S 13 KR 344/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 KR 344/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
Sprungrevision
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 16/15 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage des Bestehens des Apothekenwahlrechts der Versicherten gem. § 31 Abs. 1 Satz 5 SGB 5, wenn Krankenkassen auf Landesebene mit Apotheken Verträge gem. § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V zur Versorgung mit parenteralen Zubereitungen in der Onkologie abschließen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegen die Klägerin wegen der im Dezember 2013 gelieferten und abgerechneten parenteralen, onkologischen Zubereitungen in Höhe von 70.502,35 EUR keinen Anspruch auf Rückzahlung des vorläufig zur Auszahlung gebrachten Betrags hat.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert beträgt 70.502,35 EUR.

Tatbestand:

Der Apotheker R. S. betreibt als in das Handelsregister eingetragener Kaufmann die Klägerin, die B. in B-Stadt. In dem gleichen Gebäude hat die hämatologische und onkologische Praxis der Ärzte Dr. K., D. und Dr. R. (im Folgenden: Onkologiepraxis) ihren Sitz. Die Apotheke stellt u.a. parenterale Zubereitungen in der Onkologie in dem dort befindlichen Reinraumlabor für die Onkologiepraxis seit 15 Jahren her. Die Kooperation erfolgte bislang nach § 11 Abs. 2 Apothekengesetz (ApoG).

Die Anforderungen, Herstellung und Lieferung der für die Krankenversicherten benötigten Zytostatikazubereitungen geschieht nach dem – von der Beklagten mit Nichtwissen bestrittenen - Vortrag der Klägerin in allen Fällen "ad hoc". Der behandelnde Arzt der Onkologiepraxis entscheidet in diesem Zusammenhang anlässlich des Patiententermins über die Durchführung der Therapie und gibt sodann die Herstellung der jeweils benötigten Zubereitung körpergewichtsadaptiert bei der Klägerin in Auftrag. In der Arztpraxis erfolgt vorher jeweils eine sofort ausgewertete Blutuntersuchung und gegebenenfalls auch körperliche Untersuchung der Patienten. Die Klägerin stellt die verordneten Zubereitungen sodann her und liefert sie in aller Regel innerhalb von 30 Minuten aus. Eine interne Auswertung der Klägerin für den Zeitraum Januar bis Juni 2014 in Bezug auf alle Krankenkassen - von der Beklagten bestritten - ergab, dass aufgrund dieses ad hoc-Verfahrens von insgesamt 5718 vorgesehenen onkologischen Zubereitungen eine Anzahl von 1020 dieser Therapien storniert wurden, also nicht wie zunächst geplant durchgeführt wurden.

Die Beklagte schrieb mit Bekanntmachung vom 27. Juli 2013 öffentlich den Abschluss von Verträgen gem. § 129 Abs. 5 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren Anwendung bei Patienten aus. Die Ausschreibung erfolgte für 23 Gebietslose. In den Bewerbungsbedingungen hieß es unter Nr. 5:

" ... Der Apotheker, dem der Zuschlag pro Gebietslos erteilt wird, beliefert während der Vertragslaufzeit die in dem jeweiligen Gebietslos ambulant behandelnden Ärzte ( ) als exklusiver Vertragspartner der Auftraggeberin, d.h., es werden während der Vertragslaufzeit keine weiteren Verträge nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V für das jeweilige Gebietslos vergeben.

Das Apothekenwahlrecht gemäß § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V bleibt unberührt. Die in Hessen untersuchte Versorgungsrealität zeigt jedoch, dass die Anzahl der Versicherten, die von ihrem Recht im Rahmen der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen Gebrauch machen, eine zu vernachlässigende Größe darstellt und ein Wahlrecht der betroffenen Versicherten in der Regel nicht ausgeübt wird (vgl. etwa den Beschluss des LSG Essen vom 22. Juli 2010, L 21 SF 152/10). ".

Die Klägerin bewarb sich auf die Lose 16 (L./N-I./D./R.) und 18 (F.), nicht jedoch auf das Gebietslos 14 (B-Stadt/W-Stadt/S-Stadt/G-Stadt), wo der Sitz der Klägerin ist. Die Zuschläge für die Lose 16 und 18 fielen auf die Apotheke a. M., K., bzw. auf die Apotheke i. E., A ... Das Los 14 entfiel auf die F. Apotheke W. in M.

Mit Schreiben vom 7. November 2013 informierte die Beklagte die Onkologiepraxis über das Ergebnis der Ausschreibung. Für die Arztpraxis bedeute dies, dass sie ab dem 1. Dezember 2013 die parenteralen zytostatischen Zubereitungen bei der F. Apotheke in M. bestellen solle. Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 19. November 2013 auf das Ergebnis der Ausschreibung hingewiesen. Die Beklagte teilte in diesem Zusammenhang mit, dass ausschließlich die Ausschreibungsgewinner für onkologische Zubereitungen in den entsprechenden Gebieten versorgungs- und abrechnungsberechtigt seien. Parenterale Zubereitungen aus anderen, d.h. nicht bezuschlagten, Apotheken würden von der Beklagten nicht erstattet werden.

