Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 6 AS 4185/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 55/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit eines Widerspruchs in einem Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der verheiratete Kläger stand gemeinsam mit seiner Ehefrau als Bedarfsgemeinschaft im Jahr 2008 im Leistungsbezug nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 bezifferte die ARGE SGB II Landkreis W. für den Monat Januar 2008 die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) auf insgesamt 313,05 EUR (Kläger: 156,53 EUR; Petra Kittler: 156,52 EUR). Für die folgenden Monate vom 1. Februar bis 31. Mai 2008 bewilligte der Beklagte vorläufig einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von 269,24 EUR für KdU (Kläger: 134,62 EUR; Ehefrau: 134,62 EUR). Dieser Bescheid enthielt den einleitenden Hinweis, dass der Anspruch auf Leistungen wegen der ungeklärten Frage der Lohnsteuerklassen noch nicht abschließend gewertet werden könne. Sollte nach abschließender Prüfung kein oder nur ein geringerer Leistungsanspruch bestehen, bleibe eine Erstattung der erhaltenen Leistungen vorbehalten (§ 328 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III).
Mit Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 erhöhte der Beklagte die zuvor bereits bewilligten Leistungsbeträge für den genannten Zeitraum wegen eines befristeten Zuschlages nach § 24 SGB II um 7,00 EUR bzw. 4,00 EUR. Auch dieser Bescheid enthielt entsprechende Belehrungen zur Vorläufigkeit der Bewilligung. Hiergegen hat der Kläger am 7. März 2008 Widerspruch eingelegt.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2008 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Mai 2008 die Leistungen endgültig und gewährte für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 29. Februar 2008 KdU für beide Personen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 170,62 EUR sowie für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2008 in Höhe von 167,62 EUR monatlich. Hiernach ergebe sich für den Bewilligungsabschnitt eine Überzahlung in Höhe von 571,91 EUR. In einem Erstattungsbescheid vom selben Tage verlangte der Beklagte vom Kläger insgesamt 571,91 EUR zurück. Der Erstattungsbescheid nahm Bezug auf den Bescheid vom 20. Juni 2008 und enthielt den Hinweis "Dieser Bescheid wird gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz Gegenstand des Widerspruchsverfahrens."
Hiergegen legte der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, am 8. Juli 2008 Widerspruch ein und machte geltend: Die Einkommenssteuerrückerstattung sei nicht als Einkommen, sondern als Vermögen anzusehen. Außerdem seien die KdU vom Beklagten nicht zutreffend berechnet worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus: Gegen den vorläufigen Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 sei bereits am 7. März 2008 Widerspruch erhoben worden. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 werde gemäß § 86 Sozialgesetzbuch (SGG) Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens. Dementsprechend müsse der eingelegte Widerspruch als unzulässig verworfen werden, da eine sachliche Prüfung im Widerspruchsverfahren des Änderungsbescheides vom 28. Februar 2008 erfolgen werde.
Hiergegen hat der Kläger am 17. Dezember 2008 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben, die Aufhebung der genannten Bescheide begehrt sowie zur Begründung ausgeführt: Der angegriffene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 bestehe rechtlich aus zwei Regelungstatbeständen. Lediglich der Erstattungstenor sei mit Widerspruchsschreiben vom 7. Juli 2008 angegriffen worden. Durch diesen isolierten Angriff auf den Erstattungsausspruch können entgegen der Auffassung des Beklagten § 86 SGG keine Anwendung finden. Das Rubrum der Klageschrift enthielt neben dem Kläger auch die Ehefrau des Klägers als Beteiligte.
Der Beklagte hat seine bisherige Rechtsauffassung bekräftigt und auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen. Das Sozialgericht Dessau-Roßlau habe im mittlerweile rechtshängigen Verfahren S 6 AS 581/09 die Rechtmäßigkeit des hier streitgegenständlichen Erstattungsbescheides zu prüfen.
