Gutachten vom 5. Mai 2010. Er stellte einen täglichen Hilfebedarf bei der Grundpflege von 50 Minuten fest (Körperpflege 22 Minuten, Ernährung 20 Minuten, Mobilität acht Minuten). Er führte aus, der Hilfebedarf in den Bereichen Körperpflege und Mobilität habe sich pflegestufenrelevant reduziert. Der Kläger sei mittlerweile in der Lage, nach Aufforderung und Motivation einzelne Verrichtungen selbstständig durchzuführen, auch wenn Verlaufskontrollen notwendig seien. Im Bereich der Blasen- und Darmentleerung sei er nahezu selbstständig, lediglich ein Nachsäubern nach dem Stuhlgang sei erforderlich. Empfohlen werde die Pflegestufe I ab April 2010. Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2010 den Bescheid vom 21. September 1995 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Schwerpflegebedürftigkeit liege nicht mehr vor. Ab 1. Juni 2010 würden Pflegeleistungen nach Pflegestufe I gestellt.
Der Kläger erhob Widerspruch. Er leide unter einer Propionacidämie mit Essstörung, die sehr schwer zu behandeln sei, und weshalb er mit einer Magensonde versorgt sei. Seine Eltern seien die ganze Zeit damit beschäftigt, seine Nahrung und Medikamente für ihn vorzubereiten, da er selbst nicht in der Lage sei, dies zu tun. Auch wenn er rausgehe, müsse immer jemand dabei sein. Er legte ärztliche Atteste des Prof. Dr. T. und des PD Dr. F., jeweils Kreiskliniken R., vom 16./20. Februar 2009 und 1. Juli 2010, Arztbriefe des Prof. Dr. T. aus dem Jahr 2009 sowie einen beispielhaften Diät-Tagesplan vom 13. April 2009 vor. Daraufhin erhob die Beklagte das von der Pflegefachkraft H., MDK, am 1. Oktober 2010 nach einer häuslichen Untersuchung vom 29. September 2010 erstattete Gutachten. Darin wurde für die Körperpflege ein täglicher Hilfebedarf von 28 Minuten, für die Ernährung von 55 Minuten, für die Mobilität von acht Minuten, insgesamt von 91 Minuten angenommen. Der Kläger sei beim Gehen im Wohnumfeld sicher. Außer Haus trage er orthopädisches Schuhwerk, bei langen Strecken sei er mit Rollstuhl mobil, dieser müsse wegen fehlender Kraftausdauer geschoben werden. Bei zunehmender Belastung bestehe Kurzatmigkeit. Eine orale Nahrungsaufnahme erfolge nicht. Trinken erfolge eigenständig. Toilettengänge erfolgten selbstständig, teilweise liege eine unzureichende Säuberung nach Defäkation vor, weshalb hier Teilhilfebedarf erforderlich sei. Außerdem bestehe eine geistige Retardierung. Orientierung in der Wohnung und im näheren Umfeld seien gegeben, ansonsten benötige er personelle Begleitung außer Haus. Das Einschätzen von für ihn fremden Situationen gelinge nicht adäquat. Ein nachvollziehbarer Hilfebedarf bestehe mit Aufforderung und Motivation bei der Ganzkörperwäsche sowie auch beim Duschen. Des weiteren sei Motivation und Anleitung bei der täglichen Zahnpflege und beim Kämmen erforderlich. Die Rasur werde übernommen. Ferner seien Hilfestellungen beim Herausrichten der jahreszeitlich passenden Kleidung notwendig, die Reihenfolge des Kleidens werde vorgegeben. Teilweise sei Hilfe erforderlich beim Schließen von Knöpfen. Zum zeitgerechten Aufstehen und ins Bett gehen müsse er aufgefordert werden. Die Zubereitung von Diäten und die Kontrolle der Magensonde könnten nicht zu den grundpflegerischen Verrichtungen gerechnet werden. Zusätzlich zu würdigen sei die Gabe der zuvor passierten Kost. Trotz des gestiegenen Hilfebedarfs liege weiterhin der zeitliche Rahmen der Pflegestufe I vor. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit einem nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 25. Oktober 2010 mit, dass der MDK auch in seinem zweiten Gutachten zum Ergebnis gekommen sei, dass ein täglicher Hilfebedarf von mindestens zwei Stunden nicht vorliege und die Voraussetzungen für die Pflegestufe II nicht erfüllt seien. Im Bescheid vom 11. Mai 2010 sei es zu einem Schreibfehler bekommen. Aufzuheben sei nicht der Bescheid vom 21. September 1995, richtig müsse es heißen " Aus diesem Grund sind wir gehalten, den Bewilligungsbescheid vom 26. Oktober 1995 gemäß § 48 Sozialgesetzbuch (SGB) X aufzuheben" (Zitat mit Anführungszeichen im Original). Der Bescheid vom 11. Mai 2010 werde hiermit zu diesem Punkt berichtigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2011 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Die Gutachter des MDK hätten bei ihren Untersuchungen am 4. Mai und 29. September 2010 übereinstimmend festgestellt, dass sich der tägliche Hilfebedarf des Klägers deutlich reduziert habe. Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege betrage derzeit täglich 91 Minuten. Er habe sich im Bereich der Körperpflege sowie im Bereich der Mobilität pflegestufenrelevant reduziert. Der Kläger sei mittlerweile in der Lage, nach Aufforderung und Motivation einzelne Verrichtungen selbstständig durchzuführen, auch wenn Verlaufskontrollen notwendig seien. Im Bereich der Blasen- und Darmentleerung sei er nahezu selbstständig. Lediglich ein Nachsäubern nach Stuhlgang sei erforderlich. Die Beklagte habe deshalb zu Recht die Leistungen der Pflegestufe II zum 31. Mai 2010 eingestellt.
Am 14. Februar 2011 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Seine Rückstufung in die Pflegestufe I sei nicht berechtigt. Er brauche bei allen Verrichtungen der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme sowie der Aufrechterhaltung der Mobilität ständig der Motivation und Beaufsichtigung. Der in den Gutachten festgestellte Zeitaufwand für die Pflege und Versorgung werde dem tatsächlichen Aufwand, der durch seine Eltern erbracht werde, in keiner Weise gerecht. Die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen We. (hierzu im Folgenden) sei auch nicht zutreffend. Es handele sich bei den von ihm ermittelten Zeiten um Mindest-, nicht um Durchschnittswerte. Sein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege belaufe sich auf mindestens 36 Minuten und im Bereich der Mobilität auf mindestens zehn Minuten. Der Zeitbedarf für die Zubereitung der Mahlzeiten sei mit mindestens 60 Minuten anzunehmen. Der Zeitaufwand für die Nahrungsaufnahme sei mit 30 Minuten zu gering berechnet. Der gesamte Zeitbedarf für die Grundpflege sei mit mindestens 120 Minuten anzunehmen.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Zeitwerte des MDK im Bereich der Körperpflege mit 28 Minuten seien schlüssig. Nach den Begutachtungs-Richtlinien könnten für das Verabreichen der Nahrung mittels Sondenkost pro Tag 15 - 20 Minuten angerechnet werden. Beim Kläger habe der Gutachter sogar einen höheren Zeitaufwand anerkannt und 40 Minuten pro Tag berücksichtigt. Im Bereich der Mobilität sei ein Hilfebedarf von acht Minuten nachvollziehbar. Der Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung könne nicht berücksichtigt werden, da dieser nur im Zusammenhang mit medizinisch notwendigen Leistungen, die regelmäßig mindestens einmal die Woche anfielen, angerechnet werden dürfe. Ein Besuch der Behindertenwerkstatt gehöre nicht dazu.