Die Klägerin erbrachte für die onkologische Praxis in der Zeit vom 5. Dezember 2013 bis 30. Dezember 2013 149 ausgestellte Verordnungen für 38 Versicherte über parenterale onkologische Zubereitungen. Sie legte in diesem Zusammenhang der Beklagten 38 Erklärungen dieser Versicherten ("Erklärung zur Ausübung des Apothekenwahlrechts gem. § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V") vor. Unter dem Briefkopf der onkologischen Praxis heißt es:

"Ich, (Name und Geburtsdatum des oder der Versicherten) erkläre als Versicherte/Versicherter bei der AOK Hessen, Mitglieds Nr. , dass ich das mir zustehende Apothekenwahlrecht gemäß § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V in der Form ausübe, dass ich mich

- von der AOK-Vertragsapotheke F. Apotheke, F-Straße, in M.

- von der bislang mit der onkologische Praxis nach § 11 Abs. 2 ApoG kooperierenden Apotheke, hier: B., B-Straße, B-Stadt

oder von der

versorgen lassen werde, sollte ich im Rahmen einer onkologischen Therapie individuell herzustellende parenterale Zubereitungen benötigen. Mein Wahlrecht kann ich jederzeit ändern ...".

Mit Schreiben vom 14. Februar 2014 beanstandete die Beklagte die Abrechnungen der Klägerin für den Monat Dezember 2013 in Höhe von 70.502,35 EUR. In den übersandten Printimages war jeweils angegebenen: "Unzulässige Kostenabrechnung - Apotheke nicht lieferberechtigt da kein exklusiver Vertragspartner nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V". Mit Schreiben vom 15. Mai 2014 an die Abrechnungsstelle der Klägerin wurde der retaxierte Betrag am 16. Mai 2014 abgesetzt.

Am 2. Juni 2014 stellte die Klägerin bei dem Sozialgericht Darmstadt einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az.: S 13 KR 288/14 ER) gegen die Beklagte. Diesbezüglich fand am 9. Juli 2014 einen Erörterungstermin statt, in dessen Rahmen der Inhaber der Klägerin persönlich gehört wurde. Wegen seiner Einlassungen wird auf die Blätter 287, 288 der beigezogenen Archivakte Bezug genommen. Zur Beendigung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich:

"1. Die Antragsgegnerin wird die bereits abgesetzte Zahlung in Höhe von 70.502,35 EUR (betreffend den Dezember 2013) erneut zur Auszahlung bringen.

2. Im weiteren Verlauf wird die Antragsgegnerin weiterhin retaxieren, wird jedoch nur jeden dritten Monat tatsächlich von den Zahlungen her absetzen. Das erste Mal beginnt die Antragsgegnerin mit den Absetzungen für den Monat Februar 2014, dann Mai 2014 und schließlich August 2014.

3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die Antragsgegnerin fortlaufend das Retaxationsverfahren nach dem Arzneilieferungsvertrag durchführt.

4. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass dieser Vergleich vorläufigen Charakter hat, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zur Rechtskraft ..."

Am 8. Juli 2014 hat die Klägerin Klage in der Hauptsache erhoben, die zunächst auf Zahlung der für den Monat Dezember 2013 retaxierten Summe von 70.502,35 EUR gerichtet war. Mit Schriftsatz vom 25. August 2014 hat die Klägerin, nachdem die Beklagte diesen Betrag vorläufig erneut zur Auszahlung gebracht hatte, den Antrag auf einen Feststellungsantrag abgeändert.

