Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 125/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 103/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Akteneinsicht.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde in N zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung vereinbarte sie am 24.06./27.07.2011 mit der Beklagten, dass die Abrechnung für die Quartale II/2008 bis IV/2010 richtig zu stellen sei und sie an die Beklagte 11.928,06 EUR zurückführe. Diese Summe beinhalte die Kürzung der GOP 09360 und 09361 um 80 % in den o.g. Quartalen. Im Abrechnungsbescheid für das Quartal 3/2011 belastete die Beklagte das Konto der Klägerin entsprechend mit diesem Betrag.
Unter dem 04.06.2013 bat die Klägerin um Einsicht in die Verwaltungsvorgänge. Ein berechtigtes Interesse sei regelmäßig ohne weitere Begründung zu bejahen. Einer Bitte der Beklagten um Darlegung, dass die Kenntnis der bei ihr vorliegenden Unterlagen der Geltendmachung bzw. Verteidigung der rechtlichen Interessen der Klägerin noch dienlich seien, trat die Klägerin entgegen. Sie habe einen Rechtsanspruch auf Einsichtnahme.
Mit Bescheid vom 04.11.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Die Klägerin habe es für richtig gehalten, von der Nachreichung schriftlicher Darlegungen zu einem berechtigten Interesse abzusehen. Vor diesem Hintergrund habe sich die Beklagte außer Stande gesehen, dem Antrag zu entsprechen.
Diesem Bescheid widersprach die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten. Allein aus der Beauftragung eines Rechtsanwaltes lasse sich ableiten, dass es um eine rechtliche Prüfung der Unterlagen gerade im Hinblick auf Sekundäransprüche gehe. Zu weitergehenden Erklärungen bestehe keine Veranlassung, zumal es nicht im Sinne einer wirksamen Vertretung der Interessen der Klägerin sein könne, schon vor Einsichtnahme in die Verwaltungsakten mögliche Ergebnisse ungeprüft in den Raum zu stellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2014 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück.
Hiergegen richtet sich die am 14.04.2014 erhobene Klage.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verkenne die Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin bezüglich des rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht. Die geschlossene Vereinbarung verpflichte sie zur Rückführung eines Betrages von 11.928,06 EUR, was durch Verrechnung erfolgt sei. Ein ihrerseits artikuliertes Rückforderungsbegehren habe die Beklagte bislang nicht erfüllt. Dieser Umstand und die Tatsache, dass die Klägerin einen Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung und Verfolgung ihrer rechtlichen Interessen in dieser Angelegenheit beauftragt habe, stellten bereits das für die Ausübung des Akteneinsichtnahmerechts erforderliche rechtliche Interesse deutlich heraus. Zudem sei die Beklagte im Widerspruchsschriftsatz ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Akteneinsicht zum Zwecke der Prüfung möglicherweise geltend zu machender sekundärrechtlicher Ansprüche erfolgen solle. Von der Klägerin könne nicht erwartet werden, dass sie die gesetzlichen Anforderungen unter Preisgabe ihrer eigenen Interessen zugunsten der Beklagten im Vorfeld der Akteneinsicht übererfülle. Soweit vorgetragen werde, dass sich der Anspruch auf Akteneinsichtnahme nach Abschluss des formellen Verwaltungsverfahrens auf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung reduziere, dürfte hier eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen sein. Die materiell-rechtliche Belastung der Klägerin bestehe weiterhin fort. Auch könne sich die Beklagte nicht durch ihre Praxis, belastende Verwaltungsakte bereits im Vorfeld durch vertragliche Übereinkünfte zu ersetzen, einer Nachprüfung der materiellen Rechtfertigung ihrer Entscheidung entziehen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich ein weiteres verwaltungsbehördliches Verfahren an ein etwaig abgeschlossenes anschließe oder aber das vermeintlich abgeschlossene Verfahren tatsächlich weiter fortgesetzt werde.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt: "Aus der Akteneinsichtnahme dürfte für die Klägerin auch Gewissheit darüber bestehen, wie sie ihr Abrechnungsverhalten in der Zukunft zu gestalten hat, d.h., wenn die Plausibilitätsprüfung mit dem in der Vereinbarung getroffenen Ergebnis dazu führt, dass der Vorhalt, welcher der Klägerin gemacht wurde, zutrifft, kann sie sich in der Zukunft darauf hinreichend einstellen."
