L 6 VS 775/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 VS 1979/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 775/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist nur noch die Gewährung von Versorgungskrankengeld (VKrG) streitig.

Der am 15. Oktober 1958 geborene Kläger leistete nach Abschluss seiner Werkzeugmacherlehre als Soldat auf Zeit Wehrdienst vom 3. April 1978 bis 2. April 1986. Bei der Bundeswehr war er Sportausbilder. Im Rahmen des Weitsprungtrainings schlug er am 11. September 1984 auf den Rücken auf, konnte anschließend 7 Minuten kaum durchschnaufen, anschließend aber sogar nach eigenen Angaben Fußballspielen. Am Nachmittag fuhr er 25 km hin und zurück zu seiner späteren Frau. Am nächsten Morgen stellte er sich schmerzbedingt beim Sanitäter vor, der ihn an den Orthopäden Dr. T. verwies. Dieser stellte einen starken Klopfschmerz des lumbodorsalen Übergangs sowie nach Röntgen eine leichte Kompressionsfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers (LWK) fest. Vom 12. bis 18. September 1984 wurde der Kläger stationär in der H.-Stiftung behandelt, die nur die Diagnose einer schweren Brustwirbel-(BWS)/Lendenwirbelsäule-(LWS)Prellung stellte, da auf den Funktionsaufnahmen keine sichere Fraktur zu erkennen sei. Dem Vorschlag von Dr. T. entsprechend wurde der Kläger dennoch mit einem Gipsmieder versorgt, welches er vier Wochen trug. Nach Entfernung des Gipskorsetts diagnostizierte Dr. T. eine insuffizient gewordene Muskulatur und empfahl eine vorsichtige Übungsbehandlung. Bei erheblicher Beschwerdesymptomatik stellte sich der Kläger am 28. Februar 1985 im Bundeswehrkrankenhaus München 1985 vor, das in Auswertung der 1984 gefertigten Röntgenaufnahmen eine geringe ventrale Höhenminderung beschrieb, die sich mit einer Kompressionsfraktur vereinbaren lasse, was aber nicht sicher verifizierbar sei. In den aktuellen Röntgenaufnahmen lasse sich eine Kompression des LWK nicht feststellen. Bei der Folgeuntersuchung einen Monat später bestand im B.krankenhaus M. keine peripher neurologische Ausstrahlung; die Kräftigung der paravertebralen Muskulatur wurde für sinnvoll erachtet. Im Juni 1985 ließ sich der Kläger erneut in der H.-Klinik untersuchen. Dabei bestanden wiederum keine neurologischen Ausfälle und die aktuelle radiologische Untersuchung zeigte keinen Anhalt für eine stattgehabte LWK-Fraktur. Das Computertomogramm (CT) vom Februar 1986 zeigte keine Hinweise auf knöcherne oder bandscheibenbedingte Einengungen bzw. Residuen frischer Wirbelkörperfrakturen. Anlässlich einer Kieferhöhlenoperation 1987 stellte sich der Kläger in der neurologischen Abteilung vor, wo der neurologische Befund regelrecht war, die somatosensorisch evozierten Potenziale für L5 und S1 waren gleichermaßen unauffällig. Radiologisch fand sich im Bereich der LWS eine deutliche Fehlhaltung mit leichter Kyphosierung im oberen LWS-Bereich. Anlässlich einer weiteren Behandlung in der H.-Klinik 1988 klagte der Kläger über Schmerzen im Bereich der unteren LWS ohne Ausstrahlung in die Beine, die Inklination und Reklination waren endgradig schmerzhaft, für eine stattgehabte LWK-Fraktur sei weder auf den neuesten noch auf den alten Röntgenaufnahmen ein Anhalt gegeben. Die Kernspintomographie der LWS zeigte ein regelrechtes Myelon und keine kernspintomographisch fassbaren signifikanten Auffälligkeiten. Auch Dr. T. stellte daraufhin seine Diagnose einer Fraktur infrage und riet dem Kläger dringend ab, seine Ansprüche gegenüber der Bundeswehr durchzusetzen, er werde mit Sicherheit gutachterlich keinen Erfolg haben. Das CT im Juli 1990 zeigte eine leichte Wölbung der Bandscheibe L4/5 und L5/S1 in den Spinalkanal hinein. Das 2002 gefertigte Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS ergab bei L4/5 eine diskusförmige Protrusion sowie bei L5/S1 einen leichten Prolaps ohne Tankern der Nervenwurzel S1. Im Januar 2003 trat erstmals eine Arbeitsunfähigkeit wegen eines LWS-Syndroms ein, das MRT der LWS zeigte eine fortgeschrittene Osteochondrose LWK5/SWK1 und kräftige Bandscheibenprotrusionen bei L4/5. Das MRT vom Mai 2005 ergab einen subligamentären Bandscheibenprolaps L5/S1 sowie mäßiggradig L4/5. Der Kläger war wegen einer Stenose des Spinalkanals und Rückenschmerzen erneut 2006 arbeitsunfähig mit längerem Krankengeldbezug bis zur Aussteuerung (Bescheinigung des MDK vom 23. November 2009). Er wurde mit Fango und Massage behandelt, dazwische führte er in Eigenregie Krankengymnastik durch. Anlässlich einer stationären Behandlung in der T.-Klinik B. K. im Spätsommer 2009, aus der der Kläger als arbeitsunfähig entlassen wurde, wurden die Röntgenbilder mit dem Ergebnis ausgewertet, die unruhige Deckenblattstruktur könne durchaus zu einer Spondylitis, Diszititis oder einem Morbus Scheuermann passen. Der Kläger könne nicht Schmerzen von Diagnosen, von sozialen Beeinträchtigungen und Kränkungssituationen differenzieren. Der Kläger ist seit 1. Dezember 2011 voll erwerbsgemindert berentet.