In der nicht-öffentlichen Sitzung vom 9. August 2011 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Mit Urteil vom 28. September 2011 hat das SG die Klage abgewiesen, die Berufung zugelassen und zur Begründung ausgeführt: Hinsichtlich der Ehefrau des Klägers sei die Klage unzulässig, da sie durch den angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2008 nicht in ihren Rechten beeinträchtigt sei. Bezogen auf den Kläger sei die Klage unbegründet. Nach § 86 SGG werde auch der neue Verwaltungsakt, der während des Vorverfahrens den Verwaltungsakt abändere, Gegenstand des Vorverfahrens. Hierbei sei durch einen Vergleich der Regelungsgehalte beider Bescheide zu beurteilen, ob eine Abänderung erfolgt sei. Typischerweise seien Bescheide, die die Leistungen feststellen (Änderungsbescheide) oder entziehen (Aufhebungsbescheide) gemäß § 86 SGG einzubeziehen. Hierfür spreche die Gesetzesbegründung, die das Bundessozialgericht in seinen Urteil vom 5. Dezember 1978, 7 Rar 34/78, juris, näher dargelegt habe. Danach sei der Begriff des Abändern oder der des Ersetzens in § 96 SGG nicht auf den unmittelbaren Wortsinn zu beschränken. Zweck sei es vielmehr, alle Verwaltungsakte zu erfassen, die den Prozessstoff beeinflussen können, um auf diese Art und Weise ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren zu ermöglichen sowie divergierende gerichtliche Entscheidungen zu vermeiden. Diese Wertung sei auch auf § 86 SGG übertragbar und im Übrigen auch deswegen zweckmäßig, da ein Erstattungsanspruch typischerweise die Kehrseite des Leistungsanspruches darstelle. Auch nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 165/10 R, sei davon auszugehen, dass ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gemäß § 86 SGG Gegenstand eines laufenden Widerspruchsverfahrens werden könne. Zudem sei auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht erkennbar. Schließlich könne der Beklagte, solange das laufende Widerspruchsverfahren nicht abgeschlossen sei, den Erstattungsanspruch auch nicht durchsetzen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 29. Dezember 2011 zugestellte Urteil am 26. Januar 2012 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und seine bisherige Begründung wiederholt.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. September 2011 sowie den Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat ausgeführt: Der Widerspruch sei unzulässig. Die Ersetzung eines Bescheides stelle die höchste Form der Änderung dar, so dass § 86 SGG Anwendung finden müsse. Dies entspreche auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung. So habe das BSG in seinem Urteil vom 20. August 2011, B 14 AS 165/10 R, ein einheitliches Widerspruchsverfahren immer dann bejaht, wenn Bescheide aufeinander aufbauen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben gemäß § 173 SGG. Sie ist auch statthaft gemäß § 144 Abs. 1 und 3 SGG, da das Sozialgericht die Berufung zugelassen hat.
Die Berufung ist jedoch unbegründet, da das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau und die Bescheide des Beklagten nicht zu beanstanden sind. Der Widerspruch des Klägers gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2008 ist zu Recht als unzulässig verworfen worden.
Wird während des Vorverfahrens nach einem Widerspruch der Verwaltungsakt abgeändert, wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens (vgl. § 86 SGG). § 86 SGG findet hier Anwendung mit der Folge, dass beide Bescheide vom 20. Juni wiederum Gegenstand des Klageverfahrens S 6 AS 581/09 geworden sind. Ein gesonderter Widerspruch gegen den Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 war daher nicht mehr möglich. Die beiden hier streitigen Bescheide vom 20. Juni 2008, mit denen zum einen die zuvor vorläufig bewilligten Leistungen endgültig festgesetzt wurden und zum anderen die Erstattung der vorläufig zu viel bewilligten Leistungen verlangt wurde, ändern die ursprüngliche Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 ab. Denn sie trafen eine Leistungsregelung zum selben Rechtsverhältnis und Streitgegenstand wie der Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 zwischen den Beteiligten. Schließlich ist Gegenstand der Bescheide jeweils der Bewilligungsabschnitt vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 und die Frage, in welchem Umfang dem Kläger für diese Zeit Leistungen zustehen. Ob dabei dem Kläger aus der Regelung dieses Rechtsverhältnisses mehr oder weniger Leistungen zustehen, ändert die Kernregelung der jeweiligen Bescheide nicht ab. Aufgrund des Widerspruchs des Klägers gegen den Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 ist damit der Bewilligungszeitraum zwischen dem 1. Januar bis 31. Mai 2008 sowie alle darauf bezogenen zeitlichen späteren Leistungsansprüche dieses Bewilligungsabschnitts zum Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens geworden. Die Folgebescheide des Beklagten vom 20. Juni 2008 haben diesen Änderungsbescheid lediglich vollständig abgeändert bzw. ersetzt, betreffen jedoch kein anderes Rechtsverhältnis und auch keine anderen Leistungen.