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 04.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2014 verurteilt, der Klägerin gemäß Antrag vom 04.06.2013 Einsicht in die Verwaltungsakten betreffend die Prüfverfahren zu den Quartalen II/2008 bis IV/2010 zum Zeichen: D 3/3208 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Entscheidung.
Bei abgeschlossenen Verfahren bestehe kein Anspruch auf Akteneinsicht aus § 25 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) mehr. Die Behörde könne aber den früheren Beteiligten nach ihrem Ermessen Akteneinsicht gewähren. Wenn jedoch - wie vorliegend - keine Ausführung zum rechtlichen Interesse seitens der Klägerin erfolgt sei, könne die Beklagte dann auch kein Ermessen diesbezüglich ausüben, so dass als Konsequenz die Gewährung der Akteneinsicht abzulehnen gewesen sei.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Dieser Akteneinsichtsanspruch ist ein Teil des Rechts auf Gehör und richtet sich auf "die das Verfahren betreffenden Akten". Begriff und Dauer des Verwaltungsverfahrens sind den §§ 8, 18 SGB X zu entnehmen. § 8 SGB X definiert das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzbuches als "nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein". Der Begriff ist damit zukunftsbezogen auf eine noch zu treffende Entscheidung gerichtet. Das bedeutet für die Akteneinsicht im Bereich des Verwaltungsverfahrens, dass nur Akten noch laufender Verfahren einzubeziehen sind sowie Akten abgeschlossener Verfahren, soweit Elemente aus diesen Verfahren noch für das laufende Verwaltungsverfahren aktuell sind (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1991 - 2 RU 24/90 -; Beschluss vom 30.11.1994 - 11 RAr 89/94 -; BVerwG, Urteile vom 01.07.1983 - 2 C 42/82 -; vom 04.09.2003 - 5 C 48/02 -). Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war vorliegend eine Plausibilitätsprüfung der Abrechnung der Klägerin für die Quartale II/2008 bis IV/2010. Dieses Verfahren ist mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag (Rückzahlungsvereinbarung vom 24.06./27.07.2011) zwischen den Beteiligten abgeschlossen; die Honorarkürzungen sind mit dem Abrechnungsbescheid 3/2011 realisiert worden. Die Beklagte hat die Erkenntnisse aus diesem Plausibilitätsverfahren in der Folgezeit auch nicht in weitere Verwaltungsverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, eingeführt oder sonst verwertet.
Die Klägerin begehrt demzufolge Akteneinsicht außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens. Diese ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Auf die Akteneinsicht besteht insofern jedoch kein Rechtsanspruch, sondern sie steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. BSG, Beschluss vom 04.04.2012 - B 12 SF 1/10 R - m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 23.08.1968 - IV C 235.65 - BVerwGE 30, 154 ff.; vom 01.07.1983 - 2 C 42/82 - BVerwGE 67, 300; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 09.10.2003 - WpÜG 2/02 - ; vom 04.09.2014 - 11 W 3/14 (Kart)). Voraussetzung ist, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht geltend machen kann und dieses auch glaubhaft macht. Das bedeutet, der Antragsteller muss ein eigenes und gewichtiges Interesse an der Akteneinsicht darlegen; dieses ist gegen das öffentliche Interesse an der Vertraulichkeit der Akten und ggf. gegen das berechtigte Interesse Dritter abzuwägen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30.08.1976 - VII B 116.76 -; vom 15.06.1989 - 5 B 63/89; Urteile vom 05.06.1984 - 5 C 73/82 - BVerwGE 69, 278 ff.; vom 16.09.1980 - I C 52.75 - BVerwGE 61, 15; vom 23.08.1968 - IV C 235.65 - BVerwGE 30, 154 ff; VGH München, Urteil vom 17.02.1998 - 23 B 95.1954 - NVwZ 1999, 889 f.; SG Stade, Urteil vom 23.02.2006 - S 6 AL 112/02 -).