Sein Antrag vom März 1984 auf Anerkennung einer chronischen Sinusitis maxillaris und Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG blieb zunächst erfolglos (Bescheid vom 19. Juli 1984). Auf seine Beschwerde wurde er HNO-ärztlich begutachtet, wobei Dr. S. eine chronische Kieferhöhlenentzündung im Sinne einer Verschlimmerung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vom Hundert (v.H.) diagnostizierte.

Auf seinen weiteren Antrag vom September 1984 anerkannte das Wehrbereichsgebührnisamt mit Bescheid vom 22. Juli 1986 eine "verheilte Fissur des ersten Lendenwirbelkörpers", eine MdE um mindestens 25 v.H. habe für wenigstens sechs Monate nicht vorgelegen.

Die Widersprüche gegen beide Bescheide wurden mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 1987 u.a. mit der Begründung zurückgewiesen, die Rückenbeschwerden seien Folge einer vorbestehenden Skoliose.

Mit weiterem Bescheid vom 8. September 1987 anerkannte der Beklagte nunmehr eine "chronische Kieferhöhlenentzündung beiderseits (rechts mehr als links)" im Sinne der Verschlimmerung mit einer MdE unter 25 v.H., die Lendenwirbelfissur sei folgenlos abgeheilt. Der Widerspruch dagegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. März 1988). Im Klageverfahren beim Sozialgericht Augsburg (S 11 V 158/87 SVG) wurde die Klage mit der Begründung abgewiesen, der zum Ausgleich berechtigende MdE-Grad um 25 v.H. werde nicht erreicht. Mit weiterem Urteil vom 17. Juli 1990 (S 11 V 45/88 SVG) verurteilte das Sozialgericht Augsburg den Beklagten, in Abänderung des Bescheides vom 8. September 1987 als WDB-Folge eine "Fissur des ersten Lendenwirbelkörpers" anzuerkennen, und wies im Übrigen die Klage ab, da die Gesamt-MdE unter 25 v. H. liege. Im anschließenden Berufungsverfahren beim B. LSG (L 10 V 130/90 SVG) schlossen die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 7. April 1993 aufgrund des von Dr. M.-T. erstatteten Gutachtens einen Vergleich, wonach als weitere WDB-Folge eine "chronische Lumbago bei medialen Bandscheibenvorfällen auf Höhe LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1" anerkannt wurde. Die darüber hinausgehenden Klagen wurden mit Urteil vom gleichen Tag mit der Begründung abgewiesen, die Sachverständigen (Gutachten Prof. Dr. W. und Dr. F.) seien übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass weder eine MdE von 25 v. H. erreicht noch es zu einer Fissur des 1. LWK gekommen sei. Wegen des Verbots der reformatio in peius verbleibe es jedoch bei der Anerkennung dieser Schädigungsfolge.