Das SG erhob das Sachverständigengutachten des Pflegesachverständigen We. vom 6. Juni 2011. Er nahm einen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von 103 Minuten täglich (Körperpflege 26 Minuten, Ernährung 70 Minuten, Mobilität sieben Minuten) an. Es sei eine gewisse Stabilisierung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten, wenngleich diese Stabilität rasch empfindlich gestört werden könne, wenn beispielsweise grobe Diätfehler gemacht würden oder gravierende Infekte beim Kläger aufträten. Die Frage, seit wann der aktuelle Pflegebedarf bestehe, könne seriös nur dahingehend beantwortet werden, dass er seit der Untersuchung zur Erstellung des MDK-Gutachtens am 4. Mai 2010 bestehe.
Mit Urteil vom 14. Oktober 2013 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe zutreffend die Pflegestufe reduziert. Verfahrensrechtlich beurteile sich der Fall nach § 48 SGB X. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers liege vor. Ausweislich des Gutachtens von Herrn We. sei eine gewisse Stabilisierung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten. Auch die Anleitung der Eltern mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme habe beim Kläger zu einer Verringerung des Pflegebedarfs geführt. Der Sachverständige We. habe für es, das SG, nachvollziehbar und schlüssig im Bereich der Körperpflege einen Zeitaufwand von 26 Minuten, im Bereich der Ernährung von 70 Minuten und im Bereich der Mobilität von sieben Minuten abgeleitet. Der Bedarf für die Grundpflege betrage damit insgesamt maximal 103 Minuten und liege damit unter den für die Pflegestufe II notwendigen mindestens 120 Minuten. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 18. Oktober 2013 zugestellt.
Am 18. November 2013 hat der Kläger unter Verweis auf sein Vorbringen im Klageverfahren Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Ergänzend hat er vorgetragen, die gesetzlichen Voraussetzungen zur Aufhebung des Bescheids mit Dauerwirkung gemäß § 48 SGB X lägen nicht vor. Eine ohne hinreichenden Grund und ohne Anlass von der Beklagten veranlasste Neuuntersuchung zur Überprüfung des zu seinen Gunsten ergangenen Bescheids sei unzulässig. Darüber hinaus liege keine wesentliche Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vor. Sein Pflegebedarf rechtfertige weiterhin die Annahme der Pflegestufe II. Der Pflegebedarf im Bereich der Nahrungsaufnahme und im Bereich der Mobilität sei zu gering eingeschätzt worden. Völlig außer Acht bleibe, dass er regelmäßig von seinen Eltern einmal monatlich zu ärztlichen Untersuchungen begleitet werden müsse. Bei Komplikationen sei sogar eine wöchentliche ärztliche Untersuchung erforderlich. Wöchentlich werde er auch entweder von seinem Vater oder seiner Mutter zur Gymnastik begleitet mit einem Zeitaufwand von mindestens einer Stunde, wenn er mit dem Pkw seines Vaters transportiert werde, einem Aufwand von 2 Stunden, wenn er von seiner Mutter mit öffentlichen Verkehrsmitteln begleitet werde. Jede zweite Woche begleite ihn sein Vater auch zum MTV Sportverein mit einem Zeitaufwand von zwei Stunden und 20 Minuten. In vierteljährlichem Abstand müsse er zur Verlaufskontrolle in die Kreiskliniken Reutlingen begleitet werden. Der Kläger hat das ärztliche Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. D. vom 19. November 2013 und eine Bescheinigung des Prof. Dr. F. vom 6. Dezember 2013 vorgelegt.