Der Senat folgt ausdrücklich nicht der vom Kläger und einigen Gerichten vertretenen Rechtsauffassung (vgl. z.B. SG Duisburg, Urteil vom 9. September 2010, S 5 AS 44/08, juris), wonach § 86 SGG im Gegensatz zu § 96 SGG nur solche Fälle erfasse, in denen ein Folge-Verwaltungsakt den angefochtenen Verwaltungsakt abändere, nicht aber solche, in denen der angefochtene Verwaltungsakt ersetzt werde. Denn nach zutreffender und überwiegend vertretener Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat ausdrücklich anschließt, ist bei § 86 SGG und § 96 SGG von identischen Tatbestandsmerkmalen auszugehen, obwohl der Wortlaut beider Normen voneinander abweicht. Während § 96 SGG ausdrücklich nicht nur abändernde, sondern auch ersetzende Verwaltungsakte einbezieht, spricht § 86 SGG nur von abändernden Verwaltungsakten. Nach zutreffender Meinung ist in § 86 SGG der ersetzende Verwaltungsakt "hineinzulesen" und daher § 96 SGG und § 86 SGG gleich anzuwenden.
Sinn und Zweck beider Vorschriften ist es, eine umfassende Erledigung des Streitstoffes in ein und demselben Verfahren (Widerspruch oder Klage) unter Einbeziehung aller Folgebescheide zu erreichen. Dementsprechend ist eine Differenzierung danach, ob der Folgebescheid den angefochtenen Bescheid nur abändert oder ersetzt, nicht angezeigt. Maßgebend ist allein, ob der neue Verwaltungsakt den angefochtenen Bescheid ändert. Ob eine Änderung vorliegt, richtet sich danach, ob der Regelungsgehalt des Ursprungsbescheides und des Folgebescheides identisch sind. Der neue Verwaltungsakt muss daher zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses ergangen sein und sich in seinen Wirkungen mit dem angefochtenen Verwaltungsakt überschneiden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Auflage 2012, § 86 Rdn. 3). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber für das Widerspruchsverfahren mit § 86 SGG eine restriktivere Regelung schaffen wollte als für das Klageverfahren mit § 96 SGG. Auch vom Wortlaut her spricht nichts dagegen, § 86 SGG auch auf Fälle des Ersetzens zu erstrecken, weil sich das Ersetzen als die radikalste Form des Abänderns verstehen lässt (so zutreffend Bayerisches LSG, Beschluss vom 2. Dezember 2011, L 16 AS 877/11 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Oktober 2013, L 13 AS 437/13 B, jeweils juris). Der Bewertung folgt auch das BSG in seinem Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 165/10 R, juris. Maßgebend ist dabei nach Auffassung des BSG, ob die gemäß § 86 SGG einzubeziehenden Bescheide aufeinander aufbauend eine Entscheidung hinsichtlich der Höhe der Leistungen treffen und damit die ursprüngliche Bewilligung abändern.
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Der Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 sowie die beiden Bescheide vom 20. Juni 2008 legen den Leistungsanspruch für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 endgültig fest. Damit liegt wegen der identischen Bewilligungszeit und dem Ausspruch eines positiven bzw. eines negativen Leistungsanspruchs eine gemeinsame Grundlage vor. Hierbei spielt es wertungsmäßig keine Rolle, ob der Folgebescheid eine zunächst vorläufige Leistung für einen bestimmten Zeitraum nunmehr endgültig festlegt hat, solange es sich um eine Regelung eines identischen Rechtsverhältnisses und Streitgegenstandes handelt. Diese wertungsmäßige Identität ist auch zwischen dem Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 und dem streitigen Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 gegeben.