Die Klägerin trägt vor: Grundlage für ihren Vergütungsanspruch sei § 129 SGB V in Verbindung mit dem Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V sowie den Arzneilieferungsvertrag Hessen nach § 129 Abs. 5 S. 1 SGB V i.d.F. vom 1. April 2008 i.V.m. der Anlage 3 Hilfstexte in der Fassung vom 1. März 2012. Dieser Vertrag könne nicht durch einen Selektivvertrag nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V verdrängt werden. Sie ist der Auffassung, das Apothekenwahlrecht nach § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V werde durch § 11 Abs. 2 ApoG nicht ausgeschlossen. § 11 Abs. 2 enthalte schon dem Wortlaut nach keine Ausnahme von der Apothekenwahlfreiheit der Versicherten. Die Vorschrift sehe lediglich vor, dass öffentliche Apotheken aufgrund einer Absprache anwendungsfertige Zytostatikazubereitungen unmittelbar an den anwendenden Arzt abgeben könne. Es finde sich in der Vorschrift kein Hinweis darauf, dass nicht nur die Befugnisse von Arzt und Apotheker erweitert würden, sondern gleichsam die Rechte der Versicherten eingeschränkt werden sollten, indem ihnen das Apothekenwahlecht genommen werde. Der Arzt müsse die Versicherten über die Möglichkeit der Direktbelieferung auf Grundlage des § 11 Abs. 2 ApoG informieren. Ohne Information und Zustimmung der Versicherten begegne der Ablauf einer direkten Arzneimittelbestellung ohne Informationszustimmung vor dem Hintergrund der ärztlichen Schweigepflicht erheblichen strafrechtlichen Bedenken. Das Apothekenwahlrecht entfalle auch nicht, wenn die Krankenkasse mit einer Apotheke einen Vertrag nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V geschlossen habe. Insbesondere die Gesetzesbegründung zu § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V weise ausdrücklich darauf hin, dass das Apothekenwahlrecht der Versicherten erhalten bleibe. Eine Bindung von Versicherten an bestimmte Leistungserbringer erfolge im SGB V entweder aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe, dass die Krankenkasse den Leistungserbringer benenne (§ 33 Abs. 6 SGB V) oder aufgrund einer freiwilligen Teilnahme der Versicherten an einer vertraglich vereinbarten Versorgung vom (§§ 140a, 73a 73b oder 73c SGB V). Bei Selektivverträgen nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V handele es sich um keinen dieser beiden Fälle. Auch der Vergleich mit der Regelung des §§ 129 Abs. 5b SGB V lasse erkennen, dass aufgrund der Freiwilligkeit der Teilnahme der Versicherten an integrierten Versorgungsformen dessen Wahlfreiheit sichergestellt sei.

Schließlich habe die Beklagte auch in ihren Ausschreibungsunterlagen das Apothekenwahlrecht explizit genannt und damit klar zu verstehen gegeben, dass sie es anerkenne. Es stünde der Beklagten auch frei, ihre Versicherten über die Ausschreibung zu informieren und für sie Anreize zu schaffen, damit die Versicherten ihr Wahlrecht zu Gunsten der von der Krankenkasse vorgesehenen Apotheke ausüben.

Von den Versicherten sei vorliegend das Apothekenwahlrecht wirksam ausgeübt worden. In Fällen der Direktbelieferung nach § 11 Abs. 2 ApoG müsse die Beschaffung über den behandelnden Arzt abgewickelt werden. Eine bestimmte Form der Ausübung des Apothekenwahlrechts sei gesetzlich nicht vorgeschrieben. Eine Beeinflussung der Patienten durch die Ärzte habe nicht stattgefunden. Für die Apotheker bestehe gemäß § 17 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung ein Kontrahierungszwang.

Ein kollusives Zusammenwirken zwischen ihr und den verordnenden Ärzten bestehe nicht. Im Übrigen sei die Retaxation auf Null verfassungswidrig, weil sie unverhältnismäßig in die durch Art. 12 Grundgesetz gewährleistete Berufsfreiheit der Klägerin eingreife.

Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung des vorläufig erneut zur Auszahlung gebrachten Betrags in Höhe von 70.502,35 EUR für die im Dezember 2014 von der Klägerin für Versicherte der Beklagten gelieferte und abgerechnete parenterale, onkologische Zubereitungen hat.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Behandlung der Versicherten mit onkologischen Zubereitungen laufe üblicherweise so ab, dass der Arzt dem Patienten zunächst Diagnose und Therapieoptionen erläutere und dann die Entscheidung für eine bestimmte Therapie getroffen werde. Im Falle einer Pharmakotherapie mit onkologischen Zubereitungen würden die Therapieintervalle, die absehbaren Wirkungen und Nebenwirkungen sowie deren Management besprochen. Außerdem würden Arzttermine für die anstehenden Infusionen vereinbart. Der Arzt bestelle die Chemotherapie bei der Apotheke zu den entsprechenden Terminen in der Regel vorab per Fax und übermittelte gegebenenfalls einen langfristigen Therapieplan sowie patientenbezogene Daten (Körpergewicht, Körperoberfläche etc.) an die Apotheke. Die Apotheke stelle auf dieser Grundlage die individuellen onkologischen Zubereitungen unter Reinraumbedingungen her und liefere diese rechtzeitig vor dem geplanten Applikationstermin in die Praxis. Die onkologischen Zubereitungen würden im Regelfall aus pulverförmigen Fertigarzneimitteln bestehen, die durch Zugabe von Kochsalzlösung in die vom Onkologen patientenindividuell entwickelte Konzentration gebracht und parenteral verabreicht werde. Bei wertender Gesamtbetrachtung sei die in der Apotheke durchgeführte Zubereitung einer Zytostatika-Injektionslösung deshalb regelmäßig gegenüber der Herstellung des Fertigarzneimittels ein untergeordneter Arbeitsschritt, der auch nicht zur Folge habe, dass die Zubereitung in ihrer individuellen Konzentration ein von dem ursprünglichen Fertigarzneimittel zulassungsrechtlich zu unterscheidende Rezeptur darstelle. Der Patient erscheine zum vereinbarten Termin in der Arztpraxis und erhalte die Chemotherapie nebst notwendiger Begleitmedikation (Medikamente gegen Übelkeit, Schmerztherapien etc.).

