L 4 KR 1140/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3371/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1140/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Januar 2014 wird verworfen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren L 4 KR 1140/14 wird endgültig auf EUR 5.000,00 festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Herausgabe zweier medizinischer Direktberatungen, die der Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) gegenüber der beklagten Krankenkasse abgab.

Der Kläger ist Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychologischer Psychotherapeut und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seit 23. Mai 2012 behandelte er eine bei der beklagten Krankenkasse Versicherte. Diese hatte im Oktober 2010 eine Basilarisembolie mit Ponsinfarkt links sowie einen Thalamus- und Kleinhirninfarkt erlitten. In der Folgezeit war eine armbetonte Tetraparese sowie eine neurogene Dysphagie, aufgrund der eine plastische Tracheotomie erfolgte, aufgetreten. Sie erhielt deswegen u.a. seit März 2011 Ergotherapie zwei- bis dreimal wöchentlich verordnet. Der MDK vertrat unter dem 27. Mai 2013 anlässlich einer Direktberatung die Auffassung, die Notwendigkeit weiterer Ergotherapie sei nach den aktuellen Unterlagen nicht mehr begründbar. Auf Bitte der Beklagten übersandte der Kläger dieser ihm vorliegende Befundberichte in einem verschlossenen Umschlag zur Weitergabe an den MDK und bat - ebenso wie die Versicherte -, wegen einer spastischen Tetraparese und Tetraplegie nicht näher bezeichnet (R82.49) und einer Dysphagie bei absaugpflichtigem Tracheostoma mit (teilweise) geblockter Trachealkanüle (R13.1) langfristige Heilbehandlungen, auch der Ergotherapie, für zwei Jahre zu genehmigen. Der MDK hielt bei weiteren Direktberatungen am 5. und 17. Juni 2013 die Voraussetzungen für eine langfristige Ergotherapie für gegeben. Mit an die Tochter der Versicherten gerichtetem Bescheid vom 17. Juni 2013, von welchem der Kläger eine Mehrfertigung erhielt, bewilligte die Beklagte daraufhin langfristige Heilmittelbehandlungen für die Versicherte im Zeitraum vom 17. Juni 2013 bis 16. Juni 2014, unter anderem Ergotherapie einmal wöchentlich. Nachdem der Kläger weiterhin um eine Ergotherapie zwei- bis dreimal wöchentlich gebeten hatte, hielt Dr. L., MDK, im sozialmedizinischen Gutachten vom 16. Juli 2013 am Umfang der Ergotherapie einmal wöchentlich fest.

Der Kläger bat die Beklagte, ihm Kopien der Stellungnahmen des MDK zu übersenden (Schreiben vom 21. Juni und 27. August 2013), was seitens der Beklagten nicht erfolgte. Auf Anforderung der Tochter der Versicherten (E-Mail vom 30. August 2013) übersandte die Beklagte dieser das sozialmedizinische Gutachten des Dr. L. vom 16. Juli 2013.

Der Kläger erhob am 2. Oktober 2013 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) und begehrte unter Vorlage des mit der Beklagten, auch mit dem Geschäftsführer der zuständigen Regionaldirektion, geführten Schriftverkehrs, die Herausgabe der beiden Berichte des MDK, "einer datiert vor dem 28. Mai 2013 und einer datiert nach dem 3. Juni 2013, aber vor dem 17. Juni 2013".

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Kenntnis der zwei "Gutachten" des MDK, deren Erhalt er beanspruche, stehe ihm nicht zu.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2014 ab. Der Kläger habe keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch, von der Beklagten Einsicht in die Gutachten des MDK über die Versicherte zu erhalten. Diese Gutachten enthielten zahlreiche Sozialdaten des jeweiligen Versicherten und unterlägen daher dem Sozialgeheimnis des § 35 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Ihre Weitergabe sei deshalb nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften bzw. mit dem Einverständnis der betroffenen Versicherten möglich. Eine Übermittlung für medizinische Zwecke oder zum Zwecke der ärztlichen Behandlung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Eine solche komme nur in Betracht, wenn sich die versicherte Person gegenüber dem MDK oder der Krankenkasse ausdrücklich mit der Weitergabe der entsprechenden Gutachten einverstanden erkläre. Eine solche Erklärung liege hier nicht vor.