Mit dem Erstattungsbescheid wird lediglich der endgültige Bescheid vom 20. Juni 2008 formal umgesetzt. Die Rückzahlungsverpflichtung ergibt sich bereits aus dem endgültigen Bescheid (vgl. § 328 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung [SGB III]). Beide Bescheide vom 20. Juni 2008 bauen daher im Sinne der BSG-Rechtsprechung aufeinander auf. Die Gegenauffassung würde es der jeweiligen Bescheidungstechnik der Behörde überlassen, ob für den Leistungsbezieher ein gesonderter Widerspruch erforderlich wird oder nicht, obwohl über einen identischen Streitgegenstand entschieden worden ist und eine getrennte Behandlung der Bescheide der Verfahrens- oder Prozessökonomie widersprechen würde. Auch aus prozessökonomischen Gründen ist es geboten, die Bescheide vom 20. Juni 2008 in das gerichtliche Verfahren S 6 AS 581/09 einzubeziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Zulassungsgründe (§§ 160 Abs. 1, 2 SGG) nicht vorliegen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit eines Widerspruchs in einem Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der verheiratete Kläger stand gemeinsam mit seiner Ehefrau als Bedarfsgemeinschaft im Jahr 2008 im Leistungsbezug nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 bezifferte die ARGE SGB II Landkreis W. für den Monat Januar 2008 die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) auf insgesamt 313,05 EUR (Kläger: 156,53 EUR; Petra Kittler: 156,52 EUR). Für die folgenden Monate vom 1. Februar bis 31. Mai 2008 bewilligte der Beklagte vorläufig einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von 269,24 EUR für KdU (Kläger: 134,62 EUR; Ehefrau: 134,62 EUR). Dieser Bescheid enthielt den einleitenden Hinweis, dass der Anspruch auf Leistungen wegen der ungeklärten Frage der Lohnsteuerklassen noch nicht abschließend gewertet werden könne. Sollte nach abschließender Prüfung kein oder nur ein geringerer Leistungsanspruch bestehen, bleibe eine Erstattung der erhaltenen Leistungen vorbehalten (§ 328 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III).
Mit Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 erhöhte der Beklagte die zuvor bereits bewilligten Leistungsbeträge für den genannten Zeitraum wegen eines befristeten Zuschlages nach § 24 SGB II um 7,00 EUR bzw. 4,00 EUR. Auch dieser Bescheid enthielt entsprechende Belehrungen zur Vorläufigkeit der Bewilligung. Hiergegen hat der Kläger am 7. März 2008 Widerspruch eingelegt.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2008 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Mai 2008 die Leistungen endgültig und gewährte für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 29. Februar 2008 KdU für beide Personen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 170,62 EUR sowie für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2008 in Höhe von 167,62 EUR monatlich. Hiernach ergebe sich für den Bewilligungsabschnitt eine Überzahlung in Höhe von 571,91 EUR. In einem Erstattungsbescheid vom selben Tage verlangte der Beklagte vom Kläger insgesamt 571,91 EUR zurück. Der Erstattungsbescheid nahm Bezug auf den Bescheid vom 20. Juni 2008 und enthielt den Hinweis "Dieser Bescheid wird gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz Gegenstand des Widerspruchsverfahrens."
Hiergegen legte der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, am 8. Juli 2008 Widerspruch ein und machte geltend: Die Einkommenssteuerrückerstattung sei nicht als Einkommen, sondern als Vermögen anzusehen. Außerdem seien die KdU vom Beklagten nicht zutreffend berechnet worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus: Gegen den vorläufigen Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 sei bereits am 7. März 2008 Widerspruch erhoben worden. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 werde gemäß § 86 Sozialgesetzbuch (SGG) Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens. Dementsprechend müsse der eingelegte Widerspruch als unzulässig verworfen werden, da eine sachliche Prüfung im Widerspruchsverfahren des Änderungsbescheides vom 28. Februar 2008 erfolgen werde.
Hiergegen hat der Kläger am 17. Dezember 2008 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben, die Aufhebung der genannten Bescheide begehrt sowie zur Begründung ausgeführt: Der angegriffene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 bestehe rechtlich aus zwei Regelungstatbeständen. Lediglich der Erstattungstenor sei mit Widerspruchsschreiben vom 7. Juli 2008 angegriffen worden. Durch diesen isolierten Angriff auf den Erstattungsausspruch können entgegen der Auffassung des Beklagten § 86 SGG keine Anwendung finden. Das Rubrum der Klageschrift enthielt neben dem Kläger auch die Ehefrau des Klägers als Beteiligte.
Der Beklagte hat seine bisherige Rechtsauffassung bekräftigt und auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen. Das Sozialgericht Dessau-Roßlau habe im mittlerweile rechtshängigen Verfahren S 6 AS 581/09 die Rechtmäßigkeit des hier streitgegenständlichen Erstattungsbescheides zu prüfen.