Aufgrund eines am 19. August 1996 erlittenen Motorradunfalles auf dem Heimweg von einer Wehrübung beantragte der Kläger im Oktober 1996 die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Bei der Erstversorgung am Unfalltag waren ein Halswirbelsäulen (HWS)-Schleudertrauma, eine Fraktur am linken Zeigefinger, eine Prellung und Hautabschürfungen am rechten Unterarm, eine Prellung am rechten Hüftgelenk und eine Grundgliedfraktur D II rechts diagnostiziert worden. Nach Begutachtung durch Dr. S. stellte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 1997 als WDB-Folgen fest:

1. chronische Kieferhöhlenentzündung beidseits rechts mehr als links 2. Fissur des ersten LWK 3. chronische Lumbago bei medialen Bandscheibenvorfällen auf Höhe LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1 4. Spannungsschmerz im Hinterhaupt-HWS-Bereich 5. Bewegungs- und Gefühlsstörungen des linken Zeigefingers

und zwar zu 2., 4. und 5. hervorgerufen, zu 1. und 3. verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 81 Abs. 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Eine MdE in rentenberechtigendem Grade werde dadurch nicht erreicht. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. August 1998). Die anschließende Klage beim Sozialgericht Ulm wurde, gestützt auf das im Klageverfahren erstattete Gutachten von Dr. R. und das auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholte Gutachten von Dr. S., mit Urteil vom 9. August 2001 abgewiesen (S 2 V 2184/98).

Der 4. Antrag des Klägers auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen einer Zahn-Wurzelentzündung (Backenzahn links oben) mit anschließender Wurzelbehandlung wurde mit Bescheid vom 5. Februar 1999 mit der Begründung abgelehnt, es lägen keine Hinweise dafür vor, dass nachteilige gesundheitliche Folgen einer truppenärztlichen Behandlung, die außerhalb des mit der Behandlung angestrebten Heilerfolges lägen, aufgetreten seien. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2000).

Der 2002 gestellte Antrag auf Neufeststellung des Versorgungsanspruchs wegen Verschlimmerung der Schädigungsfolgen hinsichtlich der Kieferhöhle und der Bandscheiben wurde, gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes R., mit Bescheid vom 15. Juli 2002 abgelehnt. Der Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2002) blieb ebenso erfolglos wie die Klage beim Sozialgericht Ulm (S 4 VS 2807/02, Urteil vom 12. August 2004).

Am 27. August 2009 beantragte der Kläger bei der AOK in O. die Gewährung von VKrG und mit E-Mail vom 28. Januar 2009 unter Hinweis auf das Attest des Orthopäden B. die Überprüfung der Entscheidung über die Anerkennung von WDB-Folgen.

Dr. G. gelangte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme zu der Beurteilung, aufgrund des Attests von dem Orthopäden B. und dem HNO-ärztlichen Gutachten von Dr. S. sei die Anerkennung der Schädigungsfolgen Ziffer 1 und 3 im Sinne der Verschlimmerung nicht als zweifelsfrei unrichtig anzusehen. Die ab 18. August 2009 bestehende Arbeitsunfähigkeit sei nicht mit zumindest annähernd gleichwertiger Bedingung auf die anerkannten Schädigungsfolgen zurückzuführen.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2010 wies der Beklagte den Antrag mit der Begründung zurück, der Erstanerkennungsbescheid in der Fassung vom 10. Oktober 1997 sei nicht unrichtig gewesen. Mit weiterem Bescheid vom 7. Oktober 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Versorgungskrankengeld ab, da die Arbeitsunfähigkeit nicht zu annähernd gleichwertiger Bedingung durch die Schädigungsfolgen verursacht worden sei, sondern vielmehr ihren Ausfluss in entschädigungsunabhängigen Veränderungen der Wirbelsäule habe.

Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheiden vom 27. Dezember 2010 und 28. Dezember 2010 wies der Beklagte die Widersprüche zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 26. Januar 2010 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) zwei getrennte Klagen erhoben (S 9 VS 2002/11, S 9 VS 1979/11).

Das SG hat die Klagen mit Beschluss vom 28. Juli 2011 zur gemeinsamen Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 9 VS 1979/11 verbunden und zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts den behandelnden Orthopäden B. als sachverständigen Zeugen gehört sowie den Kläger anschließend begutachten lassen.

Orthopäde B. hat chronische Rückenschmerzen bei Zustand nach traumatischem Bandscheibenvorfall L5/S1 mit zunehmender Spinalkanalstenose in dem Segment und ein chronisches Schmerzzentrum nach Gerbershagen III zumindest seit Oktober 2008 diagnostiziert. Diese Gesundheitsstörungen seien seines Erachtens auf den im Jahr 1985 geleisteten Sprung aus ca. 5 m Höhe in eine Sandbank zurückzuführen. Die WDB-Folgen seien auch gleichwertige Bedingungen für die ab 18. August 2009 noch weiter bestehende Arbeitsunfähigkeit.

Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. hat in seinem neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischen Gutachten keine aktuellen objektivierbaren Auffälligkeiten der klinisch-neurologischen Untersuchung beschrieben. Es fänden sich keinerlei Atrophien, die Muskulatur erscheine allseits intakt, Lähmungen lägen nicht vor und auch der Reflexstatus sei unauffällig. Lediglich elektrophysiologisch ergäben sich Anhaltspunkte für eine leichte sensible Schädigung der Nervenwurzel L5, korrelierend zum Bild einer linksseitigen Neuraforamenstenose bei LWK 5/SWK 1. Der Kläger leide an einer schmerzhaften Verspannung der globalen Rückenmuskulatur sowie einer leichten globalen Wurzelreizsymptomatik L5 links bei medianem Bandscheibenvorfall L5/S1 und Einengung des linksseitigen Neuraforamens. Anhand des zu eruierenden Unfallmechanismus und der zeitnahen Erstbefunde sei lediglich eine BWS-LWS-Prellung zu sichern. Für eine Fraktur von Wirbelkörpern ergebe sich kein hinreichend sicherer Beleg, der über den "Anfangsverdacht" der radiologischen Erstuntersuchung hinausgehe. Die damals gestellte Verdachtsdiagnose der Fraktur des 1. LWK habe dazu geführt, dass der Kläger über vier Wochen hinweg ein Gipskorsett getragen habe, wodurch die paravertebrale Haltemuskulatur der Wirbelsäule atroph gewesen sei, was in der ersten Zeit nach dem Schädigungsereignis messbare Schädigungsfolgen rechtfertige, wobei eine ein Jahr lang dauernde Rekonvaleszenz nach der medizinischen Erfahrung schon sehr spekulativ erscheine. Zwar könne es bei dem Sturz, wie der betreuende Orthopäde B. mutmaße, ohne dass ihm offenbar Unterlagen aus dieser Zeit vorgelegen hätten, durchaus zu einem Bandscheibenvorfall bei L5/S1 gekommen sein. In diesem Falle wären jedoch Nervenwurzelkompression- oder Reizerscheinungen zeitnah zu fordern, die schlechterdings nach Aktenlage nicht beschrieben würden. Darüber hinaus sei in den ersten Wochen nach dem schädigenden Ereignis stets von einem Druckschmerz im Bereich der oberen LWS die Rede, während die ersichtliche Bandscheibenproblematik die untere Lendenwirbelsäule betreffe. Eine unmittelbare Schädigung im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule sei daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Denkbar sei auch eine mittelbare Schädigung von Bandstrukturen nach Beendigung der Ruhigstellung der Wirbelsäule. Hierfür könne sprechen, dass zumindest zweimalig im Februar und Juni 1985 der Kläger über Schmerzen im Bereich der unteren LWS geklagt habe. Für die folgenden zwei Jahre fänden sich keine diesbezüglichen weiteren Angaben und im Gutachten von Dr. E. sei ausdrücklich vermerkt, dass der Kläger (erst) 1988 "plötzlich starke hexenschussartige Beschwerden in der LWS im Bereich von L 4/5 bekommen habe". Zeitgleich sei auch das erste Kernspintomogramm der LWS erfolgt, das ausdrücklich keine wesentlichen Bandscheibenvorfälle oder -protrusionen beschrieben habe. Solche seien dann erstmals 1990 in Andeutung ersichtlich und hätten sich im weiteren Verlauf bis 2005 verschlimmert. Das entspreche jedoch durchaus der normalen Situation in der Bevölkerung, wonach in der Altersgruppe von 30 bis 40 Jahren bei rund der Hälfte völlig beschwerdefreier Personen lumbale Bandscheibenprotrusionen vorlägen, die in rund 20 % der Fälle sogar die Qualität eines Bandscheibenvorfall hätten. Entsprechend könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden, dass eine Bandverletzung die einzig logische Erklärung sei. Wäre dies tatsächlich der Fall gewesen, so hätte bereits das Kernspin 1988 einen diesbezüglichen Befund zeigen müssen und zusätzlich wäre das beschwerdefreie oder zumindest beschwerdearme Intervall von 1984 bis 1988 kaum erklärbar. Deswegen könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Bandscheibenprobleme bei L4/5 und L5/S1 unmittelbare oder mittelbare WDB-Folgen seien. Ein Spannungsschmerz im Hinterhaupt-HWS-Bereich werde aktuell vom Kläger nicht geklagt. Schließlich bestehe ein Zusammenhang zwischen der ab 2009 vorliegenden Arbeitsunfähigkeit und WDB-Folgen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit.