Gegen den ihm am 30. Januar 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28. Februar 2014 beim SG Berufung eingelegt. Er hat eine von der Versicherten und deren Tochter unterschriebene Einverständniserklärung vom 20. September 2013 vorgelegt, wonach die Versicherte mit der Übersendung der Befundberichte des "MDK Mannheim" an den Kläger einverstanden sei.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn Kopien der Stellungnahmen des MDK vom 27. Mai und 5. Juni 2013 herauszugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 27. August 2014 der Versicherten Kopien der Stellungnahmen des MDK vom 27. Mai und 5. Juni 2013 übersandt und darauf hingewiesen, die Ergebnisse dieser Direktberatungen seien in dem Gutachten des Dr. L. vom 16. Juli 2013 berücksichtigt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, weil ein Rechtsschutzbedürfnis - zumindest im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat - nicht gegeben ist.

Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Es ist vom Rechtsmittelgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Das Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich zwar im Allgemeinen ohne Weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers (hier des Klägers), der mit seinem Begehren in der vorhergegangenen Instanz unterlegen ist. Jedoch gilt auch für Rechtsmittel der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf (ständige Rechtsprechung z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 28. März 2013 - B 4 AS 42/12 R - und 28. August 2013 - B 6 KA 41/12 R -, beide in juris). An einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt es, wenn eine Klage oder ein Rechtsmittel für den Kläger oder Rechtsmittelführer offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann oder keine Rechte, rechtlichen Interessen oder sonstigen schutzwürdigen Belange des Klägers oder Rechtsmittelführers betroffen sind (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 8. Mai 2007 - B 2 U 3/06 R - und 24. April 2008 - B 9/9a SB 8/06 R -, beide in juris). Das Rechtsschutzinteresse an einer vom vermeintlichen Inhaber des behaupteten Anspruchs erhobenen Leistungsklage fehlt, wenn besondere Umstände vorliegen, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 35/12 R -, in juris).

Es ist nicht erkennbar, zu welchem Zweck der Kläger die Kopien der von ihm verlangten Direktberatungen benötigt. Falls er der Auffassung sein sollte, die Beklagte habe der Versicherten Ergotherapie in zu geringem Umfang (nur einmal wöchentlich statt zwei- bis dreimal wöchentlich) bewilligt, kann er selbst dies nicht in einem Rechtsstreit gegen die Beklagte geltend machen, sondern allein die Versicherte. Er kann gegebenenfalls der Versicherten für deren Rechtsbehelfe gegen den Bewilligungsbescheid der Beklagten Argumentationshilfe geben. Zudem ist zwischenzeitlich der Bewilligungszeitraum (17. Juni 2013 bis 16. Juni 2014) abgelaufen, so dass nicht mehr erkennbar ist, welches Interesse an einer Überprüfung dieser Bewilligung von Ergotherapie einmal wöchentlich statt zwei- bis dreimal wöchentlich bestehen soll. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gewährleistet nicht, dass die Gerichte generell auch dann noch weiter in Anspruch genommen werden können, um Auskunft über die Rechtslage zu erhalten, wenn damit aktuell nichts mehr bewirkt werden kann, sondern nur bei Vorliegen eines in besonderer Weise schutzwürdigen Interesses (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99 u.a. -, in juris).

Wenn der Kläger mit seiner Klage und seiner Berufung den Zweck verfolgen sollte, eine aus seiner Sicht fehlerhafte Arbeitsweise des MDK allgemein überprüfen zu lassen, sind keine rechtlichen Interessen des Klägers für eine solche Überprüfung erkennbar. Rechtsschutz kann nur erhalten, wer behauptet, in eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl. § 54 Abs. 2 SGG). Ein Einzelner kann eine Klage oder ein Rechtsmittel nicht nur führen, um sich zum Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit am korrekten Vollzug der Gesetze zu machen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 35/12 R -, a.a.O.).

Schließlich kann der Kläger zwischenzeitlich auf einfachere Weise die begehrten Direktberatungen des MDK erhalten. Denn während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die begehrten Direktberatungen des MDK der Versicherten übersandt. Der Kläger kann diese nunmehr unmittelbar bei der Versicherten anfordern. Dies entspricht auch dem allgemeinen Grundsatz des § 67a Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), dass Sozialdaten in erster Linie beim Betroffenen (hier der Versicherten) zu erheben sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren L 4 KR 1140/14 auf EUR 5.000,00 (so genannter Auffangstreitwert) beruht auf § 197a Abs. 1 SGG und §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 sowie § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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