L 2 R 5350/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 3573/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 5350/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Rentenbeginn gehört nicht zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. § 300 Abs.2 SGB VI setzt das Bestehen des Anspruches, nicht aber dessen Fälligkeit voraus. Daher ist auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit altes Recht (bis 31.12.2000) anzuwenden, sofern der Leistungsfall vor dem 31.12.2000 liegt, auch wenn Zahlungsbeginn (§§ 99 Abs. 1, 101 SGB VI) erst nach dem 31.12.2000 ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. November 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer (höheren) Rente wegen Berufsunfähigkeit nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht.

Der am 1956 geborene Kläger absolvierte in den Jahren 1971 bis 1975 eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und war im Anschluss lediglich unterbrochen durch Bundeswehrzeit und den Besuch einer Aufbauschule bis zum Jahr 2000 als Kfz-Schlosser beschäftigt. Er erlitt am 16.6.2000 einen Schlaganfall. Auf Reha-Anträge vom 5.7.2000 und 23.11.2000 wurden dem Kläger jeweils Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gewährt (Bewilligungsbescheide vom 13.7. und 8.12.2000). Ein Rentenantrag des Klägers vom 5.10.2001 wurde mit Bescheid vom 10.10.2001 zunächst abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren wurde dem Kläger mit Bescheid vom 29.10.2002 unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles am 16.6.2000 eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Anwendung des § 43 SGB VI n.F. (Rentenartfaktor 0,5) für die Zeit vom 1.1.2001 bis 31.12.2003 bewilligt. In dem genannten Bescheid ist erläutert, dass der Antrag auf Rehabilitationsmaßnahmen vom 5.7.2000 gemäß § 116 SGB VI als Rentenantrag gelte. Der Widerspruch im Übrigen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.1.2003 zurückgewiesen (Bl. 26 VA).

Die hiergegen mit dem Ziel der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erhobene Klage wies das Sozialgericht Stuttgart mit Urteil vom 15.3.2006 ebenfalls unter Anwendung des § 43 SGB VI n.F. ab (Az. S 11 R 963/03, Bl. 125 VA). Das Berufungsverfahren blieb für den Kläger ohne Erfolg (Berufungsurteil vom 18.3.2008, Az. L 11 R 1678/06, Bl. 180 VA).

Auf Weiterbewilligungsanträge des Klägers gewährte die Beklagte die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zunächst befristet, sodann als Dauerrente weiter (Bescheide vom 13.10.2005 und 6.11.2006). Mit Überprüfungsanträgen vom 27.12.2007 (Bl. 165 VA) und 28.12.2007 (Bl. 166 VA) beantragte der Kläger die Überprüfung seiner Rentenbescheide vom 29.10.2002, 13.10.2005 und 6.11.2006. Er bat mit Blick auf das "Urteil des Bundessozialgerichts 2005" um Prüfung, ob die Verwaltungspraxis des Rentenversicherungsträgers beim Übergang vom alten in das neue Erwerbsminderungsrecht in seinem Fall rechtmäßig gewesen sei, da die sogenannten Stammvoraussetzungen vor dem 1.1.2001 erfüllt gewesen seien, der Rentenbeginn aber erst nach dem 31.12.2000 gelegen habe. Seiner Ansicht nach müsse er nach altem Recht behandelt werden. Darüber hinaus machte er geltend, dass die Abschläge (Verminderung des Zugangsfaktors) zu überprüfen seien im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05). Mit "Widerspruchsbescheid" vom 3.11.2011 (Bl. 182 VA) lehnte die Beklagte die begehrte Gewährung einer höheren Rente mit der Begründung ab, dass die Abschläge bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gesetzes- und verfassungsmäßig seien. Die hiergegen am 5.12.2011 zum SG Stuttgart erhobene Klage (Az. S 25 R 6810/11, Bl. 183 VA) nahm der Kläger am 8.2.2012 zurück und stellte am gleichen Tag einen erneuten Überprüfungsantrag bei der Beklagten betreffend den Rentenbescheid vom 29.10.2002 und alle Folgebescheide (Bl. 187 VA). Er habe Anspruch auf eine BU-Rente nach dem Recht des Jahres 2000 mit dem Rentenartfaktor 2/3, denn mit einem Eintritt des Leistungsfalls der Berufsunfähigkeit am 16.6.2000, dem Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und dem Vorliegen eines Rentenantrags (umgedeuteter Reha-Antrag) seien alle Voraussetzungen bereits im Jahr 2000 erfüllt gewesen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in einem Urteil vom 8.9.2005 (B 13 RJ 10/04 R) festgelegt, dass bei Erfüllung der Voraussetzungen vor dem Jahr 2001 auch bei einem Rentenbeginn ab 1.1.2001 die Rente nach dem Recht des Jahres 2000 zu leisten sei.