In der nicht-öffentlichen Sitzung vom 9. August 2011 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Mit Urteil vom 28. September 2011 hat das SG die Klage abgewiesen, die Berufung zugelassen und zur Begründung ausgeführt: Hinsichtlich der Ehefrau des Klägers sei die Klage unzulässig, da sie durch den angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2008 nicht in ihren Rechten beeinträchtigt sei. Bezogen auf den Kläger sei die Klage unbegründet. Nach § 86 SGG werde auch der neue Verwaltungsakt, der während des Vorverfahrens den Verwaltungsakt abändere, Gegenstand des Vorverfahrens. Hierbei sei durch einen Vergleich der Regelungsgehalte beider Bescheide zu beurteilen, ob eine Abänderung erfolgt sei. Typischerweise seien Bescheide, die die Leistungen feststellen (Änderungsbescheide) oder entziehen (Aufhebungsbescheide) gemäß § 86 SGG einzubeziehen. Hierfür spreche die Gesetzesbegründung, die das Bundessozialgericht in seinen Urteil vom 5. Dezember 1978, 7 Rar 34/78, juris, näher dargelegt habe. Danach sei der Begriff des Abändern oder der des Ersetzens in § 96 SGG nicht auf den unmittelbaren Wortsinn zu beschränken. Zweck sei es vielmehr, alle Verwaltungsakte zu erfassen, die den Prozessstoff beeinflussen können, um auf diese Art und Weise ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren zu ermöglichen sowie divergierende gerichtliche Entscheidungen zu vermeiden. Diese Wertung sei auch auf § 86 SGG übertragbar und im Übrigen auch deswegen zweckmäßig, da ein Erstattungsanspruch typischerweise die Kehrseite des Leistungsanspruches darstelle. Auch nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 165/10 R, sei davon auszugehen, dass ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gemäß § 86 SGG Gegenstand eines laufenden Widerspruchsverfahrens werden könne. Zudem sei auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht erkennbar. Schließlich könne der Beklagte, solange das laufende Widerspruchsverfahren nicht abgeschlossen sei, den Erstattungsanspruch auch nicht durchsetzen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 29. Dezember 2011 zugestellte Urteil am 26. Januar 2012 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und seine bisherige Begründung wiederholt.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. September 2011 sowie den Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat ausgeführt: Der Widerspruch sei unzulässig. Die Ersetzung eines Bescheides stelle die höchste Form der Änderung dar, so dass § 86 SGG Anwendung finden müsse. Dies entspreche auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung. So habe das BSG in seinem Urteil vom 20. August 2011, B 14 AS 165/10 R, ein einheitliches Widerspruchsverfahren immer dann bejaht, wenn Bescheide aufeinander aufbauen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben gemäß § 173 SGG. Sie ist auch statthaft gemäß § 144 Abs. 1 und 3 SGG, da das Sozialgericht die Berufung zugelassen hat.
Die Berufung ist jedoch unbegründet, da das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau und die Bescheide des Beklagten nicht zu beanstanden sind. Der Widerspruch des Klägers gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2008 ist zu Recht als unzulässig verworfen worden.
Wird während des Vorverfahrens nach einem Widerspruch der Verwaltungsakt abgeändert, wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens (vgl. § 86 SGG). § 86 SGG findet hier Anwendung mit der Folge, dass beide Bescheide vom 20. Juni wiederum Gegenstand des Klageverfahrens S 6 AS 581/09 geworden sind. Ein gesonderter Widerspruch gegen den Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 war daher nicht mehr möglich. Die beiden hier streitigen Bescheide vom 20. Juni 2008, mit denen zum einen die zuvor vorläufig bewilligten Leistungen endgültig festgesetzt wurden und zum anderen die Erstattung der vorläufig zu viel bewilligten Leistungen verlangt wurde, ändern die ursprüngliche Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 ab. Denn sie trafen eine Leistungsregelung zum selben Rechtsverhältnis und Streitgegenstand wie der Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 zwischen den Beteiligten. Schließlich ist Gegenstand der Bescheide jeweils der Bewilligungsabschnitt vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 und die Frage, in welchem Umfang dem Kläger für diese Zeit Leistungen zustehen. Ob dabei dem Kläger aus der Regelung dieses Rechtsverhältnisses mehr oder weniger Leistungen zustehen, ändert die Kernregelung der jeweiligen Bescheide nicht ab. Aufgrund des Widerspruchs des Klägers gegen den Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 ist damit der Bewilligungszeitraum zwischen dem 1. Januar bis 31. Mai 2008 sowie alle darauf bezogenen zeitlichen späteren Leistungsansprüche dieses Bewilligungsabschnitts zum Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens geworden. Die Folgebescheide des Beklagten vom 20. Juni 2008 haben diesen Änderungsbescheid lediglich vollständig abgeändert bzw. ersetzt, betreffen jedoch kein anderes Rechtsverhältnis und auch keine anderen Leistungen.
