L 9 KR 63/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 Kr 855/97
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 63/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Krankengeldes.

Die Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie war vom 1. Dezember 1994 bis zum 19. Januar 1996 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte gewährte ihr nach dem Ende der Entgeltfortzahlung durch ihren Arbeitgeber ab 12. Januar 1995 Krankengeld, dem sie ein kalendertägliches Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 67,70 DM zugrunde legte. Diesen Betrag berechnete sie nach einer Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers der Klägerin vom 5. Januar 1995, nach der die Klägerin im September 1994 4.101,70 DM brutto/2.031,02 DM netto, im Oktober 1994 5.210,22 DM brutto/2.341,43 DM netto und im November 1994 5.167,14 DM brutto/2.265,91 DM netto an Arbeitsentgelten erhalten hatte. Die Berechnung der Nettoentgelte erfolgte auf der Grundlage der der Klägerin auf ihrer Lohnsteuerkarte bescheinigten Lohnsteuerklasse V.

Mit Schreiben vom 15. Februar 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr weiteres Krankengeld rückwirkend für den Zeitraum vom 12. Januar 1995 bis zum 19. Januar 1996 auf der Grundlage eines kalendertäglichen Nettoarbeitsentgeltes von 93,74 DM entsprechend der von ihr inzwischen gewählten Steuerklasse IV - insgesamt 8.349,33 DM - zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 1997 ab. Dem Widerspruch der Klägerin half sie mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 1997 teilweise ab, indem sie der Krankengeldzahlung ein kalendertägliches Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 73,76 DM zugrunde legte; im Übrigen wies sie den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass Berechnungsgrundlage für das ab Januar 1995 zu zahlende Krankengeld das in den Monaten September bis November 1994 erzielte Arbeitsentgelt, begrenzt auf das Nettoarbeitsentgelt nach den Angaben des Arbeitgebers gewesen sei. Hiernach sei das Krankengeld unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen kalendertäglichen Nettoarbeitsentgeltes in Höhe von 73,76 DM (6.638,36: 90 = 73,76) abzüglich der Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen gewesen. Eine rückwirkende Änderung der Steuerklasse von V nach IV könne bei der Krankengeldberechnung keine Berücksichtigung finden. Berechnungsgrundlage für das Krankengeld sei das vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich erzielte Brutto- und Nettoarbeitsentgelt.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 20. Mai 1998 im Wesentlichen aus den Gründen des Widerspruchsbescheides abgewiesen. Der Berechnung des Krankengeldes könne ein höheres Nettoarbeitsentgelt nicht zugrunde gelegt werden. Denn eine fiktive Berechnung eines Nettoarbeitsentgeltes unter Zugrundelegung der günstigsten Steuerklasse sei rechtlich nicht möglich.

Gegen das ihr am 4. August 1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. August 1998 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Das Sozialgericht habe bei der Berechnung des Krankengeldes das die Höhe des Krankengeldes begrenzende Nettoarbeitsentgelt falsch ermittelt. Denn es komme nicht darauf an, in welcher Höhe das Nettoarbeitsentgelt tatsächlich gezahlt worden sei. § 47 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch -SGB V- treffe zur genauen Ermittlungsmethode keine ausdrückliche Aussage. Sie habe deshalb einen Anspruch auf Krankengeld durch am Bruttolohn orientierte Beiträge erworben und könne daher auch eine Auszahlung des Krankengeldes, orientiert am Bruttolohn, d.h. unter Zugrundelegung der günstigsten für sie zur Verfügung stehenden Steuerklasse, verlangen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Mai 1998 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 1997 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 12. Januar 1995 bis zum 19. Januar 1996 weiteres Krankengeld in Höhe von 6.381,69 DM zu gewähren, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beruft sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt des sozialgerichtlichen Urteils und der ablehnenden Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die die Krankengeldzahlung an die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht ein höheres Krankengeld für den Zeitraum vom 12. Januar 1995 bis zum 19. Januar 1996 nicht zu; die dieses Begehren ablehnenden Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen sie nicht in ihren Rechten.

Nach § 47 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung beträgt das Krankengeld 80 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgeltes und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Krankengeld darf das bei entsprechender Anwendung des Abs. 2 berechnete Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Das Regelentgelt wird nach den Absätzen 2, 4 und 6 berechnet. Das Krankengeld wird für Kalendertage gewährt. Ist es für einen ganzen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen.

Ist das Arbeitsentgelt nach Monaten bemessen, gilt der 30. Teil des im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonat erzielten und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt (§ 47 Abs. 2 Satz 3 SGB V). Für abhängig Beschäftigte wird bei schwankendem Arbeitsentgelt für die Berechnung des Regelentgelts das Arbeitsentgelt in den letzten drei vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträumen herangezogen (§ 47 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 29 Abs. 4 der Satzung der Beklagten).