Mit Bescheid vom 1.3.2012 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab (Bl. 193 VA). Komme es bei zeitlich befristeten Renten wegen der Beginnsvorschrift des § 101 Abs. 1 SGB VI zu einem Rentenbeginn nach dem 31.12.2000, habe der Anspruch auf die Rente nicht rechtzeitig für die Anwendung des alten Rechts bestanden. Die Übergangsvorschrift des § 302b Abs. 1 SGB VI finde somit keine Anwendung. Nach § 300 Abs. 1 SGB VI sei der fällige Anspruch auf Zahlung gemeint und nicht der Zeitpunkt des Versicherungsfalls (bzw. Leistungsfalls). Obwohl der Leistungsfall (16.6.2000) sowie der umgedeutete Rehabilitationsantrag (5.7.2000) vor dem 1.1.2001 vorgelegen hätten, sei das Recht anzuwenden, welches zum Rentenbeginn 1.1.2001 gegolten habe. Bei dem zitierten BSG-Urteil vom 8.9.2005 handele es sich um einen Einzelfall, dem von der Rentenversicherung darüber hinaus nicht gefolgt werde. Dem Überprüfungsantrag könne somit nicht entsprochen werden. Der hiergegen am 28.3.2012 vom Kläger erhobene Widerspruch (Bl. 202 VA) hatte keinen Erfolg und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.20012 zurückgewiesen (Bl. 206 VA). Aus der Sicht der Rentenversicherungsträger überzeugten die Urteilsgründe des BSG in der zitierten Entscheidung nicht. Das Urteil stelle für die Frage des anzuwendenden Rechts ausschließlich auf den Eintritt des Anspruchs "dem Grunde nach" ab. Es ziele damit auf das bis zum 31.12.1991 geltende "Versicherungsfalllprinzip" des AVG-Rechts ab. Dies stehe jedoch dem sog. "Rentenbeginnprinzip", das vom Gesetzgeber mit Einführung des SGB VI über § 300 SGB VI beabsichtigt gewesen sei, entgegen. Aus der amtlichen Begründung ergebe sich die gesetzgeberische Absicht, die Rechtsanwendung bei der Feststellung einer Rente gerade nicht am Eintritt des Versicherungsfalls (hier: dem Zeitpunkt der Minderung der Erwerbsfähigkeit) festzumachen, sondern an dem sich nach §§ 99, 101 SGB VI ergebenden Rentenbeginn. Die Übergangsvorschrift des § 302b Abs. 1 SGB VI finde hier somit keine Anwendung.

Mit der am 26.6.2012 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin die Zuerkennung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit mit dem Rentenartfaktor 0.6667 (nach dem Recht vor dem Jahr 2001) anstelle der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit mit dem Rentenartfaktor 0,5 (nach dem Recht ab dem Jahr 2001 begehrt. Zur Begründung hat er erneut auf die Entscheidung des BSG vom 8.9.2005 verwiesen. Sofern im Jahr 2000 die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (hier: wegen Berufsunfähigkeit) erfüllt worden seien, verbleibe es bei befristeten Renten unabhängig von der Verschiebung des Rentenbeginns in das Jahr 2001 dabei, dass die Rente nach dem Recht des Jahres 2000 festzustellen und zu leisten sei. Die Beklagte hat zur Begründung des Klageabweisungsantrags auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides verwiesen.