Der Sachverständige ist auch in Anbetracht der umfangreichen Entgegnung des Klägers bei seiner Einschätzung verblieben.

Mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2014 hat das SG die Klagen nach vorangegangener Anhörung mit der Begründung abgewiesen, nach den gut nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. sei es bei dem Unfall nur zu einer Prellung der Wirbelsäule gekommen, während es für eine Fraktur von Wirbelkörpern und sei es auch nur im Rahmen eines Haarrisses (Fissur) keinen hinreichend sicheren Beleg gebe. In diesem Zusammenhang sei ohne Belang, dass damals das Kernspintomogramm noch nicht Standarduntersuchung gewesen sei, denn nach medizinischer allgemeiner Erfahrung sei eine knöcherne Läsion radiologisch am besten zu erkennen. Allein durch die Ruhigstellung sei es dann zu messbaren Schädigungsfolgen gekommen. Für einen traumatischen Bandscheibenvorfall fehle es an den erforderlichen zeitnahen Nervenwurzelkompressions- und Reizzuständen. Auch eine Bandverletzung hätte 1988 im Kernspintomogramm sichtbar sein müssen, dagegen spreche auch das beschwerdefreie Intervall. Deswegen könnten die chronischen Rückenschmerzen und die Spinalkanalstenose durch Prolaps L4/5 und L5/S1 nicht als weitere WDB-Folge anerkannt werden. Der Bescheid vom 10. Oktober 1997 erweise sich nicht als rechtswidrig. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf VKrG, da es an dem erforderlichen Zusammenhang seiner Arbeitsunfähigkeit begründenden Beschwerden mit Schädigungsfolgen fehle. Insbesondere sei in den bis 1988 vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Ischialgie vermerkt, vielmehr werde in dem Befund im Juli 1985 sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Nervendehnungszeichen (Lasegue) negativ sei. Entsprechende Veränderungen würden nach den ärztlichen Unterlagen erst später dokumentiert