Der Begriff des "berechtigten Interesses" ist weitergehend als der des "rechtlichen Interesses" in § 25 Abs. 1 SGB X. Ein rechtliches Interesse muss sich auf ein bereits vorhandenes Recht stützen. Es ist regelmäßig gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis von dem Inhalt der Akten zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist. Ein berechtigtes Interesse muss sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen; es genügt vielmehr jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse, das auch wirtschaftlicher Art sein kann (vgl. BSG, Beschluss vom 30.11.1994 - 11 RAr 89/94 - m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund ist die Ermessensentscheidung der Beklagten, der Klägerin die Akteneinsicht zu verwehren, nicht zu beanstanden. Weder hat die Beklagte die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten noch hat sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Als Ermessensfehler kommt nur eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung in Betracht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn die Behörde nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 10/10 R - SozR 4-2700 § 76 Nr. 2).
Keiner dieser Gesichtspunkte liegt hier vor. Rechtsfehlerfrei ist die Beklagte davon ausgegangen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkte den Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses nicht genügen.
Allein die Beauftragung eines Rechtsanwaltes und die Rechtsansicht, ein berechtigtes Interesse sei für die Beteiligten regelmäßig ohne weitere Begründung zu bejahen, stellen kein berechtigtes Interesse dar. Auch der unsubstantiierte Hinweis auf eine rechtliche Prüfung der Unterlagen gerade im Hinblick auf Sekundäransprüche reicht nicht aus. Die Rückführung des Betrages von 11.926,06 EUR aufgrund der Vereinbarung vom 24.06./27.07.2011 ist mit dem Abrechnungsbescheid vom 24.01.2012 bestandskräftig realisiert worden. Erst über ein Jahr später, nämlich unter dem 04.06.2013, ist Akteneinsicht begehrt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Anfechtungsfristen der §§ 121, 124 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für die Anfechtung der Willenserklärung der Klägerin vom 24.06.2011 wegen Irrtums (§ 119 BGB) oder arglistiger Täuschung bzw. widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) verstrichen. Die zwischen den Beteiligten geschlossene Vereinbarung war daher wirksame Grundlage für die entsprechende Honorarbelastung im Abrechnungsbescheid 3/2011 (vgl. zu den Anforderungen an die Rechtswirksamkeit eines Vergleichsvertrages auch LSG NRW, Urteil vom 17.04.2013 - L 11 KA 3/11 -).
Die Bestandskraft dieses Abrechnungsbescheides steht zudem einer Schadensersatzpflicht der Beklagten aus Amtshaftung entgegen, denn nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Rechtsgründe stehen einer Auskehrung der einbehaltenen Honoraranteile an die Klägerin auch dann entgegen, wenn die Klägerin unter Sekundäransprüchen ein sog. "Zugunstenverfahren" verstehen sollte. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts macht eine Kassenärztliche Vereinigung von dem ihr in § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X eingeräumten Ermessen rechtmäßig Gebrauch, wenn sie die Belastung der Gesamtvergütung mit Nachzahlungen für die Vergangenheit so gering wie möglich hält und deshalb regelmäßig bestandskräftige Honorarbescheide nicht für die Vergangenheit zurücknimmt (BSG, Urteil vom 22.06.2005 - B 6 KA 21/04 R - m.w.N.). Angesichts dessen wäre es für die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses erforderlich gewesen, wenigstens im Ansatz schlüssig vorzutragen, aus welchen Gründen eine Akteneinsicht für die Geltendmachung von Sekundäransprüchen dienlich sein sollte.
Die im Klageverfahren nachgeschobenen Gründe für eine Akteneinsicht vermögen Ermessensfehler nicht zu begründen, da es sich insofern um einen Sachverhalt handelt, welcher der Ermessensbetätigung der Beklagten nicht zugrundelag und den sie demgemäß auch nicht bewerten konnte.