Die von der Klägerin dargestellte Sachverhaltsschilderung mit den ad hoc-Zubereitungen weiche daher von den üblichen ökologischen Behandlungsabläufen ab. Eine ad hoc-Belieferung sei nur dann erforderlich, wenn bei dem Patienten aufgrund eines veränderten körperlichen Zustandes bzw. bei speziellen Indikationen vor der eigentlichen Applikation noch bestimmte Blutwerte neu entnommen oder sonstige anamnestische Daten erhoben werden müssten, die eine Entscheidung zur Therapiefortsetzung ermögliche. Nur in diesen Fällen werde die Chemotherapie auf Abruf bei der Apotheke vorbestellt und erst aufgrund des Untersuchungsergebnisses tatsächlich angefordert.

Die Beklagte ist der Auffassung, ein öffentlich-rechtlicher Vergütungsanspruch der Klägerin bestehe nicht. Denn der Selektivvertrag nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V verdränge als spezielle Regelung die allgemeinen Regelungen über die öffentlich-rechtlichen Leistungsberechtigungen und Verpflichtungen der Apotheker aus § 129 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 5 SGB V. Ein Apothekenwahlrecht der Patienten bestehe nicht. Für den Fall der Direktbelieferung von Zytostatika-Zubereitungen nach § 11 Abs. 2 ApoG und 129 Abs. 5 S. 3 SGB V sei dieses ausgeschlossen. Dies ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien (BT-Dse 14/756, Seite 5), wenn dort die Neuregelung damit begründet werde, hier eine Ausnahme vom Abspracheverbot zwischen Apotheken und Ärzten vorzusehen. § 11 Abs. 2 ApoG sehe die Notwendigkeit der Zustimmung des Versicherten nicht vor. Wenn aber die Zustimmung des Patienten notwendig sei, hätte dies ausdrücklich geregelt werden müssen. Wegen der Gründe für die Ausnahmeregelung, die Sicherheitsgesichtspunkte, sei eine solche Zustimmungspflicht auch überflüssig. Ihr Rechtsstandpunkt werde auch durch die Rechtsprechung der Vergabekammer Bund bestätigt (Beschluss vom 29. April 2010, VK 2-20/10).

Für die Lieferung der Zytostatika-Zubereitungen habe der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V für die Klägerin keine Geltung. Denn die kollektivvertragliche Regelung werde insoweit durch den Selektivvertrag nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V als speziellere Regelung verdrängt. § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V knüpfe an die Ausnahmevorschrift des § 11 Abs. 2 Apothekengesetz an, die ihrerseits bereits als Ausnahme vom so genannten Abspracheverbot des § 11 Abs. 1 ApoG die Direktbelieferung des Arztes durch die Apotheke und die Absprache über die Zuweisung von Verschreibungen zwischen Arzt und Apotheker ohne Zustimmung des Patienten zulasse. Auf jeden Fall bestehe das Apothekenwahlrecht nur im Rahmen der allgemeinen Regelungen und werde durch das Leistungserbringerrecht ausgestaltet.

Der Hinweis auf die Gesetzesmaterialien trage nicht. Der Gesundheitsausschuss habe im Ausschussbericht zum Recht der freien Apothekenwahl keine weiteren Ausführungen mehr gemacht. Daher könne die Bedeutung der Hinweise in der Begründung des Entwurfs der Regierungsfraktionen letztlich offen bleiben.

Jedenfalls sei die Ausübung des Apothekenwahlrechts durch Formularerklärung gegenüber dem Vertragsarzt für zukünftige Verordnungen nicht wirksam möglich. Das Apothekenwahlrecht könne nur für konkrete Arzneimittelverordnungen mit Selbstabholung durch die Versicherten im Einzelfall ausgeübt werden, nicht aber für zukünftig denkbare Fälle der Verordnung von Zytostatika-Zubereitungen.

Schließlich bestehe auch keine Lieferverpflichtung nach § 17 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung.