Danach ist die Krankengeldberechnung, wie sie sich aus dem angefochtenen Widerspruchsbescheid ergibt, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte durfte der Berechnung des Krankengeldes die letzten drei Monate vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, das sind September bis November 1994, zugrunde legen, weil das Arbeitseinkommen der Klägerin in dieser Zeit schwankte. Da das der Klägerin gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V zustehende Krankengeld in Höhe von 80 v.H. des Bruttoarbeitsentgeltes das erzielte Nettoarbeitsentgelt überstiegen hätte, war letzteres zur Berechnung des Krankengeldes heranzuziehen. Die Summe der Nettoarbeitsentgelte für die Monate September bis November 1994 betrug insgesamt 6.638,36 DM, der kalendertägliche Betrag danach 73,76 DM.

Dem hält die Klägerin zu Unrecht entgegen, dass der Berechnung die auf der Steuerkarte 1994 bestimmte Lohnsteuerklasse V und nicht die günstigere Steuerklasse IV zugrunde gelegt worden sei. Maßgeblich für die Berechnung des Krankengeldes sind die tatsächlichen Verhältnisse des Bemessungszeitraumes vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1977 USK 7750). Der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ist zentraler Zeitpunkt für den Anspruch auf Krankengeld. Dieser Zeitpunkt ist auch Endzeitpunkt der zu berücksichtigenden Lohnsituation, an der das Krankengeld als Lohnersatzleistung ausgerichtet wird. Das maßgebliche Nettoarbeitsentgelt ergibt sich danach aus dem, was der Versicherte vor diesem Zeitpunkt zuletzt nicht nur vorübergehend verdient hat - also aus seinen letzten, bereits durch Abrechnung manifestierten Lohnverhältnissen (BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr. 99).

Entgegen der Auffassung der Klägerin findet dies im Wortlaut des Gesetzes seinen Niederschlag und ergibt sich darüber hinaus aus Sinn und Zweck des Krankengeldes. Denn § 47 Abs. 1 bis 3 SGB V knüpfen zur Bestimmung des maßgeblichen Arbeitseinkommens an das erzielte (Netto-)Arbeitsentgelt an. Zur Bestimmung dieses Begriffes kann es offen bleiben, ob ein Arbeitsentgelt bereits dann erzielt ist, wenn alle Voraussetzungen für die Auszahlung an den Arbeitnehmer erfüllt sind. Jedenfalls ist es spätestens dann erzielt, wenn der Arbeitnehmer nach seiner eigenen Bestimmung frei darüber verfügen kann (vgl. BSG SozR 4100 § 44 Nr. 10). Damit ist ein Arbeitsentgelt nicht im Bemessungszeitraum erzielt worden, wenn es nicht bis zum Ende dieses Zeitraumes in die Verfügungsgewalt des Arbeitnehmers gelangt ist. Darüber hinaus ist derjenige Teil des Arbeitsentgeltes nicht im Bemessungszeitraum erzielt worden, der nach dem Ende dieses Zeitraumes durch in ihn zurückwirkende, den Versicherten begünstigende Veränderungen der Grundlagen für die Berechnung des Nettoarbeitsentgeltes zwar im wirtschaftlichen Endergebnis zu dessen Erhöhung führt, effektiv dem Versicherten aber erst nach Beendigung des Bemessungszeitraumes zufließt (BSG, Urteil vom 30. Mai 1978 USK 7855). Das Bundessozialgericht hat deshalb in ständiger Rechtsprechung spätere rückwirkende Veränderungen im Entgelt und in den Abzügen etwa infolge einer Steuererstattung im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs oder der Veranlagung zur Einkommensteuer nicht als im Bemessungszeitraum erzieltes Arbeitsentgelt angesehen (BSG SozR 2200 § 1241 Nrn. 3 und 4). Nur eine solche Auslegung des Rechtsbegriffes des „erzielten“ (Netto-) Arbeitsentgeltes trägt der Funktion des Krankengeldes als Lohnersatz und der Notwendigkeit, über seine Gewährung schnell zu entscheiden, hinreichend Rechnung. Das Krankengeld tritt für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit an die Stelle des vorher vom Versicherten selbst erzielten Erwerbseinkommens und soll ihm die Beibehaltung seines unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit innegehabten Lebensstandards ermöglichen. Dieser wird bei dem versicherungspflichtig Beschäftigten entscheidend von der Höhe des tatsächlich verfügbaren Erwerbseinkommens geprägt. Rückwirkende Erhöhungen des Einkommens können typischerweise den Lebensstandard während eines in der Vergangenheit liegenden Zeitraums nicht mehr beeinflussen. Vielmehr wirken sie sich hierauf erst in dem späteren Zeitpunkt der effektiven Verfügbarkeit über den Erhöhungsbetrag aus. Dieser kann somit nicht als in einem der Vergangenheit angehörenden, abgeschlossenen Zeitraum als „erzielt“ angesehen werden (BSG USK 7855).

Die Berufung musste deshalb ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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