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.6.2012 verpflichtet, dem Kläger unter Abänderung der Bescheide vom 29.10.2012, vom 13.10.2005 und vom 6.11.2006 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI in der Fassung bis 31.12.2000 zu bewilligen und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die höhere Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 42 SGB VI in der Fassung bis 31.12.2000 rückwirkend seit dem 1.1.2008 zu erbringen. Die Ablehnung der Änderung der ergangenen Bescheide sei rechtswidrig; die Berufsunfähigkeitsrente stehe dem Kläger seit dem 1.1.2001 als solche nach § 43 SGB VI a.F. i.V.m. § 300 Abs. 2 SGB VI und § 302b SGB VI zu. Aufgrund des § 44 Abs. 4 SGB X sei die Erbringung der höheren Leistungen der Berufsunfähigkeitsrente auf die Zeit nach 1.1.2008 begrenzt. Der Überprüfung des Bescheides vom 29.10.2002 und der Folgebescheide stehe zunächst nicht entgegen, dass die frühere Klage des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtskräftig mit den Urteilen des SG und LSG vom 15.3.2006 und 18.3.2008 (unter Anwendung des ab 1.1.2000 gültigen Rechts (gemeint wohl 1.1.2001) abgewiesen worden sei. Unabhängig davon, ob den Ausführungen insoweit Rechtskraft zukomme, stünden der Überprüfungsmöglichkeit nach § 44 SGB X jedoch selbst rechtskräftige Urteile nicht entgegen (unter Verweis auf Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 78. EL 2013, § 44 SGB X, Rn. 7 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG). Dem Überprüfungsbegehren stehe auch nicht die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Zwar könne eine Überprüfung bestandskräftiger Bescheide und ihre Rücknahme selbst bei Rechtswidrigkeit der Bescheide nicht mehr verlangt werden, wenn Leistungen nur außerhalb der zeitlichen Grenze des § 44 Abs. 4 SGB X begehrt würden. Stehe jedoch aufgrund der Rücknahme bzw. Änderung eines Bescheides außerhalb der zeitlichen Grenze des § 44 Abs. 4 SGB X innerhalb des Zeitraums höhere Leistungen zu, schließe die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X die Überprüfung eines vor diesem Zeitraum ergangen Bescheides nicht aus. Ein über vier Jahre zurückliegender rechtswidriger Bescheid sei also zurückzunehmen, wenn auf seiner Grundlage noch innerhalb der Vier-Jahres-Frist höhere Leistungen zustünden. Dies sei vorliegend der Fall: Der Bescheid vom 29.10.2002 und die Folgebescheide hätten Auswirkungen auch für die innerhalb des Vier-Jahres-Zeitraum liegende Zeit ab 1.1.2008. Dass der Kläger seit dem Schlaganfall im Juni 2000 berufsunfähig sei und dass zunächst noch die begründete Aussicht auf Besserung bestanden habe, sei zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die befristete Rente sei daher aufgrund des § 101 SGB VI ausgehend von einem Leistungsfall im Juni 2000 erst ab 1.1.2001 zu leisten gewesen. Der Kläger habe auch einen Rentenantrag vor dem 31.12.200 gestellt, denn sein Reha-Antrag vom 5.7.2000 gelte gemäß § 116 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI als Antrag auf Rente, weil der Kläger berufsunfähig gewesen und die Leistungen zur Rehabilitation nicht erfolgreich gewesen seien. Der Kläger habe somit im Juli 2000, d.h. vor dem 1.1.2001, alle Voraussetzungen für die Rentenleistung nach § 43 SGB VI a.F. erfüllt. Der Rentenanspruch des Klägers bestimme sich gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI nach den bis zum 31.12.2000 gültigen, zum 1.1.2001 aufgehobenen Vorschriften des SGB VI, obwohl der Leistungsbeginn (1.1.2001) erst nach dem Zeitpunkt der Aufhebung liege, denn der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente habe bereits am 31.12.2000 bestanden. Der Wortlaut des § 300 Abs. 2 SGB VI stelle auf einen "bestehenden Anspruch" ab und nicht darauf, wann die Rente i.S.d. § 101 Abs. 1 SGB VI "geleistet" werde. Der in § 300 Abs. 2 SGB VI verwendete Wortlaut "Bestehen" entspreche dem in § 40 SGB I geregelten "Entstehen" eines Anspruchs. Das Entstehen eines Anspruchs bestimmt sich nach § 40 Abs. 1 SGB I, wonach Ansprüche auf Sozialleistungen entstünden, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorlägen. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Berufsunfähigkeitsrente ergäben sich aus § 43 SGB VI a.F., § 99 SGB VI und umfassten die medizinischen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die sämtlich erfüllt seien. Der Zeitpunkt, ab welchem die Rente geleistet werde, sei nicht Voraussetzung des Rentenanspruchs (BSG, Urt. v. 8.9.2005, B 13 RJ 10/04 R, Rn. 24 - juris). Die Fälligkeit des Rentenanspruchs sei zwar gem. § 41 SGB I, § 101 Abs. 1 SGB VI für den "Sonderfall" der befristeten Rente auf den 7. Kalendermonat bestimmt. Dass die Rente noch nicht ab 1.7.2000, sondern erst ab 1.1.2001 "zu leisten" gewesen sei, sei für die Anspruchsentstehung mit Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen unerheblich. Dass "bestehender Anspruch" in § 300 Abs. 2 SGB VI nicht den fälligen Anspruch meine, ergebe sich auch aus den Übergangsregelungen der §§ 302b, 314b SGB VI, wonach der Fortbestande des einmal zugebilligten "Anspruchs" auf Rente wegen Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, solange die Voraussetzungen für diese Rente vorlägen, gewährt werde, ebenso der Bestandsschutz für befristete Renten auch für einen Anspruch nach Ablauf der Frist (BSG a.a.O., weitere Nachweise auch zur Gegenansicht). Zweck der Übergangsregelungen sei die Gewährung von Vertrauensschutz. Vertrauen begründe aber bereits die Entstehung des Anspruchs, auch wenn der Anspruch erst 6 Monate später fällig werde. Auf diesen Vertrauensschutz ab dem Zeitpunkt des Leistungsfalls stelle auch das BSG im Urteil vom 26.7.2007 ab (Az. B 13 R 44/06 R, Rn. 31 - juris), das ausgeführt habe, dass eine andere Lösung als im Urteil des BSG vom 8.9.2005 verfassungsrechtlich bedenklich wäre, da der Versicherte in dem Zeitpunkt, in dem sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen hätten, nicht mit der Gesetzesänderung zu seinen Ungunsten habe rechnen müssen.