Die Klägerin habe durch das kollusive Zusammenwirken mit der Arztpraxis mit dem Ziel der Umgehung des Rabattvertrages gegen die Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen (§3) verstoßen. Danach sei es Apothekern insbesondere untersagt, Absprachen zu treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Abgabe von Arzneimitteln zum Gegenstand hätten oder zur Folge haben könnte.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Archivakte des einstweiligen Anordnungsverfahrens (S 13 KR 288/14 ER) sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Als eingetragener Kaufmann konnte Herr S. gem. § 17 Abs. 2 Handelsgesetzbuch unter der Firma der Klägerin die Klage erheben. Die Klageänderung von einer Leistungsklage auf die negative Feststellungsklage war gem. § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, weil sie sachdienlich gewesen ist. Durch die vorläufige (Wieder)-Auszahlung des Entgelts war effektiver Rechtsschutz für die Klägerin nur über einen Feststellungsantrag erreichbar. Die Beklagte hat sich zudem auch auf die geänderte Klage eingelassen. Das notwendige Feststellungsinteresse ist gegeben. Denn mit der Klage wird endgültig geklärt, ob die – vorläufige – Zahlung durch die Beklagte zu Recht erfolgt ist.

Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht ein Honorar für die von ihr über die onkologische Praxis an die bei der Beklagten Krankenversicherten gelieferten parenteralen, onkologischen Zubereitungen in Höhe von 70.502,35 EUR für den Monat Dezember 2013 zu.

Die Berechnung der Forderung ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Unstreitig ist damit auch, dass die Klägerin für 38 bei der Versicherten aufgrund von 149 ärztlichen Verordnungen die parenteralen, onkologischen Zubereitungen herstellte und auslieferte, die in der Onkologiepraxis den Patienten verabreicht wurden. Unstreitig war die Klägerin von der Ausstattung ihres Betriebes technisch dazu in der Lage, die parenteralen, onkologischen Zubereitungen herzustellen.

Damit ist der als öffentlich-rechtlich zu qualifizierende Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte entstanden. Die Klägerin war auch berechtigt, die Zubereitungen zulasten der Beklagten herzustellen. Denn die bei der Beklagen krankenversicherten Patienten haben ihr Apothekenwahlrecht gem. § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V wirksam zugunsten der Klägerin ausgeübt. Durch den zwischen der Beklagten und der F. Apotheke M. abgeschlossenen Vertrag gem. § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V konnten weder das Apothekenwahlrecht der Versicherten beschnitten noch der Vergütungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten ausgeschlossen werden.

Sicherlich liegt dem Apothekenwahlrecht der Gedanke zugrunde, dass der Versicherte mit dem Verordnungsformular in die Apotheke seines Vertrauens geht und dort das Medikament ausgehändigt bekommt. Allerdings muss der Kontakt zwischen dem Versicherten und dem Apotheker nicht unmittelbar sein. Der Einsatz von Boten oder Vertreter ist von vornherein denkbar. Auch der unmittelbare persönliche Kontakt muss nicht stattfinden, wie die Beispiele von Versand- oder Internetapotheken zeigen.

Das Leistungsrecht des SGB V wird von dem Grundsatz bestimmt, dass die Versicherten unter den zugelassenen Leistungserbringern frei wählen können. Der Hauptanwendungsfall ist die freie Arztwahl nach § 76 SGB V. Danach können die Versicherten unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 S. 2, den nach § 72a Abs. 3 vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 frei wählen. Ähnlich ist die Situation im Heilmittelbereich. Die Erbringung von Heilmitteln für gesetzlich Krankenversicherte zulasten der Krankenkassen ist ausschließlich von der Zulassung gem. § 124 Abs. 5 S. 2 SGB 5 abhängig. Bei Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen besteht darauf ein Anspruch. Bei den Hilfsmittelerbringern besteht zunächst gem. § 33 Abs. 6 S.1 SGB 5 der Grundsatz, dass die Versicherten alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen können, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. An manchen Stellen ist die Freiheit der Versicherten eingeschränkt oder der Höhe nach gedeckelt, letztlich hat aber immer der Versicherte die Entscheidung, welche Leistung genau er wünscht, selbst in der Hand. Ein absolutes Verbot der Wahl unter zugelassenen Leistungserbringern ist dem SGB V fremd. So ist z.B. die Teilnahme an der integrierten Versorgung gem. § 140a Abs. 2 SGB V, die Teilnahme an Strukturverträgen gem. § 73a S. 5 SGB V, die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b Abs. 3 SGB V oder die Teilnahme an der besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung gem. § 73c Abs. 2 SGB V immer von der Zustimmung der Versicherten abhängig, sie können daher genau zwischen den individuellen Vor- und Nachteilen der Teilnahme an diesen besonderen Modellen abwägen. In anderen Fällen sind Einschränkungen zwar grundsätzlich vorgesehen, der Versicherte kann aber die von ihm favorisierte Versorgung durchaus erhalten, wenn er bereit ist, die Mehrkosten zu übernehmen. Beispiele hierfür sind die Mehrkostenübernahme bei der Hilfsmittelversorgung in den Fällen von § 33 Abs. 6, S. 2 u. 3 i.V.m. § 127 Abs. 1 SGB V, im Bereich der stationären Versorgung gem. § 39 Abs. 2 SGB V, bei teureren Arzneimitteln gem. § 129 Abs. 1 S. 5 SGB V, bei der Zahnbehandlung gem. § 28 Abs. 2 SGB V oder der medizinischen Rehabilitation gem. § 40 Abs. 2 S. 2 SGB V. In anderen Fällen, etwa bei Vorsorgekuren gem. §§ 23 oder 24 SGB V oder auch bei der medizinischen Rehabilitation gem. § 40 Abs. 3 SGB V besteht zumindest ein Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung durch die Krankenkasse.