Hat die Beklagte somit dem öffentlichen Interesse an der Vertraulichkeit der Akten den Vorzug vor einer Einsichtnahme durch die Klägerin den Vorzug gegeben, ist dies vorliegend nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Akteneinsicht.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde in N zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung vereinbarte sie am 24.06./27.07.2011 mit der Beklagten, dass die Abrechnung für die Quartale II/2008 bis IV/2010 richtig zu stellen sei und sie an die Beklagte 11.928,06 EUR zurückführe. Diese Summe beinhalte die Kürzung der GOP 09360 und 09361 um 80 % in den o.g. Quartalen. Im Abrechnungsbescheid für das Quartal 3/2011 belastete die Beklagte das Konto der Klägerin entsprechend mit diesem Betrag.
Unter dem 04.06.2013 bat die Klägerin um Einsicht in die Verwaltungsvorgänge. Ein berechtigtes Interesse sei regelmäßig ohne weitere Begründung zu bejahen. Einer Bitte der Beklagten um Darlegung, dass die Kenntnis der bei ihr vorliegenden Unterlagen der Geltendmachung bzw. Verteidigung der rechtlichen Interessen der Klägerin noch dienlich seien, trat die Klägerin entgegen. Sie habe einen Rechtsanspruch auf Einsichtnahme.
Mit Bescheid vom 04.11.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Die Klägerin habe es für richtig gehalten, von der Nachreichung schriftlicher Darlegungen zu einem berechtigten Interesse abzusehen. Vor diesem Hintergrund habe sich die Beklagte außer Stande gesehen, dem Antrag zu entsprechen.
Diesem Bescheid widersprach die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten. Allein aus der Beauftragung eines Rechtsanwaltes lasse sich ableiten, dass es um eine rechtliche Prüfung der Unterlagen gerade im Hinblick auf Sekundäransprüche gehe. Zu weitergehenden Erklärungen bestehe keine Veranlassung, zumal es nicht im Sinne einer wirksamen Vertretung der Interessen der Klägerin sein könne, schon vor Einsichtnahme in die Verwaltungsakten mögliche Ergebnisse ungeprüft in den Raum zu stellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2014 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück.
Hiergegen richtet sich die am 14.04.2014 erhobene Klage.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verkenne die Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin bezüglich des rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht. Die geschlossene Vereinbarung verpflichte sie zur Rückführung eines Betrages von 11.928,06 EUR, was durch Verrechnung erfolgt sei. Ein ihrerseits artikuliertes Rückforderungsbegehren habe die Beklagte bislang nicht erfüllt. Dieser Umstand und die Tatsache, dass die Klägerin einen Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung und Verfolgung ihrer rechtlichen Interessen in dieser Angelegenheit beauftragt habe, stellten bereits das für die Ausübung des Akteneinsichtnahmerechts erforderliche rechtliche Interesse deutlich heraus. Zudem sei die Beklagte im Widerspruchsschriftsatz ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Akteneinsicht zum Zwecke der Prüfung möglicherweise geltend zu machender sekundärrechtlicher Ansprüche erfolgen solle. Von der Klägerin könne nicht erwartet werden, dass sie die gesetzlichen Anforderungen unter Preisgabe ihrer eigenen Interessen zugunsten der Beklagten im Vorfeld der Akteneinsicht übererfülle. Soweit vorgetragen werde, dass sich der Anspruch auf Akteneinsichtnahme nach Abschluss des formellen Verwaltungsverfahrens auf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung reduziere, dürfte hier eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen sein. Die materiell-rechtliche Belastung der Klägerin bestehe weiterhin fort. Auch könne sich die Beklagte nicht durch ihre Praxis, belastende Verwaltungsakte bereits im Vorfeld durch vertragliche Übereinkünfte zu ersetzen, einer Nachprüfung der materiellen Rechtfertigung ihrer Entscheidung entziehen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich ein weiteres verwaltungsbehördliches Verfahren an ein etwaig abgeschlossenes anschließe oder aber das vermeintlich abgeschlossene Verfahren tatsächlich weiter fortgesetzt werde.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt: "Aus der Akteneinsichtnahme dürfte für die Klägerin auch Gewissheit darüber bestehen, wie sie ihr Abrechnungsverhalten in der Zukunft zu gestalten hat, d.h., wenn die Plausibilitätsprüfung mit dem in der Vereinbarung getroffenen Ergebnis dazu führt, dass der Vorhalt, welcher der Klägerin gemacht wurde, zutrifft, kann sie sich in der Zukunft darauf hinreichend einstellen."
