L 6 RA 12/02

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 6 RA 12/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 3.7.1998 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides der Beklagten wegen Zahlungen, die die Beklagte auf Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse geleistet hat.

Die –mittlerweile verstorbene- Schuldnerin der Klägerin, Lieselotte Rose(Versicherte) bezog von der Beklagten sowohl eine Alters- als auch eine Witwenrente. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23.11.1976 pfändete das Amtsgericht Mainz wegen einer Forderung der Klägerin gegen die Versicherte in Höhe von 17.162,50 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 1.1.1976 und Kosten in Höhe von insgesamt 207.60 DM deren Rentenansprüche gegen die Beklagte. Am 2.12.1976 erließ das Amtsgericht Mainz wegen einer Forderung der Klägerin gegen die Versicherte in Höhe von 15.500,-- DM zuzüglich 8 % Zinsen seit dem 1.1.1975 und Kosten in Höhe von 160,20 DM einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Das Amtsgericht Mainz pfändete mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 31.3.1977 die Rentenansprüche wegen einer Forderung der Klägerin gegen die Versicherte in Höhe von 30.880,-- DM zuzüglich 10 % Zinsen seit dem 28.12.1976 und Kosten in Höhe von insgesamt 309,40 DM.

Mit Schreiben vom 24.6.1977 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach Erfüllung vorrangiger Forderungen aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 23.11.1976 die Zahlungen aufgenommen würden. Für August 1977 werde eine Einmalzahlung in Höhe von 326,80 DM und ab September würden 1977 laufend monatlich 624,40 DM gezahlt. Bis April 1987 zahlte die Beklagte an die Klägerin insgesamt 63.542,50 DM.

Mit Schreiben vom 27.5.1987 forderte die Beklagte die Klägerin auf, ihre Restforderung (Zinsen etc) mitzuteilen. Mit Schreiben vom 27.8.1987 legte die Klägerin der Beklagten eine Aufstellung der Zinsforderungen vor, und zwar bezüglich Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23.11.1976 für Januar 1976 bis zur Tilgung im Mai 1980, Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 2.12.1976 für Januar 1975 bis zur Tilgung im Juli 1982, Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 31.3.1977 für die Zeit vom 29.12.1976 bis Dezember 1985. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass ihr für den Zeitraum von 1976 bis 1985 noch Zinszahlungen von 35.519,78 DM zustünden. Die Beklagte erkannte in einem internen Vermerk vom 8.9.1987 die Zinsforderungen an und setzte ihre Überweisungen ab November 1987 in Höhe von 634,20 DM monatlich fort.

Auf Anfrage teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 7.8.1995 mit, dass ihr noch ein Zinsrestbetrag von 3.937,68 DM sowie Gerichtskosten von 670,70 DM zu zahlen seien. Nach Anhörung der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 7.3.1997 und Widerspruchsbescheid vom 25.4.1997 fest, dass von Juni 1993 bis Juni 1995 Beträge von insgesamt 12.329,18 DM zu Unrecht an die Klägerin aufgrund der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gezahlt worden seien. Dabei ging die Beklagte davon aus, dass zunächst auf die Kosten und Zinsen geleistet worden sei und die Tilgung begonnen habe mit der Forderung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 31.3.1977 in Höhe von 30.880,-- DM.

Durch Urteil vom 3.7.1998 hat das Sozialgericht Mainz (SG) den Bescheid der Beklagten vom 7.3.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.4.1997 aufgehoben. Auf den Erstattungsbescheid sei § 50 Abs 2 Satz 2 SGB anzuwenden. Daraus ergebe sich, dass die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X zu berücksichtigen sei. Die Beklagte habe es versäumt, innerhalb der Jahresfrist den Leistungsanspruch geltend zu machen.

Gegen das am 23.7.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.8.1998 Berufung eingelegt.

Die Beklagte stützt sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.7.2001, in dem ausgeführt wird, dass § 55 Abs 2 Satz 2 SGB X nur im Verhältnis des Sozialleistungsträgers zum Inhaber des Sozialleistungsanspruchs Anwendung finde und somit die Jahresfrist nicht gelte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 3.7.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Urteil des SG trifft im Ergebnis zu.

Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung eines Betrages von 12.329,18 DM wegen Überzahlung. Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

Nach der Rechtsprechung des BSG -Urteil vom 24.7.2001- (B 4 RA 102/00 R) ist § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch eines Sozialleistungsträgers, der eine Sozialleistung zu Unrecht an einen (vermeintlich) empfangszuständigen Dritten erbracht hat, um seine (vermeintliche) Pflicht aus einem sozialen Recht zu erfüllen. Voraussetzung ist, dass der Sozialleistungsträger die Geldleistung bewusst an den Dritten zur Erfüllung eines Zahlungsanspruchs erbringt und der Dritte Kenntnis davon hat, dass es sich um eine Sozialleistung handelt. Dies war vorliegend der Fall.

Auf einen Erstattungsanspruch gegenüber einem Dritten, der zwar Zahlungsempfänger, aber nicht Leistungsberechtigter einer Sozialleistung ist, ist nach dem zitierten Urteil des BSG § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X nicht anzuwenden. Damit ist auch eine unmittelbare Anwendung der §§ 45, 48 SGB X ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des SG gilt folglich nicht die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X.