Bei diesem dargestellten Versorgungssystem, in dem der Krankenversicherte letztlich immer das Letztentscheidungsrecht hat, ist es daher auch naheliegend, wenn in § 31 Abs. 1 Satz 5 SGB V bestimmt ist, dass die Versicherten bei der Arzneimittelversorgung unten den Apotheken, für die der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V Geltung hat, frei wählen können, dies auch, wenn ein Vertrag nach § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V geschlossen wurde (so auch Pflugmacher in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 31 Rn 38; Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, § 31 Rn 88 und Luthe, ebda., § 129 Rn 55). Dass zwischen Klägerin und Beklagten grundsätzlich der Rahmenvertrag Geltung hat, ist zwischen der Beteiligten nicht streitig.

Wenn daher das Apothekenwahlrecht ausnahmeweise nicht gelten soll, bedürfte dies einer besonderen Begründung, wobei insoweit die Grundrechte der Versicherten und der Apotheken zu beachten wären. Aus dem Wortlaut des § 31 SGB V können Einschränkungen des Apothekenwahlrechts nicht abgeleitet werden.

Das Apothekenwahlrecht wird auch nicht durch § 11 Abs. 2 ApoG ausgeschlossen. Die Regelung betrifft allein das Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker. § 11 Abs. 1 ApoG verbietet Rechtsgeschäfte, Absprachen und Zuführung von Patienten zwischen Arzt und Apotheker. Als Ausnahme hiervon ist mit Wirkung vom 28. August 2002 Abs. 2 eingeführt worden, wonach der Apotheker Zytostatikazubereitungen unmittelbar an den anwendenden Arzt abgeben "darf". Die Regelung wird in den Gesetzesmaterialien damit begründet, dass nur einzelne Apotheken personell, räumlich und apparativ so ausgestattet seien, dass sie Verschreibungen von Zytostatikazubereitungen ordnungsgemäß ausführen könnten. Weil diese aus Sicherheitsgründen grundsätzlich nicht "dem Patienten ausgehändigt werden sollen", sei es geboten, hier eine Ausnahme vom Abspracheverbot vorzusehen (BT-Drs. 14/756 S. 5).

Daraus folgt nur, dass einerseits Absprachen zwischen Arzt und Apotheker getroffen werden dürfen aber nicht müssen. Weiter besteht die praktische Erwägung, dass diese Arzneimittel den Versicherten nicht ausgehändigt werden sollen. Andererseits existiert kein gesetzliches Verbot, diese Arzneimittel den Versicherten im Einzelfall doch auszuhändigen. Weder von den Regelungsadressaten her noch vom Wortlaut oder aus den Gesetzesmaterialien lässt sich daher herleiten, dass hier eine Ausnahme von § 31 Abs. 1 S. 5 SGB V statuiert werden sollte.

Auch aus der Regelung des § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V folgt nicht der Ausschluss des Apothekenwahlrechts der Versicherten. Danach kann die Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten von der Krankenkasse durch Verträge mit Apotheken sichergestellt werden; dabei können Abschläge auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers und die Preise und Preisspannen der Apotheken vereinbart werden.

Aus dem Wortlaut ergibt sich kein derartiger Ausschluss. Die Wahl des Begriffs "sicherstellen" bedeutet keine Exklusivität für derartige Vertragspartner. Aus dem Begriff folgt nur, dass mittels eines solchen Vertrags die Kasse ein System aufzubauen hat, dass flächendeckend die Versorgung gewährleisten muss. Der Begriff wird so oder ganz ähnlich in zahlreichen Vorschriften des SGB V verwandt (vgl. z.B. §§ 72 Abs. 1, 72a Abs. 1 - 3, 73b Abs. 2, 73c Abs. 1, 75 Abs. 1, 3, 3a, 112 Abs. 1, 118 Abs. 1 118a Abs. 1, 119 Abs. 1, 119a Abs. 1, 126 Abs. 1, 128 Abs. 3 SGB V). Nach Auffassung der Kammer kommt diesem eher farblosen Begriff in den unterschiedlichen Zusammenhängen eine Bedeutung wie "sorgen für", "garantieren" oder "gewährleisten" zu, ein Ausschluss anderer Apotheken im streitigen Zusammenhang kann daraus aber nicht folgen.