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 04.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2014 verurteilt, der Klägerin gemäß Antrag vom 04.06.2013 Einsicht in die Verwaltungsakten betreffend die Prüfverfahren zu den Quartalen II/2008 bis IV/2010 zum Zeichen: D 3/3208 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Entscheidung.
Bei abgeschlossenen Verfahren bestehe kein Anspruch auf Akteneinsicht aus § 25 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) mehr. Die Behörde könne aber den früheren Beteiligten nach ihrem Ermessen Akteneinsicht gewähren. Wenn jedoch - wie vorliegend - keine Ausführung zum rechtlichen Interesse seitens der Klägerin erfolgt sei, könne die Beklagte dann auch kein Ermessen diesbezüglich ausüben, so dass als Konsequenz die Gewährung der Akteneinsicht abzulehnen gewesen sei.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Dieser Akteneinsichtsanspruch ist ein Teil des Rechts auf Gehör und richtet sich auf "die das Verfahren betreffenden Akten". Begriff und Dauer des Verwaltungsverfahrens sind den §§ 8, 18 SGB X zu entnehmen. § 8 SGB X definiert das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzbuches als "nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein". Der Begriff ist damit zukunftsbezogen auf eine noch zu treffende Entscheidung gerichtet. Das bedeutet für die Akteneinsicht im Bereich des Verwaltungsverfahrens, dass nur Akten noch laufender Verfahren einzubeziehen sind sowie Akten abgeschlossener Verfahren, soweit Elemente aus diesen Verfahren noch für das laufende Verwaltungsverfahren aktuell sind (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1991 - 2 RU 24/90 -; Beschluss vom 30.11.1994 - 11 RAr 89/94 -; BVerwG, Urteile vom 01.07.1983 - 2 C 42/82 -; vom 04.09.2003 - 5 C 48/02 -). Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war vorliegend eine Plausibilitätsprüfung der Abrechnung der Klägerin für die Quartale II/2008 bis IV/2010. Dieses Verfahren ist mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag (Rückzahlungsvereinbarung vom 24.06./27.07.2011) zwischen den Beteiligten abgeschlossen; die Honorarkürzungen sind mit dem Abrechnungsbescheid 3/2011 realisiert worden. Die Beklagte hat die Erkenntnisse aus diesem Plausibilitätsverfahren in der Folgezeit auch nicht in weitere Verwaltungsverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, eingeführt oder sonst verwertet.
Die Klägerin begehrt demzufolge Akteneinsicht außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens. Diese ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Auf die Akteneinsicht besteht insofern jedoch kein Rechtsanspruch, sondern sie steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. BSG, Beschluss vom 04.04.2012 - B 12 SF 1/10 R - m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 23.08.1968 - IV C 235.65 - BVerwGE 30, 154 ff.; vom 01.07.1983 - 2 C 42/82 - BVerwGE 67, 300; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 09.10.2003 - WpÜG 2/02 - ; vom 04.09.2014 - 11 W 3/14 (Kart)). Voraussetzung ist, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht geltend machen kann und dieses auch glaubhaft macht. Das bedeutet, der Antragsteller muss ein eigenes und gewichtiges Interesse an der Akteneinsicht darlegen; dieses ist gegen das öffentliche Interesse an der Vertraulichkeit der Akten und ggf. gegen das berechtigte Interesse Dritter abzuwägen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30.08.1976 - VII B 116.76 -; vom 15.06.1989 - 5 B 63/89; Urteile vom 05.06.1984 - 5 C 73/82 - BVerwGE 69, 278 ff.; vom 16.09.1980 - I C 52.75 - BVerwGE 61, 15; vom 23.08.1968 - IV C 235.65 - BVerwGE 30, 154 ff; VGH München, Urteil vom 17.02.1998 - 23 B 95.1954 - NVwZ 1999, 889 f.; SG Stade, Urteil vom 23.02.2006 - S 6 AL 112/02 -).