Die Beklagte hat gegen das ihr gegen Empfangsbekenntnis am 13.11.2013 zugestellte Urteil vom 4.11.2013 am 13.12.2013 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, dass dem Kläger entgegen der Auffassung des SG höhere Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI i.d.F. bis 31.12.2000 nicht zustehe. In diesem Zusammenhang werde auch auf die Entscheidung des 5. Senats des BSG in seiner Entscheidung vom 24.2.1999 (B 5 RJ 28/98 R) verwiesen, in welcher dieser die Auffassung der Rentenversicherungsträger hinsichtlich der Rechtsanwendung bezüglich des sich über § 99 Abs. 1 S. 1 SGB VI ergebenden Rentenbeginn bestätige. Nach diesem Urteil habe ein Anspruch auf Regelaltersrente, der erst im Zeitpunkt der Rechtsänderung (im konkreten Fall: Änderung von Vorschriften des SGB VI durch das am 1.1.1997 in Kraft getretene Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz) fällig werde, nicht bis zu diesem Zeitpunkt im Sinne des § 300 Abs. 2 SGB VI "bestanden". Der Gesetzeswortlaut des § 302b Abs. 1 S. 1 sei in Bezug auf den Begriff "Anspruch" nicht eindeutig, da es sich beim Rentenanspruch einerseits auf die zu bewilligende fortlaufende Rente im Sinne des Grundanspruchs (auch bezeichnet als sogenanntes Rentenstammrecht), andererseits auch die Zahlung des fälligen Rentenbetrags, also die konkret zu bewirkende Leistung, handeln könnte. Gesetzessystematische Auslegung, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des § 302b Abs. 1 SGB VI sprächen für die bisherige Auslegung der Rentenversicherung. Normzweck der Gesetzesvorschrift sei es sicherzustellen, dass Ansprüche auf Renten nach §§ 43, 44 SGB VI a.F., welche vor dem 1.1.2001 begonnen hätten, auch weiterhin nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen seien. Um hierfür eine für den Rechtsanwender einfache Abgrenzungsregel zu finden und einen hohen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, habe der Gesetzgeber sich entschieden, wie bei der Vorschrift des § 300 SGB VI nicht (mehr) auf den Eintritt des Versicherungsfalls, sondern auf den Rentenbeginn abzustellen (seit dem 1.1.1992 geltendes sog. "Rentenbeginnsprinzip"). Auch könne dem Argument nicht gefolgt werden, dass Zweck der Übergangsregelung die Gewährung von Vertrauensschutz ab dem Zeitpunkt des Leistungsfalles sei. Dies vermöge nicht zu überzeugen, da es die Intention des Gesetzgebers gewesen sei, eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zukünftig lediglich ausnahmsweise auf Dauer zu gewähren. Es komme also somit grundsätzlich für alle Versicherte nach dem neuen Recht zu einer Zeitrente mit späterem Rentenbeginn. Darüber hinaus habe der Kläger im vorliegenden Fall erstmals am 5.10.2001 einen Rentenantrag gestellt, der zunächst abgelehnt worden sei. Dass dann zu einem späteren Zeitpunkt ein Reha-Antrag aus dem Jahr 2000 umgedeutet worden sei, könne nicht dazu führen, dass ein Vertrauensschutz bezüglich einer "zeitlich verzögerten" Leistung konstruiert werden könnte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sofern die Beklagte darauf hinweise, dass im vorliegenden Fall erst am 5.10.2001 ein Rentenantrag gestellt worden sei, weise er darauf hin, dass gerade die von der Beklagten durchgeführte Umdeutung eines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die (vollständige) Gleichstellung mit einem (noch nicht gestellten) Antrag auf Erwerbsminderungsrente zur Folge habe. § 116 SGB VI solle den Rentenbewerber vor Nachteilen aufgrund von Fristversäumnissen schützen. Genau dies müsse auch im vorliegenden Fall gelten.

Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 7.5.2014 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakte des SG und die Senatsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, dem Kläger (höhere) Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI in der Fassung bis 31.12.2000 rückwirkend seit dem 1.1.2008 zu erbringen. Zur Begründung wird zunächst auf die umfassenden und in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des SG in seinem Urteil vom 4.11.2013 Bezug genommen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der Rentenbeginn gehört auch nach der Überzeugung des Senats nicht zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. Dies ist auch § 99 Abs. 1 SGB VI zu entnehmen. Die dort in Bezug genommenen "Anspruchsvoraussetzungen", also die Entstehungs- und Bestehensvoraussetzungen für die Rechte auf Renten und auch die Entstehungsvoraussetzungen für die Einzelansprüche hieraus sind nicht im 5., sondern im 1. und 2. Unterabschnitt des 2. Abschnitts des 2. Kapitels des SGB VI (§§ 33-62 SGB VI) abschließend geregelt (vgl. BSG, Urt. v. 2.8.2000, B 4 RA 54/99 R). Die in der Kommentarliteratur und von der Beklagten vertretene andere Auffassung, nach welcher § 300 Abs. 2 SGB VI neben dem Bestehen des Anspruchs auch dessen Fälligkeit voraussetzt, überzeugt den Senat nicht. Es ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, dass § 300 Abs. 2 SGB VI einen anderen Anspruchsbegriff meint als er in den §§ 38, 40 SGB I verwendet wird (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 4.5.2006, L 3 RJ 87/03, Rn. 27).

Auch das im Berufungsverfahren von der Beklagten vorgetragene Argument, im Fall des Klägers, der erstmals einen Rentenantrag am 5.10.2001 (mithin nach dem 1.1.2001) gestellt habe, sei kein Vertrauensschutz zu gewähren, ist nicht überzeugend: Wenn § 116 SGB VI festlegt, dass ein Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation unter bestimmten Voraussetzungen (die im Fall des Klägers erfüllt sind) als Rentenantrag gilt, kommen dem Antragsteller alle Vorteile zu Gute, die mit einer früheren Antragstellung (hier am 5.7.2000) verbunden sind, demzufolge auch die Anwendbarkeit eines für ihn günstigeren Rechts trotz nachfolgender Rechtsänderung. Für eine Differenzierung zwischen den Fällen, in denen ausdrücklich ein Rentenantrag gestellt wurde und den Fällen, in denen ein Reha-Antrag umzudeuten ist, bieten die oben dargelegten Übergangsvorschriften keinen Raum.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat nicht vom Urteil des BSG vom 8.9.2005 (B 13 RJ 10/04 R) ab.
Rechtskraft
Aus
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