Die Gesetzesmaterialien sprechen gegen eine Exklusivität. Im Fraktionsentwurf (BT Drs. 16/3100, 142) wird das Gegenteil ausdrücklich erklärt, wenn es dort heißt, dass "das Recht der Versicherten zur freien Wahl der Apotheke erhalten" bleibt.

Daraus folgt nach Auffassung der Kammer zweierlei: Hätte dieses Apothekenwahlrecht wegen der schon bestehenden Vorschrift des § 11 Abs. 2 ApoG schon nicht mehr bestanden, wäre diese Feststellung im Gesetzgebungsverfahren nicht nachvollziehbar. Vielmehr wollte der Gesetzgeber ganz offensichtlich und ausdrücklich, dass dieses Wahlrecht der Versicherten auch bei Abschluss der genannten Verträge erhalten bleiben soll. Durch den Ausschussbericht (BT-Drs. 17/4247, S. 46) sollte die Vorschrift lediglich redaktionell angepasst werden. Damit kann aber nun nicht geschlussfolgert werden, nunmehr habe der Gesetzgeber das freie Apothekenwahlrecht der Versicherten mit der schließlich in Kraft getretenen Formulierung abschaffen wollen.

Schließlich ging die Beklagte auch im Rahmen ihrer Ausschreibung entgegen ihrer jetzigen Rechtsauffassung davon aus, dass es ein Apothekenwahlrecht der Versicherten geben würde. Unter Ziff. 5 der Bewerbungsbedingungen heißt es, dass das "Apothekenwahlrecht gem. § 31 Abs. 1 S. 5 unberührt" bleibe, auch wenn die Beklagte im weiteren Text davon ausging, dass die Anzahl der Versicherten, "die von ihrem Wahlrecht im Rahmen der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen Gebrauch machen, eine zu vernachlässigende Größe darstellt und ein Wahlrecht der betroffenen Versicherten in der Regel nicht ausgeübt wird".

Wie das Apothekenwahlrecht ausgeübt werden kann, ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Vermutlich liegt dem der Gedanke zugrunde – ähnlich wie bei der Arztwahl -, dass die Versicherten mit der Apotheke ihrer Wahl Kontakt aufnehmen und sich das Medikament dort tatsächlich beschaffen.

Auch im Rahmen des § 11 Abs. 2 ApoG ist der Arzt gehalten, mit den Versicherten zu klären, dass diese mit der Beschaffung durch die vom Arzt vorgesehene Apotheke einverstanden ist. Allein wegen der notwendigen Zuzahlungen durch die Versicherten ist eine andere Vorgehensweise kaum vorstellbar.

Dass die Versicherten der Beklagten von ihrem Apothekenwahlrecht im vorliegenden Falle tatsächlich Gebrauch gemacht haben, steht zur Überzeugung der Kammer fest. Die Klägerin hat von den Versicherten eigenhändig unterschriebene Formulare vorgelegt, worin diese im Rahmen ihrer Behandlung durch die onkologische Praxis die Versorgung durch die Klägerin und nicht durch die Vertragsapotheke der Beklagten oder durch eine sonstige Apotheke gewünscht haben. Dass sich aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und der Onkologiepraxis im gleichen Gebäude eine praktische Abwicklung mit Emailverkehr und Lieferung durch die Apotheke herausgebildet hat, derzufolge die Versicherten nicht persönlich die Verordnung in der Apotheke vorzulegen und das hergestellte Medikament abzuholen hatten, lässt sich durch die Rechtsfigur der Nutzung von Boten zwanglos begründen. Ansonsten wurde die von der Onkologiepraxis ausgestellte schriftliche Verordnung der Klägerin in jedem Fall übermittelt, die diese zur Abrechnung mit der Beklagten auch benötigt.

Den Vorwurf eines kollusiven Verhaltens zwischen Klägerin und der onkologischen Praxis, der von der Beklagten erhoben worden ist, vermag die Kammer nicht zu teilen. Zunächst gestattet § 11 Abs. 2 ApoG Absprachen zwischen Apotheken und Ärzten im Rahmen von Zytostatikazubereitungen. Auch aus den jeweiligen Berufsordnungen können standesrechtliche Zuwiderhandlungen nicht entnommen werden. Aus § 7 Abs. 3 S. 1 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen vom 2. September 1998 in der Fassung vom 26. Juni 2013 (HÄBl. 8/2013, S. 646) folgt die Verpflichtung der Ärzte, im Interesse der Patienten mit anderen Fachberufen im Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten. Sie dürfen allerdings gem. § 31 Abs.2 ihre Patienten nicht ohne hinreichenden Grund Apotheken empfehlen oder an diese verweisen. Ähnlich sieht § 3 Abs. 1 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen vom 14. März 2012 (DAZ Nr. 18/2012, S. 2301) die Verpflichtung des Apothekers vor, in Ausübung seines Berufes mit den Personen und Institutionen des Gesundheitswesens zusammenzuarbeiten, wobei Vereinbarungen, Absprachen und schlüssige Handlungen unzulässig sind, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten oder Zuweisung von Verschreibungen zum Gegenstand haben oder zur Folge haben könnten.