Hiergegen hat der Kläger am 7. Februar 2014 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorgetragen hat, entgegen der Einschätzung des Wehrbereichsgebührnisamtes sei die Verletzung nicht ausgeheilt gewesen, sondern er habe seither immer unter Schmerzen in diesem Bereich gelitten. Deswegen sei 1993 eine chronische Lumbago bei medialen Bandscheibenvorfällen auf Höhe LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1 anerkannt worden. Da er nicht schlechter gestellt werden dürfe, bleibe die Anerkennung der Kompressionsfraktur bestehen. Dies habe der Sachverständige nicht ausreichend beachtet. Aus diesem Grunde müsse auch ein Zusammenhang mit der ab 2009 vorliegenden Arbeitsunfähigkeit anerkannt werden, sodass Anspruch auf VKrG bestehe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Januar 2014 sowie den Bescheid vom 7. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab dem 18. August 2009 Versorgungskrankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 153 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung des Klägers (§§ 143, 144 SGG) ist zulässig, aber unbegründet. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Deswegen hat das SG auch die auf Gewährung eines VKrG gerichtete Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen, da die ab 2009 vorliegende Arbeitsunfähigkeit (AU) nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf Schädigungsfolgen beruht, was der Sachverständige Prof. Dr. Dr. W. zur Überzeugung des Senats zutreffend dargelegt hat.

Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von VKrG richtet sich nach § 80 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Danach erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Die ihm damit auf seinen Antrag zustehende Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Nr. 1 BVG unter anderem auch Heilbehandlung (§§ 10 bis 24a BVG). Dazu gehört auch VKrG i.S. der §§ 16 ff. BVG. Nach dem hier einschlägigen § 16 Abs. 1 Buchst a BVG wird VKrG nach Maßgabe der folgenden Vorschriften u.a. Beschädigten gewährt, wenn sie wegen einer Gesundheitsstörung, die als Folge einer Schädigung anerkannt ist oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht ist, Arbeitsunfähigkeit (AU) im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Nach der Rechtsprechung des BSG zur gesetzlichen Krankenversicherung ist AU gegeben, wenn der Versicherte seine bisherige Erwerbstätigkeit wegen einer Krankheit nicht mehr verrichten kann (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VS 1/09 R - SozR 4-3100 § 16b Nr. 1). Auch bei der entsprechenden Anwendung dieses Grundsatzes im sozialen Entschädigungsrecht ist - bei Fehlen abweichender Regelungen - zu verlangen, dass es sich bei der Tätigkeit, die aus Gesundheitsgründen nicht mehr verrichtet werden kann, um eine Erwerbstätigkeit handeln muss. Bei ehemaligen Soldaten auf Zeit beurteilt sich das Vorliegen von AU im Anschluss an die Dienstzeit grundsätzlich nach der letzten Tätigkeit bei der Bundeswehr, wenn diese als Erwerbstätigkeit anzusehen ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30. September 2009 - B 9 VS 3/09 R - SozR 4-3200 § 82 Nr. 1).

Beim Kläger ist zunächst eine Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden, ob zu Recht, ist, da die Entscheidung bindend geworden ist (§ 77 SGG), ohne Belang. Darunter ist eine gesundheitliche Schädigung zu verstehen, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).

Der Kläger hat während der Ausübung des Wehrdienstes am 11. September 1984 einen bereits mit Bescheid vom 22. Juli 1986 von dem Beklagten anerkannten Unfall im Sinne von § 81 Abs. 1, 2. Alt. SVG erlitten. Zuletzt hat der Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 1997 hinsichtlich dieses Unfallereignisses über die Fissur des ersten LWK hinaus eine chronische Lumbago bei medialen Bandscheibenvorfällen auf Höhe LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1 anerkannt. Diese WDB-Folgen waren indessen nicht ursächlich für die eigentlich seit 2006 fortbestehende Erkrankung.

Der Senat ist in Auswertung der medizinischen Unterlagen und in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W. zu dem Ergebnis gelangt, dass Schädigungsfolgen nicht ursächlich für die noch 2009 weiter bestehende AU in dem Bezugsberuf als Sportausbilder bei der Bundeswehr waren und er deswegen keinen Anspruch auf VKrG hat. Denn die nach Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug fortbestehende AU war nicht in den bislang bekannten Schmerzen begründet, vielmehr hatten diese aufgrund der neu hinzugetretenen Spinalkanalstenose eine andere Qualität genommen, d.h. die nunmehr auftretenden Schmerzen hatten ihre Ursache nicht mehr in den anerkannten WDB-Folgen. Dass richtungsweisend für die AU 2009 die Stenose des Spinalkanals war, entnimmt der Senat dem Schreiben der AOK vom 23. November 2009.

