L 18 AS 2767/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 194 AS 7644/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2767/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2013 geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme weiterer Unterkunftskosten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) aufgrund einer Nebenkostennachforderung für die Wohnung der Kläger in Höhe von 335,48 EUR.

Die 1980 bzw. 1964 geborenen und aus dem Libanon stammenden Kläger zu 1. und 2. sowie ihre 1993, 1995, 2002, 2004 geborenen Kinder, die Kläger zu 3. bis 6., standen langjährig im laufenden SGB II-Leistungsbezug. Seit 2003 bewohnen sie die im Rubrum bezeichnete, 98,75 qm große 4-Zimmerwohnung zu einer ursprünglichen Gesamtmiete in Höhe von 721,89 EUR. Die Gesamtmiete betrug im Kalenderjahr 2010 935,18 EUR und seit dem 1. Dezember 2011 962,45 EUR. Nach einer Gewerbeummeldung vom 20. Juni 2011 betrieb der Kläger zu 2. den von ihm zuvor bereits als Nebenerwerb ausgeübten Handel mit gebrauchten Fahrzeugen seit Juni 2011 als Haupterwerb und erzielte daraus Einkommen, und zwar seinen Angaben zufolge im Juli 2010 in Höhe monatlicher Überschüsse von 50 EUR und 134,82 EUR im Dezember 2010 bzw. mit Verlusten (im August und September 2010).

Nach einer entsprechenden Kostensenkungsaufforderung deckelte der Beklagte die Leistungen der Kläger für Unterkunftskosten seit dem 1. Juli 2009 auf monatlich insgesamt 755 EUR. Für die Zeit von Januar bis Juni 2010 und von Juli bis Dezember 2010 (Bescheid vom 28. Juni 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Dezember 2011) zahlte er ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, und zwar unter Berücksichtigung abgesenkter Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) von monatlich 755 EUR und von Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 773 EUR.

Die Vermietungsgesellschaft der Kläger errechnete am 28. Oktober 2011 aufgrund der Heizkostenabrechnung 2010 zugunsten der Kläger ein Guthaben in Höhe von 8,71 EUR und mit der Nebenkostenabrechnung vom 31. Oktober 2011 zu ihren Lasten eine Nachforderung von Betriebskosten in Höhe von 329,84 EUR sowie von Aufzugskosten in Höhe von 14,35 EUR. Ausweislich der Umlagenabrechnung vom 31. Oktober 2011 hätten die Kläger eine zum 1. Dezember 2011 fällige Gesamtnachzahlung in Höhe von 335,48 EUR zu leisten.

Mit Bescheid vom 27. Februar 2012 lehnte der Beklagte die Übernahme von Nebenkosten aufgrund der Umlagenabrechnung für 2010 in Höhe von 335,48 EUR bzw. nach einer Zahlungserinnerung der Vermietungsgesellschaft vom 19. Januar 2012 in Höhe von 390,02 EUR ab mit der Begründung, die Miete sei ab 1. Juli 2009 auf die angemessenen KdU von 755 EUR abgesenkt worden. Ab diesem Datum könnten keine Nachzahlungen mehr aus Betriebs- und Heizkostenabrechnungen berücksichtigt werden. Die Kläger erhoben hiergegen Widerspruch.

Mit Bescheid vom 8. März 2012 gewährte der Beklagte den Klägern nach zunächst nur vorläufigen Bewilligungen für den Zeitraum vom 1. September 2011 bis 31. Dezember 2011 endgültig monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 1.718 EUR (davon KdU: 755 EUR) unter Berücksichtigung von Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 773 EUR. Erwerbseinkommen berücksichtigte der Beklagte nicht, nachdem der Kläger zu 2. unter Vorlage seiner Einnahmen-/Überschussrechnungen für die Zeit von Juli bis Oktober 2011 ausschließlich Verluste angegeben hatte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Kosten der Kläger für Unterkunft und Heizung seien bereits mit Wirkung zum 1. Juli 2009 auf den nach den Ausführungsvorschriften zur Durchführung des § 22 SGB II (AV-Wohnen) für einen 6-Personen-Haushalt angemessenen Betrag in Höhe von 755 EUR monatlich abgesenkt worden. Die Übernahme der Nebenkostennachzahlung für eine Zeit, in denen nur noch der angemessene Mietzins berücksichtigt wurde, komme nicht in Frage.