Der Kläger beantragt sachgerecht gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Oktober 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2010 in der Fassung vom 25. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Pflegefachkraft K. habe einen Hilfebedarf bei der Grundpflege in einem Umfang von 50 Minuten pro Tag ermittelt. Sachverständiger We. habe erläutert, dass eine gewisse Stabilisierung des Gesundheitszustand des Klägers eingetreten sei. Den Hilfebedarf in der Grundpflege habe er mit durchschnittlich 103 Minuten pro Tag bewertet. Nachdem sich in den tatsächlichen Verhältnissen im Umfang der Hilfe bei der Grundpflege eine wesentliche Änderung ergeben habe und bei der Grundpflege mindestens 120 Minuten pro Tag nicht mehr erforderlich seien, sei der frühere Bescheid mit Wirkung vom 1. Juni 2010 aufzuheben gewesen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufung ist auch begründet. Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn mit Bescheid vom 11. Mai 2010 in der Fassung des Bescheids vom 25. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2011 hat die Beklagte den Kläger ab 1. Juni 2010 zu Unrecht von Pflegestufe II nach Pflegestufe I zurückgestuft und das Pflegegeld nur noch nach der niedrigeren Pflegestufe gewährt. Die Voraussetzungen für eine derartige Rückstufung lagen nicht vor.
Streitgegenstand ist allein, ob der Kläger ab 1. Juni 2010 weiterhin Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II hat. Dieser Anspruch auf Weitergewährung von Pflegegeld ist im Wege der Anfechtungsklage durchzusetzen. Eine (zusätzlich) erhobene Leistungsklage wäre unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzinteresse fehlte (vgl. z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. Dezember 1979 - 7 RAr 10/79 -, in juris). Denn schon mit der Aufhebung des Bescheids vom 11. Mai 2010 in der Fassung des Bescheids vom 25. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2011 wären die Leistungen nach Pflegestufe II weiter zu gewähren. Mithin ist zu entscheiden, ob die Beklagte zu Recht die Leistungsgewährung zum 31. Mai 2010 eingestellt hat.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Wesentlich ist eine Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (BSG, Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - und 8. September 2010 - B 11 AL 4/09 -; beide in juris). Die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung nach einer bestimmten Pflegestufe ist als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren. Ein solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet bzw. inhaltlich verändert (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16. Februar 1984 - 1 RA 15/83 -, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R -; beide in juris).
Diese Voraussetzungen eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung waren hier hinsichtlich des Bescheids der Beklagten vom 26. Oktober 1995, mit dem die Beklagte dem Widerspruch des Klägers abhalf und verfügte, dass auf Grund der Besitzstandswahrung keine Rückstufung vorgenommen werde, sondern die bisherigen Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe II weitergezahlt würden, erfüllt. Darin ging es um die Bewilligung einer Dauerleistung, die sich auf einen voraussichtlich mindestens sechs Monate andauernden, die Pflegebedürftigkeit auslösenden Gesundheitszustand bezog (§ 14 Abs. 1 SGB XI).
Bei der Prüfung, ob eine Änderung im Sinne des § 48 SGB X eingetreten ist, ist bei Bescheiden, mit denen - wie hier mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 - die Bewilligung von Leistungen der Pflegestufe II auf Grund von Artikel (Art.) 45 Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) erfolgt, für den Vergleichsmaßstab folgendes zu beachten: Nach Art. 45 Abs. 1 PflegeVG werden pflegebedürftige Versicherte, die bis zum 31. März 1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 bis 57 SGB V a.F. erhalten haben, mit Wirkung vom 1. April 1995 ohne Antragstellung in die Pflegestufe II eingestuft und erhalten entsprechende Leistungen der Pflegeversicherung. Mit dieser Regelung wurde vom Gesetzgeber in Kauf genommen, dass Versicherte in Einzelfällen zwar die gesetzlichen Voraussetzungen für die Pflegestufe II nicht erfüllen, aber dennoch die entsprechende Leistungen erhalten. Eine Herabstufung dieser Pflegebedürftigen wegen von Anfang an zu günstiger Einstufung kommt allerdings schon aus Rechtsgründen (partieller Bestandsschutz) nicht in Betracht (BSG, Urteile vom 13. März 2001 - B 3 P 20/00 R - in juris). In dieser Entscheidung führt das BSG aus, der partielle Bestandsschutz mache § 48 SGB X nicht unanwendbar, er bewirke aber, dass Versicherte, die nach Art. 45 PflegeVG pauschal der Pflegestufe II zugeordnet worden seien, nur dann nach § 48 SGB X in die Pflegestufe I herabgestuft werden können, wenn sich der Pflegebedarf nach dem 31. März 1995 (also nicht schon zur Zeit der Geltung der §§ 53 ff. SGB V a.F.) aufgrund tatsächlicher Umstände wie z.B. einer gesundheitlichen Besserung, durch Ausstattung mit Hilfsmitteln oder durch Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes in solchem Maße verringert habe, dass nur noch ein Pflegebedarf in den sachlichen und zeitlichen Grenzen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 SGB XI (Pflegestufe I) vorhanden sei. Eine Herabstufung sei bei gegenüber dem Zustand vom 31. März 1995 nach Art und Umfang unverändertem Hilfebedarf, also bei fehlender nachträglicher wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, ausgeschlossen. Die objektive Beweislast für eine wesentliche Änderung trägt die Beklagte (bestätigt BSG, Urteil vom 30. Oktober 2001 - B 3 P 7/01 R -, so auch Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 2004 - L 4 P 1152/02 -, Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 26. August 2008 - L 6 P 463/05 -, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Februar 2012 - L 27 P 26/11 -, alle in juris).
