L 2 U 319/00

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 U 319/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 20.10.2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.1.1999 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Unfall des Klägers vom 25.4.1998 als Arbeitsunfall zu entschädigen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Verkehrsunfall des Klägers vom April 1998 die Voraussetzungen eines versicherten Arbeitsunfalls erfüllt.

Der 1940 geborene, in W wohnhafte Kläger ist als selbständiger Rechtsanwalt in F tätig (Entfernung von der Wohnung zur Kanzlei: 20,80 km). Er ist bei der Beklagten freiwillig gegen Arbeitsunfall versichert.

Am 30.3.1998 erhielt der Kläger die Anklageschrift für einen Mordprozess, in dem er die Verteidigung übernommen hatte. Die Verhandlung dieses Verfahrens sollte im Juni 1998 vor dem Schwurgericht in M beginnen. Zu den Prozessunterlagen gehörten nach Angaben des Klägers über 50 Leitzordner. Der Kläger rechnete seinen Angaben zufolge mit einer Verhandlungsdauer von mindestens neun Monaten.

In der Zeit vom 11. bis 25.4.1998 hielt sich der Kläger in Bad G auf und wohnte dort im Hotel "K L". Er bereitete sich dort auf das Schwurgerichtsverfahren vor.

Der Kläger leidet an den Folgen einer im Alter von sieben Jahren erlittenen Oberschenkelamputation mit Phantomschmerzen sowie an Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwerden. Während seines Aufenthalts in Bad G wurden bei ihm Fango-, Massage- und Krankengymnastik- sowie Thermalbäderbehandlungen durchgeführt. An fünf Tagen fand eine neuraltherapeutische Behandlung zur Linderung der auf orthopädischem Gebiet beim Kläger bestehenden Beschwerden statt.

Am 25.4.1998 begab sich der Kläger um 5.00 Uhr auf die Rückreise von Bad G aus, seinen Angaben zufolge, um in seine Kanzlei nach F zu gelangen (Entfernung: 459,30 km). Auf der Autobahn in der Nähe von R wurde er mit seinem Pkw in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er sich schwere Verletzungen zuzog.

Der Kläger gab an, er habe die Vorbereitung auf den Mordprozess in Bad G durchgeführt, weil er sich gesundheitlich vor der außerordentlich anstrengenden und nervenbelastenden Hauptverhandlung in einen guten Zustand habe versetzen wollen und eine solch sorgfältige Vorbereitung ohne Störungen in der Kanzlei nicht möglich gewesen sei. Er habe in Bad G täglich mindestens fünf bis sechs Stunden der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung gewidmet. Bei diesem Ort handele es sich um einen Thermalkurort, den er schon häufig aufgesucht habe und wo er sich in vertrauter ärztlicher Behandlung befunden habe. Er habe die gesundheitliche Vorsorge mit der beruflichen Tätigkeit gekoppelt.

Mit Bescheid vom 13.11.1998 lehnte es die Beklagte ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung hieß es: Da der Aufenthalt in Bad G sowohl privaten als auch betrieblichen Interessen gedient habe, sei die Rückfahrt als gemischte Tätigkeit zu qualifizieren. Derartige Tätigkeiten unterfielen nur dann dem Versicherungsschutz, wenn sie dem Unternehmen wesentlich dienten. Dies sei vorliegend zu verneinen. Eine Vorbereitung auf den Mordprozess sei auch in Wohnortnähe möglich gewesen.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 19.1.1999 zurückgewiesen.

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger ua vorgetragen: Er wäre keinesfalls zu diesem Zeitpunkt und zusätzlich noch allein (ohne seine Ehefrau) nach Bad G gefahren, wenn er sich nicht auf das Schwurgerichtsverfahren hätte vorbereiten müssen. Bei früheren Aufenthalten in diesem Ort sei er immer von seiner Ehefrau begleitet worden.

Das Sozialgericht (SG) hat eine Auskunft des Arztes für Allgemeinmedizin Dr S aus Bad G vom März 1999, einen Befundbericht des Orthopäden Dr D aus F sowie Erkrankungsverzeichnisse der Signal-Versicherungen eingeholt.