Auf ihre am 21. März 2012 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 20. September 2013 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2012 verurteilt, den Klägern für Dezember 2011 weitere KdU in Höhe von 217,44 EUR aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2010 vom 31. Oktober 2011 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Kläger hätten den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Übernahme weiterer Kosten der Unterkunft begrenzt. Sie hätten wegen einer Änderung der Verhältnisse mit dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Betriebskostennachforderung 2010 für Dezember 2011 einen Anspruch auf höhere KdU, und zwar in Höhe der angemessenen Kosten. Abstrakt angemessen seien im Jahr 2010 für einen 6-Personen-Haushalt eine Bruttokaltmiete bis 662,20 EUR sowie monatliche Heizkosten bis zu 110,92 EUR, also insgesamt 773,12 EUR gewesen. Nachdem der Beklagte für 2010 lediglich KdU in Höhe von 755 EUR gewährt hätte, sei den Klägern für das Jahr 2010 die Differenz in Höhe von 217,44 EUR nachzuzahlen. Dem stehe wegen der nachträglichen Änderung der Verhältnisse auch nicht die Rechtskraft der Bewilligungsbescheide für 2010 entgegen.

Gegen das dem Beklagten am 26. September 2013 zugestellte Urteil richtet sich seine vom SG zugelassene Berufung vom 18. Oktober 2010. Er macht geltend, Voraussetzung für die Übernahme einer Heiz- und Betriebskostennachzahlung sei, dass in dem Zeitraum, auf den sich die Umlagenabrechnung beziehe, die tatsächlichen und nicht nur die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt worden seien. Sämtliche Leistungsbescheide, die sich auf den Leistungszeitraum 2010 bezögen und mit denen lediglich die aus seiner Sicht angemessenen KdU bewilligt worden seien, seien bestandskräftig geworden. Es sei unzulässig, über den "Umweg" der Umlagenabrechnung die Angemessenheit der KdU nach dem "Richterkonzept" in Abrede zu stellen, zumal Leistungsempfänger, die keine Nachzahlung zu leisten hätten, nicht entsprechend begünstigt werden könnten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2013 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom SG zugelassene und auch im Übrigen zulässige, insbesondere nach entsprechender Auslegung der Berufungsschrift auch hinsichtlich sämtlicher Kläger fristgemäße Berufung des Beklagten, ist begründet.

Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, den Klägern für Dezember 2011 höhere KdU zu zahlen. Die mit der kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage i.S.v. § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – angefochtenen Bescheide, wobei der endgültige Bewilligungsbescheid vom 8. März 2012 gemäß § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden ist, sind vielmehr rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Das Urteil des SG war mithin zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Gegenstand des Rechtstreits sind ausschließlich höhere KdU, weil die Kläger mit ihrem Klageantrag den Streitstoff ausdrücklich hierauf beschränkt haben (zur Zulässigkeit einer derartigen Beschränkung siehe schon BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R – juris Rn 18). Der Höhe nach ist die Prüfung auf 217,44 EUR beschränkt, nachdem die Kläger keine Berufung eingelegt haben, das Urteil des SG mithin, soweit es die Klage abgewiesen hat, in Rechtskraft erwachsen ist.

Grundsätzlich richtet sich die Frage, ob Leistungsempfängern aufgrund einer fälligen Betriebskostennachforderung höhere KdU zustehen, nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Insoweit ist der Anspruch auf KdU dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (vgl BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R – juris Rn 12). Die Kläger haben danach jedoch, anders, als vom SG entschieden worden ist, keinen Anspruch auf höhere Leistungen.

Aufgrund der im Dezember 2011 fälligen Nachforderung von Mietnebenkosten liegt bereits keine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen der Kläger vor, die beim Erlass des endgültigen Bewilligungsbescheides vom 8. März 2012 vorgelegen haben. Insoweit erfasst zwar der in § 22 Abs. 1 SGB II geregelte Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 – B 7b AS 40/06 R – juris Rn 9). Nachforderungen gehören aber zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat, hier im Dezember 2011 (vgl. BSG, Urteile vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R – aaO Rn 13 und vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 9/11 R – juris Rn 14). Der – endgültige und damit die vorhergehenden und damit erledigten vorläufigen Bewilligungen ersetzende - Bescheid vom 8. März 2012 für den Zeitraum vom 1. September 2011 bis 31. Dezember 2011 umfasst diesen Zeitraum, so dass es, nachdem dieser Bescheid Gegenstand des Vorverfahrens gemäß § 86 SGG geworden ist, allein darauf ankommt, ob der Bescheid rechtswidrig ist, weil die Kläger einen Anspruch auf höhere KdU-Leistungen haben. Dies ist indes nicht der Fall. Voraussetzung wäre, dass die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung in neuer Höhe unter Berücksichtigung der Betriebskostennachforderung zu bemessen gewesen wären, dh der Bewilligungsbescheid vom 8. März 2012 so nicht mehr hätte erlassen werden dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R – aaO Rn. 15).