Der Senat folgt ausdrücklich nicht der vom Kläger und einigen Gerichten vertretenen Rechtsauffassung (vgl. z.B. SG Duisburg, Urteil vom 9. September 2010, S 5 AS 44/08, juris), wonach § 86 SGG im Gegensatz zu § 96 SGG nur solche Fälle erfasse, in denen ein Folge-Verwaltungsakt den angefochtenen Verwaltungsakt abändere, nicht aber solche, in denen der angefochtene Verwaltungsakt ersetzt werde. Denn nach zutreffender und überwiegend vertretener Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat ausdrücklich anschließt, ist bei § 86 SGG und § 96 SGG von identischen Tatbestandsmerkmalen auszugehen, obwohl der Wortlaut beider Normen voneinander abweicht. Während § 96 SGG ausdrücklich nicht nur abändernde, sondern auch ersetzende Verwaltungsakte einbezieht, spricht § 86 SGG nur von abändernden Verwaltungsakten. Nach zutreffender Meinung ist in § 86 SGG der ersetzende Verwaltungsakt "hineinzulesen" und daher § 96 SGG und § 86 SGG gleich anzuwenden.
Sinn und Zweck beider Vorschriften ist es, eine umfassende Erledigung des Streitstoffes in ein und demselben Verfahren (Widerspruch oder Klage) unter Einbeziehung aller Folgebescheide zu erreichen. Dementsprechend ist eine Differenzierung danach, ob der Folgebescheid den angefochtenen Bescheid nur abändert oder ersetzt, nicht angezeigt. Maßgebend ist allein, ob der neue Verwaltungsakt den angefochtenen Bescheid ändert. Ob eine Änderung vorliegt, richtet sich danach, ob der Regelungsgehalt des Ursprungsbescheides und des Folgebescheides identisch sind. Der neue Verwaltungsakt muss daher zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses ergangen sein und sich in seinen Wirkungen mit dem angefochtenen Verwaltungsakt überschneiden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Auflage 2012, § 86 Rdn. 3). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber für das Widerspruchsverfahren mit § 86 SGG eine restriktivere Regelung schaffen wollte als für das Klageverfahren mit § 96 SGG. Auch vom Wortlaut her spricht nichts dagegen, § 86 SGG auch auf Fälle des Ersetzens zu erstrecken, weil sich das Ersetzen als die radikalste Form des Abänderns verstehen lässt (so zutreffend Bayerisches LSG, Beschluss vom 2. Dezember 2011, L 16 AS 877/11 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Oktober 2013, L 13 AS 437/13 B, jeweils juris). Der Bewertung folgt auch das BSG in seinem Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 165/10 R, juris. Maßgebend ist dabei nach Auffassung des BSG, ob die gemäß § 86 SGG einzubeziehenden Bescheide aufeinander aufbauend eine Entscheidung hinsichtlich der Höhe der Leistungen treffen und damit die ursprüngliche Bewilligung abändern.
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Der Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 sowie die beiden Bescheide vom 20. Juni 2008 legen den Leistungsanspruch für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 2008 endgültig fest. Damit liegt wegen der identischen Bewilligungszeit und dem Ausspruch eines positiven bzw. eines negativen Leistungsanspruchs eine gemeinsame Grundlage vor. Hierbei spielt es wertungsmäßig keine Rolle, ob der Folgebescheid eine zunächst vorläufige Leistung für einen bestimmten Zeitraum nunmehr endgültig festlegt hat, solange es sich um eine Regelung eines identischen Rechtsverhältnisses und Streitgegenstandes handelt. Diese wertungsmäßige Identität ist auch zwischen dem Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 und dem streitigen Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 gegeben.
Mit dem Erstattungsbescheid wird lediglich der endgültige Bescheid vom 20. Juni 2008 formal umgesetzt. Die Rückzahlungsverpflichtung ergibt sich bereits aus dem endgültigen Bescheid (vgl. § 328 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung [SGB III]). Beide Bescheide vom 20. Juni 2008 bauen daher im Sinne der BSG-Rechtsprechung aufeinander auf. Die Gegenauffassung würde es der jeweiligen Bescheidungstechnik der Behörde überlassen, ob für den Leistungsbezieher ein gesonderter Widerspruch erforderlich wird oder nicht, obwohl über einen identischen Streitgegenstand entschieden worden ist und eine getrennte Behandlung der Bescheide der Verfahrens- oder Prozessökonomie widersprechen würde. Auch aus prozessökonomischen Gründen ist es geboten, die Bescheide vom 20. Juni 2008 in das gerichtliche Verfahren S 6 AS 581/09 einzubeziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Zulassungsgründe (§§ 160 Abs. 1, 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
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