Der Begriff des "berechtigten Interesses" ist weitergehend als der des "rechtlichen Interesses" in § 25 Abs. 1 SGB X. Ein rechtliches Interesse muss sich auf ein bereits vorhandenes Recht stützen. Es ist regelmäßig gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis von dem Inhalt der Akten zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist. Ein berechtigtes Interesse muss sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen; es genügt vielmehr jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse, das auch wirtschaftlicher Art sein kann (vgl. BSG, Beschluss vom 30.11.1994 - 11 RAr 89/94 - m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund ist die Ermessensentscheidung der Beklagten, der Klägerin die Akteneinsicht zu verwehren, nicht zu beanstanden. Weder hat die Beklagte die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten noch hat sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Als Ermessensfehler kommt nur eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung in Betracht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn die Behörde nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 10/10 R - SozR 4-2700 § 76 Nr. 2).
Keiner dieser Gesichtspunkte liegt hier vor. Rechtsfehlerfrei ist die Beklagte davon ausgegangen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkte den Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses nicht genügen.
Allein die Beauftragung eines Rechtsanwaltes und die Rechtsansicht, ein berechtigtes Interesse sei für die Beteiligten regelmäßig ohne weitere Begründung zu bejahen, stellen kein berechtigtes Interesse dar. Auch der unsubstantiierte Hinweis auf eine rechtliche Prüfung der Unterlagen gerade im Hinblick auf Sekundäransprüche reicht nicht aus. Die Rückführung des Betrages von 11.926,06 EUR aufgrund der Vereinbarung vom 24.06./27.07.2011 ist mit dem Abrechnungsbescheid vom 24.01.2012 bestandskräftig realisiert worden. Erst über ein Jahr später, nämlich unter dem 04.06.2013, ist Akteneinsicht begehrt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Anfechtungsfristen der §§ 121, 124 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für die Anfechtung der Willenserklärung der Klägerin vom 24.06.2011 wegen Irrtums (§ 119 BGB) oder arglistiger Täuschung bzw. widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) verstrichen. Die zwischen den Beteiligten geschlossene Vereinbarung war daher wirksame Grundlage für die entsprechende Honorarbelastung im Abrechnungsbescheid 3/2011 (vgl. zu den Anforderungen an die Rechtswirksamkeit eines Vergleichsvertrages auch LSG NRW, Urteil vom 17.04.2013 - L 11 KA 3/11 -).
Die Bestandskraft dieses Abrechnungsbescheides steht zudem einer Schadensersatzpflicht der Beklagten aus Amtshaftung entgegen, denn nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Rechtsgründe stehen einer Auskehrung der einbehaltenen Honoraranteile an die Klägerin auch dann entgegen, wenn die Klägerin unter Sekundäransprüchen ein sog. "Zugunstenverfahren" verstehen sollte. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts macht eine Kassenärztliche Vereinigung von dem ihr in § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X eingeräumten Ermessen rechtmäßig Gebrauch, wenn sie die Belastung der Gesamtvergütung mit Nachzahlungen für die Vergangenheit so gering wie möglich hält und deshalb regelmäßig bestandskräftige Honorarbescheide nicht für die Vergangenheit zurücknimmt (BSG, Urteil vom 22.06.2005 - B 6 KA 21/04 R - m.w.N.). Angesichts dessen wäre es für die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses erforderlich gewesen, wenigstens im Ansatz schlüssig vorzutragen, aus welchen Gründen eine Akteneinsicht für die Geltendmachung von Sekundäransprüchen dienlich sein sollte.
Die im Klageverfahren nachgeschobenen Gründe für eine Akteneinsicht vermögen Ermessensfehler nicht zu begründen, da es sich insofern um einen Sachverhalt handelt, welcher der Ermessensbetätigung der Beklagten nicht zugrundelag und den sie demgemäß auch nicht bewerten konnte.
Hat die Beklagte somit dem öffentlichen Interesse an der Vertraulichkeit der Akten den Vorzug vor einer Einsichtnahme durch die Klägerin den Vorzug gegeben, ist dies vorliegend nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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