Zwar kann dies nicht mit der Argumentation verneint werden, die Kläger hätten im Dezember 2011 keine höheren Leistungen für Unterkunft und Heizung beanspruchen können, weil ihnen zu diesem Zeitpunkt lediglich Leistungen in abgesenkter Höhe zustanden. Denn aus der Zuordnung des Bedarfs zum Bewilligungszeitraum der Fälligkeit der Nachforderung folgt nicht, dass auch die Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten nach den Verhältnissen im Fälligkeitsmonat zu beurteilen wäre. Vielmehr bestimmen sich Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs allein nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums, dem die fragliche Forderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen ist, hier dem Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2010 (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 12/10 R – juris Rn 16 f). Nur eine derartige Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II wird der den Vorschriften innewohnenden Schutzfunktion gerecht. Hierfür spricht auch die Überlegung, dass der Leistungsberechtigte – wie hier die Kläger – allein in diesem Zeitraum die Unterkunfts- und Heizungskosten im Sinne seiner Obliegenheit zur Kostensenkung hätten beeinflussen können (vgl. BSG, aaO Rn 17).

Den Klägern stehen jedoch nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2010 keinen höheren KdU-Leistungen zu. Zwar bezogen sie im Zeitraum der tatsächlichen Entstehung der Aufwendungen sowie im Übrigen auch dem der Fälligkeit der Nachforderung ununterbrochen SGB II-Leistungen. Offenbleiben kann insoweit, ob die Kläger tatsächlich hilfebedürftig gemäß §§ 7 Abs. 1, 9, 19 Satz 1, 22 SGB II waren, woran erhebliche Zweifel bestehen. Denn obgleich sie seit Juli 2009 nur noch um mehr als 200 EUR im Monat abgesenkte KdU vom Beklagten erhielten, war es für sie offenbar aus finanziellen Gründen bisher nicht notwendig, eine kostengünstigere Wohnung zu beziehen, wie daraus erhellt, dass Mietschulden bis Januar 2012 nicht in nennenswerter Höhe entstanden sind (Rückstand im Mieterkonto per 19. Januar 2012 nur 390,02 EUR). Insoweit ist nicht plausibel, dass der Kläger zu 2., der gewerblich Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen betreibt, regelmäßig nur ein anrechenbares Einkommen unterhalb des Freibetrages von 100 EUR erwirtschaftet haben will.

Nach den Verhältnissen des Jahres 2010, die, wie ausgeführt, für Grund und Höhe des Anspruchs auf KdU maßgeblich sind, können die Kläger jedoch keine höheren KdU-Leistungen beanspruchen, weil der Beklagte nach Durchführung eines Kostensenkungsverfahrens bereits seit Juli 2009 und insofern auch für das gesamte Jahr 2010 die den Klägern zu gewährenden monatlichen KdU bestandskräftig auf eine Gesamthöhe von 755 EUR monatlich abgesenkt hatte (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Nachdem die Kläger während der grundsätzlich sechsmonatigen Schonfrist im Anschluss an eine, wie hier, wirksame Kostensenkungsaufforderung (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 9/11 R – juris Rn 15, 18) ihre Unterkunftskosten nicht auf einen angemessenen Rahmen gesenkt und auch nichts Konkretes dafür vorgetragen haben, dass es ihnen nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, ihre KdU zu reduzieren (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2013 – L 18 AS 1218/12 – juris Rn 24), stand ihnen für das Jahr 2010 aufgrund der mangels Anfechtung die Beteiligten bindenden Einzelfallregelungen kein Anspruch auf Übernahme höherer KdU als 755 EUR mehr zur Seite.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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