Zwar hat der die AU feststellende Orthopäde B. die Auffassung vertreten, dass allein Schädigungsfolgen ursächlich für die AU waren. Die Richtigkeit dieser Aussage sieht der Senat aber dadurch widerlegt, dass der Kläger seit der Anerkennung des lumbalen Schmerz-Syndroms durch den Beklagten nicht nennenswert AU war, d.h. ihn die Erkrankung nicht in seiner Leistungsfähigkeit limitiert hat. Dies zeigt sich noch heute in der athletischen Konstitution des Klägers, die auch nach Beendigung der Bundeswehr nennenswerte sportliche Aktivitäten belegt. Der Kläger war auch jahrelang zu einer vollschichtigen, überwiegend sitzenden Berufstätigkeit in leitender Funktion in der Lage. Er konnte sogar seinem Hobby Reiten nachgehen, welches stark rückenbelastend ist, was bei starken Dauerrückenschmerzen nicht vorstellbar ist. Fast zehn Jahre musste er dabei keine nennenswerten medizinischen Leistungen in Anspruch nehmen. Daraus schlussfolgert der Senat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W., dass die Schmerzsymptomatik, die von dem Beklagten in Form einer chronischen Lumbago anerkannt worden ist, nur in geringer, keine AU begründenden Ausprägung vorhanden war.

Erst durch das Auftreten der Spinalkanalstenose, die auch bei der Untersuchung von Prof. Dr. Dr. W. die richtungsweisende Diagnose war, ist es dann zum Auftreten erheblicher Schmerzen und in dessen Folge zur längeren AU gekommen. Der Richtigkeit des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. steht zunächst nicht entgegen, dass der Sachverständige dargelegt hat, aus welchen medizinischen Gründen nicht davon ausgegangen werden kann, dass bei dem Unfallereignis vom 11. September 1984 eine Fraktur oder Fissur eines LWK oder ein Bandscheibenvorfall eingetreten ist. Diese medizinische Frage ist unabhängig von der bindenden Anerkennung der WDB-Folgen zu klären, denn die (rechtswidrige) Anerkennung hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass alle geltend gemachten Erkrankungen der Wirbelsäule ebenfalls von dem Beklagten anerkannt werden müssen.

Insofern ist zunächst zu klären, ob die Spinalkanalstenose damals bereits von dem Anerkenntnis der WDB-Folgen mit umfasst ist. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Anerkennungsbescheides vom 10. Oktober 1997 ist dies auch zur Überzeugung des Senats nicht der Fall gewesen.

Nunmehr ist zu prüfen, ob die Spinalkanalstenose durch das anerkannte Schädigungsereignis hervorgerufen worden ist. Das ist indessen nicht der Fall. Der Senat ist in Auswertung der medizinischen Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Spinalkanalstenose nicht auf das Unfallereignis vom 11. September 1984 zurückgeführt werden kann. Der Begriff Spinalkanalstenose bezeichnet eine Verengung des Kanals in der Wirbelsäule, in dem das Rückenmark verläuft; sie ist in der Regel degenerativer Natur. Das CT 1986 hat noch keine solche Enge beschrieben. Im maßgebenden Kernspintomogramm der LWS vom April 1988 war der Spinalkanal pathologisch unauffällig; es fehlten auch durchgängig die typischen neurologischen Ausfallerscheinungen, die mit einer solchen Verengung einhergehen. Zu Recht hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass Nervenwurzelkompressions- oder Reizerscheinungen nach Aktenlage niemals beschrieben wurden. Somit war die Spinalkanalstenose damals nicht aufgetreten und ist somit nicht schädigungsbedingt, sondern erst jetzt aufgetreten, so dass die darauf beruhende AU nicht auf Schädigungsfolgen zurückgeführt werden kann.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG beruht.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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