Hinreichende Gründe für die Ärzte der Onkologiepraxis, den Versicherten für die Herstellung der Zytostatika die Klägerin zu empfehlen, sind nach Auffassung der erkennenden Kammer gegeben. Das nach dem Vortrag der Klägerin von dieser Praxis durchgeführte Behandlungskonzept mit "ad hoc-Belieferungen" mag zwar, so der Vortrag der Beklagten, unüblich sein. Es würde sich aber für die Kammer als das im Sinne der Versicherten überlegene Konzept darstellen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die von der Klägerin mitgeteilten Zahlen, dass es im Zeitraum von Januar bis Juli 2014 durch dieses Verfahren bei 1020 von 5718 onkologischen Therapien zu Therapieänderungen tatsächlich gekommen ist, zutreffend sind. Allein die Chance für einen Versicherten, im Einzelfall schnell und sicher eine Änderung der Dosierung erhalten zu können, macht die Apothekenwahl zugunsten der Klägerin nachvollziehbar. Hinzu kommt noch der glaubhafte Vortrag des Inhabers der Klägerin aus dem einstweiligen Anordnungsverfahren, als er im Rahmen seiner informatorischen Befragung ausgeführt hat, dass er mit zahlreichen Patienten der onkologischen Praxis intensiven Kontakt hat, weil diese mit anderen Verordnungen im Sinne von Begleitmedikationen dort erscheinen und viele Fragen im Zusammenhang mit Ernährung oder Behandlung erörtert werden. Weiter waren die meisten Versicherten – zum Teil seit Jahren – bereits diesen Beschaffungsweg gewohnt. Demgegenüber sind die vertraglichen Verpflichtungen der den Zuschlag erhalten habenden F. Apotheke in M. für die Versicherten im Falle von "ad hoc-Belieferungen" deutlich ungünstiger. Nach § 3 Abs. 6 des Rahmenvertrages für die Ausschreibung der Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie gem. § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V ist vorgesehen, dass der Apotheker "ausnahmsweise" die vertragsgegenständlichen Zubereitungen an den verordnenden Arzt auf Abruf zu liefern hat. Dabei dürfen in der Regel zwischen Abruf und Eintreffen der Lieferung bei dem Arzt nicht mehr als 45 Minuten liegen. Tatsächlich liegt die F. Apotheke 49,8 km von der Onkologiepraxis entfernt, die Fahrzeit beträgt ca. 35 Minuten (vgl. map24.de, Recherche vom 27. August 2014), wobei – dies ist gerichtsbekannt – die tatsächlichen Fahrzeiten insbesondere an den Vormittagen auf den in Betracht kommenden Autobahnen A67 oder A5 häufig länger sein dürften. Wenn der Vortrag des Inhabers der Klägerin zutreffend sein sollte, dass die tatsächliche Zubereitungszeit für die Zytostatika 20 – 25 Minuten dauert, wären die vereinbarten Lieferzeiten niemals praktisch erreichbar. Ob zusätzliches Konfliktpotential zwischen liefernder Apotheke und Arztpraxis auch deshalb vorstellbar ist, wenn das "ad hoc-Verfahren" ärztlicherseits nicht nur "ausnahmsweise" sondern generell angewandt würde, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden.

Soweit die Beklagte zur Stützung ihrer Auffassung auf die Rechtsprechung der Vergabekammer Bund (Beschluss vom 29. April 2010, VK 2-20/10) verweist, hat dies die Kammer nicht überzeugen können. Die Rechtsprechung im Vergaberecht, soweit sie zu den hier streitigen Fragen Ausführungen enthalten, ist unterschiedlich (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 7. Mai 2010, L 1 SF 95/10 B Verg, und 17. September 2010, L 1 SF 98/10 B Verg; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Juli 2010, L 21 SF 152/10). Aufgabe der Gerichte war es in diesen Streitfällen, die Rechtmäßigkeit der Ausschreibungsverfahren zu überprüfen. Die Ausführungen zu § 11 Abs. 2 ApoG bzw. zur Apothekenwahlfreiheit gehören nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert war gem. § 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz in Übereinstimmung mit den Beteiligten auf 70.502,35 EUR festzusetzen, weil dies dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin entspricht.
Rechtskraft
Aus
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