Durch Urteil vom 20.10.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe bei der zum Unfall führenden Fahrt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Bei der Fahrt habe sich um eine "gemischte Tätigkeit" gehandelt , die unversichert sei. Auch wenn der Aufenthalt in Bad G überwiegend der Vorbereitung auf den Strafprozess gedient habe, habe auf der Hin- und Rückfahrt zu diesem Ort kein Versicherungsschutz bestanden. Ein solcher wäre nur gegeben gewesen, wenn die Wahl des Aufenthaltsorts wesentlich durch betriebliche Interessen begründet gewesen wäre. Dies sei aber nicht der Fall. Dafür sei von Bedeutung, dass der Kläger nicht nach Bad G gefahren wäre, wenn er keine privaten Beweggründe für den Aufenthalt in dem Kurort gehabt hätte. Wenn ein Versicherter einen Aufenthaltsort für seine Tätigkeit frei wähle, der selbst in keinerlei bestimmter Beziehung zur betrieblichen Tätigkeit stehe, könne er bei der Anreise nur dann unter Versicherungsschutz stehen, wenn die Entfernung in einem angemessenen Verhältnis zur Entfernung des nächsten, für die Verfolgung der betrieblichen Interessen geeigneten Ortes stehe. Anderenfalls würde das durch die gesetzliche Unfallversicherung abzudeckende Risiko unverhältnismäßig ausgedehnt, ohne dass für die Wahl des konkreten Aufenthaltsortes selbst betriebliche Gründe maßgebend wären. Die lange Fahrt nach Bad G habe nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zur Entfernung zum nächsten Ort, an dem die betrieblichen Zwecke hätten erreicht werden können, gestanden. Zwar könne auch ein Weg nach dem Ort der versicherten Tätigkeit von einem "dritten Ort" aus versichert sein. Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertige indes vorliegend nicht die Annahme des Versicherungsschutzes, weil die lange Wegstrecke von Bad G zur Kanzlei gegenüber derjenigen von der Wohnung des Klägers in W aus nach F mehr als das Zwanzigfache betragen habe.

Gegen dieses ihm am 13.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 16.11.2000 beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung des Klägers.

Der Kläger trägt vor: Ihm habe es aufgrund seiner anwaltlichen Gestaltungsfreiheit zugestanden, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Zu beachten sei, dass eine gemischte Tätigkeit unter Versicherungsschutz stehe, wenn die Tätigkeit wesentlich betrieblichen Zwecken diene. Dabei genüge es, dass das Handeln im Interesse der versicherten Tätigkeit nicht lediglich Nebenzweck sei. Wenn er sich nicht auf den Schwurgerichtsprozess hätte vorbereiten müssen, wäre er nicht nach Bad G gefahren. Die Auswahl des Hotels sei geeignet gewesen, Störungen durch den Kanzleibetrieb (Telefonanrufe, Kontakt mit Kollegen und Angestellten) zu vermeiden. Hinsichtlich des Kurhotels in Bad G habe er mit nahezu 100%iger Sicherheit davon ausgehen können, dass er sich ruhig und ungestört auf den Prozess habe vorbereiten können. Hätte er sich in einem anderen Hotel eingemietet, wäre die Gefahr von Störungen (zB Hellhörigkeit, Bauarbeiten oä) größer gewesen. Außerdem sei leicht nachvollziehbar, dass er sich in vertrauter Umgebung wohler gefühlt habe. Er habe in Bad G mehr Zeit für seine berufliche Tätigkeit als für private Zwecke verbracht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Mainz vom 20.10.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.1.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Verkehrsunfall vom 25.4.1998 als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Das angefochtene Urteil sei zutreffend. Auch wenn der Kläger während seines Aufenthalts in Bad G berufliche Tätigkeiten ausgeführt habe, habe die Rückfahrt von Bad G nicht unter Versicherungsschutz gestanden, weil er die Vorbereitung auf die Schwurgerichtssache wohnortnäher hätte erledigen können.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft (StA) Regensburg sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f., 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist begründet. Im Gegensatz zur Auffassung des SG stellt der Unfall des Klägers vom 25.4.1998 einen versicherten Arbeitsunfall (§ 8 des 7. Buchs des Sozialgesetzbuchs –SGB VII-) dar.

Der Kläger war als Unternehmer gemäß § 6 SGB VII freiwillig gegen Arbeitsunfall versichert. Solche freiwillig versicherte Unternehmer stehen bei Tätigkeiten unter Unfallversicherungsschutz, bei denen ein enger Zusammenhang mit dem Unternehmen gegeben ist (BSG SozR 2200 § 548 Nr 47). Dies war vorliegend in Bezug auf den Aufenthalt in Bad G der Fall.

Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Aufenthalt des Klägers in Bad G wesentlich durch den versicherten Tätigkeitsbereich als Rechtsanwalt bestimmt war. Seinen glaubhaften Angaben zufolge hat er sich dort auf eine sehr schwierige und zeitaufwändige Schwurgerichtssache vorbereitet. Er hat sich täglich (einschließlich samstags und sonntags) mindestens durchschnittlich 5 - 6 Stunden der Vorbereitung auf diese gewidmet.

Wo der Kläger seine Arbeit als Anwalt erledigte, war grundsätzlich seine Sache. Seine Gestaltungsfreiheit als Unternehmer muss unfallversicherungsrechtlich respektiert werden (vgl BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 26), zumal –worauf es allerdings nicht ausschlaggebend ankommt- die Wegstrecke von zu Hause bzw von der Kanzlei nach Bad G und zurück nicht weiter war als die Wegstrecke, die er insgesamt absolviert hätte, wenn er seinerzeit an jedem Tag von seiner Wohnung zur Kanzlei gefahren wäre. Entscheidend ist, dass der Kläger wesentlich aus verständlichen betrieblichen Gründen zu der konkreten Handlungsweise –dem Aufenthalt in Bad G- bewegt wurde (vgl BSG, aaO). Der Kläger hat sich auf die Schwurgerichtssache außerhalb seines häuslichen Bereichs und seiner Kanzlei vorbereitet, weil er sich ungestört in den schwierigen Prozessstoff einarbeiten wollte. Er hat dies deshalb gerade in Bad G getan, weil er sicher sein konnte, dort ungestört in vertrauter Umgebung arbeiten zu können.

Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich der Kläger auch aus gesundheitlichen Gründen in Bad G aufgehalten hat. Insoweit handelte es sich aber nicht um die allein wesentliche Ursache des Aufenthalts. In diesem Zusammenhang kommt dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, dass der zeitliche Umfang der in Bad G durchgeführten Gesundheitsmaßnahmen erheblich geringer war als derjenige der beruflichen Tätigkeit. Zudem hat der Kläger glaubhaft angegeben, dass er sich, wenn er sich nicht auf die Schwurgerichtssache hätte vorbereiten müssen, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht nach Bad G begeben hätte. Dafür spricht auch die Tatsache, dass ihn seine Frau seinerzeit -anders als sonst- nicht dorthin begleitet hat.

Bei dieser Sachlage hat es sich hinsichtlich des Aufenthalts in Bad G um eine versicherte Dienstreise gehandelt. Demgemäß stand der Kläger dort unter Unfallversicherungsschutz, wobei dieser allerdings bei privaten Tätigkeiten, die nicht dem versicherten Tätigkeitsbereich zuzurechnen sind (vgl BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 25), nicht gegeben war.

Ausgehend davon war der Kläger auch bei der Hin- und Rückfahrt nach Bad G unter dem Gesichtspunkt einer Dienstreise versichert. Die Auffassung des SG, der Versicherungsschutz während dieser Fahrten sei trotz des überwiegend beruflichen Zwecks des Aufenthalts in Bad G zu verneinen, weil sich der Kläger wohnortnäher auf die Schwurgerichtssitzung hätte vorbereiten können, vermag der Senat nicht zu teilen. Bei sog gemischten Tätigkeiten stellt die Rechtsprechung zwar vielfach darauf ab, ob die Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (BSG SozR 2200 § 550 Nr 62; SozR 3-2200 § 548 Nr 19). Diese Grundsätze greifen aber vorliegend nicht ein, da sie völlig andere Fallkonstellationen betreffen. Ein Beispielsfall für das genannte Abgrenzungskriterium ist folgender Fall (Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8, RdNr 25; vgl auch BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19): Ein Unternehmer mit Wohnort in Hamburg fährt von dort aus nach München, um seine Tochter zu besuchen. Anlässlich dieser Fahrt sucht er in München einen Kunden auf, zu dem er ohne den privaten Besuch nicht gefahren wäre. Bei einer solchen Sachlage ist der Unternehmer auf dem Weg von Hamburg nach München nicht versichert. Mit dieser Fallkonstellation ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar, da der Sachverhalt völlig anders gelagert ist. Da der Aufenthalt in Bad G -wie dargelegt- als Dienstreise versichert war, unterfällt auch die hiervon versicherungsrechtlich nicht getrennt zu beurteilende Hin- und Rückfahrt dem Versicherungsschutz.

Der Senat hat von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, ein Grundurteil zu erlassen (§ 130 SGG), da es in Anbetracht des Umfangs der Unfallfolgen wahrscheinlich ist, dass dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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