Die Herabstufung des Klägers in Pflegestufe I wäre daher nur dann in Betracht gekommen, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen, wie sie noch am 31. März 1995 vorgelegen haben, eine Änderung eingetreten wäre und diese zu einer Verringerung des Hilfebedarfs geführt hätte, mit der die zeitliche Grenze der Pflegestufe II nicht mehr erreicht wäre. Prüfungsmaßstab kann daher nicht der von der Beklagten vorgenommene Vergleich zwischen den Feststellungen in dem Gutachten vom 19. Mai 1999 und den Gutachten vom 5. Mai und 1. Oktober 2010 sein. Denn durch eine Auswertung dieser Gutachten lässt sich nicht erheben, ob sich im Pflegebedarf, wie er noch unter der Geltung alten Rechts bestanden hat, eine Änderung im Sinne einer Verringerung ergeben hat. Eine Verringerung des Hilfebedarfs während der Geltungsdauer neuen Rechts belegt nämlich nicht gleichzeitig und zwingend eine entsprechende Änderung auch im Vergleich zu dem noch während der Geltung alten Rechts bestehenden Zustand. Zwar ist nicht auszuschließen, dass im Einzelfall diese Schlussfolgerung zutreffend ist. Doch ist beispielsweise denkbar, dass nach Inkrafttreten neuen Rechts eine Verschlimmerung im Gesundheitszustand und eine damit einhergehende Erhöhung des Hilfebedarfs eintritt, die sich bis zu einem späteren Zeitpunkt wieder vollständig zurückgebildet hat. Während der Geltung neuen Rechts ließe sich in diesem Fall bei einem Vergleich des jeweiligen Hilfebedarfs zwar eine Verringerung feststellen, nicht aber bei einem Vergleich mit dem Zustand, wie er noch nach altem Recht vorgelegen hat. Nach Art und Umfang hätte sich insoweit keine Änderung ergeben, so dass auch eine Herabsetzung der Pflegestufe ausgeschlossen wäre. Dieses Beispiel macht deutlich, dass dem Willen des Gesetzgebers, nämlich all jenen Versicherten, die schon Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach altem Recht bezogen haben, unbeschränkt Leistungen nach Pflegestufe II so lange zu gewähren, wie im Hilfebedarf nach Art und Umfang keine wesentliche Änderung eingetreten ist, nur Rechnung getragen werden kann, wenn zur Prüfung einer Verringerung des Hilfebedarfs als Vergleichsmaßstab der Zustand herangezogen wird, wie er noch unter Geltung alten Rechts bestanden hat. Denn nur dadurch wird gewährleistet, dass auch Versicherte, die zwar nach früherem Recht die Voraussetzungen der §§ 53 ff SGB V a.F. erfüllt haben und die Voraussetzungen für eine Einstufung in Pflegestufe I oder II nach neuem Recht nicht mehr erfüllen, bei im Wesentlichen unverändertem Hilfebedarf weiterhin Leistungen nach Pflegestufe II erhalten (Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 2004 - L 4 P 1152/02 -, a.a.O.).
Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die Beklagte den Kläger zulässigerweise nur dann in Pflegestufe I hätte herabstufen dürfen, wenn festzustellen wäre, dass im Hilfebedarf des Klägers nach dem 31. März 1995 nach Art und Umfang eine wesentliche Änderung eingetreten wäre. Die objektive Beweislast hierfür trägt - wie ausgeführt - die Beklagte.
Eine derartige Änderung lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Der Gesundheitszustand des Klägers bzw. seine sich auf den Umfang des Pflegebedarfs auswirkenden Einschränkungen sind zeitnah zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des 31. März 1995 durch das Gutachten vom 6. Oktober 1993 dokumentiert, wobei die bestehenden Einschränkungen des damals zweieinhalbjährigen Klägers lediglich sehr allgemein und wenig detailliert beschrieben sind. Es wird ein diskret unbeholfenes Gangbild, eine primär nonverbale Kommunikation und eine noch bestehende vollständige Inkontinenz sowie insbesondere ein erheblicher zeitlicher Aufwand bei der Nahrungszubereitung und der Nahrungsaufnahme beschrieben. Es fehlen insbesondere jegliche Feststellungen, in welchem Ausmaß der damalige Hilfebedarf des Klägers krankheitsbedingt und in welchem lediglich altersbedingt war. Einschränkungen beim Gehen außer Haus (orthopädisches Schuhwerk, bei langen Strecken Rollstuhl) werden auch bei den im Jahr 2010 und 2011 erstatteten Gutachten beschrieben. Ebenso wird die Kommunikation als eingeschränkt beschrieben als der Kläger nur auf einfache Fragen zu antworten vermag. Soweit im Unterschied zum Vorgutachten aus dem Jahr 1993 bezüglich der Kommunikation leichte Besserungen zu verzeichnen sind und insbesondere im Bereich der Darm- und Blasenentleerung nur noch ein Bedarf beim Nachsäubern nach Stuhlgang beschrieben wird, ist dies auf die Entwicklungsfortschritte des zum Zeitpunkt der Begutachtung im Jahr 2010 19-jährigen Klägers zurückzuführen. Dass sich der Hilfebedarf gegenüber einem im Jahr 1993 gesunden zweieinhalbjährigen Kind im Vergleich zum Bedarf im Jahr 2010 gegenüber einem gesunden 19 jährigen verringert hat, ist damit nicht belegt. Einen erheblichen Aufwand im Bereich der Ernährung und beim Esseneingeben beschreiben auch Pflegefachkräfte K. und H. sowie der Sachverständige We. in den Jahren 2010 bzw. 2011. Darauf, ob der Hilfebedarf im Bereich der Ernährung im Bereich 1993 "unrichtig" beurteilt wurde, kommt es nicht an. Dies würde keine wesentliche Änderung bedingen.
Etwas anderes ließe sich auch nicht auf die von Pflegefachkraft W. am 14. September und 13. Oktober 1995 sowie Dr. Z. am 5. November 1998 und 17. Mai 1999 erstatteten Gutachten stützen. Denn selbst dann, wenn man aus den Darlegungen in diesen Gutachten einen geringeren Hilfebedarf als noch im Oktober 1993 ableiten wollte, bliebe offen, ob die entsprechende Besserung erst nach dem 31. März 1995 eingetreten ist oder bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat. Letzteres würde aber eine Herabstufung gerade ausschließen.
Dass eine wesentliche Verminderung des Grundpflegebedarfs nicht nach dem 31. März 1995 eingetreten ist, belegt auch die Tatsache, dass die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 26. Oktober 1995 die bisherigen Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe II auf Grund der Besitzstandswahrung weiter zahlte und nur deshalb keine Rückstufung vornahm.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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