Das BSG hat allerdings entschieden, dass das Vertrauen des Dritten schutzwürdig ist. Der Rechtsgedanke aus § 45 Abs 2 SGB X ist maßgebend, wenn der Dritte die Zuwendung einer "Sozialleistung" erkennen musste und er außerdem beim Empfang der Leistung gutgläubig war. Es kommt dann darauf an, in welchem Ausmaß er schutzwürdiges Vertrauen getätigt hat (BSG aaO). Ungeachtet der Tatsache, ob es vorliegend überhaupt zu einer Überzahlung gekommen ist, ist das Vertrauen der Klägerin darauf, dass rechtmäßig an sie gezahlt wurde, schutzwürdig.

Vorliegend sind die Vorschriften des BGB über die Erfüllung von Schuldverhältnissen heranzuziehen. § 367 Abs 1 BGB bestimmt: Hat der Schuldner außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten zu entrichten, so wird eine zur Tilgung der ganzen Schuld nicht ausreichende Leistung zunächst auf die Kosten, dann auf die Zinsen und zuletzt auf die Hauptleistung angerechnet. § 366 Abs 1 BGB lautet: Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.

Mit Schreiben vom 24.6.1977 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach Erfüllung vorrangiger Forderungen nunmehr Leistungen auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23.11.1976 erbracht würden. Im August 1977 werde eine Einmalzahlung geleistet und ab September 1977 eine laufende monatliche Leistung in Höhe von 624,40 DM. Die Klägerin durfte also davon ausgehen, dass die Beklagte die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse nach der zeitlichen Reihenfolge entsprechend der Regelung des § 367 BGB bedienen werde. Damit konnte sie annehmen, dass aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 23.11.1976 in Höhe von 17.162,50 DM zunächst die aufgelaufenen Kosten und Zinsen von 8 % ab 1.1.1976 und dann die Hauptforderung getilgt würden. Anschließend würde dann aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 2.12.1976 die aufgelaufenen Zinsen von 8 % aus der Hauptforderung von 15.500,-- DM ab 1.1.1975 sowie die Kosten und dann die Hauptforderung gezahlt werden. Aufgrund der zeitlichen Priorität durfte für die Klägerin feststehen, dass nach Tilgung dieser Forderungen die Forderungen aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 31.3.1977 erfüllt würden. Hierbei waren ebenfalls zunächst die aufgelaufenen Kosten und die Zinsen von 10 % der Hauptforderung seit 28.12.1976 und dann war auf die Hauptforderung in Höhe von 30.880,-- DM zu zahlen.

Gleichwohl hat die Beklagte nach ihren eigenen Vermerken zuerst jeweils auf die Hauptforderungen geleistet, und sie kam zu dem Ergebnis, dass diese im Juli 1987 erfüllt gewesen seien. Entgegen dem Wortlaut des § 367 Abs 1 BGB hat die Beklagte die Klägerin dann mit Schreiben vom 14.1.1987 aufgefordert, ihre Zinsforderungen und Kosten zu berechnen und diese in einem ausführlichen Tilgungsplan geltend zu machen. In der Folgezeit hat die Klägerin auch die Zinsen beziffert. Sie hat in ihrer Zinsaufstellung deutlich gemacht, dass es eine zeitliche Reihenfolge der Zahlungen hinsichtlich der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gibt, nämlich zunächst auf den Beschluss vom 23.11.1976, dann auf den Beschluss vom 2.12.1976 und schließlich auf den Beschluss vom 31.3.1977. In einem internen Vermerk hat die Beklagte festgehalten, dass die Zinsforderungen der Klägerin begründet seien, und ihr mit Schreiben vom 15.9.1987 mitgeteilt, dass die laufenden Zahlungen wieder aufgenommen werden. Nach dem Verhalten der Beklagten durfte die Klägerin auf die Richtigkeit ihrer Berechnungen und die Berechtigung zum Empfang der Leistungen der Beklagten vertrauen.

Entgegen den ursprünglich vereinbarten Modalitäten ist die Beklagte in den von ihr am 18.9.1995 aufgestellten Zins- und Tilgungsberechnungen von der Reihenfolge der Tilgungen auf die Forderungen aus den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen abgewichen. So geht sie bei der Berechnung davon aus, dass mit der Tilgung der Forderung in Höhe von 30.880,-- DM, für die eine Zinsbelastung von 10 % gilt, bereits im Jahr 1977 begonnen worden sei. Die Klägerin durfte jedoch darauf vertrauen, dass mit der Tilgung der jüngsten Forderung erst nach Tilgung der älteren wenn auch niedrigeren Forderungen begonnen wird. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Forderung von 30.880,-- DM mit einer höheren Zinsbelastung, nämlich von 10 %, belegt war. Die Beklagte kann nicht nachträglich eine andere Tilgungsreihenfolge vornehmen, um niedrigere Zinszahlungen zu erreichen. Das Vertrauen der Klägerin ist auch deshalb schutzwürdig, weil die Beklagte sie zu keinem Zeitpunkt auf Fehler in ihrer Rechnung hingewiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe des § 160 Abs 2 SGG nicht vorliegen. Die Frage, ob schutzwürdiges Vertrauen betätigt wurde, ist allein Tatfrage.
Rechtskraft
Aus
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